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Der Erbe von Bregond - Kriegerblut (Teil 1)
Prinz Daragh erwachte.
Wie lange mochte er geschlafen haben? Er wandte den Kopf zu den Fenstern. Die Vorhänge waren zugezogen, doch es lag Dunkelheit dahinter. Es war Nacht. Nacht in der Welt und Nacht in dem Herzen des Prinzen.
Nur der flackernde Schein einer kleinen Kerze tauchte das Zimmer in ein Zwielicht aus tanzenden Schatten. Stöhnend richtete Daragh sich auf und die Erinnerung an das jüngste Geschehen überkam ihn mit einer solchen Wucht, dass er das Gefühl hatte, keine Luft mehr zu bekommen. Er begann zu zittern, dann schlug er sich die Hände vor das Gesicht.
Ein leises Schluchzen entfuhr ihm.
Sein Vater war gestorben, er war allein. Der Tod hatte seine Hände nach dem Königreich Bregond ausgestreckt und das Leben König Brandurins ausgelöscht, so wie er es einst bei Königin Yielena getan hatte.
Der Prinz fühlte sich gefangen in einem tiefen, schwarzen Loch. Es war eine ungekannte Leere in ihm. Er hatte immer den Eindruck, dass sein Vater ihn besser kannte, als er sich selbst. Doch nun, da er nicht mehr war, glaubte Daragh vollkommen hilflos zu sein. Zwanzig Sommer und Winter lebte er in Bregond, dem Land seiner Väter und bisher hatte er ein unbekümmertes Leben geführt. Nie wäre ihm in den Sinn gekommen sein Erbe in solch jungen Jahren antreten zu müssen. Es befremdete ihn, Herrscher über ein ganzes Volk zu sein, zumal er sich alles andere als königlich empfand. Sein Vater war ein stattlicher Mann gewesen, mit breiten Schultern, muskulösen Armen und markanten Gesichtszügen. Im Vergleich zu ihm hielt Daragh sich für schmächtig mit seinen dünnen Armen und Beinen, der bleichen, zarten Haut und dem Gesicht, das eher weiche Züge aufwies. Das Einzige, was ihm wirklich gefiel, war sein schulterlanges, blondes Haar, welches seine äußere Erscheinung erhabener wirken ließ. Ansonsten war nichts an ihm besonders und er bezweifelte, dass das Volk ihn mit Respekt behandeln würde.
Während Daragh weiter seinen Gedanken nachhing, drang ein leises Schnarchen an sein Ohr. Er wandte sich zu seiner Rechten. Dort saß auf einem Schemel ein dicklicher, älterer Mann, mit einem Haarkranz, in eine dunkelblaue Kutte gekleidet. Sein gräulicher Vollbart verlieh ihm eine gewisse Wildheit. Mit dem Kopf lehnte der Mann an der Wand und hatte die Augen geschlossen. Ganz gleich wie bedrückend seine Situation war, musste Daragh lächeln. Bruder Betor saß anscheinend schon seit Stunden an seiner Schlafstatt und hielt Wacht über ihn. Ein väterlicher Freund war er dem Prinzen über all die Jahre geworden und auch in dieser dunklen Stunde erwies sich seine Anwesenheit als tröstlich. Daragh betrachtete den Mönch nachdenklich. Wie es ihm wohl ging? Es war bewundernswert, welch Seelenruhe von ihm ausging. Als Daragh jedoch genauer hinsah, entdeckte er, wie der Körper von Bruder Betor hin und wieder zuckte, so als würde er von Albträumen geplagt.
Erneut ging ein Zucken durch ihn, dann öffnete der Mönch die Augen und blickte zum Bett herüber, auf dem der Prinz noch immer aufrecht saß. Er sprang mit einem solchen Ruck auf, dass der Schemel umkippte und krachend zu Boden fiel.
„Mein Prinz, Ihr solltet liegen. Euer Körper ist von dem Zusammenbruch noch geschwächt.“
„Ich kann hier nicht herumliegen, ich muss etwas tun.“ Mit diesen Worten begann Daragh emsig sein Schlafgewand gegen eine schwarze Lederhose, ein weißes Hemd und ein dunkelbraunes Wams zu tauschen. Zuerst fühlte er sich noch wackelig auf den Beinen, aber je mehr sein Körper sich regte, umso sicherer wurden seine Bewegungen.
„Was habt Ihr vor?“ fragte Betor.
„Bruder Betor, Ihr habt zwei Möglichkeiten. Ihr könnt mit mir kommen oder hier auf meine Rückkehr harren. Das ist mir gleich.“
Betor raffte sein Gewand.
„Alles würde ich tun. Aber niemals würde ich Euch in Eurem Zustand allein gehen lassen.“
Daragh nickte. Er schlüpfte in seine Stiefel und schnürte sie zu. Zuletzt entnahm er einer kleinen Truhe einen Schlüsselbund.
„Dann kommt.“
Schweigend traten die beiden Männer aus dem Schlafgemach und folgten dem von Fackeln beleuchteten Gang. Ihre Schatten vollführten einen hektischen Tanz an den Wänden. Zu dieser späten Stunde bezogen nur wenige Wachmänner Posten. Auf jedem Gang hielt einer von ihnen Wacht. Nur an den Eingängen zu den Flügeln waren jeweils zwei postiert. Jeder der ihnen begegnete, grüßte sie mit einem knappen Nicken, aber auch mit hochgezogenen Augenbrauen, sichtlich überrascht über die nächtliche Wanderschaft seines Herrn. Daragh und Betor stiegen unbeirrt die Stufen hinab, in die Eingangshalle des Ostflügels. Der Prinz steuerte die Tür der Waffenkammer an. Er zog einen Schlüssel hervor, öffnete sie und verschwand einige Zeit darin, um wenig später mit zwei Schwertern heraus zu kommen.
