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Der Dieb und die Stiefel
Der Dieb und die Stiefel
Ein straßenfeuchter Lederstiefel drückt sich mir in den Nacken. Der Besitzer des Schuhwerks, ein übler Schläger offenbar, sorgt mit einem nicht unerheblichen Anteil seines Gewichtes dafür, dass ich mit meinem Gesicht in der stinkenden Pfütze verbleibe, deren Grund ich zwar spüren aber nicht sehen kann. Na schön...
Glaubt jetzt nur nicht, dass dies der schlimmste Schlamassel ist, in dem ich jemals steckte. Das erstaunliche Mischungsverhältnis meiner drei herausragendsten Eigenschaften, Faulheit, Glück und Verstand, war bereits für eine ansehnliche Anzahl von Schwierigkeiten in meinem Leben verantwortlich. Tatsächlich hatte ich unter diesen Vorraussetzungen wohl kaum eine andere Wahl, als die Laufbahn eines diebischen Schurken einzuschlagen.
Mein Name? Corwin. Corwin, der Schattenrabe. Zugegeben, ich arbeite zur Zeit noch an diesem Beinamen. In den Gassen von Morhkon ist ein beeindruckender Name unerlässlich, um Erfolg zu haben, etwas, woran ich schon so ziemlich mein ganzes Leben lang arbeite. Doch bei dem derzeitigen Stand der Dinge kann ich nicht behaupten, dass mir dies in den vergangenen zwanzig Jahren besonders gut gelungen ist.
Morhkon ist übrigens meine Stadt. Ein stein-, holz- und dreckgewordenes Monstrum, das einer Vergangenheit entstammt, die schon längst vergessen und verloren ist. Die beeindruckenden Großbrände alle paar Jahrzehnte haben ihren Teil dazu beigetragen, wobei es erstaunlich ist, dass eine Stadt, die praktisch nur aus Kanälen, Brücken und Hafen besteht, dem Feuer so zugetan ist.
Jedenfalls versuche ich hier zwischen den rivalisierenden Gilden, die sowohl ehrbare Handwerker, als auch niederträchtige Diebe umfassen, mich durchzuschlagen. Dabei bin ich bereits einer Menge Stiefeln begegnet, so dass dieses Exemplar erst noch seine Chance wahrnehmen sollte, mich zu beeindrucken.
Und da wir gerade von Stiefeln sprechen: Zufällig haben heute meine Probleme damit ihren Anfang genommen...
Jeder Schritt ein feuchtes Schmatzen. Corwin hasste den Regen. Regen war schlecht fürs Geschäft. Nicht, dass die Straßen leer wären, denn das waren sie niemals. Doch wer es sich leisten konnte, blieb bei einem derartigen Wetter im Trockenen. Die armen Schweine, die in diesen Zeiten unterwegs waren, hatten meist aus dem einen oder anderen Grund keine Wahl.
Arme Schweine waren schlecht fürs Geschäft, da ein anderes armes Schwein bei ihnen nichts holen kann.
Corwin war ein Taschendieb, manchmal jedenfalls. In mageren Zeiten wie diesen, wenn seine anderweitigen Geschäfte gezwungenermaßen zum Stillstand kamen, legte er sein Glück in das Geschick seiner flinken Hände. Doch wenn besagte magere Zeiten zudem noch regnerisch waren...
Gebeugt stiefelte er, eng in seinem Mantel eingewickelt, die große Gorgonenbrücke entlang über den Gildenkanal, während er sich und seine kalten, nassen Füße bedauerte. Sein Schuhwerk verriet geräuschvoll mit jedem Schritt, dass es in absehbarer Zeit auseinanderfallen würde. Immerhin sollten zu jenem Zeitpunkt die Sohlen schön durchgelaufen sein. Das erleichterte den Verzehr ungemein, wie Corwin wusste.
