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Der Dieb ( Ein Märchen für große und kleine 'Kinder' )
Der Dieb
"Achtung, sie kommt." Eine Blüte stupste die andere unauffällig in die Seite. Nachdem der ganze Busch auf diese Art und Weise in Aufruhr geraten war, zischte die Strauchälteste "Duckt euch!" und alle ließen auf Kommando die Köpfe hängen.
"Langsam hab' ich's im Kreuz", beschwerte sich eine Rosenblüte ungehalten. Als amtierende Strauchschönste hatte sie sich den Sommer ein ganz klein wenig anders vorgestellt. Wozu die ganze Pracht, wenn man sie nicht zeigen durfte? Doch als die kleine Fee den Weg entlang schlurfte und wie ein nasser Sack auf die Bank vor dem Rosenstrauch plumpste, war Ruhe. Fast.
"Wie lange soll denn das noch dauern? Den ganzen Sommer bläst sie schon Trübsal und ich will mal wieder was anderes sehen als Kompost", ließ Rosenblüte sich noch einmal vernehmen. Der schlanke Blumenstengel richtete sich auf, doch eine riesige Hummel umkreiste den vorlauten Blütenkopf laut summend, und nahm dann auf ihm Platz.
"Na, bin ich Dir zu schwer?" fragte die Hummel unbekümmert. "Also, ich find's gemütlich!"
Der Stoßseufzer von Rosenblüte blieb ungehört. Er wurde vom Seufzen der kleinen Fee übertönt, die bisher nur unglücklich mit den Beinen gebaumelt hatte. Jetzt griff sie nach ihrem bestickten Taschentuch und schniefte laut hörbar hinein, bevor sie traurig weiter mit den Beinen baumelte und dann zu jammern begann.
"Wo ist er nur hin gelaufen? Er wollte es mir doch wieder bringen. Ach, wo ist er nur hin gelaufen?" Erst kullerte eine Träne aus ihrem rechten Auge, dann eine aus dem linken und dann seufzte die kleine Fee erneut: "Wo ist er nur hin gelaufen? Er wollte es mir doch wiederbringen. Ach, wo ist er nur hin gelaufen?"
"Ich kann es nicht mehr hören", stöhnte die aufmüpfige Rosenblüte.
Wieder schnüffelte die kleine Fee in ihr Taschentuch und wieder erklang das Seufzen. "Wo ist er nur ... ?"
"Es langt!" Rosenblüte schüttelte sich heftig. Vor Schreck machte die Hummel einen Sturzflug. Sie landete mitten auf der Strauchältesten und nahm dieser so die Möglichkeit, mit einem mahnenden "Aber, aber, meine Damen ..." in das Geschehen einzugreifen.
"Bei allen Heckenscheren des Feenpalastes! Und wenn ich als Gebinde auf dem Sarg des Königs ende, was ist hier los?" schimpfte Rosenblüte. "Ich hab' ein Recht zu erfahren, warum ich den ganzen Sommer über den Kopf hängen lassen soll, mir Rückenschmerzen einhandele und nichts anderes als dieses langweilige, öde Wehklagen zu hören bekomme. Würde mich bitte jemand aufklären?"
"Ach, wo ist er nur hin gelaufen? Er wollte es mir doch wiederbringen. Wo ist er denn nur hin gelaufen?" ließ sich die kleine Fee wieder vernehmen und baumelte traurig mit den Beinen.
"He! Du da, auf der Parkbank. Hör endlich auf zu flennen!" schimpfte Rosenblüte, aber die kleine Fee schniefte gerade in ihr Taschentuch und verstand sie nicht.
"Wenn sie gleich wieder mit den Beinen baumelt, versuch' ich es noch einmal", überlegte Rosenblüte, "aber vielleicht sollte ich diesmal ein wenig netter zu ihr sein?"
Die kleine Fee schob gerade ihr rechtes Bein in Baumelposition, als Rosenblüte zartere Töne anschlug. "Hallo, schönes Fräulein!"
Die kleine Fee stutzte und hob den Kopf.
"Es funktioniert", jubelte Rosenblüte. "Hallo, schönes Fräulein?"
Die kleine Fee sprang von der Bank. "Wo bist du? Bist du zurückgekehrt ?" fragte sie vorsichtig ins Leere.
"Oh, oh", murmelte Rosenblüte. "Ich ahne Fürchterliches", und verpasste prompt ihren Einsatz, denn als die kleine Fee merkte, dass da niemand war, plumpste sie auf die Parkbank zurück, baumelte wieder mit den Beinen und jammerte weiter. "Wo ist er denn bloß hin gelaufen? Er wollte es mir doch wieder bringen. Ach, wo ist er denn nur hin gelaufen?"
