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Der Einbrecher

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20.02.2021
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Der Einbrecher

Das Echo eines kurzen Rumsens dringt bis ins Obergeschoss des Familienhauses. Christina, die augenblicklich den Weg zum Schlafzimmerfenster abbricht, setzt sich auf den Boden zurück. Etwas Mondlicht fällt ins Zimmer und erhellt ein geräumiges Doppelbett. Die junge Frau schiebt ihren Körper aus dem verräterischen Licht. Neben ihr teilt sich ein alter Mann das Versteck. Ihre Hand fühlt seine nassen Ärmel und als sie sie darunter schiebt, spürt sie kalte runzelige Haut und verklebte Haare.

„Ich mag diesen Wasserhahn nicht“, sagt er beinah rechtfertigend.

Christina hält ihm den Mund zu. Im Mondschein kann sie sein Gesicht gut erkennen. Fast jede Falte und fast jeden Bartstoppel. Er ist ein schmächtiger Mann, kaum so groß wie sie, und mit einem leichten Buckel. Sie entschuldigt sich leise und behält die Hand wieder bei sich. Seine Kleidung ist im Ganzen dünn und überträgt die Feuchte auf die besorgt guckende Frau. Etwas davon wischt sie am Bett ab.

„Ich suche in Papas Sachen nach etwas zum Anziehen. Du bleibst hier!“, flüstert sie und betont den letzten Teil.

Als sie aufsteht, versucht er sich blindlings mit ihr aufzurichten. Sofort drückt sie mit Leichtigkeit seine Schultern hinunter und er kann nicht anders, als zu sitzen.

„Ich gehe zum Schrank.“, wiederholt sie, „Du, sitzt, leise!“

Mittlerweile ist das Kopfwackeln des Mannes leicht mit einem Nicken zu verwechseln. Sie versucht, keine Zeit zu verlieren. Gebückt schnellt sie zum nahesten Kleiderschrank. Das Mondlicht reicht nicht bis nach hinten. Ihr bleibt nur das Vertrauen in ihren Tastsinn. Sie greift plötzlich mehrere Kleidungsstücke, rennt und hüpft vor das Bett. Ihr ist so, als könnte sie ein Knarzen hören, das vom Obergeschoss kommt. Zum ersten Mal sucht sie einen Weg unter das Bett durch. Als sie vage vernimmt, wie ihr Begleiter seinen Platz aufgeben will, kehrt sie auf ihre Füße zurück und schmeißt sich mit kurzem Atem an seine Seite.

„Bist du verrückt? Hier, zieh das an!“, spricht sie leise.

Der langsame Geist des Mannes lässt ihn sein nasses Oberteil sehr langsam ausziehen. Bisher findet Christina keinen Weg, mit seinem halbnackten Körper umzugehen. Ihr Blick wendet sich immer wieder ab. Gleichzeitig bittet sie ihn darum, sich mit einem Kleidungsstück selbst trocken zu reiben. Der Pullover, den er endlich überstreift, macht ihn unglücklich. Er verzieht eine Miene, als er die Ärmelenden suchen muss.

„Das passt mir nicht“, stellt er schließlich fest.

„Ist halt Papas Größe! Ich kann nicht lange suchen.“

„Ich sehe weder vorne noch hinten, so düster isses hier.“

Nach jedem Teil, das er anprobiert, beschwert er sich. Christina muss tief durchatmen. Sie drückt die Daumen auf die Zeigefinger.

„Hast du keine anderen Sorgen? Ich helfe dir, damit du nicht wieder krank wirst und du machst so einen Aufriss!“

„Wo sind denn meine Sachen?“, fragt er wehklagend.

„In Jonas… deinem Zimmer. Hör auf! Würdest du nicht ständig, deine Klamotten nass machen, dann…“

Sie hält inne. Es war keine Einbildung. Das Geräusch stammt nicht von unten.

„Still! Er kommt nach oben“, flüstert sie.

