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Der Dichter und sein Henker

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22.01.2007
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Der Dichter und sein Henker

„Huckel von der Internetzeitung Planet Schreiben“, rufe ich in die Gegensprechanlage des schmucken Barockschlösschens.
„Ich habe einen Termin für ein Interview mit Herrn Pierre LaBraise.“
Einige Sekunden verstreichen. Ich höre, wie sich das elektronische Auge über dem Tor mit einem sirrenden Geräusch auf mich einstellt, dann erstirbt das statische Knacken und Rauschen im Lautsprecher, und das einladende Summen des Türöffners ertönt.

Der Anblick der prunkvollen Anlage stößt mir auf Anhieb säuerlich auf. Ich habe so etwas bereits befürchtet, als ich mir für meine Recherche über den Besitzer die Verkaufszahlen seines neuen Thrillers „Der Serienmörder“ ansehen musste.
Doch das hier ist absolut niederschmetternd, deshalb werde ich auch nicht weiter darauf herumreiten. Einfach, weil mich der bloße Gedanke an so viel unverdienten Reichtum so fertig macht, dass ich nicht weiß, ob ich danach noch ein vernünftiges Interview führen kann.
Sagen wir einfach, ich überquere den Rasen und das Rosenbeet, durchquere Vorhalle, Empfangslobby, Kaminzimmer und betrete dann auch schon ein Büro, in dem mir hinter einem Mahagonischreibtisch das kantigste Gesicht entgegenlächelt, das sich ein Bestsellerautor je hat anoperieren lassen.
Bizeps, Bräune, Strähne, ich les’ dein Buch und gähne.
War’s ne gute Kinn- OP, tut’s beim Sprechen richtig...

„Herr Huckel!“, begrüßt mich der Prachtkerl mit einer Prachtstimme, und wir reichen uns die Hand. „Ich freu mich supi, Sie sehen zu können. Ich hoffe, Sie sind toll gereist. Möchten Sie vielleicht ein Trinken?“
Ich schüttle angewidert, aber höflich den Kopf. „Wenn Sie nichts dagegen haben, wäre es mir recht, wenn wir gleich anfangen könnten. Die Leser erwarten das Live-Interview pünktlich um drei, und es ist fünf vor.“ Er nickt, also setze ich mich zu ihm, fahre mein Notebook hoch und befestige die Webcam richtig, während sich mein Interviewpartner mit einem Kämmchen den Scheitel nachzieht und Lippenbalsam auftupft.

„Wir sind online“, erkläre ich. „Alles geht mit zehn Sekunden Verzögerung über den Äther. Wenn eine Frage wirklich völlig in die Hose gehen sollte, dann klicken wir notfalls mit dem Mauszeiger hier und verhindern damit die Ausstrahlung der letzten zehn Sekunden. Ich spreche eine kurze Einleitung, dann kommt auch schon die erste Frage. Bereit? 3-2-1-jetzt!“
Auf geht’s. Professionalität ist alles.

„Hier ist Herbert Huckel von Planet Schreiben, der Onlinezeitschrift für Schriftsteller und alle, die es werden wollen. Ich spreche heute mit Pierre LaBraise, Träger des letztjährigen Lipizzer- Literaturpreises. Von seinem Bestseller „Der Serienmörder“ gingen allein im letzten Quartal fast hunderttausend Exemplare über die Ladentische, insgesamt kann der Autor auf über fünfhunderttausend verkaufte Bücher zurückblicken.
Pierre, wie kamen Sie auf die Idee, Ihr Buch schlicht „Der Serienmörder“ zu nennen?“
„Ähm, da sich das Buch um einen Serienmörder dreht, erschien es mir passend.“
„Aha. Und was hat Sie zu dem ungewöhnlichen Kunstgriff inspiriert, in der Exposition, die ja die Hybris des Protagonisten thematisiert, einen Wendepunkt anzudeuten, der danach im Roman niemals vorkommt?“
„Äh...können Sie noch einmal...war das im Fragenkatalog?“
Ich hab' ihn. Dachte ich’s mir doch. Erbärmlich, wie er in seinen Notizen nach der Frage wühlt.
„Am Anfang beschreiben Sie Ihren tragischen Helden als erfolgreichen, arroganten Manager. Gleich darauf verraten Sie, dass Alkoholprobleme im Alter von fünfzig Jahren sein Leben ruinieren werden. Dazu kommt es aber im weiteren Verlauf des Buches nicht, weil der Serienmörder ihn mit fünfundvierzig tötet, also fünf Jahre, bevor er anfangen wird zu trinken. Von Alkohol ist jedenfalls nicht mehr die Rede."

