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Der entweihte Tempel
Fluchend rannte Dirk Belmer auf das kleine Flugzeug am Ende der Graspiste zu. Hinter sich hörte er die wütende Schreie der Eingeborenen, die ihm verdammt dicht auf den Fersen waren.
Was hatte er sich dabei gedacht? Vermutlich nichts würde sein Freund sagen, wenn er zurückkam. Falls er zurückkam. Die ersten Krieger stürzten bereits aus dem Urwald. Das die aufgebrachte Meute ihn ohne weiteres ziehen lassen würde, stand in den Sternen. Und die waren in den letzten Tagen ebenso hinter den schweren Regenwolken verschwunden, wie seine Zuversicht schwand lebend das Flugzeug zu erreichen. Doch der pausenlose Regen hatte auch was Gutes.
Die todbringenden Geschoße der Blasrohre erreichten nicht annähernd ihr Ziel, was die Krieger aber nicht davon abhielt, es trotzdem zu versuchen und den Mann zu bestrafen, der ihren heiligen Tempel zu entweihte und zu allem Übel diesen dabei noch schändete.
Der erzürnte Häuptling spornte seine Krieger zu noch größerer Eile an. Sie mussten das Bleichgesicht fassen, bevor er seinen stählernen Vogel bestieg und wie ein Gott in der Finsternis verschwand. Dieser Dämon in Menschengestalt hatte es gewagt ihren Tempel zu betreten und eine wertvolle Statue zu zerstören. Der Wächter, der laut keuchend neben dem Stammesführer rannte, beteuerte dass er seinen Platz nicht verlassen habe, der Fremde hätte ihn vielmehr heimtückisch überrumpelt.
Der Häuptling aber würde den Wächter seine Nachlässigkeit noch spüren lassen. Aber zuerst mussten sie den Eindringling erwischen, damit dieser seine Strafe für die Entweihung des Tempels bezahlte.
Noch ahnte der füllige Wächter noch nichts von seinem drohenden Unheil. Wie jeden Mittag kam der Gott des Schlafes und schenkte ihm wunderbare Träume. Der Gott des Krieges nutze die Gelegenheit und lies den Fremden unbemerkt an ihm vorbei gehen.
Das dieser Tölpel von dem Stamm der Weißen über eine der Schlingpflanzen stolperte, Halt suchend nach dem überwucherten Altar griff und sein Schicksal damit besiegelte, indem er eine Figur zu fassen bekam und damit laut polternd zu Boden stürzte, erwähnte der Krieger lieber nicht. Der Häuptling wäre nicht erfreut über die Tatsache, dass der Wächter den Fremden beobachtet hatte, als dieser neugierig die Steinmetzarbeiten des Tempels betrachtete. Der Wächter hoffte der Fremde würde ungesehen wieder verschwinden, so dass niemand seine Pflichtverletzung bemerken würde. Aber der Wächter verstand das Beste aus der verfahrenen Situation zu machen, und erweckte bei seinen Stammesbrüdern den Glauben, das er ganz allein sich dem Fremden gestellt hatte. Er sah sich im Geiste als Held gefeiert, sein Mut würde neue Lieder am Lagerfeuer erklingen lassen, über dem ihn sein Häuptling lieber rösten wollte.
Das schwache Knattern des Flugzeugmotors verlieh dem Stammesführer Flügel. Er schlug mit seiner Peitsche auf den vor sich laufenden Krieger, und trieb seine Kämpfer zu Höchstleistung an, während Dirk bereits dem hustenden Motor auf die Sprünge half. Nur langsam nahm das geliehene Flugzeug Fahrt auf und wendete auf der Grasfläche. Die ersten Pfeile schlugen dumpf gegen den Rumpf der Cessna. Dirk beschwor alle Heiligen, die ihm in den Sinn kamen, das die Bögen der Eingeborenen nicht annähernd so gut gebaut waren, wie der englische Langbogen. Ansonsten würde ihn der trügerische Schutz im Cockpit des kleinen Flugzeugs wenig nutzen. Ein Pfeil von der ehemals gefürchteten Waffe des Mittelalters abgefeuert, würde mühelos die notdürftig mit Klebeband reparierten Seitenfenster durchschlagen und ihn zu einigen unangenehmen Löchern verhelfen, an Körperstellen die dafür überhaupt nicht geeignet waren.
