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Der Drachentöter
Der Drachentöter
eine Fatasiegeschichte von Anja Albus
Die ersten Sonnenstrahlen trafen das Land und vertrieben mit ihrem hellen Schein die schwarzen Schatten von den Gipfeln der Berge. Weiß glitzerten sie im zarten Licht der Morgenröte, denn Schnee bedeckte deren steile Hänge und hohen Kuppen. Tief im Tal lag noch immer ein feuchter Nebel, der den nahenden Frühling ankündigte. Langsam erwachte die Natur aus ihrem Kälteschlaf, denn nun, Mitte März, brach der Frühling mit aller Kraft und Wärme über das unberührte Land herein.
Das tiefe Tal wurde zu allen Seiten hin, von den weit in den Himmel hineinragenden Bergen eingeschlossen, nur an einer Seite fiel eine ebenfalls schroffe Felswand herab, denn dort prallte das Meer mit all seiner Kraft gegen das feste Land. Vom Wasser aus gesehen, mochte die steile Wand des Tales ebenfalls wie ein kleiner Berg wirken, so hoch richtete sie sich über dem Betrachter auf, doch erreichte man erst einmal das Ende dieses Steilhanges und erblickte die Herrlichkeit des weitläufigen Tales, mit den überaus hohen Berghängen, dann käme einem diese Wand wohl klein und unbedeutend vor.
Im Schutze dieser unberührten Natur lebte ein Wesen, wie heute keines mehr auf dieser Erde wandelt. Nur noch in alten Myhten und Legenden kann man von ihnen lesen, doch einst erlebte diese Welt eine Zeit, in der diese Tiere in die Natur eingegliedert waren, genauso, wie es heute wir Menschen sind. Natürlich, sie standen an der Spitze der Nahrungskette, kein Tier war gewaltiger, keines furchtbarer, als dieses Geschöpf. Bewaffnet mit einem schweren Panzer, messerscharfen, dolchlangen Zähnen und einer gespaltenen Zunge lehrte es Mensch und Tier das Fürchten. Jede Kreatur, die ihm jemals begegnet und überlebt hatte, berichtete einzig von dem Hass und der puren Gewalt, welche ihnen entgegengebracht worden war.
Geschmeidig, wie eine Eidechse, schlängelte sich das Tier aus seiner Höhle am Fuße des Berges und begrüßte die Sonnenstrahlen mit einem Gebrüll, das weither über das Land schallte. Als es vollends, bis zu seinem langen, kupferfarbenen Dreieckschwanz seine winterliche Behausung verlassen hatte, klappte es die großen Schwingen auf, die zu beiden Seiten fest mit seinem Körper verwachsen waren und schlug damit kräftig die Luftmassen durcheinander, um die Starre loszuwerden, die noch immer seinen, vom Winterschlaf steifen Körper gefangen hielt. Erneut schallte ein markerschütternder Schrei durch das Tal, der hundertfach von den Berghängen wiederzuhallen schien.
Dann, ganz langsam, mit weiteren kräftigen Schlägen seiner muskelbepackten Schwingen erhob sich das Tier in die Lüfte und verließ diesen Ort, der ihm den ganzen langen Winter über Schutz und Zuflucht gewährt hatte. Ein Bedürfnis beherrschte diese mächtige Kreatur. Es wollte fressen. Töten und fressen, das war sein einzigen Bestreben, denn darauf hatte es lange genug verzichten müssen. Nach sechsmonatigem Schlaf in der düsteren Höhle kannte es nur dieses eine Gefühl, den Durst nach warmen Blut.