Es mag die Nässe der Kleidung sein oder der Schrecken. Doch ein Frösteln geht durch ihren Körper. Sie hat Mühe, sich um alles gleichzeitig zu kümmern. Der alte Mann öffnet immer wieder den Mund und bläst beinah anstandslos seinen Atem aus. Gelegentlich tippt sie ihn an und macht ihm eine Geste, die Klappe zu halten.

„Hier wird mit einem nur Schindluder getrieben!“

„Was soll der Mist?“, fährt sie ihn leise an, „Opa, wenn du redest, sind wir vielleicht tot.“

Er stößt ein kurzes Lachen aus und sagt: „Tot, jaha, tot.“

Zügig schließt sie ihm den Mund, nun fester. Ein deutliches Zeichen, das er versteht.

„Vor ein paar Tagen wurden zwei Rentner mit einem Schraubenzieher im eigenen Haus ermordet. In den Nachrichten wurde gesagt, dass man genau solche Gegenden immer häufiger auskundschaftet. Also, verzeih mir bitte, dass ich darüber nicht lachen kann!“

Sie behält die Hand wieder bei sich und starrt ihn an. Ihr fällt auf, dass sich sein Kopf ein wenig warm anfühlt. Er senkt den Blick auf den Boden und bewegt stumm den Mund, als hätte er einen schwer lutschbaren Hustenbonbon auf der Zunge. Christinas Blick wechselt aufgeregt zwischen der Schlafzimmertür und dem Gesicht ihres Großvaters. Etwas an seiner Zungenbewegung löst in ihr eine Reihe an Gedanken aus. Es scheint sie anzustrengen, dass sie nicht weiß, wie sie damit umgehen soll. Nur ignorieren kann sie es nicht. Ein Tippen an ihrem Arm weckt ihre Aufmerksamkeit.

„Ich muss auf die Toilette“, sagt der alte Mann in gewöhnlicher Lautstärke.

„Nur das nicht!“, zischelt sie im Aufstehen, „Ich suche eine Vase oder so.“

Ihr Großvater bleibt mit gebanntem Gesicht sitzen und versucht zu beobachten, wie die agile Frau hektisch das Zimmer abläuft. Was er an Geschwindigkeit verloren hat, hat sie in jenem Moment aufgefangen. Das letzte Möbelstück, welches sie dreht und wendet, ist eine Dekorlampe aus Porzellan. Dann stößt sie das leiseste Fluchen der Menschheitsgeschichte aus, bevor sie mit viel Überwindung und Vorsicht die Tür zum Flur entriegelt. An dem Klickgeräusch kann sie nichts ändern. Die Wirkung des Adrenalins kommt zur vollen Entfaltung. Ihre Sinne spähen die Umgebung aus. Angetrieben huscht sie zu ihm zurück und hält ihn an beiden Armen fest.

„Lass mich vorgehen und die Lage im Flur einschätzen!“

„Ich soll sitzen bleiben?“, fragt er aufgeregt.

„Es ist besser, weil ich schneller bin.“

„Kommt Carina endlich?“

Christina runzelt die Stirn und muss tief durchatmen.

„Ja, Mama kommt nachher. Ich hoffe es. Zuerst muss aber die Polizei kommen. Von wegen das modernste Sicherheitssystem!“

„Wer kommt?“

„Die Polizei. Opa, die Tür steht offen“, wiederholt sie langsam.

Ihr Großvater steht auf. Seine Hände und Füße brauchen eine Richtung. Nach einem Seufzer zieht sie seinen Arm zu sich und zerrt ihn zur Schlafzimmertür. Sie ermahnt ihn, still zu sein und öffnet wie in Zeitlupe die Tür zum Flur. Durch den Spalt sieht sie nur Dunkelheit. Der Magen dreht sich und sie presst die Zähne aufeinander.

„Tu bitte alles, was ich dir sage!“, fleht sie leiser als zuvor.