„Was wollt Ihr tun?“
„Keine Fragen.“ entgegnete Daragh mit einem schiefen Lächeln. Nachdem er die Waffenkammer wieder verschlossen hatte, bedeutete er dem Mönch mit einem Wink ihm hinaus auf den Schlosshof zu folgen.
Die Wächter blickten erstaunt, als die beiden Männer heraustraten. Die Luft war klar und frisch. Ein seichter Wind fuhr durch Daraghs Haar. Er atmete tief durch und richtete seinen Blick empor. Abertausende Sterne glommen am Himmel und der Mond leuchtete mit seiner Helligkeit den Hof voll aus. Ein kleiner Springbrunnen plätscherte in dessen Mitte. Das Geräusch des Wassers ließ eine tiefe Ruhe im Prinzen aufkommen. Er klaubte einen Kieselstein auf und malte ein großes Quadrat auf die Kacheln, die den Boden bedeckten. Daraufhin reichte er Betor eines der Schwerter und ging in dem Quadrat in Kampfstellung.
Betor starrte Daragh mit großen Augen an.
„Das kann nicht Euer Ernst sein.“
„Es ist mein voller Ernst. Ihr habt doch schon eine Klinge geführt, nicht wahr?“
„Das habe ich.“
„Also, warum machen wir dann nicht einige Kampfübungen? Nur zu, versucht mich anzugreifen.“
Der Mönch verharrte unschlüssig vor dem Kampffeld. Er war ein passabler Kämpfer, dennoch mochte er nicht das Schwert mit jemanden kreuzen. Für einen Mann der Götter ziemte es sich nicht. Dennoch konnte er Gutes damit bewirken, Daragh diesen Gefallen zu tun. Sicher vertrieb es dessen Trauer, wenigstens für eine Weile.
„Also gut. Macht Euch bereit.“
Betor ging ebenfalls in Kampfstellung und betrachtete sein Gegenüber konzentriert. Sie umkreisten sich eine Weile und ähnelten dabei zwei Raubtieren, die ihr Revier vor dem anderen verteidigen wollten. So verging einige Zeit, ohne dass einer von beiden einen Angriff wagte. Dann preschte Daragh vor und ließ das Schwert auf den Mönch niedersausen. Dieser parierte den Angriff jedoch mit Leichtigkeit und startete sogleich einen Gegenangriff mit schnellen Schrittkombinationen und kraftvollen Schwerthieben, die Daragh so sehr in Bedrängnis brachten, dass er schließlich seine Klinge gegen die Klinge Betors drückte. Auf diese Weise wollte er den Mönch zum Übertreten der Begrenzungslinie bewegen, der sich allerdings keinen Zentimeter von der Stelle rührte. Wie ein Fels in der Brandung, ließ er diesen vergeblichen Versuch Daraghs über sich ergehen, aus diesem Kampf als Sieger hervorzugehen. Als die Kräfte des Prinzen allmählich nachließen, schob Betor das Schwert bei Seite. Daragh versuchte die Spitze vor seinem Gesicht zu platzieren, doch sein Gegner war schneller. Betor holte zu einem Schlag aus. Der Prinz duckte sich darunter hinweg und wirbelte in den Rücken des Mönchs. Dieser vereitelte den Angriff, in dem er sich wie ein geölter Blitz umwandte und gegen die Schwertschneide schlug. Eine Vibration ging durch Daraghs Arm. Ein freches Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus.
„Ihr seid ein hervorragender Kämpfer, an Euch ist ein fähiges Mitglied für die Leibgarde des Königs verloren gegangen.“
„Lieber kämpfe ich mit Worten, als mit Waffen.“
„Schade drum.“
Nach diesem kurzen Wortwechsel in dem sich beide Männer eine kurze Verschnaufpause verschafft hatten, nahm das Tempo des Kampfes zu. Es schien als würden sie einen Tanz vollführen. Die Wachen beobachteten das Spektakel interessiert und waren überrascht von der Wendigkeit und Eleganz des Bruders. Stunden verstrichen und weder Betor noch Daragh wollten aufgeben, bis der Morgenstern am Himmel erglühte. So einigten sich die Kämpfer auf ein Unentschieden.
Außer Atem setzte Prinz Daragh sich auf den Rand des Springbrunnens und schloss die Augen. Es war ein wunderbares Geräusch und erinnerte ihn daran, dass das Leben weiterging. Irgendwie. Auch wenn er nicht wusste, wie er seine Pflichten mit solch einer Disziplin und würdevollen Weise wahrnehmen sollte, wie es sein Vater getan hatte.
Betor legte die Hand auf die Schultern von Daragh und als hätte er seine Gedanken lesen können sagte er leise: „Ihr seid kein Kind mehr, Ihr seid ein Mann, der das Rechte tun wird. Ihr seid ein Mann, der weiß wann er nicht aufgeben darf und wann er sich getrost geschlagen geben kann. In Euch schlägt das Herz eines ehrwürdigen Kriegers.“
Daragh spürte wie sein Gesicht warm wurde. Die Worte seines Vertrauten machten ihn stolz.
„Ich bin froh, dass Ihr so über mich denkt.“
„Allerdings benötigt auch der ehrwürdigste Krieger Schlaf, also lasst uns hinauf gehen.“
„Ihr müsst nicht mir kommen, “ Daragh erhob sich, „ich denke ich komme wieder allein zurecht.“
„Wie Ihr wünscht.“ Betor verneigte sich und eilte dann hinüber zu der kleinen Kathedrale.
