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Der einsame Strand

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30.04.2003
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Der einsame Strand

Ganz langsam ging Sven den Weg zum Meer hinunter und setzte dabei jeden Fuß so, dass er die Last seines gesamten Gewichtes darauf spüren konnte. Hatten Füße eine Schmerzgrenze und irgendwann einmal genug von diesem Leben? Sven lachte kurz humorlos auf, dann konzentrierte er sich weiter auf das Gehen. Schon tausendmal nahm er diese Strecke, aber noch nie zählte er die Schritte, die er von ihrer kleinen Hütte hinter den Dünen bis an den Wasserrand benötigte. Es waren 728, dann hatte er sein Ziel erreicht und starrte auf das graue, wogende Meer.
Wie viele Schritte Tina hier wohl gemacht hatte? Es mochten zehntausende, hunderttausende, vielleicht auch Millionen gewesen sein. Dennoch hinterließ sie keine sichtbaren Spuren, wenigstens nicht auf diesem Trampelpfad.
Nach 729 Schritten spülten die ersten Wellen um Svens neue Lederschuhe.
‚Sveni! Sag mal, spinnst du? Komm sofort aus dem Wasser! Schuhe aus echtem Leder sind teuer!’
Er wünschte sich Tinas Stimme sehnlichst herbei, und ganz so, als hätte sie ihn eben tatsächlich gerufen, spielte Sven einen Moment lang mit dem Gedanken, seiner Frau zuliebe aus dem Wasser zu gehen. Statt dessen machte er einen weiteren Schritt, dann noch einen.
E-gal.
Tinas Rufen blieb Illusion.
731 Schritte.
Völlig bewegungslos stand Sven nun da und wusste nicht, wo er hinschauen sollte. Rechts und links von ihm breitete sich kilometerlanger Sandstrand aus, vor ihm verschwamm der Horizont mit dem Meer zu einer grauen Einheit, und von überall her gähnte unerträgliche Einsamkeit. Gequält schloss er seine Augen.

Noch gestern war er diesen Strand Arm in Arm mit Tina entlang gegangen, und am Horizont vor ihnen schien eine gemeinsame Ewigkeit zu liegen.

Doch das war gestern, und heute lauschte er allein dem Wind, der toste und seufzte, als würde er ein Klagelied über die verlorene große Liebe singen. Am ganzen Körper zitternd lief Sven weiter, etwas zog ihn förmlich vom Strand weg, bis plötzlich ein klares, helles Lachen die Stille zerriss.
Tinas Lachen!
Mit ihm ließ sie selbst an den verregnesten Tagen die Sonne scheinen, und auch jetzt zauberte sie ein Lächeln auf Svens Gesicht. Voller Erwartung drehte er sich zum Strand um, doch Tina lief nicht über Sand, winkte ihm nicht fröhlich zu. Da wurde das Lachen hysterisch, ging in unmenschliche Schreie über, und im Tiefflug glitt eine Möwe über seinen Kopf.
Tinas Lachen war Illusion.
740 Schritte.
Svens Blicke verloren sich in der unendlichen Einsamkeit des Strandes. Niemand war da, aber das störte ihn nicht. Denn noch vor wenigen Stunden fühlte er sich hier genauso allein wie in diesem Moment.

Dabei wirkte der Strand randvoll. Aber entweder hasteten die Leute blicklos an Tina und ihm vorbei, oder sie standen um seine Frau herum, starrten sie an und zogen dabei den Kreis um sie immer enger. Wie sollte sie da noch atmen können?
„Bitte, gehen Sie weiter.“
Aber niemand schien ihn zu hören, und niemand sah ihn an. Irgendwann tippte ihm jemand auf die Schulter, und Sven wäre, als er den Sanitäter erkannte, vor Erleichterung beinahe umgefallen.
„Was ist passiert?“
Der Mann kniete sich neben Tina und fühlte ihren Puls. Ratlos zuckte Sven mit den Schultern.
„Ich weiß es nicht.“
Tina war einfach so umgefallen, lag plötzlich kreidebleich auf dem Boden und bewegte sich nicht mehr. In Panik wrang Sven seine Hände und starrte den Sanitäter an.
„Was ist? Was ist mit ihr?“
Der Retter blieb seltsam gelassen, als er schließlich mit seinem Kopf schüttelte.
„Es tut mir leid ...“
Tot?
Hektisch pendelte Svens Blick zwischen dem Sanitäter und seiner Frau hin und her. Tina sah so ruhig und zufrieden aus, als würde sie lediglich schlafen. Neben ihr packte der Sanitäter nun seine Instrumente zusammen, was die Endgültigkeit seiner Worte grausam unterstrich.
Tot!
Der Kreis veränderte sich plötzlich, ein Teil wich angeekelt daraus zurück: Oh Gott, eine Tote!
Die mit den stärkeren Nerven aber traten fasziniert näher: Oh man, eine Tote!
Die Gedanken in seinem Kopf überschlugen sich, und fassungslos starrte Sven seine Frau an.
„Nein!“
Um sie aufzuwecken, ließ er sich nun selbst auf die Knie sinken. Kaum aber rüttelte er an ihren Schultern, zog ihn jemand sanft von ihr zurück.
„Hör auf damit!“
Unter Tränen drehte sich Sven zu seinem Schwager Bert um, den er sofort an seiner Stimme erkannt hatte.
„Lass mich, Bert!“
„Das bringt doch nichts. Sie ist tot.“
Genau das aber wollte Sven nicht glauben. Er riss sich von Bert los und sprang auf.
„Nein!“