Ihre Hand öffnet schließlich die Tür nur so weit, dass es wenig Zeit kosten würde, sie wieder zuzuschlagen. Christina ragt den Kopf durch den Spalt und schaut sowohl nach rechts als auch nach links. Ihr Großvater wartet geduldig an ihrer anderen Hand. Der Spalt wird größer. Gemeinsam kämpfen sie sich ein paar Meter vor. Sie führt ihre Füße, bereit loszurennen. Er tippelt schwer hinterher, kaum in der Lage, sich weiter zu bücken.

Dann geht alles ganz schnell. Schritte sind im Treppenbereich zu hören. Sie hechten ins Bad, wobei der alte Mann fast stolpert. Die Tür geht zu. Es folgt das Klickgeräusch. Im Dunkeln sucht sie nach schweren Gegenständen und verbarrikadiert den Zugang. Ihrem Gedächtnis nach gibt es eine Kerze in einem der Regalfächer. Die zitternde Hand erfühlt Streichhölzer und ein Teelicht. Bemüht um Stille, zündet sie die Kerze an und leuchtet ihrem verwirrt schauenden Großvater den Weg zur Toilette. Als gäbe es keine Zeit für Erklärungen, schmeißt sie eine Toilettenpapierrolle in den Beckenboden der Kloschüssel und verbietet ihm, zu spülen. Der alte Mann kann kaum noch anhalten und widmet sich sogleich seiner Blase. Gelegentlich versucht Christina zu erkennen, auf viel Abstand und den Rücken zugekehrt, ob er zurechtkommt. Es ist nicht stockduster, aber das flackernde Teelicht hinterlässt kaum Helligkeit.

„Ich bin fertig“, haucht er.

„Setz dich auf den Deckel!“, haucht sie zurück.

Er gehorcht. Während sie zwischen ihm und der Tür Wache hält, lockern sich ihre Muskeln. Ein leichtes Grinsen entweicht, als sie bemerkt, wie diszipliniert er das Schweigen durchhält. Rückwärts wandert sie zur Toilette und sucht seine Schultern. Mit ihrer gestressten Hand klopft sie darauf.

„Wie lange bleiben wir hier?“, fragt er nach, als hätte man es ihm bereits gesagt und er habe beim ersten Mal nicht richtig zugehört.

„Alles wird gut.“, sagt sie schulterreibend, „Die Polizei kommt bald. Carina und Schorsch auch.“

„Warum bleiben wir im Bad?“

„Hast du gar keine Angst?“, fragt sie erstaunt.

„Also, ich möchte nun recht gerne schlafen gehen.“

„Das geht doch jetzt nicht. Wir wissen nicht, was er macht.“

„Wenn der Strom wieder geht, kann ich aber, oder?“

Mit Augen wie die eines erschrockenen Mädchens schaut sie ihn an und fragt: „Wie meinst du das mit dem Strom? Sind deswegen die Alarmanlagen ausgefallen?“

Einen Moment lang starrt er vor sich hin als wäre er allein im Raum. Erneut stülpt er die Lippen. Christina beobachtet es konzentriert. Stirnrunzelnd und überrascht erklärt er: „Ich wusste nicht, dass heute ein Elektriker kommt.“

Für einen Moment ist sie sprachlos. Dann kommt ihr scheinbar ein Gedanke. Sie kniet sich auf Augenhöhe und denkt kurz nach.

„Der Elektriker ist noch am Arbeiten. Wir würden uns im Flur die Rüben stoßen“, versichert sie ihm.

„Na gut, aber bezahlen Sie ihn lieber nach Leistung. Man weiß ja nie. Sind Sie eigentlich verheiratet? Meine Margot und ich sind seit der Schulzeit verheiratet. Ihre Eltern waren dagegen und nun schauen Sie uns an!“

Er spricht ohne Pause und in den Raum hinein. Christina muss zu Beginn schmunzeln. Sie winkt ihm dann jedoch immer wieder hektisch zu. Auf die vielen Fragen könnte sie nicht antworten. Denn er redet einfach weiter.