Sein Freund Stefan hatte ihn gewarnt, doch Dirk hatte sich von seiner Neugier verleiten lassen, hier her zu kommen, um die Tempelanlage zu besichtigen. Stefan wohnte schon seit einigen Jahren tief in den Wäldern von Südamerika. Er begleitete als Förster ein Projekt der Wiederaufforstung eines Flussbereichs. Stefan wusste wovon er sprach, als sein zu Besuch weilender Freund um die Anschrift eines Flugzeugverleihs bat. Dirk kannte er seit Kindheitstagen, und sein seltenes Talent neben seiner kreativen Genialität, scheinbar harmlose Dinge in der Tollpatschigkeit des Architekten zu vernichtenden Katastrophen zu expandieren zu lassen. Stefan erklärte dem vor Tatendrang strotzenden Dirk, dass seine Idee, die verlassene Indianersiedlung mit einem einheimischer Führer zu Fuß zu besuchen die gesündeste Art wäre. Aber Dirk hatte keine Lust, sich tagelang durch den Dschungel zu schlagen und um dann kurz vor Ziel von einer Tarantel erledigt zu werden. Stefan gab sich alle Mühe den gebürtigen Hanseaten davon zu überzeugen, dass auch die Indios inzwischen Flugzeuge kannten, und nicht nur auf Bäumen wohnten. Dirk aber lies sich von seinem Vorhaben nicht beirren, zumal er eine Schwäche für die Fliegerei hatte.
Wild fuchtelnd wollte er ein monströses Insekt verjagen, das sich das Armaturenbrett als Sitzplatz ausgesucht hatte. Doch das Tierchen dachte nicht im Traum daran. Drohend richtete sich die eigenartig anmutende Sonnenanbeterin auf, wobei sie ihre zangenartigen Beine auf den Piloten richtete. Jener Akrobat der Lüfte suchte verzweifelt etwas um das Insekt zu verscheuchen. Dabei betätigte er versehentlich mit den Fußpedalen die Seitenruder und schwenkte unbemerkt in die Richtung der heranstürmenden Horde wilder Krieger.
Der Häuptling sah darin seine Chance, während der Wächter hinter ihm bereits zweifelte, ob der stählerne Vogel mit der kreisenden Doppelklinge an der Nase nicht doch ein wildes Tier war, das sie töten wollte. Der Häuptling merkte, wie seine Krieger langsamer wurden und zögernd auf das sich im Kreis drehende Flugzeug zuliefen, Schließlich blieben sie stehen und starrten ungläubig auf den wilden Tanz des Flugzeugs, das mal in ihre Richtung kam, dann wieder in die entgegen gesetzte drehte. Der Stammesführer verfolgte mit verwundertem Blick das Schauspiel, und fragte sich ob einer seiner Krieger doch den Fliehenden getroffen hatte. Das Gift an den Spitzen der Pfeile war aber nicht, wie immer angenommen wurde, tödlich. Keiner der Indios hatte dem hartnäckigen Gerücht je widersprochen, aber in Wahrheit befand sich nur ein stark berauschendes Pflanzenextrakt an der Spitze der Blasrohrpfeile. Schließlich sollten die Touristen, welche die Tempelanlage besuchten, und dafür viel Geld an den Führer bezahlten, der wiederum mit den Indianern teilte, den Hauch von Abenteuer geboten bekommen, ohne ernstlich verletzt zu werden. Der Traum die ungezähmten und ungebildeten Ureinwohner, die wild um ein Lagerfeuer tanzten und Bleichgesichter verspeisten zu sehen, ließen sich die Touristen einiges kosten. Doch der Häuptling und seine wilden Krieger gingen, wie viele andere Akteure, nach der Vorstellung in ihr abgelegenes Dorf aus stabilen Häusern zurück und surften durchs Internet.
Einige der Krieger bejammerten zwar die vergangenen glorreichen Tage, aber insgeheim waren sie dann doch froh bei dem Regenwetter ein trockenes Dach über dem Kopf zu haben, mit dem Gemüsebeet hinterm Haus, anstatt den Urwald nach essbaren zu durchkämen.