"Bitte, bitte, einen anderen Text", stöhnte Rosenblüte leise, laut fragte sie aber, "Schönes Fräulein, wo ist wer hin gelaufen? Und was bitte fehlt dir überhaupt?"
"Na, mein Freund, der Dieb ist weg. Er wollte mir mein Lachen wiederbringen!" antwortete die kleine Fee klar und deutlich, hob den Kopf und schaute Rosenblüte so selbstbewußt an, als hätte sie diese Erklärung auf der Parkbank schon tausendmal abgegeben.
"Ah so, ja", stammelte die überraschte Blüte und dachte im Stillen: "Von einem Dieb, der etwas wiederbringt, hab' ich ja noch nie gehört." Doch dann verstand sie. "Es war ein schöner und junger und kluger und lustiger Dieb?"
"Ohhh ja!" Über das Gesicht der kleinen Fee huschte etwas, das ein richtiges Strahlen hätte werden können, aber statt dessen legte sich ein Schatten auf ihr makelloses Profil und ertappt flüsterte sie: "Woher weißt du das?"
"Na. Sonst hättest Du ihm wohl kaum dein Lachen geborgt."
"Du bist eine kluge Rose", lobte die kleine Fee und die Blüte wurde vor Freude knallrot.
"Ja. Er war sehr, sehr nett und gestohlen hat er es mir auch gar nicht, er hat es sich nur ausgeliehen, weil es ihm so gut gefallen hat. Aber das war schon vor Wochen. Ach...", und schon wieder begann die kleine Fee zu klagen und eine Träne kullerte aus ihrem rechten Auge. "Wo ist er denn nur hin gelaufen? Er wollte es mir doch wieder bringen. Wo ... ?"
"Das möchte ich jetzt aber auch wissen!" unterbrach Rosenblüte die kleine Fee. "In welche Richtung ist er denn auf und davon?"
Jetzt wurde die kleine Fee böse. "Warum glaubst Du mir denn nicht? Er ist nicht auf und davon! Er will mir mein Lachen wieder bringen. Bestimmt ist er aufgehalten worden oder er steckt in Schwierigkeiten." Aber dann heulte sie wieder los. Doch wenigstens zeigte sie jetzt mit dem Finger in eine etwas unbestimmte Richtung: "Dahin vielleicht. Es kann aber auch dort gewesen sein."
Rosenblüte verkniff sich eine sarkastische Bemerkung, wie "Ich liebe klare Ansagen!" und brummelte statt dessen: "Ich glaube, ich brauche Hilfe. He! Hummel. Du hast doch hier den Überblick. Was liegt denn da oder vielleicht auch dort?"
Die Hummel erhob sich vom Kopf der Strauchältesten, dann summte sie: "Also da beginnt der große Wald, durch ihn führt der Weg in die Stadt und dort ist das unbestellte Feld des Bauern 'Morgenstundistungesund'. Es ist unbegehbar, voller Brombeersträucher. Dahin verirrt sich niemand. Wenn du mich fragst, ist unser Dieb mit dem Lächeln der kleinen Fee auf dem schnellsten Weg in die Stadt geflohen und hat es dort zu Gold gemacht. Das war es nämlich wert!" Mitleidig blickte sie auf die kleine Fee, die schon wieder dabei war mit den Beinen zu baumeln und ihr Taschentuch zückte, weil sich ihre Augen mit Tränen füllten, während sie den Schlussfolgerungen der Hummel lauschte.
"Nein, nein, nein", schluchzte sie. "Das ist nicht wahr. Ach, ... " Aber statt weiter zu sprechen, weinte sie nun so bitterlich, dass die Rosen auf dem Beet freiwillig ihre Köpfe senkten.
"Na, na, na", brummte die Hummel gutmütig, "dann will ich mal schauen."
Doch genau in diesem Augenblick eilte ein junger Mann im Laufschritt durch den Park. Er trug einen Leinensack auf dem Rücken und stöhnte vor sich hin. Seine Kleidung war zerrissen, Arme und Beine und auch das Gesicht waren mit Schrammen übersät. Aber als er die kleine Fee sah, wühlte er in seinem Beutel und überreichte ihr etwas, das in kostbare Seide gehüllt war. "Ich schwöre, mit so etwas Schönem nie wieder Ball zu spielen, aber ich konnte nicht widerstehen. Weißt du, dein Lachen perlt, wenn man es hoch in die Luft wirft, über das ganze Land und erfüllt die Herzen der Menschen mit Freude. Leider ist es mir dabei mitten ins Brombeerfeld geplumpst."