Daragh schreckte hoch. Um ihn herum herrschte Dunkelheit. Er ließ sich zurück auf die Kissen sinken und seufzte. Einen ganzen Tag hatte er verschlafen. Die nächtlichen Kampfübungen hatten ihn anscheinend mehr erschöpft, als er dachte. Seine Muskeln schmerzten. Es fühlte sich an, als habe er stundenlang auf einem harten Brett gelegen. Mit der Hand tastete er auf der Nachtkommode herum, bis er das kleine Päckchen Zündhölzer zu fassen bekam. Er entzündete eines und entflammte damit eine kleine Kerze. Ein Geräusch ertönte. Es klang als hätte jemand seinen Atem ausgestoßen. Daragh wandte sich um und sah, wie sich eine dunkle Gestalt in seinem Zimmer herumdrückte.
„Bruder Betor, ich sagte doch…“ Nein, das war nicht Betor. Dafür war die Silhouette zu schlank. Der Königssohn sprang aus seinem Bett und ergriff das Schwert, das er an den Bettpfosten zu seiner linken gelehnt hatte.
„Na na na, Ihr wollt doch wohl nicht Euren Gast angreifen?“
„Ich habe Euch nicht eingeladen.“ knurrte Daragh.
Dann hob er das Schwert empor und stürmte in den Schatten. Zu spät bemerkte er, dass ein Dolch in der Hand des Fremden aufblitzte. Eine Faust schnellte hervor, die seinen Schwertarm traf. Daragh ließ seine Waffe fallen. Bevor er reagieren konnte, stürzte sich der nächtliche Besucher auf ihn und riss ihn zu Boden. Dann spürte der Prinz die kalte Klinge des Dolchs an seinem Hals. Mit Verwunderung musterte er das Gesicht seines Peinigers, das ihm nicht unbekannt war.
„Ihr solltet denken, bevor Ihr handelt, mein Herr.“ sagte der Mann, dessen Stimme tief und rau klang. Er erhob sich und hielt Daragh seine Hand hin, dieser ergriff sie. Als er wieder auf beiden Beinen stand, musterte er sein Gegenüber eingehend.
„Unverkennbar seine Augen. Und die Narbe auf der rechten Wange. Es kann nicht anders sein. Ihr seid es. Willkommen auf Schloss Bregond. Cale Marandur. Seit langem hörten wir nichts mehr von Euch.“
„Grüße, Prinz Daragh. Verzeiht mein Auftreten, aber ich wollte prüfen, wie es um Eure Wachsamkeit bestellt ist. Ihr seid ein wenig ungehalten wie mir scheint und neigt dazu Euren Gegner zu unterschätzen. Ich hätte Euch ohne Weiteres töten können. Das hätte den Untergang für Euer Geschlecht bedeutet.“
Daragh ließ den Blick sinken, als ihm klar wurde, wie recht Marandur, der langjährige Spion König Brandurins, hatte. Es hätte sein Ende sein können. Dann sah er wieder auf.
„Nun, was führt Euch zu mir? Und vor allem, wie ist es möglich, dass Ihr noch am Leben seid? Man berichtete meinem Vater, dass Ihr in den Flammen umgekommen seid.“
„Ein Jahr ist es nun schon her. Es war Nacht, ich hatte kein Auge zu bekommen und dann spürte ich mit einem Mal, dass mir Gefahr drohte. Ich hörte Schritte, flüsternde Stimmen und ehe ich mich versah flog ein flammender Pfeil herein und entzündete ein Regal. Doch niemand wusste, dass ich einen kleinen Tunnel unter meinem Haus angelegt hatte, der mich einige Meter aus dem Dorf führte. Ich wusste, dass er sich eines Tages als nützlich erweisen würde. Ein Mann meines Standes muss immer auf der Hut sein. Während ich also die Dielen bei Seite hob, die den Eingang zu dem Tunnel versperrten, schrie ich als ob es mir ans Leben ginge. Recht glaubwürdig, denn mittlerweile waren drei weitere Geschosse herein geflogen, von dem eines mich knapp verfehlt hatte. Ein paar Minuten länger und ich wäre tatsächlich in Flammen aufgegangen. Draußen hörte ich jemanden sagen, dass von mir nur noch ein Haufen Asche übrig bleiben würde und dass der Meister zufrieden sein werde.
Nachdem ich diese Wortfetzen gehört hatte bin ich hinab gestiegen. Gerade im rechten Augenblick, wie mir scheint. Denn als ich die andere Seite des Tunnels erreicht hatte, der Ausgang befand sich am Rande eines kleinen Wäldchens, stürzte das Haus ein.“
„Und was geschah dann?“
„Ich vermutete dahinter einen Anschlag, da der Rest des Dorfes unversehrt blieb. Bald sah ich, wie Schatten von meinem Haus davonhuschten. Ich nahm die Verfolgung auf. Sie führten mich zu einer Burg. Aus einiger Entfernung beobachtete ich, wie die Zugbrücke heruntergelassen wurde und die finsteren Gesellen auf dem Gelände der Burg verschwanden. Ich stellte Nachforschungen an und es stellte sich heraus, dass es sich um das Heim von einem Lord namens Deshawn handelte.“
„Deshawn? Den Namen habe ich nie gehört.“
„Er neidete Eurem Vater den Thron, wie mir zu Ohren kam. Also plante er all seine Anhänger und ihn selbst aus dem Weg zu schaffen. Als ihn die Nachricht ereilte, dass König Brandurin erkrankt sei und ein fähiger Heiler gesucht wurde, der ihn vor dem Tod bewahren sollte, sandte Deshawn einen Mann namens Kelden aus, der sich auf den Weg nach Schloss Bregond machte. Aber ich wagte nicht, seinen Weg zu kreuzen, denn er wurde von einem Dutzend Soldaten begleitet.“
„Ich erinnere mich an den Heiler namens Kelden. Er verabreichte Vater einen Trank. Er sagte, dass es ihm dadurch besser gehen würde. Dann verschwand er. Niemand hatte sich dabei etwas gedacht, bis sich der Zustand meines Vaters verschlechterte und er schließlich starb. Aber was verspricht sich Deshawn davon?“
„Ist Euch nicht bekannt, dass Lord Deshawn Euer Onkel ist?“
Daragh riss die Augen vor Erstaunen auf.
