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Der Dichter und sein Henker
„Huckel von der Internetzeitung Planet Schreiben“, rufe ich in die Gegensprechanlage des schmucken Barockschlösschens.
„Ich habe einen Termin für ein Interview mit Herrn Pierre LaBraise.“
Einige Sekunden verstreichen. Ich höre, wie sich das elektronische Auge über dem Tor mit einem sirrenden Geräusch auf mich einstellt, dann erstirbt das statische Knacken und Rauschen im Lautsprecher, und das einladende Summen des Türöffners ertönt.
Der Anblick der prunkvollen Anlage stößt mir auf Anhieb säuerlich auf. Ich habe so etwas bereits befürchtet, als ich mir für meine Recherche über den Besitzer die Verkaufszahlen seines neuen Thrillers „Der Serienmörder“ ansehen musste.
Doch das hier ist absolut niederschmetternd, deshalb werde ich auch nicht weiter darauf herumreiten. Einfach, weil mich der bloße Gedanke an so viel unverdienten Reichtum so fertig macht, dass ich nicht weiß, ob ich danach noch ein vernünftiges Interview führen kann.
Sagen wir einfach, ich überquere den Rasen und das Rosenbeet, durchquere Vorhalle, Empfangslobby, Kaminzimmer und betrete dann auch schon ein Büro, in dem mir hinter einem Mahagonischreibtisch das kantigste Gesicht entgegenlächelt, das sich ein Bestsellerautor je hat anoperieren lassen.
Bizeps, Bräune, Strähne, ich les’ dein Buch und gähne.
War’s ne gute Kinn- OP, tut’s beim Sprechen richtig...
„Herr Huckel!“, begrüßt mich der Prachtkerl mit einer Prachtstimme, und wir reichen uns die Hand. „Ich freu mich supi, Sie sehen zu können. Ich hoffe, Sie sind toll gereist. Möchten Sie vielleicht ein Trinken?“
Ich schüttle angewidert, aber höflich den Kopf. „Wenn Sie nichts dagegen haben, wäre es mir recht, wenn wir gleich anfangen könnten. Die Leser erwarten das Live-Interview pünktlich um drei, und es ist fünf vor.“ Er nickt, also setze ich mich zu ihm, fahre mein Notebook hoch und befestige die Webcam richtig, während sich mein Interviewpartner mit einem Kämmchen den Scheitel nachzieht und Lippenbalsam auftupft.
„Wir sind online“, erkläre ich. „Alles geht mit zehn Sekunden Verzögerung über den Äther. Wenn eine Frage wirklich völlig in die Hose gehen sollte, dann klicken wir notfalls mit dem Mauszeiger hier und verhindern damit die Ausstrahlung der letzten zehn Sekunden. Ich spreche eine kurze Einleitung, dann kommt auch schon die erste Frage. Bereit? 3-2-1-jetzt!“
Auf geht’s. Professionalität ist alles.
„Hier ist Herbert Huckel von Planet Schreiben, der Onlinezeitschrift für Schriftsteller und alle, die es werden wollen. Ich spreche heute mit Pierre LaBraise, Träger des letztjährigen Lipizzer- Literaturpreises. Von seinem Bestseller „Der Serienmörder“ gingen allein im letzten Quartal fast hunderttausend Exemplare über die Ladentische, insgesamt kann der Autor auf über fünfhunderttausend verkaufte Bücher zurückblicken.
Pierre, wie kamen Sie auf die Idee, Ihr Buch schlicht „Der Serienmörder“ zu nennen?“
„Ähm, da sich das Buch um einen Serienmörder dreht, erschien es mir passend.“
„Aha. Und was hat Sie zu dem ungewöhnlichen Kunstgriff inspiriert, in der Exposition, die ja die Hybris des Protagonisten thematisiert, einen Wendepunkt anzudeuten, der danach im Roman niemals vorkommt?“
„Äh...können Sie noch einmal...war das im Fragenkatalog?“
Ich hab' ihn. Dachte ich’s mir doch. Erbärmlich, wie er in seinen Notizen nach der Frage wühlt.