Schweigen.
„Herr LaBraise?“
„Das...das hab ich wohl vergessen.“
„Herr LaBraise, genau dafür haben Sie letztes Jahr einen Preis bekommen! Die Kritiker lobten es als einen „Meistergriff der Irreführung“. Ihr Werk hat in Literaturkreisen den Begriff des surrealen Intemporalismus geprägt, zusammen mit dem des Modernen Agrammatikalismus, der Ihren persönlichen Stil ausmacht! Scharen junger Schriftsteller eifern Ihnen nach! Und Sie behaupten ernsthaft, das war keine Absicht?“
LaBraise schmeißt sich förmlich auf die Computermaus.
„He, was soll das!“, schreie ich erbost.
„Das darf nicht gesendet worden! Wie viel ist da noch darauf bleibt?“, keift LaBraise zurück.
„Ach, nur weil Sie zu dämlich sind, einen zusammenhängenden Roman zu schreiben, darf das jetzt keiner hören? Wissen Sie, was ich von Ihrem Geschreibsel halte, Sie Naturschönheit? Sie sind kein genialer surrealer Intemporalist, nein, noch nicht einmal Buch dürfte sich das schimpfen, was Sie da hervorgebracht haben, wenn ich in Ihrem Verlag irgend etwas zu sagen hätte!“, brülle ich, völlig außer mir.
„Hat Ihnen aber nicht“, kontert LaBraise mit einem süffisanten Lächeln. „Verlag gehört meinen Patenonkel.“
Zum Teufel mit der Professionalität, ich werde ihm jetzt auf der Stelle eine reinhauen.
Wir sind doch sowieso offline, also was soll’s!

Okay. Sind wir nicht.
Das Drücken der Taste hat die Sequenz mit dem intemporalen Manageralkoholismus gelöscht, aber danach läuft die Übertragung doch weiter, das habe ich selbst so eingestellt.
Zu dumm, dass LaBraise meinen Blick bemerkt hat und erneut auf die Taste drückt.
„Ich kann nicht gut Grammatik, aber ich bin Geschäftsmann. Was ist mit Sie? Ich schlage vor, wir gibt jetzt den Fans, was dessen erwartet, oder wir beenden den Interview“, sagt er ruhig.
Ich lächle kalt. „DAS Interview, Herr LaBraise.“
Einige Sekunden lang starren wir uns so bedrohlich wie möglich in die Augen.
Ein Duell? Nichts lieber als das. Ich wähle das Gehirn als Waffe. Du hast nicht die geringste Chance, Alter.

Wir setzen uns wieder hin. Ich klicke mit der Maus noch einmal das Reset-Feld auf dem Bildschirm an und fahre dann mit meinen Fragen fort, als wäre nichts geschehen.
„Wie wichtig sind familiäre Beziehungen bei der Entstehung und Vermarktung Ihres Romans gewesen?“
Klick.
„Stimmt es, dass Pierre LaBraise nur Ihr Pseudonym ist und Sie in Wahrheit Peter Bauer heißen?“
Klick.
„Haben Sie den Roman ganz allein geschrieben? Ziehe die Frage zurück, das sieht ja ein Blinder. Nächste Frage. Wissen Sie, dass Ihr Künstlernachname ohne „r“ auf Französisch soviel wie „Das Ficken“ bedeutet?“
Er sieht mich verblüfft an.
„Ehrlich? Mein Onkel hat gesagen, es heißt Glut."
Dann schägt er sich an die Stirn und jault: "Ach Menno‚ ohne r - Sie blöder Arschloch!“
Na, der hat ja gedauert.

Er wühlt hektisch in seiner Schreibtischschublade und hat plötzlich eine Pistole in der Hand.
„Soll ich Sie mal was über Recherche erzählen?“ höhnt er, während er mit der Kanone vor meinem Gesicht herumfuchtelt und mit der freien Hand die Reset-Taste drückt.
Lifte, creme, bleiche, das gibt ne schöne Leiche.
Wie überaus witzig. Ich lache lieber mal nicht, sondern hebe die Arme.
Auch wenn ich der Meinung bin, dass er nicht sonderlich gut recherchiert haben kann, sonst wüsste er, dass man das Ding entsichern muss.
Würde mich nicht wundern, wenn er vergessen hätte, Kugeln reinzutun.
Ich setze trotzdem einen Gesichtsausdruck auf, den ich für beschwichtigend halte.
„Schon gut. Ab jetzt streng nach Fragenkatalog. Aber ich kann ja nichts dafür, dass Sie sich mit ihren ersten Antworten so reingeritten haben. Hat ja zum Glück niemand mitbekommen.“
Er hält die Pistole unter den Tisch, wir rücken unsere Stühle zurecht, er drückt mir großspurig die gesicherte Kanone ans Bein und klickt vorsichtshalber noch einmal auf Reset.