Morlock von Aspan lebte ebenfalls in dieser mittelalterlichen Welt. Er war ein Krieger, ein Held, ein wahrer Edelmann. Stolz ritt er auf seinem schwarzen, vollblütigen Hengst Asira dahin, zog von Dorf zu Dorf, von Land zu Land. Jeder Bauer, der ihm auf seinem Wege begegnete, senkte sein Haupt vor dem großen Krieger, manche knieten sogar nieder, dankten ihm für seine heldenmütigen Taten. Denn er war kein gewöhnlicher Adelsmann, wie es viele zu dieser Zeit gab. Sie kauften sich mit ihrem Geld die hohen Titel, lachten über die Bauern, erhoben Zolle und nahmen den armen Menschen ihr Hab und Gut, wenn sie nicht bezahlen konnten. Nein, er war in den Augen des gewöhnlichen Volkes der Inbegriff der Ritterlichkeit, des Mutes und der Stärke, denn Morlock von Aspan war ein Drachentöter.
Getrieben von dem einzigen Bestreben, welches den Geist des Mannes erfüllte, Drachen zu töten, ritt er dahin und mit ihm ritt der Tod. Er wusste, jeder Tag, den er auf dieser Welt verbrachte, konnte sein Letzter sein, denn einen furchterregenderen Gegner als einen Drachen gab es nicht. Doch nicht immer war sein Herz mit soviel Hass auf diese Kreaturen erfüllt gewesen.
Ein Tag hatte sein Leben verändert, aus ihm einen kalten Stein, ohne jegliches Gefühl, ohne Gewissen und ohne Angst gemacht. Ein Bild setzte sich immer wieder vor sein inneres Auge und ließ seine Gefühle erfrieren. Der Tod seines geliebten Weibes. Sie starb nicht einfach an einer Krankheit, auch ihr Alter war ihr nicht zum Verhängnis geworden. Sie starb in den Fängen eines Drachens.
Seit dieser Zeit hatte sich Morlock von Aspan Rache geschworen, er wollte nicht eher ruhen, bis nicht der letzte Drache sein Leben verwirkt hatte.
So begab es sich, dass der Drachentöter eines Tages in das Tal des letzten Drachen hineingeritten kam, seine Waffen bereit, die Ketten gespannt. Er beachtete die Schönheit der Natur nicht, denn es war ihm gleichgültig. Kein Bild vertrieb den Schmerz aus seinem Herzen, konnte den Anblick seiner sterbenden Geliebten in den Fängen dieses Monsters verdrängen. Wenn er es nur schaffen würde, noch den letzten Drachen zu töten, so konnte auch er von dieser Welt Abschied nehmen, ohne danach am Zweifel zu vergehen.
Er erreichte das Tal über einen hohen Pass. Unwegsames, steiniges Gelände ließ Asira oft straucheln, doch der tapfere Hengst setzte geschickt seine Hufe auf den felsigen Untergrund und langsam, aber stetig suchte er sich seinen Weg hinunter in das Tal. Erst erschwerten noch die schroffen Gesteinsmassen den Abstieg, doch bald schon erreichten sie die Vegetationsgrenze und das Vorankommen ging nun leichter.
Es dauerte den halben Tag, bis Pferd und Reiter endlich die Talsohle erreicht hatten. Hier erstreckte sich weites Grasland ohne viel Baumbewuchs und Morlock von Aspan wusste, dass er auf dem richtigen Weg war. Denn Drachen benötigten viel freies Gelände vor ihren Höhlen, um sich mit ihren langen Schwingen in die Lüfte erheben zu können.
Mit wachen Sinnen schweifte sein Blick über das weite Land. Jeden Moment rechnete er damit, von diesem furchtbaren Wesen angegriffen zu werden, doch eine Attacke blieb aus. Er wusste, zum späten Nachmittag würde der Drache in seine Behausung zurückkehren, würde Schutz suchen vor der Kälte der Nacht, denn diese kaltblütigen Wesen benötigten viel Wärme, um ihre Körper in Gang zu halten.
Immer weiter trieb Morlock von Aspan sein Pferd, denn sein eigentliches Ziel hatte er noch nicht gefunden. Um einen Drachen erlegen zu können, musste er ihm eine Falle stellen. Ohne einen Hinterhalt würde er keine Gelegenheit bekommen, die einzige Stelle zu treffen, an der er den schweren Panzer des Tieres durchbrechen konnte, um das Herz des Drachens zu durchbohren.