„Unter uns, nehmen Sie sich bloß keinen von der Bank!“

Dieser Satz kommt ihr vertraut vor. Denn instinktiv langt sie nach seinem Arm und kneift ein wenig. Doch das Zeichen versteht er nicht.

„Alles Verbrecher! Denen habe ich nie wieder vertraut. Im Leben braucht man eine treue Frau, gute Freunde und einen, der rechnen kann. Ich hatte großes Glück, dass mein bester Freund auf Erden, Janusz Klimek, ein ehrlicher Mann mit viel Verstand war. Er hat mich immer beraten und gut beraten. Diese Verbrecher haben…“

Als seine Stimme immer lauter wird, hält sie ihm den Mund zu. Sie drückt fest und schaut ihm tief in die Augen. Die Körpertemperatur ist weiterhin auf einem hohen Stand.

„Ein böser Mann ist im Haus“, erklärt sie, als sie merkt, dass er nicht mehr folgen kann.

Mit großen Augen nimmt sie die Hand langsam weg und er antwortet mit dünner Stimme: „Oh, das ist schlecht.“

„Genau. Hast du Angst, Opa?“, wispert sie nach einer langen Pause.

„Vor dem bösen Mann?“, überlegt er, „Ich glaube nicht. Früher hatte ich immer Angst, vor Kleinigkeiten. Margot sagt immer, ich bin ein Angsthase.“

„Das liegt in der Familie, glaube ich. Ich bin auch ein Angsthase. Das habe ich von dir.“, bemerkt sie kichernd. Zögerlich fährt sie fort: „Aber na ja, das hier ist auch anders. Eigentlich wollte ich heute woanders sein.“

Mit einem Mal wird er sentimental: „Meine Margot. Ach, meine Margot!“

„Oma guckt immer auf dich hinab und wacht über dich.“

Ihre Worte klingen einstudiert und wenig überzeugt. Manchmal ignoriert er seine Enkelin für einige Sekunden. Langsam macht sich Unruhe in seinen Beinen breit. Es ist die Rastlosigkeit eines Dementen. Sie versucht, mehr Kerzen anzuzünden, damit er sich leichter orientieren kann. Unter anderen Bedingungen wäre es eine romantische Aufmachung eines Badezimmers. Der Schlitz unter der Tür ist verdeckt, um sich nicht mit dem Licht zu verraten. Immer wieder erinnert sie daran, dass er still sitzen bleiben soll. Sie bietet ihm an, sich zu unterhalten, jedoch bevorzugt nach dem Termin mit dem angeblichen Techniker im Haus. Langsam fallen ihr keine Sätze mehr ein und sie kehrt zum Schulterreiben zurück. Irgendwann bleiben die zwei in Gedanken vertieft nebeneinander sitzen. Nun ist es Christina, die ihr Schweigen bricht.

„Papa bestand wie ein Verrückter darauf, dass Mama heute frei bekommt. Jonas hatte zufällig wieder keine Zeit. Ich hatte andere Pläne und ausgerechnet heute passiert sowas!“

Sie schaut zu ihm hinauf und bemerkt, wie er einen Hustenreiz unterdrücken möchte.

„Wo bleiben die bloß? Ich glaube, er nimmt sie zu einem Konzert mit. Irgendwas, was sie gerne in der Schulzeit gehört hat. Er meinte noch, er überlegt, ob er ein Hotelzimmer bucht. Mama wäre aber bestimmt allein wieder abgereist. Ich hatte ihm gesagt, was man uns damals empfohlen hat, dass du ein vertrautes Gesicht brauchst. Also, ich war mir ehrlich gesagt nicht sicher, ob du mich noch erkennst. Wenn Mama sich meldet, gehe ich oft nicht dran. Bei Oma und dir war immer alles so locker. Du hast zwar komische Ansichten gehabt, aber ich war eigentlich gerne bei euch. Jonas auch. Nach Omas Tod warst du ein anderer Mensch. Mich hat nicht deine OP interessiert oder dein Haus oder was auch immer... Ich will nichts vom Testament wissen, von irgendeiner Beerdigung. Von mir aus können sich alle ums Erbe streiten. Ganz ehrlich… ach egal!“

Das Husten nimmt nicht ab. Sie steht auf und füllt mit einem dünnen Strahl Wasser in einen Zahnputzbecher.