„Mein Onkel? Nein… nein das wusste ich nicht. Vater hat mir nur häufig erzählt, dass er einen Verräter in seiner Familie vermutete, der ihm gefährlich werden könnte. Seinen Namen hat er nie erwähnt. Aber was hat das alles zu bedeuten?“
„Begreift Ihr denn nicht? Wenn Ihr und Euer Vater nicht mehr lebt, würde er König sein. Es wäre nur eine Frage der Zeit, bis er Euch seine Meuchelmörder auf den Hals hetzen würde. Er möchte Euer Geschlecht auslöschen. Möglichst so dass niemand ihn verdächtigt.“
„Was soll ich tun?“
„Kommt mit mir. Fort aus den Hallen Eurer Väter. Lasst uns diesen räudigen Hund aus seiner Burg jagen.“
„In fünf Tagen werde ich gekrönt.“
„Was nutzt dem Land ein toter König?“
„Und was geschieht, wenn ich bei dem Kampf gegen Deshawn sterbe?“
„Glaubt mir, Ihr werdet nicht sterben. Das würde ich nicht zulassen.“
„Was ist Euer Plan?“
„Ich habe eine kleine Armee aufgestellt. Dreißig gute Männer. Sie werden uns begleiten.“
Daragh biss sich auf der Unterlippe herum. Ihm dürstete nach Rache für den Tod seines Vaters, doch er glaubte kaum, dass es dreißig Krieger gelingen würde, eine gut bewachte Burg zu stürmen. Aber was würde geschehen, wenn sie es nicht wagten? Dann würde er auf seinen Tod harren. Je länger er darüber nachdachte, desto klarer wurde ihm, welchen Weg er einschlagen musste. Er atmete tief durch.
„Ich werde jemanden Bescheid geben müssen, wenn ich gehe.“
„Bedenkt aber, dass es jemand sein muss, den Ihr ohne jegliche Einschränkung vertraut.“
„Es gibt da jemanden.“ antwortete Daragh.
„Ein verwegener Plan, “ Betor rieb sich seinen Bart und blickte von Daragh zu Cale Marandur, „aber immer noch besser, als abzuwarten. Niemand wird damit rechnen, dass der Prinz von Bregond einem Angriff gegen seinen eigenen Onkel zustimmen, geschweige denn ihn ausführen würde.“
„Also werdet Ihr uns Euren Segen geben, Bruder?“ fragte Daragh.
Bruder Betor schwieg nachdenklich. Es verging eine Weile bis er antwortete.
„Da es der einzige Weg sein wird Deshawn aufzuhalten, solltet Ihr es tun, mein Prinz.“
„Dann sollten wir gleich aufbrechen, “ schloss Marandur, „ich habe genügend Proviant für zwei Männer und mehrere Tage. Das Einzige was Ihr benötigt sind eine Rüstung, eine Waffe und ein Pferd.“
„Ich werde Euch holen was Ihr benötigt, mein Prinz.“
Betor eilte durch den Gang zwischen den Holzbänken davon und als er hinausging fiel die große, schwere Holztür krachend ins Schloss. Dann war es still. Der Königssohn und der Spion schwiegen die meiste Zeit und wechselten nur wenige, belanglose Worte miteinander. Ein Gespräch über den geplanten Angriff vermieden sie. Er lag noch zu weit entfernt. Vorerst wartete ein fünf Tagesritt auf sie, bis sie auf die dreißig Mann starke Armee trafen, die sie begleiten würde. Während die Minuten zäh dahin flossen, schloss Daragh seine Augen, um ein stilles Gebet zu sprechen. Es war das erste Mal, dass er die Götter anrief. In diesem Moment erschien es ihm jedoch als das einzig Richtige. Als er geendet hatte, wurde vor den Toren der Kathedrale ein Tumult laut. Daragh warf Cale einen erschrockenen Blick zu.
„Versteckt Euch.“ zischte dieser.
„Aber…“
„Na los, macht schon. Ihr werdet schon früh genug ans Kämpfen kommen.“
Gerade als Daragh sich hinter einer Säule verborgen hatte, flog die Tür auf und ein bis an die Zähne bewaffneter Soldat stürmte herein. Doch anstatt Cale anzugreifen, kniete er vor ihm nieder, sobald er ihn erreicht hatte.
„Mein Herr, Deshawn hat mit seinen Kriegern die Burg verlassen. Er glaubt, dass Bregond jetzt da König Brandurin tot ist, besonders verwundbar ist. Er hält den Prinzen für einen unerfahrenen Welpen, so heißt es.“
„Erhebt Euch, Soldat, “ Der Mann kam auf die Beine, „und Ihr Daragh, kommt heraus aus Eurem Versteck. Es droht keine Gefahr. Noch nicht.“
Der Prinz löste sich aus dem Schatten der Säule und stieß zu den beiden Männern.
„Nun sagt mir wie weit sie entfernt sind?“
„Wir haben einen Tag Vorsprung.“
„Das ist nicht viel Zeit, aber es ist noch nichts verloren.“
„Ist es nicht töricht von Deshawn in einen offenen Kampf zu treten?“ fragte Daragh.