Das Westtor war sein Ziel. Selbst bei diesem Wetter würden reisende Händler und anderes Volk jenen Stadteingang passieren, zweifelsohne auf der Suche nach einem trockenen Gasthaus. Corwin hatte vor, zur Stelle zu sein. Sowohl ein Gassenführer, als auch als ein Taschendieb mochten sich vielleicht ein paar Kupferstücke verdienen. Die Hoffnung auf einen vollen Magen und trockene Füße ließ den Taschendieb schnelleren Schrittes eilen.
Abseits der kanalgesäumten großen Magistratenstrasse schlug er sich durch das faulige Gassengewirr des Kropfviertels. Ein warnendes Krächzen, und schon fiel stinkender Unrat klatschend in den Dreck. Corwin sprang zur Seite und ging unversehens zu Boden.
Jemand hatte ihn gerammt. Wer immer es war, er hatte es ziemlich eilig. Wehender dunkler Stoff, und schon war er in den Gassen verwunden.
"Schweinearsch!" Der Taschendieb erhob sich von der breiigen Strasse und fluchte erneut. Während er den Schmutz von seinen Händen schüttelte, passierte er die nächste Gasse - und dort sah er sie dann. Hervorragende Lederstiefel. Der unglückliche Besitzer lag mit seiner Nase im Dreck. Blut vermischte sich mit Regen.
Corwin war fassungslos. Man hatte sich die Mühe gemacht, einen Raubmord im Kropf zu begehen und ließ diese tadellosen Stiefel zurück. Der Tag mochte nun vielleicht doch vielversprechend werden. Schnell versicherte er sich, dass die Luft sprichwörtlich rein war und zog eilig die Prachtstiefel von dem Toten. Ein zartes Silberkettchen fiel aus einem der Stiefel in den Straßenschlamm. Ein flaches Medallion hing daran, ebenfalls Silber. Routiniert schnappte sich der Taschendieb Stiefel und Schmuckstück und machte sich davon...
Da! Das war es. Von hier an nahm der Ärger seinen Lauf. Ich wünschte, ich hätte diesen verdammten Silberschmuck niemals angerührt. Doch was hätte ich stattdessen tun sollen? Die günstigen Gelegenheiten dieses Tages hielten sich in Grenzen. Ich bin ein Dieb, der einen Toten bestahl. Hat Euch das etwa überrascht?
Außerdem hatte ich nasse Füße...
Es war wie ein ledergewordenes Elysium. Corwin glitt in die Stiefel hinein und hauchte wohlig. Warm, fest und wie für ihn gemacht. Vorsichtig spähte er aus dem Schatten des Hauseingangs in die regennassen Straßen. Es war Zeit, sich seiner anderen Beute anzunehmen. Zufrieden betrachtete er das Silberschmuckstück. Das Medallion bestand tatsächlich aus zwei Silberscheiben. Irgendwie musste es zu öffnen sein.
Eine Weile fingerte der Taschendieb an dem Silber herum, vermochte aber nicht, hinter den Mechanismus zu steigen. Ein seltsames Gefühl überkam ihn. Es war unangenehm. Ganz so, als hätte er einem Seuchenarzt die Hand gedrückt. Er schüttelte es ab. Interesse wurde vom Hunger besiegt. Corwin zuckte mit den Schultern, verließ sein trockenes Versteck und war in Gedanken schon bei der Hehlerin, als er in eine Faust lief.
"Corwin, der Rattenknabe! Scheust du den Regen nicht?" Der Taschendieb hielt sich die blutende Nase und blickte auf drei Paar schäbiger Stiefel, die den Hauseingang umringten. Er verfluchte sein Pech. Das waren Pocke und seine Schläger...
Ist das zu fassen? Drei der dümmsten und ungeschicktesten Raufbolde in der ganzen Stadt hatten mich umringt und ich habe nichts von alledem bemerkt. Ich weiß nicht, wie Ihr das seht, aber den Schlag hatte ich verdient. Ich wollte jedoch meine Beute behalten, daher musste ich diese Hunde nur davon überzeugen, dass ich nichts Wertvolles bei mir hatte. Vielleicht würde ich dann nur mit einer schönen Tracht Prügel davonkommen.