Lange hatte er gebraucht, eine sinnvolle Strategie zu entwickeln, um ein solch gewaltsames Tier erlegen zu können. Er hatte sein ganzes Wissen und Können aufbringen müssen, um diese Erfahrungen zu sammeln. Doch nun, nachdem er bereits unzählige dieser Biester zur Strecke gebracht hatte, wusste er genau, wie er vorgehen musste. Und so wanderten seine Augen weiter suchend umher, bis er sein Ziel erblickte, den Eingang zur Drachenhöhle.
Etwas entfernt, zwischen einer Reihe junger Bäume klaffte das schwarze Loch am Hang des gegenüberliegenden Berges. Beinahe wäre es den wachsamen Blicken des Mannes entgangen, denn die Schatten der umherstehenden Bäume tauchten den Eingang in Dunkelheit, doch die Sonne, die nun schon hoch am Himmel stand, brach durch die Wolken und vertrieb alle Schatten.
Mindestens zwei Mann hoch ragte nun die Drachenhöhle aus dem Steilhang hinaus und war von weitem her gut sichtbar. Mit roher Gewalt schien das kraterähnliche Loch in das Erdreich geschlagen worden zu sein und es wirkte so finster und böse wie der Drache selbst.
Nun zögerte Morlock von Aspan nicht. Mit einem leichten Schenkeldruck gab er seinem Pferd das Zeichen zum Galopp und beide fegten über das Grasland hinweg, den Berghang hinauf, bis es zu steil für den Hengst wurde. Mit einer scharfen Parade brachte der Mann das Pferd zum Stehen und mit einem leichten Sprung glitt er von Asiras Rücken. Sofort begann er damit, die Satteltaschen nach seinen Waffen zu durchsuchen. Die Eisenkette zog er fast geräuschlos hervor, dann schnallte er die Armbrust los und noch einmal ließ er seine Hand tief in die Tasche hineingreifen. Langsam und vorsichtig, als hätte er Angst, etwas könne zerbrechen, zog er einen weiteren Gegenstand hervor.
Es war lang wie ein Schwert und doch kürzer, spitz wie ein Dolch, und doch keiner, denn drei Klingen, scharf und tödlich, ragten armlang empor. Während die mittlere Klinge gerade zum Himmel zeigte, wanden sich die beiden anderen etwa handbreit um ihren Zwilling in der Mitte, um dann rechts und links etwas schräg nach oben zu ragen. In der Sonne glitzerte die Waffe wie pures Gold und war doch keines, denn dieses Material, aus dem einst diese Klingen geschmiedet worden waren, gab es nicht ein zweites mal auf dieser Welt. Härter wie Eisen, glänzender als Gold und leichter als Holz war diese Waffe, denn sie bestand aus den Hornplatten vom Kopf des ersten Drachen, den Morlock von Aspan einst erlegt hatte.
Ein letztes Mal strich der Mann mit den Händen über das seidige Haarkleid seines Pferdes, dann wendete er sich den Bäumen zu und ohne noch einmal einen Blick hinab zu werfen, begann er den schwierigen Aufstieg.
Zielstrebig steuerte er auf die Drachenhöhle zu und es bereitete ihm Mühe, den steilen Hang hinaufzuklettern. Doch die Anstrengung fand schnell ein Ende, denn schon bald bemerkte er, dass er seinem Ziel Recht nahe gekommen war. Ein bekannter Geruch wehte ihm entgegen. Widerlicher Dunst schien alles zu bedecken, einzig der penetrante Gestank existierte hier. Es roch nach Verwesung, nach Fäulnis und nach... Tod.
Morlock von Aspan kannte diesen Duft. Er hatte ihn die letzten Jahre seines Lebens begleitet und jedes Mal, wenn er ihn roch, löste er in ihm eine Fülle von Emotionen aus. Er spürte keine Angst, nur ungeheure Wut, verzweifelten Hass und zerschmetternden Schmerz.