„Ob töricht oder nicht, sein Plan ist eindeutig. Er möchte Euch stürzen, junger Prinz. Deshalb müssen wir schnell handeln. Er wird erwarten Euch zu überraschen und genau dies sollten wir nutzen, um ihm eine Lehre zu erteilen, die er nicht so schnell vergessen wird. Wie viele Männer sind auf dem Weg hierher?“
„Hundert, wenn nicht noch mehr.“
„Wie viele Soldaten zählen zu Eurer Leibgarde, Daragh?“
„Zwanzig.“
„Damit wären wir bei fünfzig. Mit mir und Euch zweiundfünfzig.“
„Aber in der Stadt Garren am Fuße der Anhöhe werdet Ihr in der Kaserne noch mehr Soldaten antreffen.“ engegnete Daragh.
„Nandor, “ sprach Cale an seinen Gefolgsmann gewandt, „schicke einen deiner Männer hinunter in die Stadt. Sage ihm, er soll die Soldaten zur Eile auffordern.“
„Jawohl mein Herr.“ Nandor verneigte sich. Er verließ die Kathedrale gerade in dem Moment als Betor die Tür aufriss. Beinahe wäre er in Nandor hineingelaufen, wäre dieser nicht ausgewichen. Atemlos kam der Mönch schließlich vor Daragh und Cale zum Stehen.
„Was… was ist hier los? Diese Halunken da draußen haben mich ausgefragt, als sei ich ein Spießgeselle. Selbst vor einem Mann der Götter machen sie nicht halt.“
„Seid unbesorgt, Bruder. Euch wird nichts geschehen. Deshawn hat sich aufgemacht das Schloss anzugreifen.“
„Dieser miese, räudige Hund. Hinterhältiger Verräter.“ Betor blickte hinauf zur blauen Kuppel der Kathedrale. „Vergebt mir.“
„Ich glaube ich habe da eine Idee.“ sagte Daragh und lächelte verheißungsvoll.
Ein Bote kam die Anhöhe heraufgestürmt. Das Gitter, das den Torbogen, der eingelassen in die Wehrmauer war, versperrte wurde hochgezogen und nachdem der Bote hineingeeilt war wurde es wieder krachend heruntergelassen. Er nahm jeweils zwei der nachfolgenden Stufen, über die er auf die Befestigungsanlage gelangte. Daragh und Cale erwarteten ihn bereits.
„Deshawn und sein Heer sind auf den Weg hinauf. Sie sind schnurstracks in den Hinterhalt der Soldaten geraten, die dort postiert waren. Zwanzig Mann hat Deshawn verloren. Aber auch unsere Männer haben einige Verluste erlitten. Sie haben sich zurückgezogen, so wie Ihr es wünschtet, mein Herr.“ Cale nickte zufrieden.
„Sehr gut. Alles läuft nach Plan. Ich danke dir, mein Junge. Nun bringe dich in Sicherheit.“ Der Bote nickte und eilte hinauf in den Schlosshof, zu dem ein weiterer Torbogen den Weg versperrte.
Daragh und Cale beobachteten den steilen Pfad und schon bald vernahmen sie das Scheppern von Rüstungen.
„Lasst uns hinaufgehen.“ sagte der Spion. Sobald die Männer den Schlosshof erreicht hatten fiel auch dieses Tor zu. Daragh sollte sich im Ostflügel verbergen, während Betor die Soldaten Deshawns eine Weile zum Narren halten sollte.
Ein Knall ließ vermuten, dass die Soldaten den ersten Torbogen durchbrochen hatten und es war nur noch eine Frage der Zeit, dass sie den zweiten überwanden. Es dauerte nicht lange, bis ein zweiter Knall ertönte. Daragh wagte einen vorsichtigen Blick aus dem Fenster. Mindestens 100 Soldaten strömten auf den Schlosshof, während Betor auf dem Rand des Springbrunnens saß und das Treiben mit großen Augen beobachtete.
Der schrille Schrei eines Mannes hallte über den Platz und die Soldaten formierten sich. Daragh erblickte einen Mann zu Pferd, der nun aus dem Sattel stieg. Er hatte schwarzes, leicht ergrautes, schulterlanges Haar. Ein Drei-Tage-Bart wucherte in dessen Gesicht. Mit wachen Augen sah er zu, wie die Soldaten sich aufreihten. Den Königssohn überraschte es, wie viel Ähnlichkeit zwischen dem Lord und seinem Vater bestand. Neben ihn trat ein weiterer Mann, mit braunem, kurzem Haar. Er überragte Deshawn um ein halbes Haupt. Er schien sein Berater zu sein. Es wurde still.
„Diese Ruhe gefällt mir nicht.“ sagte der Berater mit gesenkter Stimme.
„Sei kein Narr, Randur. Niemand erwartet unser Kommen. Vielleicht ist mein Neffe auf und davon. Umso besser für uns, dann können wir das Schloss belagern, auf ihn warten und ihn töten. He da, alter Mann, kommt her zu mir.“ Die letzten Worte sprach Deshawn laut aus.
Betor erhob sich, er machte ein vollkommen verängstigtes Gesicht, so dass Daragh glaubte, der Mönch würde sich wirklich fürchten. Auf einen Gehstock gestützt trat er näher an Deshawn heran.
„Wie ist Euer Name?“
„Bruder Betor.“
„Ein Mann der Götter, wie nett. Sagt, mein Freund, wo befindet sich der Sohn von König Brandurin?“
Betor schwieg.
„Sprecht!“ schrie Deshawn.
„Warum schreit Ihr mich an, edler Herr? Es ziemt sich nicht einen Bruder des großen Ordens der Mondbruderschaft anzuschreien.“
„Wen ich anschreie und wen nicht, das lasst meine Angelenheit sein, doch…“
„Es ist aber nicht nur Eure Angelenheit. Niemand sollte die Götter leichtfertig erzürnen. Merkt Euch das.“
„Hört euch das an. Ich bekomme eine Moralpredigt von einem alten, klapprigen Mönch.“
Das Heer brach in schallendes Gelächter aus.