Ich hatte beschlossen, mich herauszureden...
"Pocke! Du hässlicher Sohn von einer Warze und dem Sack eines Köters!"
Ach ja. Zuvor hatte ich beschlossen, richtig wütend zu sein...
Der Stiefel traf ihn hart in den Bauch. Zum Glück war sein Magen leer, denn sonst wäre sein Inhalt vergeudet gewesen. Der Taschendieb wurde grob von beiden Seiten an seinen Oberarmen gepackt und hochgezogen.
"Deine große Schnauze wird bald Zähne spucken, Ratte!" Es folgte ein weiterer Schlag ins Gesicht.
"Warum drückst du dich hier rum? Du hast doch sicher etwas geklaut. Weshalb solltest du sonst solch ein kurzes Versteck auf der Strasse suchen?"
Corwin war von Pockes unerwartetem Kombinationstalent beeindruckt. Er musste sich eine Ausrede einfallen lassen, die den Schlägern einleuchten würde. Etwas Vertrautes.
"Ich musste mal pissen. Was dagegen, Pocke?" Immerhin war es ein Versuch wert, schließlich roch fast jeder Winkel der Stadt danach. Außerdem hatte es geregnet.
Die Faust traf diesmal die andere Seite seines Gesichtes.
"Ich mag es nicht, wenn du dich in meiner Gegend herumtreibst, Ratte! Das war ein Fehler."
Der Taschendieb spuckte einen losen Zahn. Soviel zum Herausreden.
"He, Pocke, es tut mir leid, dass ich in dein Revier gepinkelt habe", Corwin konnte nicht glauben, dass er das eben gesagt hatte, "und es wird bestimmt nicht wieder vorkommen."
Der pockennarbige Schläger grinste faulig.
"Das wird es ganz sicher nicht, Ratte." Er hielt ihm ein einschneidiges Messer vors Gesicht...
Das wäre nun wirklich kein unerwartetes Ende für einen kleinen Schurken gewesen. Aufgeschlitzt von einem anderen. Wenigstens würde ich in Stiefeln sterben, die es wert waren, als solche bezeichnet zu werden. Das ist schon mehr, als viele andere erwarten konnten.
Nur dass es ausgerechnet Pocke sein musste...
"Pocke, die scheiß Garde!" Das Echo gerüsteter Schritte hallte durch die Gasse. Corwin glaubte nicht, dass sich ein Trupp Stadtgardisten dafür interessieren würde, wenn sich Straßenabschaum gegenseitig absticht. Doch Pocke ging kein Risiko ein. Die meisten Raufbolde waren Feiglinge.
"Weg hier! Das nächste Mal habe ich dich im Sack, du Ratte!" Die Schläger eilten davon.
Obwohl seine Beine nachzugeben drohten, zwang sich der Taschendieb zu einem ruhigen Schritt. Vier Bewaffnete der Stadtgarde stiefelten an ihm vorbei. Schmutzige Helme und Brustplatten aus Eisen. Er war noch nie zuvor so froh, diese heruntergekommenen Gesetzeshüter zu sehen. Vielleicht ließ er sich deshalb zu einem nickenden Gruß hinreißen. Die Gardisten schenkten ihm keine Beachtung.
Corwin machte, dass er davonkam.
Er kam nur wenige Gassen voran. Ein hochgestrecktes Bein, gegen ein Fass gestemmt, versperrte ihm den Weg. Bis auf den kurzen ausgelatschten Stiefel und das heruntergekommene Kleid, das regennass daran klebte, war das weiße Bein sehr reizvoll. Es gehörte der hübschen Nhami, einer jungen Hure...