„Nimm und mach bitte nicht wieder deine Klamotten nass!“

„Danke!“, sagt er mit Mühe und trinkt einen erlösenden Schluck.

„Wenn wir Pech haben, sind wir heute beide dran. Das war es dann wohl. Ziemlich witzig, wenn ich darüber nachdenke. Um ehrlich zu sein, ich hatte wahrscheinlich Schiss, dir beim Sterben zuzugucken.“

„Ich sterbe nicht“, entgegnet er mit einer gepressten Stimme.

Nach seinem Satz blickt sie ihn an. Zügig erinnert sie sich an seine Temperatur und er fühlt sich in der Tat warm an. Außerdem wirkt er auf seinen Atem konzentriert. Sie findet einen Kaschmirmantel ihrer Mutter, der ihm einigermaßen passt. Sein Körper ist aufrecht. Doch er sieht geschwächt aus. Um einen Schlafplatz anzubieten, legt Christina ihm mehrere Handtücher auf den Boden. Die eingestickten Buchstaben C und G, die für die Vornamen der Eltern stehen, faszinieren. Sie schreckt auf, als ein Knarren auf der Treppe zu hören ist. Langsam krabbelt sie auf den harten Fliesen zur Tür und horcht. Mit einem Mal macht sie holprige Schritte auf ihren Großvater zu und beugt sich an sein Ohr.

„Opa, er steht vor der Tür!“, flüstert sie.

„Der böse Mann?“, fragt er verzögert.

Christina macht das Licht an. Ihr Schutz sind eine Holztür, ein Wäschekorb und ein leerer Karton eines Gesichtsbräuners. Sie schnappt sich den nächsten größeren Gegenstand. In ihrer Hand umklammert sie eine Rückenbürste aus Holz, mit einem langen Stiehl, gerade groß genug, um ein Gefühl von Sicherheit zu geben. Das Adrenalin in ihrem Körper lässt sie stramm stehen. Sie hält die Stange zum Ausholen bereit, mit dem Bürstenkopf als Keulenende. Der alte Mann atmet schwer und hebt die blauadrigen Hände vor das Gesicht, unklar ob zum Schutz oder zur Kapitulation. Christina schluckt. Es vergeht einige Zeit. Als außer Stille nichts da zu sein scheint, macht sie aufgepumpt den Schlitz unter der Tür frei und guckt hindurch. Doch erkennen, kann man nichts. Als sie fragend hinter sich schaut, sieht sie ihren Großvater deutlich das Kinn senken und dann wieder heben. Es ist der Zuspruch, der ihre Hand schließlich zum Öffnen bewegt. Ein Ruck geht durch ihren Körper, während sie den Schlüssel anfasst und vorsichtig die Tür entriegelt. Es folgt das Klickgeräusch. Zögerlich öffnet sie die Tür nach innen. Niemand ist zu sehen. Sofort macht sie das Badezimmerlicht aus und holt den alten Mann mit zittrigen Händen an die Seite. Sie wirft die Bürste in den Wäschekorb. Der Puls rast.

„So schnell es geht, okay?“, flüstert sie ihm zu.

Ein kalter Hauch erfasst die beiden im Flur. Das Fenster ist offen. Sie umklammert ihren Großvater und läuft mit ihm eilig zur Treppe. Die beiden nehmen etwa gleichgroße Schritte und kommen schnell voran. Von oben entdecken sie das Tanzen von Taschenlampen an den Wänden und erstarren. Allmählich richten sich die Lichter nach oben. Wie angewurzelt bleibt das Paar regungslos und stumm an der Treppe.