Erneut zerriss ein Schrei die Stille.
Sein Schrei.
Als hätte jemand nur auf dieses Lebenszeichen von ihm gewartet, kam hinter ihm plötzlich Bewegung auf.
„Sven!“
Der Wind zerrte an der Stimme, verzerrte sie.
„Mach keinen Scheiß, Sven!“
Die Stimme klang hohl und fremd, dennoch war er sich sicher.
Tina!
Er blieb stehen und wartet auf sie. Als sie ihn an den Schultern berührte, strahlte er sie an.
„Hi.“
Doch dort, wo er das Gesicht seiner Frau erwartete, schwebte schon wieder das Gesicht seines Schwagers Bert. Sven zwinkerte entsetzt.
„Wo ist Tina?“
Vorsichtig, als wäre Sven aus Glas, packte Bert ihn bei den Schultern.
„Ich weiß es nicht, Sven ... vielleicht im Himmel.“
„Nein.“
Ein wenig zu heftig schüttelte er mit dem Kopf und verlor darüber das Gleichgewicht. Schreiend stürzte er in die Ostsee.
„Das darf einfach nicht sein!“
Ohnmächtig und mit hängenden Schultern stand Bert vor ihm und seufzte leise.
„Ich wünschte doch auch, es wäre anders.“
Bevor es sich Sven richtig versah, ließ sich Bert einfach neben ihn in die Ostsee sinken, und da hockten sie dann. Die See ging so stark, daß die Wellen fast über ihren Köpfen zusammenschlugen, aber sie störten sich nicht daran. Arm in Arm sahen sie eine wundervolle kleine Ewigkeit lang nichts außer Wasser, und der einsame Strand in ihrem Rücken konnte sie nicht an die Einsamkeit erinnern, die noch vor ihnen lag.

 

Eine berührende Geschichte. Du beschreibst die Lücke, die ein Verstorbener für seine Familie und Freunde hinterläßt, ziemlich gut. Eigentlich alltägliche Dinge verändern sich, wenn der, mit dem wir sie teilen, plötzlich wegfällt.

Völlig überzeugend ist die Geschichte dennoch nicht! Da ist zu erst mal die Formatierung. In der Geschichte setzt Du die Schritte, die der Protagonist geht, als besondere Marker ein. In der Formatierung gehen diese jedoch unter. Mit dem "Bearbeiten" Butten unter dem Posting kannst Du das ändern.

Weitaus schwerer wiegt der Punkt, das ich mich nicht in den Protagonisten hinein versetzen kann. Er bleibt mir irgendwie distanziert. Du versuchst, Svens Gefühle durch die Rückblenden darzustellen, doch das ist zu wenig. Du beschreibst sehr gut, was er verloren hat, aber nicht was er fühlt. Als allwissender Erzähler solltest Du gerade am Anfang seine Gefühle dirket ansprechen und mit Erinnerungen verbinden.

Zudem stört mich Berts Reaktion. Als Tinas Bruder sollte er fast noch aufgebrachter sein als Sven, diesen aber auf keinen Fall zurück halten. Da würde ich eher auf die Sanitäter setzen, die sowohl den Eheman als auch den Bruder der Verstorbenen beruhigen müssen.

Kane

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi, Kane.