Sein Herz raste, als er den schroffen Rand der Drachenhöhle erreicht hatte. Vorsichtig wagte er einen Blick in das Innere der düsteren Behausung, doch weit konnte er nicht sehen, denn tiefe Dunkelheit lag wie ein dichter Vorhang einige Fuß hinter dem Eingang und versperrte ihm die Sicht. Ohne zu zögern betrat er die Höhle und tauchte ein in den Schlot, der ihn weit hinein zum Herzen des Berges führte.
Seine Augen brauchten einige Zeit, um sich an das Dunkel zu gewöhnen, doch je weiter er den Gang entlang lief, desto sicherer fühlte er sich. Jeder andere Mensch wäre wohl vor Angst vergangen, doch er war nun in seinem Gebiet, denn hier kannte er sich aus. Solcherlei Höhlen hatte er schon hundertfach betreten.
Leicht abschüssig führte ihn sein Weg und schon bald öffnete sich der Schacht zu einer großen, weiträumigen Halle. Endlich, er hatte den Kessel erreicht. Das Schlafgemach des Drachens war düster und modrig. Es stank hier noch viel schlimmer als am Eingang der Höhle, doch Morlock von Aspan nahm diesen Geruch nicht wahr. Seine Sinne konzentrierten sich einzig auf seine Aufgabe, denn er wusste, bald schon würde sein Feind in seine Behausung zurückkehren. Dann musste er seine Vorbereitungen getroffen haben, wenn er es schaffen wollte, den Drachen zu erlegen.
Langsam fuhr seine Hand in die Tasche auf seiner Brust und holte dort ein kleines Leinensäckchen hervor. Vorsichtig öffnete er den Knoten, der das Säckchen verschlossen hielt. Dann ließ er den Inhalt auf seine Hand rieseln. Ein Häufchen feinstes Pulver bildete sich schnell auf seiner Handfläche und sofort verschloss er das Säckchen und ließ es wieder in seiner Brusttasche verschwinden. Mit der freien Hand tastete er nun nach der schroffen kalten Felswand und als er sie für glatt und groß genug befand, blies er das zarte Pulver mit seinem Atem dagegen.
Es dauerte einige Augenblicke, dann entzündete sich eine kleine Flamme, die schon bald die Felswand emporkletterte, als wäre sie ein Stück altes Holz. Immer weiter fraß sich das Feuer, immer größer wurde der Brand, bis bald der gesamte Fels in Flammen stand. Zufrieden wanderten die Augen des Mannes durch den großen Kessel, denn dank des Feuers konnte er nun das ganze Ausmaß der Höhle überblicken. Von der Form her erinnerte sie ihn an ein Ei, oval, mit glatten Wänden und einer Schlafmulde am tiefsten Punkt der Halle. Es gab nur diesen einen Zugang und schnell machte sich Morlock von Aspan daran, seine Falle vorzubereiten.
Nun kam die lange Kette zum Einsatz. Er führte das eine Ende durch ein übergroßes Kettenglied, so dass es sich zuziehen würde, wenn Zug darauf kam, dann befestigte er die übergroße Schlaufe an einem überhängenden Felsen genau über dem Eingang zum Schlafgemach des Drachens. Die Schlaufe baumelte nun herunter und Morlock von Aspan hoffte, das Biest würde mit seinem Kopf dort hindurchstoßen, wenn es die Halle betrat. Dann gab es kein Entkommen mehr für diese bösartige Kreatur. Das andere Ende verklemmte er so fest es ging zwischen zwei Felsen, dann zog er einen Eisenkeil unter seiner Kleidung hervor, den er noch zwischen Felsen und Kette klemmte, um wirklich zu garantieren, dass die Befestigung halten würde. Noch einmal musterte er sein Werk, überprüfte nochmals die Befestigung der Kette, dann wandte er sich zufrieden ab.
Schnell zog sich der Mann in das hintere Ende der Höhle zurück, um dort die Ankunft des Drachens zu erwarten. Deckung gab es dort keine, so kauerte er sich in einer dunklen Ecke nieder und verharrte dort bewegungslos.