Eine kräftige, männliche Stimme ist zu hören: „Oben stehen bleiben und die Hände zeigen!“

Ein Polizist erschreckt sie mit seinem lauten Ruf. Sein Kollege hinter ihm bestätigt, dass die beiden vermisst wurden. Man bringt sie in Sicherheit. Im Gespräch vor dem Haus erfährt Christina, dass es mehrere Einbrecher gab. Es läuft ihr eiskalt den Rücken hinunter.

„Und die ganze Zeit kam niemand ins Schlafzimmer“, sagt sie erstaunt.

„Sie suchten scheinbar hauptsächlich in den unteren Etagen. Was auch immer es war, es brauchte viel Zeit, was nicht oft vorkommt. Sie haben beide wirklich gut durchgehalten.“

„Darf ich mal was fragen? Meine Eltern besitzen eine Alarmanlage und so komische Sicherheitsleuchten. Was ist denn damit?“

„Das müssen wir überprüfen. Diese Nachbarschaft ist eigentlich hervorragend geschützt. Wir müssen auch immer in Betracht ziehen, dass es auch jemand sein könnte, der Ihre Eltern und das Haus gut kennt.“

Ihre Beine werden weich. Ein weiterer Beamte spricht sie von der Seite an und deutet auf den alten Mann im Polizeiauto: „Sollen wir einen Arzt rufen? In dem Alter kriegt man schnell eine Lungenentzündung.“

Sie schaut ihren Großvater aus der Ferne an: „Keine Ahnung. Manchmal lief er bei Regen in Hauskleidung herum. Vielleicht verwirrt ihn ein Krankenhaus zu sehr.“

„Vielleicht kann Ihre Mutter das einschätzen“, vermutet der Beamte, mit dem sie gerade noch sprach.

„Ja, sie weiß so etwas besser“, stimmt sie zu.

„Wie Sie wollen. Wir haben Ihre Eltern erreichen können. Sie sind auf dem Weg“, sagt der zweite Beamte.

„Vielen Dank!“

Eingewickelt in eine warme Decke, sitzt der alte Mann in einem der Wagen. Christina legt eine Visitenkarte der Beamten neben ihm ab, ohne ihn dabei anzuschauen. Plötzlich greift er ihren Arm und strahlt: „Das war aber knapp und ich dachte, der Elektriker macht seinen Job nicht richtig.“

Ein Lachen bricht aus ihr heraus. Als er ihre Hand drückt, versucht sie eine Träne zurückzuhalten und streichelt seine Stirn. Nachdem er seine Verwunderung über ihre Reaktion überwindet, beobachtet er neugierig das Treiben der Polizisten. Christina schließt die Wagentür und steigt auf der anderen Seite ein, um sich zu ihm zu setzen. Sie legt ihren Kopf auf seine schmächtigen Schultern und tut es ihm gleich.

 

Hallo XVIII (hallo Achzehn?),

es wundert mich, dass Deine Geschichte noch gar keine Kommentare bekommen hat. Da ich selbst weiß, wie frustrierend das sein kann, versuche ich mich mal an einer Antwort.

Ich habe allerdings drei Anläufe gebraucht, bis ich mit der Geschichte durch war und zum Kommentieren kam. Eventuell liegt das daran, dass sie an manchen Stellen so unbeholfen wirkt. Das liegt eventuell am Satzbau.

Zum anderen hast Du mich als Leser immer wieder 'verloren'. Ist es jetzt eine Einbruch-Geschichte? Eine Generationengeschichte? Worum geht es? Den teilweise dementen Großvater? Irgendwie kommt keine richtige Spannung auf.

Ich bin zu wenig Literaturkenner, um Dir sagen zu können, woran es wohl liegt, aber ein paar Anmerkungen habe ich gefunden.