„So klapprig wie Ihr vermutet, bin ich durchaus nicht, mein Herr.“
Daragh konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Betor machte seine Sache gut. Er trat von dem Fenster und drückte sich in eine dunkle Nische, in der ihn niemand vermuten würde. Nun konnte er nur noch hören, was der Mönch und Deshawn miteinander sprachen.
„Wollt Ihr mich etwa herausfordern? Ergreift ihn.“
Daragh schloss die Augen und hoffte inständig, dass Betor verschont blieb. Er hörte das Scheppern von Rüstungen und wie ein Schwert aus einer Schwertscheide gezogen wurde.
„Ihr werdet mir jetzt auf der Stelle sagen, wo Daragh sich aufhält, sonst schlitze ich Euch der Länge nach auf.“
„Er befindet sich im Ostflügel.“
„Vielen Dank für Eure Kooperation. Schaltet ihn aus, aber tötet ihn nicht. Vielleicht wird er mir noch nützlich sein.“ Betor jaulte auf. Daragh atmete erleichtert auf. Dann wurde es wieder still im Schlosshof.
„Maron!“ rief Deshawn.
„Ja mein Herr.“
„Nimm zehn deiner Männer und seht euch im Ostflügel um.“
„Jawohl.“
„Galdran, du wirst dich mit zehn Männern im Westflügel umsehen.“
„Euer Wunsch ist mir Befehl.“
„Und du, Randur, du wirst mit zwanzig Männern in den Nordflügel eindringen. Dort befinden sich der Thronsaal, die Festsäle und der Saal, der für Ratssitzungen dient. Womöglich wollte der alte Mann uns hinters Licht führen. Los und lasst niemanden am Leben, der sich Euch in den Weg stellt.“
Die Soldaten setzten sich in Bewegung. Daragh drückte sich noch weiter in die Nische. Er legte seine Hand auf den Schwertknauf. Zwar hatte Cale ihm eingebläut jedem Kampf aus dem Weg zu gehen, aber er selbst hatte es für ratsam gehalten sich zu bewaffnen und wenn nötig kampfbereit zu sein. Die Tür des Ostflügels wurde aufgerissen. Die Männer von Deshawn drangen in das Gebäude ein. Zuerst sahen sich im Erdgeschoss um. Hin und wieder kam ein Soldat dem Prinzen erschreckend nahe, doch niemand sah ihn.
„Hier ist keine Menschenseele.“ rief einer der Männer aus.
„Dann hinauf in den ersten Stock.“ lautete die Antwort des Befehlshabers. Sobald sie den ersten Stock erreicht hatten, traten aus dem Schatten weiterer Nischen, die Männer, die Cale dort postiert hatte. Lautlos töteten sie Deshawns Kämpfer, dann zogen sie sich wieder zurück. Es wurde wieder totenstill. Der Plan von Cale schien aufzugehen.
„Hinterhalt! Aaaaaah!“
Daragh zuckte zusammen. „Verdammt!“ sagte er leise. Es musste einem von Deshawns Männern gelungen sein einen der Flügel zu verlassen und seine Gefährten zu alarmieren, bevor er getötet wurde. Damit war der gut durchdachte Plan hinüber. Immerhin hatte Deshawn nun allem Anschein nach vierzig Soldaten weniger.
Er befehligte die übrigen Männer mit schriller Stimme. Daragh hörte, wie er rief, er würde sich selbst mit einigen seiner Getreuen in den Ostflügel begeben. Die übrigen Männer sollten sich nicht von der Stelle rühren. Dann brach ein ohrenbetäubendes Gebrüll los. Daraghs Soldaten schienen aus den West- und Nordflügel herausgestürmt zu kommen. Schon bald hallte das Aufeinanderprallen mehrerer Schwerter in dem Schlosshof wider.
Erneut öffnete sich die Tür des Ostflügels. Dieses Mal wurde sie jedoch aus den Angeln gerissen und bis zu den Stufen geschleudert, die hinauf führten.
„Seht Euch um. Nehmt alles auseinander.“ sagte Deshawn.
Daragh wurde übel. Was wenn sie ihn entdeckten? Würde er es mit ihnen aufnehmen können?
Spiegel klirrten, steinerne Skulpturen wurden umgeworfen, zum Teil aus Zerstörungswut und Rachegelüsten, zum Teil, um dem Prinzen jedes mögliche Versteck zu nehmen. Wieder bemerkte niemand Daragh in der Nische. Als sie durch das Untergeschoss gewütet hatten, stiegen sie hinauf. Wieder wurden viele von Deshawns Männern getötet, doch dieses Mal trafen die Soldaten des Königssohns auf mehr Widerstand. Daragh beobachtete, wie Deshawn das Getümmel nutzte um sich davonzustehlen. Die Soldaten von Schloss Bregond wurden alle niedergestreckt und die übrigen Krieger von Deshawn folgten ihrem Herrn.
Der Lärm auf dem Hof hatte sich gelegt, doch im Ostflügel brach ein erneutes, entfernt klingendes, Gefecht aus. Daragh wusste, dass sie auf Cale gestoßen sein mussten. Er hatte sich dazu bereit erklärt, sich im zweiten Stock allein zu postieren. Der Prinz hörte einige Schmerzensschreie, dann war es ruhig. Er löste sich aus seinem Versteck und eilte auf leisen Sohlen die Stufen hinauf. Er wappnete sich davor, dass Cale etwas zugestoßen sein könnte. Als er die Treppe in den zweiten Stock erklommen hatte, erschrak er. Cale lehnte an der Wand. Er atmete schwer.