„Am Anfang beschreiben Sie Ihren tragischen Helden als erfolgreichen, arroganten Manager. Gleich darauf verraten Sie, dass Alkoholprobleme im Alter von fünfzig Jahren sein Leben ruinieren werden. Dazu kommt es aber im weiteren Verlauf des Buches nicht, weil der Serienmörder ihn mit fünfundvierzig tötet, also fünf Jahre, bevor er anfangen wird zu trinken. Von Alkohol ist jedenfalls nicht mehr die Rede."
Schweigen.
„Herr LaBraise?“
„Das...das hab ich wohl vergessen.“
„Herr LaBraise, genau dafür haben Sie letztes Jahr einen Preis bekommen! Die Kritiker lobten es als einen „Meistergriff der Irreführung“. Ihr Werk hat in Literaturkreisen den Begriff des surrealen Intemporalismus geprägt, zusammen mit dem des Modernen Agrammatikalismus, der Ihren persönlichen Stil ausmacht! Scharen junger Schriftsteller eifern Ihnen nach! Und Sie behaupten ernsthaft, das war keine Absicht?“
LaBraise schmeißt sich förmlich auf die Computermaus.
„He, was soll das!“, schreie ich erbost.
„Das darf nicht gesendet worden! Wie viel ist da noch darauf bleibt?“, keift LaBraise zurück.
„Ach, nur weil Sie zu dämlich sind, einen zusammenhängenden Roman zu schreiben, darf das jetzt keiner hören? Wissen Sie, was ich von Ihrem Geschreibsel halte, Sie Naturschönheit? Sie sind kein genialer surrealer Intemporalist, nein, noch nicht einmal Buch dürfte sich das schimpfen, was Sie da hervorgebracht haben, wenn ich in Ihrem Verlag irgend etwas zu sagen hätte!“, brülle ich, völlig außer mir.
„Hat Ihnen aber nicht“, kontert LaBraise mit einem süffisanten Lächeln. „Verlag gehört meinen Patenonkel.“
Zum Teufel mit der Professionalität, ich werde ihm jetzt auf der Stelle eine reinhauen.
Wir sind doch sowieso offline, also was soll’s!
Okay. Sind wir nicht.
Das Drücken der Taste hat die Sequenz mit dem intemporalen Manageralkoholismus gelöscht, aber danach läuft die Übertragung doch weiter, das habe ich selbst so eingestellt.
Zu dumm, dass LaBraise meinen Blick bemerkt hat und erneut auf die Taste drückt.
„Ich kann nicht gut Grammatik, aber ich bin Geschäftsmann. Was ist mit Sie? Ich schlage vor, wir gibt jetzt den Fans, was dessen erwartet, oder wir beenden den Interview“, sagt er ruhig.
Ich lächle kalt. „DAS Interview, Herr LaBraise.“
Einige Sekunden lang starren wir uns so bedrohlich wie möglich in die Augen.
Ein Duell? Nichts lieber als das. Ich wähle das Gehirn als Waffe. Du hast nicht die geringste Chance, Alter.
Wir setzen uns wieder hin. Ich klicke mit der Maus noch einmal das Reset-Feld auf dem Bildschirm an und fahre dann mit meinen Fragen fort, als wäre nichts geschehen.
„Wie wichtig sind familiäre Beziehungen bei der Entstehung und Vermarktung Ihres Romans gewesen?“
Klick.
„Stimmt es, dass Pierre LaBraise nur Ihr Pseudonym ist und Sie in Wahrheit Peter Bauer heißen?“
Klick.
„Haben Sie den Roman ganz allein geschrieben? Ziehe die Frage zurück, das sieht ja ein Blinder. Nächste Frage. Wissen Sie, dass Ihr Künstlernachname ohne „r“ auf Französisch soviel wie „Das Ficken“ bedeutet?“
Er sieht mich verblüfft an.