Das Echo eines kurzen Rumsens dringt bis ins Obergeschoss des Familienhauses. Christina, die augenblicklich den Weg zum Schlafzimmerfenster abbricht, setzt sich auf den Boden zurück.
Warum so kompliziert? "Das Echo eines kurze Rumsens ..." Für mich wäre es ein schönerer Einstieg wenn Du etwas in der Art schreiben würdest: Das Rumsen (?) ist bis ins Obergeschoss hörbar. Christina, eben noch auf dem Weg zum Fenster, duckt sich zurück hinter das Bett. Hier ist sie im Schatten und das Mondlicht kann sie nicht verraten.
(Nur mal als Anregung: Direkter, weniger umständlich schreiben. Das würde mich als Leser eher mit hinein nehmen.)

Die junge Frau schiebt ihren Körper aus dem verräterischen Licht. Neben ihr teilt sich ein alter Mann das Versteck. Ihre Hand fühlt seine nassen Ärmel und als sie sie darunter schiebt, spürt sie kalte runzelige Haut und verklebte Haare.
Christina hält ihm den Mund zu. Im Mondschein kann sie sein Gesicht gut erkennen. Fast jede Falte und fast jeden Bartstoppel. Er ist ein schmächtiger Mann, kaum so groß wie sie, und mit einem leichten Buckel. Sie entschuldigt sich leise und behält die Hand wieder bei sich. Seine Kleidung ist im Ganzen dünn und überträgt die Feuchte auf die besorgt guckende Frau. Etwas davon wischt sie am Bett ...
Hier hatte ich das zweite Problem: Du schreibst aus der Perspektive einer allwissenden dritten Person. Mit starker Betonung auf Christina (in Amerika würde man das free omniscient nennen). Aber sowohl Christina als auch der Erzähler wissen, wer der alte Mann ist. Warum verschweigst Du mir als Leser das? In dem Moment, wo Du dann beschreibst, dass es sich um den Opa handelt, fühle ich mich veräppelt.

Mittlerweile ist das Kopfwackeln des Mannes leicht mit einem Nicken zu verwechseln.
Was meinst Du? Sie verwechselt es, oder es ist ein Nicken. Das wirkt unpräzise und undurchdacht.

Als sie vage vernimmt, wie ihr Begleiter seinen Platz aufgeben will, kehrt sie auf ihre Füße zurück und schmeißt sich mit kurzem Atem an seine Seite.
Auch hier ist der Satz unnötig kompliziert und distanziert. "vage vernimmt", "kehrt sie auf ihre Füße zurück" und "mit kurzem Atem" ... das ist so verklausuliert, dass es mir als Leser den Spaß an der Geschichte nimmt.

Und dann fehlt der Geschichte für mein Gefühl ein Spannungsbogen. Es bleibt gleichmäßig bedrohlich, die Einbrecher bleiben distanziert, selbst als sie vor der Badezimmer-Tür stehen. Auch dass die Polizei vor der Tür steht, wirkt nicht entlastend, vielleicht auch, weil es weiter erklärende Dialoge gibt.

Meine Empfehlung wäre, den Text klarer in z.B. fünf Teile zu teilen.

  • Einführung (Situation, Setting und Personen werden gezeigt).
  • Mittelteil (ungefähr drei Abschnitte, in denen die Spannung immer weiter ansteigt).
  • Ende, indem eine (Auf-) Lösung und eine "Belohnung für den Leser" erfolgen.
Vielleicht hilft Dir der Gedanke, dass Du mit der Überschrift und dem Beginn Deiner Geschichte ein Versprechen gibst. "Das ist jetzt eine spannende Geschichte und am Ende hat sie eine (vielleicht überraschende) Auflösung für Euch." Wenn das nicht passiert, verlierst Du Deine Leser schneller.

Das passiert natürlich unbewusst, aber wir haben alle in unserem Leben so viele Geschichten gehört, gelesen und gesehen, dass diese Muster wirksam sind.

Das alles sind nur meine "fünf Cent", nicht wirklich zu Ende gedacht, aber es ist ein Anfang. Ich bin selbst ein Einsteiger in das Thema Kurzgeschichten. Vielleicht gibt es ja noch andere, die sich anschließen und Dir Feedback geben.