„Was ist geschehen?“ fragte Daragh im Flüsterton.
„Deshawn hat mich erwischt. Er hat mit seinem Schwert meine Lederrüstung durchbohrt.“ brachte der Spion unter Schmerzen hervor.
„Lasst mich sehen.“
Daragh öffnete die Schnüre, die die Rüstung verschlossen hielten. Unmittelbar unter der linken Brust klaffte ein Loch aus dem Blut sickerte. Bestürzt stellte er fest, dass die Verletzung sehr schwer war.
„Ich muss die Blutung stillen.“
„Nein, nein. Ihr müsst kämpfen, Prinz.“
„Ihr werdet sterben, wenn ich Euch jetzt nicht helfe.“
Mit letzter Kraft umfasste Cale das Handgelenk von Daragh.
„Hört mir zu, meine Aufgabe ist erfüllt. Ich habe meine Rolle gespielt. Wenn Ihr Euch Deshawn jetzt nicht stellt, dann wird alles, wofür ich gekämpft habe verloren sein. Geht, rasch!“
Der Prinz schluckte schwer. Er richtete seinen Blick auf und sah den Gang entlang. Noch war es nicht zu spät, Deshawn schien die List noch nicht entdeckt zu haben. Dann sah er wieder auf seinen Getreuen herab, der die Augen geschlossen hatte. Seine Stirn war mit Schweiß bedeckt.
„Haltet durch.“ Daragh sprang auf und rannte, alle Vorsicht vergessend, los. Bald erreichte er die Treppe die in den dritten Stock führte, den er bewohnte. Oben angekommen, folgte er dem Gang bis zu seinem Schlafgemach. Die Tür stand einen Spalt breit offen. Er vernahm ein Kichern seines Onkels. Es klang wie das Kichern eines Wahnsinnigen.
„Das ist also der, auf dem all die Hoffnung ruht. Ein angehender König, der sich in seinem Bett verkriecht. Solch ein Feigling ist mein Neffe.“ Deshawns Kehle entrang sich ein grässliches Lachen.
Daragh lauerte weiter in dem Gang und beobachtete, wie der Lord sich seiner Schlafstatt näherte, unter deren Decken eine Strohpuppe gebettet lag.
„Du bist ein Narr. Glaubst du, du könntest mich hinter das Licht führen?“ Gerade wollte Deshawn die Bettdecke bei Seite ziehen, als Daragh eintrat.
„Ich glaube es nicht nur, ich tue es.“
Sein Onkel zuckte zusammen und blickte auf.
„Mein geliebter Neffe.“ Er breitete die Arme aus und machte ein paar zaghafte Schritte auf den Königssohn zu.
Daragh zog langsam sein Schwert aus der Scheide.
„Wenn du näher kommst, dann wirst du diese Klinge zu spüren bekommen.“
„Du willst dich mit mir messen? So viel Schneid hätte ich dir gar nicht zugetraut. Nun gut, lass uns die Schwerter kreuzen. Dann werden wir sehen, aus welchem Holz du wirklich geschnitzt bist.“
„Du würdest gut daran tun aufzugeben. Deine Männer sind tot. Du bist allein. Wenn du dich ergibst, wird deine Strafe geringer ausfallen.“
Als Antwort zog Deshawn ebenfall sein Schwert.
Beide warteten, bis der andere angriff. Doch nichts geschah.
Dann preschte Daragh vor. Er hieb auf das Bein seines Onkels ein. Dieser parierte den Schlag mit einer überraschenden Geschwindigkeit. Der Prinz wusste, dass er sich vorsehen musste. Eine falsche Bewegung und er würde ein toter Mann sein. Deshawn versuchte einen Treffer zu landen, indem er auf das Herz seines Neffen einstechen wollte. Aber Daragh wich zurück, sodass die Schwertspitze ihn nur knapp verfehlte. Er startete wieder einen Angriff seinerseits, doch seine Hiebe gingen ins Leere oder trafen das Schwert seines Gegners. Zu gut war seine Deckung. Bald schon füllte das Klirren der Schwertklingen das Zimmer aus. Keiner von ihnen war unterlegen. Keiner stand dem anderen in Stärke und Wendigkeit nach. Verbissen fochten sie einen stummen Kampf aus, aus dem niemand als Verlierer hervorgehen wollte. Schweiß rann über Daraghs Stirn und lief ihm in die Augen, was seine Sicht erheblich einschränkte. Je länger sie kämpften, umso unkonzentrierter wurde der Königssohn. Als er besonders unachtsam war, erwischte Deshawn ihn an der rechten Hand. Blut träufelte auf den Fußboden. Danach holte der Lord erneut aus und schlug seinem Neffen das Schwert aus der Hand. Es rutschte über die Fliesen bis zum anderen Ende des Raumes. Daragh fluchte. Mit einer Entwaffnung hatte er nicht gerechnet. Deshawn lachte laut auf.
„Das war er dann wohl, der erste und letzte große Kampf des zukünftigen Königs. Sagt der Welt Lebewohl.“
Dies konnte nicht das Ende sein. Suchend ließ der Prinz seinen Blick umherschweifen. Irgendetwas Nützliches musste es hier doch geben. Dann fiel ihm der Schürhaken ein, der auf dem Kaminsims lag. Er lief rückwärts, damit er seinem Gegner nicht den Rücken kehren musste.
„Was hast du vor?“ fragte Deshawn währenddessen. Daragh stieß gegen den Kaminsims. Gerade als sein Onkel das Schwert heruntersausen ließ, griff der Königssohn nach dem Schürhaken. Mit voller Wucht hieb er auf den Schwertarm ein. Der Lord schrie auf. Mit schmerzverzerrtem Gesicht hielt er sich die Stelle, die sein Neffe getroffen hatte. Daragh ergriff das Schwert von Deshawn, das genau vor seinen Füßen zu Boden fiel. Er hielt es ihm an den Hals.