Nhami ist wahrlich eine Augenweide, obwohl sie unter ihrer Fassade mehr mit Abschaum wie Pocke gemein hat, als man annehmen könnte. Sie ist gefährlicher, als sie aussieht. Unter all den Lagen ihres Kleidstoffes verbirgt das Weib weitaus mehr Dinge, die einen umbringen können, als die üblichen Gefahren einer Hure.
Sie war der Grund, warum ich in den letzten Wochen den Hafen gemieden hatte. Die Tatsache, dass ich ihr einen schönen Batzen Geld schuldete, war ebenfalls von Bedeutung.
Doch was hatte sie hier zu suchen?
"Lange nicht mehr gesehen, Corwin. Du siehst beschissen aus."
Er fluchte innerlich. Wie kam es, dass ausgerechnet jetzt, wo er endlich die Aussicht auf ein paar Silbermünzen hatte, jedes Lumpenpack, das ihm übel gesonnen oder dem er noch etwas schuldig war, seine Schleichwege kreuzen musste?
"Dafür habe ich jetzt keine Zeit, Nhami. Ein Geschäft wartet. Später können wir alles klären."
Er schob das Bein zur Seite. Der Stoff ihres Kleides raschelte, und der Taschendieb erstarrte. Eine Bewegung nur, und eine handbreit Messerstahl würden ihm den Namen 'Corwin, der Entmannte', verschaffen.
"Du gehst nirgendwo hin, kleiner Mistkerl!" Ihre Worte zischte sie in sein Ohr. "Ich habe gesehen, wie Pocke dich fertig gemacht hat und musste fürchten, dass er dir den Silberschmuck abnimmt, den du zuvor befummelt hast. Pocke magst du vielleicht zum Narren halten, mich jedoch nicht! Rück das Silber raus, dann kannst du deine Familienjuwelen behalten."
"...", antwortete er. Nhami lockerte leicht die Klinge.
"Du sollst dein Geld bekommen..." Seine Stimme hob sich vor Aufregung, und seine Worte überschlugen sich. "Ich bin auf dem Weg zu Merwen. Sie wird mir einen guten Preis machen, dann kann ich dich auszahlen. Du weißt, dass ich geschickt darin bin, mit Hehlern zu feilschen. Das bedeutet mehr Gewinn für dich! Ein gutes Angebot, nicht wahr?"
Für eine unangenehme Weile rührte sich das Messer kein Stück. Dann verschwand es plötzlich wieder in den Stofffalten des Kleides.
"Geh voran, Corwin, und wir werden beide der Hehlerin einen Besuch abstatten. Du solltest um deiner ungeborenen Söhne willen dein Versprechen wahr machen. Außer Gefahr sind deine Eier noch lange nicht."
Hervorragend. Mein kleiner Verdienst schien mir nun doch durch die Lappen zu gehen. Ich machte mir keine Illusionen, wer von uns beiden besser mit dem Messer umgehen konnte, und der Hunger hatte sich vorerst verflüchtigt. Zudem kannte ich zu viele Geschichten über dieses Miststück, als dass ich ein Risiko eingehen wollte. Ich hätte mir im Vorfeld darum Gedanken machen sollen.
Meine Geldschulden waren wirklich ein Problem. Es gab kaum einen Hehler in Morhkon, dem ich nicht etwas schuldig war. Deswegen war auch Merwen meine Wahl, obwohl ich sie nicht sonderlich mochte. Es lag nicht an dem Elfenblut, das offensichtlich in ihren Adern floss. Sie hatte etwas von einer Hexe, ihre dunklen Mandelaugen, die Flüsterstimme und natürlich ihr kleines Lädchen. Vollgestopft mit dem seltsamsten Zeug. Einmachgläser mit Tieraugen, getrocknete Reptilien, Glücksbringer und anderer Tand.
Ihre Kupfer- und Silbermünzen waren jedoch stets so weltlich, wie ich es mir wünschen konnte.
Außerdem stand ich aus irgendeinem sonderlichen Grund in ihrer Gunst. Sie konnte mich gut leiden, wissen die Götter warum...