Die Zeit verging. Augenblicke zogen sich wie Ewigkeiten, doch Morlock von Aspan verharrte geduldig. Noch immer brannte das Feuer an der Felswand und wilde Schatten tanzten durch die Höhle. Stille legte sich wie ein schwerer Mantel über den Mann hinweg und schien ihn beinahe erdrücken zu wollen. Doch er harrte aus, gespannt, aufmerksam und angriffsbereit.
Draußen senkte sich bereits die Dunkelheit über die Natur. Nebel legte sich, wie schon am Morgen, über das Tal und verlieh ihm ein düsteres Aussehen. Nichts deutete auf die Wiederkehr des geflügelten Ungetüms hin, doch plötzlich senkte sich ein Schatten auf das Gras herab und die großen Schwingen des Tieres wirbelten den Nebel in höhere Luftschichten, wo er sich bald auflöste.
Lautlos setzte das Tier auf der Erde auf und klappte seine Schwingen zusammen. Es schüttelte noch einmal seinen bepanzerten Körper, dann wendete es sich langsam seiner Höhle zu und nach dem kurzen Aufstieg presste er sich zwischen den Bäumen hindurch, um in der Dunkelheit in seiner Zufluchtsstätte zu verschwinden.
Ein Geräusch steigerte die Aufmerksamkeit des Mannes. Leises Fauchen schallte durch die Höhle bis an sein Ohr und ließ seinen Atem schneller gehen. Der Drache war da. Gespannt beobachtete er den Eingang zur Kammer, doch noch rührte sich nichts. Nur das Fauchen kam näher und näher, wurde lauter und lauter.
Langsam erhob der Mann seine Armbrust, spannte einen Pfeil ein und hielt sie angriffsbereit nach oben. Seine Augen wichen nicht von dem Eingang zur Kammer, und plötzlich registrierte er eine Bewegung. Die Zeit war gekommen.
Noch immer brannte das Feuer, doch die Flammen hatten bereits an Kraft verloren und züngelten nur noch wie eine Kerze an der Felswand empor. Das Licht, das sie erzeugten, reichte gerade aus, um die Falle und den Gang dahinter noch einige Ellen zu beleuchten. Doch alles andere wurde von der Dunkelheit verschluckt.
Noch immer fixierten die Augen des Mannes den Eingang zur Halle. Augenblicke zogen sich dahin und plötzlich leuchteten die Augenpaare des Drachens gelbglühend auf. Das Ungetüm bewegte sich langsam auf die Falle zu. Morlock von Aspan hatte die Schlinge genau auf der richtigen Höhe platziert, so dass der Drache unweigerlich mit seinem Kopf hindurchstoßen musste, wenn er die Höhle betreten wollte. Immer weiter schob sich der Körper des Kolosses in den Lichtkegel der Flammen hinein. Erst wurde der längliche Kopf mit den großen Kiefern und den glühenden Augen sichtbar, dann der lange Hals mit seinen glänzenden roten Schuppen und den Stacheln auf seiner Oberseite. Erst eine Klaue trat mit den langen Krallen in den Lichtschein und sofort zog die zweite nach.
Morlock von Aspan wurde noch einmal die Widerwärtigkeit dieser Kreatur bewusst, die nur zu einem einzigen Zweck auf dieser Welt zu sein schien, um getötet zu werden aber auch, um selbst zu töten.
Langsam schob sich der Kopf des Drachen vorwärts. Weiter und weiter steuerte er auf die Schlinge zu und Morlock von Aspan stockte der Atem. Nur noch wenige Fingerbreit trennten das große Maul von der Falle und scheinbar unbekümmert bewegte sich das Tier.
Doch plötzlich verharrte es bewegungslos. Auch das Fauchen, welches aus seinen Nüstern bei jedem Atemzug hervorkam, verstummte augenblicklich.