In diesem Moment stürmten einige Soldaten herein. Fasziniert beobachteten sie was dort geschah.
„Töte mich, “ sagte Deshawn, „na los doch. Oder hat dich der Mut verlassen?“ Daragh verspürte ein Gefühl der Macht in sich aufsteigen. Er musste nur einen Hieb machen, dann würde der Tod seines Vaters gerächt sein.
„Ich bemerke diesen Glanz in deinen Augen. Ich kenne ihn nur zu gut. Dieses Gefühl mächtiger als andere zu sein hat etwas Erhebendes, nicht wahr?“ Deshawns Gesicht verformte sich zu einer hässlichen Fratze. Daragh holte aus, sein Onkel schloss die Augen, doch dann hielt er inne und ließ das Schwert sinken.
„Nein, Onkel. Ich will kein erbarmungsloser Mann sein, so wie du es bist. Ich wähle den Weg der Barmherzigkeit und lasse eine Gerichtsbarkeit entscheiden, was mit dir geschieht. Du trägst Schuld an dem Tod meines Vaters, aber lieber würde ich dich in einem dunklen Kerker verrotten sehen, als mir an dir die Hände zu beschmutzen. Ergreift ihn!“
„Zu Befehl.“ Die Soldaten der Leibgarde zerrten Deshawn unsanft aus dem Raum, dieser tobte und setzte sich mit aller Kraft zur Wehr. Doch dem festen Griff der beiden Männer konnte er nicht entrinnen.
Daragh kam die Stufen heruntergeeilt. Am anderen Ende des Ganges sah er, wie Betor vor Cale kniete und ihm die Augen schloss.
Der Prinz kam näher heran. Schweigend blickte er auf seinen toten Verbündeten herab und fühlte sich an den Tod seines Vaters erinnert.
„Ruhe in Frieden, Cale Marandur.“
Er spürte wie seine Augen feucht wurden.
„So viel Leid, für einen errungenen Sieg.“ sagte er nach einer Weile mit zittriger Stimme.
Betor sah zu ihm auf. In seinen Augen glitzerten Tränen.
„Das ist der Preis von Ruhm und Macht.“ entgegnete er.
Elf Tage zogen in das Land, bis die letzten Überreste der Schlacht um Schloss Bregond beseitigt waren. Der Königssohn hatte angeordnet, dass erst die Toten betrauert und begraben werden sollten, bevor die Vorbereitungen für die Krönung getroffen wurden. Besonders schmerzlich war der Abschied von Cale, der wie kein anderer für das Königreich Bregond eingetreten war und selbst dem Tod erhobenen Hauptes entgegengetreten war.
Lord Deshawn war am vierten Tag nach der Schlacht im Namen des Volkes auf dem Marktplatz von Garren erhängt worden. Die Schrecken seiner Missetaten verblichen und schon bald erwartete das Volk voller Aufregung die Ernennung ihres neuen Königs.
Bruder Betor war zwar immer noch recht angeschlagen, aber er wollte sich nicht nehmen lassen, die Zeremonie zu vollziehen.
Der Tag der Krönung kam. Daragh hatte sich für diesen Anlass in ein schwarzes Gewand aus Leinen gekleidet, das vorne und hinten geschlitzt war. Der Ärmelabsatz, der Halsausschnitt und der Saum waren mit einer goldenen Borte verziert. Darunter trug er die schwarze Lederhose, über die er goldene Metallstiefel gezogen hatte. Um seine Schultern wehte ein goldener, seidener Umhang, den er unterhalb seines Halses mit einer Brosche zusammengesteckt hatte. Seine Haare hatte er zu einem Zopf zurück gebunden. Als er in den Thronsaal eintrat richteten sich alle Augen auf ihn. Die königliche Leibgarde hatte eine Gasse gebildet und kreuzte ihre Schwerter über dem Kopf von Daragh. Er konnte kaum glauben, dass soviel Aufhebens um einen einzigen Mann gemacht wurde. Etwas unsicher schritt er zu dem Podest, auf dem ihn Bruder Betor erwartete. Als er es erreicht hatte atmete er auf und wandte sich seinem Volk zu. Der Mönch lächelte.
„Ihr seht hervorragend aus, wahrhaft königlich.“ wisperte er.
Mit lauter Stimme sprach Betor:
„Dies ist nun der Tag, da in Bregond ein neuer König den Thron besteigen wird. Ein ruhmreicher, barmherziger Mann, der die große Schlacht um Schloss Bregond focht und für sein Land in dieser schweren Stunde einstand. Daragh, Brandurins Sohn, Ihr sollt gesegnet sein und diese Krone soll Euch stets daran erinnern, dem rechten Weg zu folgen.“ Betor setzte ihm die Krone auf sein Haupt, dafür musste Daragh sich ein Stück hinunterbeugen, als er sich wieder zu seiner vollen Größe aufgerichtet hatte, rief einer der Soldaten:
„Lang lebe König Daragh!“
Lauter Jubel brach aus und viele wiederholten den Ruf des Soldaten. Daragh trat einen Schritt näher an den Mönch heran.
„Ich hoffe, ich werde ein guter König sein.“ sagte er.
„Das werdet Ihr. Ich weiß es.“
Während Daragh seinen Blick über die tosende Menge schweifen ließ, fiel ihm eine junge Edeldame auf, mit engelsgleichem, blondem, lockigem Haar. Sie lächelte und auch über Daraghs Lippen huschte ein kleines Lächeln.