"Packt Euch, verschwindet aus meinem Laden!" Die Stimme der Halb-Elfe zischte heiser.
"Ein guter Preis, ja?" Nhami knurrte die Worte, als Corwin zurückwich und gegen sie stieß. Etwas lief hier vollkommen falsch.
"Was ist denn los? Was habe ich getan?" Hilflos breitete er seine Arme aus.
"Ihr seid verflucht, und wagt es ja nicht, mir näher zu kommen!" Nhami wich sofort einen Schritt vor dem Taschendieb zurück und machte ein Zeichen zum Schutz vor Unglück.
"Verflucht? Was hat dieser Mist zu bedeuten, Corwin?"
"Ich habe nicht die geringste Ahnung!" Unruhig blickte er zwischen den beiden Frauen hin und her. "Was soll das heißen, ich bin verflucht? Was für ein Fluch?"
Die Hehlerin streckte ihm einen knorrigen Eichenstecken entgegen, um ihn auf Abstand zu halten.
"Ich kann den bösen Unglückszauber an Euch erkennen. Er haftet an Eurem Leib gleich einem Schatten. Hinfort!"
"Aber ich verstehe nicht..."
"Ihr müsst eine Quelle der dunklen Magie bei Euch führen. Sie ist der Ursprung Eures Fluches."
Das silberne Medaillon. "Ich habe dieses Schmuckstück heute morgen..."
"Nein! Holt es nicht hervor, oder ich verwandle Euch auf der Stelle in eine Ratte!"
"Du kannst dein verfluchtes Silber für dich behalten, Narr!" Wütend verließ Corwins Gläubigerin den Laden. Er spürte, wie kalte Furcht seinen hungrigen Magen füllte.
"Dann werde ich es wegwerfen und..."
"Nein! So werdet Ihr dem Zauber niemals entkommen. Der Schöpfer des Fluches, der Tod oder Jemand, der aus freien Stücken das verdorbene Artefakt an sich nimmt, müssen Euch erlösen. Andernfalls mag Euch auf der Stelle der Schlag treffen. Jetzt geht!"
"Aber..."
"Hinfort!"
Was soll man dazu sagen? Mein Glück hatte mich letztendlich verlassen. Als wenn mein Leben nicht schon schwer genug gewesen wäre. Von nun an konnte ich mich 'Corwin, der Verfluchte', nennen. Na, wenn das Niemanden beeindrucken würde.
Ich hasse Magie. Ich konnte Zauberer noch nie ausstehen und habe stets einen großen Bogen um jedes magische Utensil gemacht, das mir in die Quere gekommen war. Sieht so aus, als wenn die Magie meine Abneigung vorzüglich erwidert.
Was sollte ich jetzt nur machen? Ich hatte keine Ahnung. Das Silberschmuckstück fühlte sich schwer in meiner Tasche an, daher nahm ich es in meine Hand, als ich ziellos durch die Gassen und über die Brücken wanderte. Zu allem Überfluss begannen meine Stiefel zu drücken.
Ich zerbrach mir den Kopf, wie ich meinem Unglück entgehen konnte, doch da nahm das Schicksal alles in die eigene Hand...
Eine starke Hand zog Corwin in den Schatten der Gasse. Er stolperte und fiel in den Dreck. Als er aufzustehen versuchte, drückte ein schwerer Stiefel seinen Kopf in eine schlammige Pfütze. Einen Augenblick zuvor sah er wehenden schwarzen Stoff, in den sein Peiniger offenbar gekleidet war. Der Raubmörder aus dem Kropfviertel!
Nun wisst Ihr alles. Denn hier bin ich jetzt. Gut möglich, dass ich ebenfalls als Leiche im Dreck ende. Wie der arme Teufel, dessen Stiefel ich stahl, von dessen Leiche ich dieses verfluchte Silber nahm. Habe ich das verdient? Vielleicht. Doch eigentlich bin ich kein schlechter Kerl. Ich hänge an meinem Leben, auch wenn es niemals leicht gewesen ist. Wenn ich wenigstens erfahren würde, warum ich mein Ende finden muss und wer mein Mörder ist.