„Ehrlich? Mein Onkel hat gesagen, es heißt Glut."
Dann schägt er sich an die Stirn und jault: "Ach Menno‚ ohne r - Sie blöder Arschloch!“
Na, der hat ja gedauert.
Er wühlt hektisch in seiner Schreibtischschublade und hat plötzlich eine Pistole in der Hand.
„Soll ich Sie mal was über Recherche erzählen?“ höhnt er, während er mit der Kanone vor meinem Gesicht herumfuchtelt und mit der freien Hand die Reset-Taste drückt.
Lifte, creme, bleiche, das gibt ne schöne Leiche.
Wie überaus witzig. Ich lache lieber mal nicht, sondern hebe die Arme.
Auch wenn ich der Meinung bin, dass er nicht sonderlich gut recherchiert haben kann, sonst wüsste er, dass man das Ding entsichern muss.
Würde mich nicht wundern, wenn er vergessen hätte, Kugeln reinzutun.
Ich setze trotzdem einen Gesichtsausdruck auf, den ich für beschwichtigend halte.
„Schon gut. Ab jetzt streng nach Fragenkatalog. Aber ich kann ja nichts dafür, dass Sie sich mit ihren ersten Antworten so reingeritten haben. Hat ja zum Glück niemand mitbekommen.“
Er hält die Pistole unter den Tisch, wir rücken unsere Stühle zurecht, er drückt mir großspurig die gesicherte Kanone ans Bein und klickt vorsichtshalber noch einmal auf Reset.
Ich streiche meine Liste glatt und lese ab:
„Was würden Sie jungen Talenten raten, die noch ganz am Anfang stehen und gerne etwas veröffentlichen würden?“
Ein zufriedenes Strahlen erhellt sein Gesicht. Die Ärzte haben ihn wirklich hübsch hinbekommen, das muss ich anerkennen.
Als er die erste Frage intelligent und flüssig beantwortet, wird mir endlich klar, wie er sich so lange durchmogeln konnte. Er bereitet sich vor, und meine Kollegen stellen die richtigen Fragen.
Ich will mir die Wiedergabe seiner einstudierten Lügen an dieser Stelle auch sparen.
Erwähnenswert ist höchstens der ungewöhnlich korrekte Satz, den er mir triumphierend nachruft, als ich nach fünf weiteren Fragen schnell sein Zimmer verlasse:
„Ich hatte gar keine Bällchen in die Pistole hineingemacht!“
Mein Augenrollen sieht er bereits nicht mehr.
Ich wusste schon immer, dass es richtig war, auf meiner Meinung zu beharren, er könne nicht schreiben. Ich fand sein Buch auf Anhieb so schlecht, dass mir gleich klar war:
An diesem Preisträger ist etwas faul.
Man unterstellte mir Neid, weil ich selbst schon seit Jahren vergeblich versuche, einen Verleger für meine beiden Manuskripte zu finden.
Ich hatte gehofft, bei diesem Interview einen Hochstapler zu entlarven, und ich muss sagen, ich bin wirklich mehr als zufrieden.
Ich nehme mir jetzt ein Taxi in die Redaktion, wo wir die Dateien auswerten werden.
Ich würde gern sein Gesicht sehen, wenn ihm jemand Folgendes erklärt: Die Reset-Funktion verhindert, dass die jeweils letzten zehn Sekunden gesendet werden.
Trotzdem wird der Datenstrom auf der Festplatte gespeichert.
Warum auch nicht?
Noch besser wär’s natürlich gewesen, wenn alles gleich live gesendet worden wäre, aber der Chef hat für so einen Skandal morgen sicher auch noch ein Sendeplätzchen frei.
Mir geht’s so gut wie schon lange nicht.
Neid und Frust sind der friedvollen Erkenntnis gewichen:
Es gibt Schlimmeres, als von den großen Verlagen abgelehnt zu werden.