Der Drachentöter vergaß das Atmen. Den Blick starr auf seine Beute gerichtet, glaubte er nicht, was er dort sah. Diese Tiere besaßen keine Intelligenz, das hatte er immer wieder festgestellt. Sie konnten Veränderungen ihrer näheren Umgebung nicht wahrnehmen, dafür besaßen sie kein Gedächtnis. Also würde das Tier in die Falle tappen, es musste einfach. Und doch hatte dieser Drache innegehalten, als könnte er sein Verderben spüren.
Morlock von Aspan richtete sich auf. Auch auf die Gefahr hin, der Drache könnte ihn entdecken, bewegte er sich langsam auf das Tier zu, das noch immer bewegungslos am Eingang der Halle verharrte. Nun richtete er die Armbrust genau auf das Ungetüm. Seine Finger zitterten. Drei, vier Schritte machte er, dann visierte er den Drachen an.
Plötzlich schnaubte dieser wild auf. Ein Fauchen erfüllte den Raum und das Echo trug den Ton lange vor sich her, so dass es sich anhörte, als hätte sich die Zahl der Drachen verhundertfacht. Nun war es klar. Das Biest hatte die Falle entdeckt.
Obwohl Morlock von Aspan nicht wusste, wie das Tier das geschafft haben könnte, zögerte er nicht mehr. Noch immer zielte er mit der Armbrust auf den Kopf, doch er wusste, er hatte nur eine Chance, den Drachen ernsthaft zu verletzten, wenn er ihm genau in ein Auge schoss.
Sein Finger krümmte sich und betätigte den Abzug. Mit einem surrenden Geräusch schwirrte der Pfeil durch die Luft, steuerte auf den Kopf des Ungetüms zu und... traf.
Ein Aufschrei, hell und schrill, erfüllte augenblicklich die Luft. Der Drache riss seine schweren Kiefer nach oben, so dass der Drachentöter nicht sofort sehen konnte, wohin er getroffen hatte, doch das Gebrüll seines Gegners verriet ihm, dass es wohl eine empfindliche Stelle gewesen sein musste.
Und plötzlich wusste der Krieger, dass er sich in tödlicher Gefahr befand. Noch immer hatte der Drache seinen Kopf nach oben gerissen, brüllte mit aller Kraft seinen Schmerz heraus, doch langsam senkte sich sein Haupt und die Kiefer klappten auseinander.
Morlock von Aspan wendete sich ab und rannte. Viel Zuflucht würde er nicht finden, denn hier gab es weder einen zweiten Ausgang, noch eine Möglichkeit, sich verstecken zu können. Der Drache setzte seine mächtigste Waffe ein. Tief zog er die Luft in seine Lungen und ein dumpfes Grollen verließ seine Kehle. Er reckte den langen Hals nach vorne, eine Feuersbrunst verließ seinen Rachen und erfüllte den Raum.
Sein Angreifer rannte noch immer. Mit zwei schnellen Sprüngen hatte er endlich das Ende der Halle erreicht, drehte sich um und blickte wieder zu dem Drachen herüber. Dieser öffnete gerade sein Maul und speite riesige Flammen. Immer näher kam das Feuer, die Hitze stieg augenblicklich ins Unermessliche an. Morlock von Aspan presste sich gegen den kalten Fels, schloss die Augen und riss die Arme zum Schutz vor sein Gesicht. Es dauerte nur wenige Augenblicke, dann verlosch das Feuer aus dem Maul des Ungetüms und nur hier und da züngelten noch Flammen.
Morlock von Aspan verharrte nun nicht mehr. Das Feuer war spurlos an ihm vorübergegangen und es würde einige Zeit dauern, bis der Drache einen neuen Feuerstoß einsetzen konnte, doch der Mann wusste, dazu durfte er es nicht kommen lassen. Mit zittrigen Fingern spannte er erneut einen Pfeil in seine Armbrust, zielte und schoss. Die Hoffnung flog mit dem Pfeil. Würde er schnell genug sein, um das zweite Auge des Drachens zu treffen?
Ewigkeiten vergingen. Der Drache hatte seinen Kopf erneut in die Höhe gerissen und durchsuchte seine Höhle mit dem gesunden Auge nach seinem Angreifer. Noch immer hatte er seine Stellung nicht verlassen und blockierte den Eingang.