Viele Grüße,
Gerald

 

es wundert mich, dass Deine Geschichte noch gar keine Kommentare bekommen hat. Da ich selbst weiß, wie frustrierend das sein kann, versuche ich mich mal an einer Antwort.
Danke!

Ist es jetzt eine Einbruch-Geschichte? Eine Generationengeschichte? Worum geht es?
Nun, ich hatte eine einfache Geschichte zu Beginn, wo sie sich vor Einbrechern versteckt. Das war mir aber zu langweilig und für eine Kurzgeschichte zu plump. Dann kam der Großvater dazu und der sollte eine Aufgabe kriegen. Sie sollte ihn mehr akzeptieren lernen, nachdem sie ihn immer seltener besuchen wollte. Gleichzeitig sollte bis zum Schluss unklar bleiben, ob er mitbekommen hat, dass ein Einbruch stattfand.

Warum so kompliziert? "Das Echo eines kurze Rumsens ..." Für mich wäre es ein schönerer Einstieg wenn Du etwas in der Art schreiben würdest: Das Rumsen (?) ist bis ins Obergeschoss hörbar.
Menno, ich wollte mal etwas neues probieren.

Du schreibst aus der Perspektive einer allwissenden dritten Person. Mit starker Betonung auf Christina (in Amerika würde man das free omniscient nennen). Aber sowohl Christina als auch der Erzähler wissen, wer der alte Mann ist. Warum verschweigst Du mir als Leser das? In dem Moment, wo Du dann beschreibst, dass es sich um den Opa handelt, fühle ich mich veräppelt.
Ja, ich hatte ziemliche Schwierigkeiten mit der Perspektive. Im ersten Entwurf steht gleich drin, dass es der Großvater ist. Wahrscheinlich wollte ich den Gruselfaktor steigern.

Was meinst Du? Sie verwechselt es, oder es ist ein Nicken. Das wirkt unpräzise und undurchdacht.
Der Kopf wackelt, aber nicht regelmäßig. Ich kann es deutlicher als eine Angewohnheit schreiben.

Und dann fehlt der Geschichte für mein Gefühl ein Spannungsbogen. Es bleibt gleichmäßig bedrohlich, die Einbrecher bleiben distanziert, selbst als sie vor der Badezimmer-Tür stehen. Auch dass die Polizei vor der Tür steht, wirkt nicht entlastend, vielleicht auch, weil es weiter erklärende Dialoge gibt.
Ich muss schauen, denn ursprünglich waren es drei Ideen mit dem gleichen Anfang. Wie gesagt, das erste war mir zu plump und öde. Vielleicht wollte ich wieder etwas zu Spektakuläres.

Dankeschön!

 

Hi @XVIII,

Nun, ich hatte eine einfache Geschichte zu Beginn, wo sie sich vor Einbrechern versteckt. Das war mir aber zu langweilig und für eine Kurzgeschichte zu plump. Dann kam der Großvater dazu und der sollte eine Aufgabe kriegen. Sie sollte ihn mehr akzeptieren lernen, nachdem sie ihn immer seltener besuchen wollte. Gleichzeitig sollte bis zum Schluss unklar bleiben, ob er mitbekommen hat, dass ein Einbruch stattfand.
Bin gespannt, was Du daraus machst. Eventuell sorgt der Opa mit seinem Verhalten dafür, dass die Situation eskaliert und die Gefahr größer wird.

Menno, ich wollte mal etwas neues probieren.
Vielleicht gefällt es ja anderen Lesern.

Ich muss schauen, denn ursprünglich waren es drei Ideen mit dem gleichen Anfang. Wie gesagt, das erste war mir zu plump und öde. Vielleicht wollte ich wieder etwas zu Spektakuläres. Dankeschön!
Ja, mir geht es auch so, dass ich manchmal nicht weiß, was der wichtigste Spannungsbogen in der Geschichte sein sollte.

Viel Spaß beim Überarbeiten,
Gerald

 

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