Danke für deine Antwort. Ich werde deine Vorschläge - so gut es geht - in meine Geschichte aufnehmen, auch wenn ich mir nicht ganz erklären kann, warum dir mein Prot. fremd bleibt :confused:

Im übrigen stimme ich dir in bezug auf Bert nicht unbedingt zu. Menschen trauern auf verschiedene Art und Weise, und manche sind eben nicht in der Lage, ihrer Trauer wirklich freien Lauf zu lassen. Das bedeutet jedoch nicht, daß ich ausdrücken wollte, daß Bert weniger trauert als Sven - er ist lediglich "vernünftiger" ... auch wenn diese Art der Trauerbewältigung weniger akzeptiert ist.

Liebe Grüße

 

Hallo Anja,

eine schöne Geschichte, allerdings muß ich Brother Kane Recht geben; man kann sich nicht richtig in Sven hineinfühlen. Zumindest konnte ich das nicht.
Die Geschichte fängt sehr gut an. Das mit den Schritten hat mir wirklich gefallen. Und auch der Schluß paßt ins Gesamtbild der Geschichte.
Nur irgendwie blieb auch mir Sven fremd. Kann aber auch an der Kürze der Story liegen.

Griasle,
stephy

 

Danke für deinen Kommentar, stephy.

Dann ist ja klar, woran ich arbeiten muß. :p

Liebe Grüße

 

Hallo Anja M.
Ich kann mich den anderen nur anschließen. Eine wirklich schöne Geschichte. Vielleicht bleibt "uns" Sven fremd, weil Du von da an berichtest, wo er Tina verloren hat. Aber ich z.B. konnte keine Gefühle für ihn aufbringen, da es nichts greifbares gibt. Vielleicht solltest Du Erinnerungen mit einbauen. Einfach das man sieht, es ist nicht nur ein Wesen das trauert, sondern ein Mensch, der ehrlich Gefühle hegte, für seine Frau. Ist nur ein Vorschlag..ansonsten ist die Geshichte gut aufgebaut...

LG Ulrike

 

Hallo Manja,
eine sehr schöne aber auch traurige Geschichte ist Dir hier gelungen. Ich konnte die Trauer, die Dein Prot empfand, sehr gut nachvollziehen, kann auch nicht sagen, dass er mir fremd blieb.
Die Idee mit den Schritten finde ich gut, stimme aber da Brother Kane zu, dass diese in der Formatierung noch mehr herauskommen sollten, vielleicht durch Leerzeilen dahinter, oder so.

Liebe Grüsse
Blanca

 

Ich konnte die Trauer, die Dein Prot empfand, sehr gut nachvollziehen,

und genau das ist das, was eine gute geschichte ausmacht - wenn sie gefühle im leser weckt.
darüber hinaus kann man sich schon teilweise leicht in den protagonisten einfühlen, der verlustschmerz ist uns ja allgegenwärtig, und ich denke mal, dass du diesen schmerz sehr gut herübergebracht hast.
der erzählstil ist absolut angemessen - gut getroffen.
die geschichte hat die erforderliche länge.
und vor allem ist sie sauber geschrieben.
trotzdem ist sie natürlich nicht so der reisser. sie droht im pool der melancholischen geschichten unterzugehen. das liegt ganz allein am inhalt. du bringst nichts, was die meisten leser noch nicht gelesen haben.
trotzallem bin ich angenehm überrascht, denn dein werk ist um längen besser als die von dir verfassten kritiken. *sorry* :)
fazit: gute geschichte, wenn auch im inhalt nicht überzeugend, besticht sie mit ihrer wirklich schönen erzählweise.

bye

barde

Es waren 728

es ist eine frage von stil, ich würde die zahl ausschreiben! (mehrere stellen)

Es mochten zehntausende, hunderttausende, vielleicht auch Millionen gewesen sein.

dann "Millionen" auch klein

E-gal.

ist das absicht?

Rechts und links von ihm breitete sich kilometerlanger Sandstrand aus, vor ihm verschwamm der Horizont mit dem Meer zu einer grauen Einheit, und von überall her gähnte unerträgliche Einsamkeit.

hinter "aus" würde ich den satz abschliessen

. Statt dessen machte er einen weiteren Schritt, dann noch einen.

"statt dessen" könnte man auch zusammen schreiben


lieblingsstelle:

Der Kreis veränderte sich plötzlich, ein Teil wich angeekelt daraus zurück: Oh Gott, eine Tote!
Die mit den stärkeren Nerven aber traten fasziniert näher: Oh man, eine Tote!

wahrscheinlich ein unfreiwilliger schmunzler - aber egal *smile*

 

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