Der Pfeil flog und... verfehlte sein Ziel. Der Drachentöter hörte, wie die eiserne Spitze dumpf auf den Hornplatten des Kopfes abprallte und zu Boden fiel.
Angestachelt durch den zweiten Angriff warf der Drache nun seinen Körper nach vorne und setzte die Klauen das erste Mal in die Halle hinein. Mit dem Hals stieß er vorwärts und wie geplant zog sich die Schlinge um ihn zu.
Die Kette rasselte und spannte sich. Mit der Kraft seines gesamten Körpers warf sich das Tier gegen den Zug, versuchte sich wie wild, aus der Falle zu befreien. Doch der Keil hielt. Immer wilder gebarte sich das Ungetüm, versuchte verzweifelt, aus seiner misslichen Lage zu entkommen. Doch vergebens, je fester es zog, desto strammer legte sich die Kette um seinen Hals und schnürte ihm die Luftzufuhr ab.
Nun sah Morlock von Aspan seine Chance kommen. Er hatte es jetzt nicht mehr eilig. Schritt für Schritt näherte er sich dem riesigen Biest und legte dabei erneut einen Pfeil in seine Armbrust ein. Noch immer gebar sich der Drache in wilder Panik und bemerkte dabei nicht die Attacke des Mannes. Vorsichtig brachte er sich in eine gute Schussposition und legte an. Er brauchte einige Zeit, um genau das gesunde Auge ins Visier zu kriegen, doch da er ein geschickter Schütze war, gelang ihm ein sauberer, schneller Schuss.
Der Pfeil durchbohrte das zweite Auge des Drachens und ein erneuter Schmerzensschrei ließ die Höhle erzittern. Der Schwanz des Tieres peitschte gegen die Wände und seine mächtigen Klauen stampften wild auf dem Boden auf. Ohne Unterlass wand sich der Drache gegen den Zug der Kette, fauchte wild, als es ihm nicht gelang, sich aus der Schlinge zu befreien.
Langsam bewegte sich Morlock von Aspan auf das Tier zu. Und nun, da sein Sieg so nahe schien, griff er unter seine Kleidung und zog das Dreiklingenschwert hervor. Wilde Gedanken schossen ihm durch den Kopf. Aller Hass sammelte sich in seinem Herzen, aller Zorn und aller Schmerz. Er blickte auf das Tier, doch was er sah, war nicht mehr der Drache, der sich dort unter Qualen wand, nein. Dort in Ketten litt sein zweites „Ich“. Er sah nicht mehr das Biest, nur noch seinen eigenen Schmerz, seine Trauer und seine Wut.
Und mit einem Gebrüll stürzte er mit erhobener Waffe nach vorn, legte alle Kraft in den Stoß und mit einem gewaltigen Ruck rammte er dem Drachen das Schwert in die Brust. Langsam wurden die Bewegungen des Tieres ruhiger. Es zog noch immer an der Kette, stampfte noch immer auf dem Boden auf, doch seine Muskeln erschlafften zusehends und gehorchten dem Wesen nicht mehr. Kraftlos sackte es in sich zusammen, den Hals gestreckt.
Der Drachentöter drückte mit der ganzen Kraft seines Körpers das Schwert in den Leib des Tieres. Blaues Blut quoll aus der Wunde hervor, benetzte seine Hand, seinen Arm. Langsam verloschen die Augen des Drachens. Mehr und mehr wurden sie schwarz, je näher das Tier dem Tode kam. Zwei, drei Atemzüge tat es noch, dann wich das Leben aus seinem Körper. Der letzte Drache hatte diese Welt verlassen.
Und der Drachentöter drückte noch immer das Schwert in die klaffende Wunde. Seine Wut war gewichen, sein Schmerz, sein Leid. Doch er konnte nicht loslassen, von diesem Biest, denn dort lag auch ein Teil von ihm, welches er schon jetzt schmerzlich vermisste.
Der Tod des letzten Drachens hatte auch sein Leben gekostet.