Aber ich schätze, als todgeweihter Schurke kann man nicht all zu viele Ansprüche an die Umstände seines eigenen Ablebens stellen...
Der Druck des Stiefels verringerte sich etwas. Die Stimme des Mannes war leise, krächzend und tönte unangenehm in den Ohren.
"Es war ein Fehler, dich nicht sofort zu töten. Ich war mir nicht sicher, wie viel du gesehen hast, da du so beschäftigt warst, der Scheiße auszuweichen. Hat mir keine Ruhe gelassen. Ich habe den ganzen Vormittag nach dir gesucht. Scheint so, als werde ich zu alt für diese Arbeit." Corwin hörte, wie leise klirrend eine Klinge gezogen wurde.
"Wartet! Ich habe zuvor, wie auch jetzt, nichts von Euch gesehen. Es gibt keinen Grund mich zu töten! Ich werde einfach die Augen geschlossen halten, und Ihr könnt unbehelligt Eures Weges gehen!"
"Schließ deine Augen, wenn es dir hilft, mein Junge."
Das war es dann also. So sieht mein Ende aus. Hinterrücks und grundlos ermordet. Liegengelassen in einer schmutzigen Gasse. Taugenichtse werden mir die Stiefel stehlen, und irgendein armer Narr nimmt das Silbermedaillon an sich. Ein weiteres Opfer des Fluchs.
Ich hatte geahnt, dass der Tag mies werden würde...
Der Meuchelmörder schien innezuhalten. Mit der Spitze seines Schwertes hob er die Silberkette auf, die neben der Hand des Taschendiebes im Schmutz der Strasse lag. Klirrend rutschte das Schmuckstück an der Klinge entlang zum Heft.
"Ein schönes Stück. Doch es passt nicht zu dir. Also bist du ein Dieb, nicht wahr?" Corwin riss seine Augen auf.
"Es gehört Euch, wenn Ihr mich laufen lasst!" Krächzendes Lachen war seine Antwort.
"Es gehört bereits mir. Jetzt ist es genug mit dir, du Dieb."
Corwin wartete mit geschlossenen Augen auf den Schwertstoß. Stattdessen hörte er einen dumpfen Schlag und das matschige Klatschen eines niederfallenden Köpers auf dem schlammigen Boden.
Eine Weile blieb er still liegen. Dann wagte er, seinen Kopf zu heben und nach dem Meuchelmörder zu schauen.
Dieser lag in seinem eigenen Blut. Corwin blickte ungläubig nach oben. Ein Mauerstein, durch andauernden Regen und Wind gelockert, war herab gefallen. Direkt auf den Schädel des Mannes. Er war sofort tot. Morhkon konnte eine gefährliche Stadt sein.
Der Taschendieb erhob sich und schaute nach dem Silberschmuckstück. Es befand sich immer noch auf der Klinge des Meuchelmörders.
Dann rannte er so schnell er konnte davon.
Mein angeborenes Glück hat mich wieder! Die ganze Zeit hatte ich das Gefühl, als würde es mit dem Unglück des Fluches ringen. Doch es ist zurückgekehrt, als ich es am dringendsten brauchte. Alle Gedanken an Hunger, Gläubiger und Silberstücke sind vergessen. Ich fühle mich wie neugeboren!
Nun liege ich in meinem Unterschlupf auf meinem Bettplatz und kann nur an den Schlaf denken. Sobald ich meine schönen Stiefel ausgezogen habe, werde ich...wartet!
Was soll das? Ich kriege die Stiefel nicht aus! Bin ich immer noch verflucht? Unmöglich! Das Silberschmuckstück habe ich zurückgelassen. Der Gegenstand meines Fluches ist fort.
Was sonst könnte denn diese verfluchten Stiefel...oh nein!