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Der Dolmetscher
"Sag es ihm."
Ich schließe die geschwollenen Augen und schüttle langsam den Kopf.
"Sag es! Sag ihm, dass er in einer Stunde sterben wird!"
Ich schweige und spanne den Körper an. Er schlägt mir ins Gesicht, dann auf die linke Niere. Ich krümme mich vor Schmerz, spucke Blut aus. Was bringt es, Widerstand zu leisten? Wir wissen alle, dass wir sterben werden. Es gibt keine Forderungen und damit keine Hoffnung. "Ich tue es", stöhne ich.
Mein Kumpel ist kaum mehr der Mensch, der er vor zwei Tagen war. Verkrustetes Blut an den Schläfen. Eine frische Platzwunde an der Stirn von einem Gewehrkolben. Die Hose vollgepinkelt.
Worte sind überflüssig, es ist ihm klar, was mein Blick zu bedeuten hat. Er senkt den Kopf und beginnt lautlos zu weinen.
Erneut quäle ich mich mit der nutzlosen Frage, warum zum Teufel wir gerade hier unseren Urlaub verbringen wollten. Vier Freunde, die durch ein angeblich noch relativ sicheres Land fahren. Angeblich. Relativ. Nun sind wir nichts als Spielzeuge einer Terrorgruppe, die sich wie ein Tumor immer weiter ausbreitet.
Einer von uns ist bereits tot. Ich habe nicht gesehen, wie er gestorben ist, ob es eine Patrone war, ein Messer oder ein Knüppel. Noch schlimmeres mag ich mir nicht ausmalen.
Ich beherrsche die Sprache der Einheimischen, darum werde ich wohl der letzte sein, den sie hinrichten. Das ist also mein finaler Job - das Verkünden von Todesurteilen.
Der Vollstrecker, wie ich ihn nenne, verlässt unsere Zelle. Zurück bleiben drei gefesselte, todgeweihte Männer und der Junge mit seinem Gewehr. Dieser Wächter unterscheidet sich von den anderen, und das nicht nur wegen seiner Jugend. Ich meine, einige Male Zweifel in seinem Blick gesehen zu haben. Nun ist er zum ersten Mal mit uns alleine im Verließ.
Ein winziger Strohhalm.
Ich gebe mir keine Mühe, besonders mitleiderregend zu klingen, da ich bei dieser Sache eh verflucht wenig Wahl habe. "Wie heißt du?", frage ich leise. Sein Blick heftet sich auf mich, doch er schweigt. "Du weißt, dass wir Touristen sind. Wir wollten dein schönes Land besichtigen, von dem wir schon viel gehört hatten. Wir haben niemandem etwas getan." Da ich noch keinen Gewehrkolben ins Gesicht bekommen habe, rede ich weiter. "Bitte sag mir: ist das wirklich das Leben, das du führen willst?"
Er springt von seinem Stuhl auf und beginnt zu schreien. "Ich bin ein Krieger! Das bisschen, das ich habe, werde ich verteidigen!" Nach einigen Sekunden beruhigt er sich wieder. "Ich habe nichts gegen dich oder deine Freunde. Aber ich bin gezwungen, dir das anzutun, um ein Zeichen zu setzen. Dass es falsch ist, was euresgleichen mit unserem Land macht."
Ich versuche einen anderen Ansatz. "Wir alle haben Kinder zuhause ..." In diesem Moment wird die Tür aufgerissen. Panisch sehe ich, dass es der Vollstrecker ist. Nein! Es ist noch zu früh! Der kräftige Mann packt meinen Freund an der Schulter und zieht ihn hoch. Seine Lippen zittern, die Augen starren ins Leere. "Es ist noch zu früh", flüstere ich. Meine Augen füllen sich mit Tränen. Ich bin außerstande, in die seinen zu blicken.
Plötzlich höre ich draußen einen enormen Knall. Gleich darauf Geschrei und Gewehrschüsse. Der Vollstrecker lässt meinen Freund los, hebt sein Gewehr und läuft nach draußen. Ich werfe mich mit den beiden anderen zu Boden. Der Junge bleibt unschlüssig stehen. Er zittert vor Angst. "Leg das Gewehr auf den Boden!" schreie ich ihm zu. Er tut es und hebt die Hände.
Weitere Schüsse. Dann wird die Tür aufgerissen. Schwarz gekleidete Männer stürmen herein. Sie stürzen sich auf den Jungen, werfen ihn zu Boden und legen ihm Handschellen an. Sein kahl rasierter Schädel glänzt vor Schweiß. In seinen blauen Augen kann ich so etwas wie Erleichterung sehen.
Einer der Polizisten ruft uns zu: "Wir sind vom SEK. Sie sind in Sicherheit. Kann mich einer von Ihnen verstehen?"
"Ja", antworte ich. "Mein Name ist Abderrahim Said. Ich bin Dolmetscher."