Dirk gab indessen den Kampf mit der Bestie nicht auf. Er wusste dass das Insekt nicht giftig war, aber anfassen wollte er das Minimonster auch nicht. Endlich fand er eine alte Zeitung und beförderte das Tier mit einen sanften Schubser von der Anzeigetafel. Der wilde Tanz des Flugzeuges hörte schlagartig auf, und die Maschine rollte mit zunehmender Geschwindigkeit an das Ende des überwachsenen Landefeld zu.
Der Häuptling dachte bereits daran, dass das Flugzeug zu wenig Schub hatte um abzuheben, als der Pilot abbremste und wendete.
Seine Krieger begannen zu johlen und hoben drohend ihre Blasrohre, Sperre und Streitäxte. Das Flugzeug beschleunigte wieder und begann den Bodenkontakt zu verlieren, als es an den Indios vorbei schoss. Einige der jungen Krieger rannten hinterher und warfen Sperre nach dem Flugzeug. Dirk wackelte mit den Tragflächen um den Waffen auszuweichen, aber die Indianer hatten gut gezielt, so dass die Speere, mit genügend Abstand, ihr Ziel verfehlten.
Dirk wischte sich den Schweiß von der Stirn und atmete erleichtert auf, dass sein Abenteuer noch mal gut ausgegangen war.
„Was ist daran so komisch?“, fragte Dirk verblüfft, als er Stunden später seinem Freund von seinem Erlebnis erzählte.
„Du hättest die Krieger mal sehen sollen. Und das Biest im Cockpit erst. Kaum war ich in der Luft, krabbelte das vermaledeite Ding an meinem Hosenbein hoch. Ich wäre beinahe abgeschmiert deswegen!“
Stefan aber schlug sich lachend auf die Schenkel. Er bekam feuchte Augen bei der Vorstellung, wie Dirk im Flugzeug Purzelbäume schlug wegen einer harmlosen Sonnenanbeterin.
„Ich habe gerade die Maschine noch abfangen können, als ich schon die ersten Baumwipfel streifte!“ erklärte Dirk entrüstet die gefährliche Bedrohung durch das Monster.
Stefan wischte sich, immer noch lachend, die Tränen aus den Augen.
„Und Xetolak hat bestimmt ein langes Gesicht gemacht, als du getürmt bist!“
„Wer?“ fragte Dirk irritiert.
„Häuptling Xetolak. Du hast ihn um seinen gerechten Lohn betrogen. Die Darbietung mit seinen wilden Kriegern hätte ihm bestimmt einen dicken Patzen eingebracht.“
„Das, das ist doch nicht dein ernst?“ Dirk bekam große Augen. „Das war alles nur Show?“
Stefan lachte erneut über die enttäuschte Miene seines Gegenübers. Es tat ihm ja leid, seinem Freund die Illusion des Abenteuers zu nehmen, aber Dirk wollte ja unbedingt das wirkliche Leben im Urwald kennen lernen.
„Ich habe dich gewarnt mein Freund. Ein Führer würde dir die wahren Schätze dieser einzigartigen Natur zeigen. Eine Wanderung zu der verlassenen Tempelstadt hätte dir ganz gut getan. Von dort wollte ich euch dann mit dem Flugzeug abholen, du aber brauchtest den Crashkurs.“
„Die Welt ist schlecht.“ meinte Dirk resigniert.
„Aber es ist die einzige die wir haben.“ ergänzte Stefan das Filmzitat und schlug seinem Freund kameradschaftlich auf die Schulter.
„Komm lass uns mit unseren Hunden nachsehen welche Geister heute Nacht im Wald ihr Unwesen treiben.“
Xetolak war es auf jeden Fall nicht. Er lies den verschlafenen Wachposten seine Strafe absitzen, indem dieser im strömenden Regen vor dem Gemeinschaftshaus Wache stehen musste, während sich die tapferen Krieger den neusten Film von Bruce Willis ansahen. Der Wächter aber tröstete sich mit dem Gedanken, dass er bei seinem nächsten Schichtdienst in der Ruine, den tragbaren DVD Player mitnähme, und zum neunzehnten Mal das „ Fünfte Element“ gucken würde. Dabei schliefe er bestimmt nicht ein.