Ich streiche meine Liste glatt und lese ab:
„Was würden Sie jungen Talenten raten, die noch ganz am Anfang stehen und gerne etwas veröffentlichen würden?“
Ein zufriedenes Strahlen erhellt sein Gesicht. Die Ärzte haben ihn wirklich hübsch hinbekommen, das muss ich anerkennen.
Als er die erste Frage intelligent und flüssig beantwortet, wird mir endlich klar, wie er sich so lange durchmogeln konnte. Er bereitet sich vor, und meine Kollegen stellen die richtigen Fragen.
Ich will mir die Wiedergabe seiner einstudierten Lügen an dieser Stelle auch sparen.
Erwähnenswert ist höchstens der ungewöhnlich korrekte Satz, den er mir triumphierend nachruft, als ich nach fünf weiteren Fragen schnell sein Zimmer verlasse:
„Ich hatte gar keine Bällchen in die Pistole hineingemacht!“
Mein Augenrollen sieht er bereits nicht mehr.

Ich wusste schon immer, dass es richtig war, auf meiner Meinung zu beharren, er könne nicht schreiben. Ich fand sein Buch auf Anhieb so schlecht, dass mir gleich klar war:
An diesem Preisträger ist etwas faul.
Man unterstellte mir Neid, weil ich selbst schon seit Jahren vergeblich versuche, einen Verleger für meine beiden Manuskripte zu finden.
Ich hatte gehofft, bei diesem Interview einen Hochstapler zu entlarven, und ich muss sagen, ich bin wirklich mehr als zufrieden.
Ich nehme mir jetzt ein Taxi in die Redaktion, wo wir die Dateien auswerten werden.

Ich würde gern sein Gesicht sehen, wenn ihm jemand Folgendes erklärt: Die Reset-Funktion verhindert, dass die jeweils letzten zehn Sekunden gesendet werden.
Trotzdem wird der Datenstrom auf der Festplatte gespeichert.
Warum auch nicht?
Noch besser wär’s natürlich gewesen, wenn alles gleich live gesendet worden wäre, aber der Chef hat für so einen Skandal morgen sicher auch noch ein Sendeplätzchen frei.

Mir geht’s so gut wie schon lange nicht.
Neid und Frust sind der friedvollen Erkenntnis gewichen:
Es gibt Schlimmeres, als von den großen Verlagen abgelehnt zu werden.

 

Hallo Schreibkraft,

und ein herzliches Willkommen auf Kg.de
Dürrenmatt-Fan? ;-)

Eine kleine Anmerkung.

Sind wir offline?
Hier würde ich schreiben: Sind wir nicht.
Wirkt stärker finde ich.

Ich muss sagen, dass mir deine Geschichte sehr gut gefallen hat. Auch finde ich sie satirisch sehr schön ausgearbeitet. Die Stelle mit der Pistole hat mir gut gefallen.

Auch sehr schön wie du die falsche Grammatik durchgehalten hast, was sicher nicht einfach war, denke ich.

Deswegen mach ichs mal ganz Unkonstruktiv: Daumen hoch!

lg neukerchemer

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Fallbeil,

freut mich, dass es dir gefallen hat!
Du hast völlig recht, eine richtige Satire ist das nicht, obwohl ich schon einige Kriterien erfüllt sehe. Ich nehme den Literaturbetrieb als Ganzes aufs Korn und überspitze zu diesem Zweck sowohl die Darstellung des Schriftstellers als auch die Betriebsblindheit der Literaten drastisch.
Vielleicht ist der Beitrag in der Rubrik "Humor" besser aufgehoben, ich nehme an, es würde genügen, eine pn an einen der Moderatoren zu schreiben?

Ich wollte halt erst mal sehen, ob überhaupt jemand lacht, bevor ich das Geschriebene unter "Humor" verbuche... :lol:

Liebe Grüße,
SchreibKraft

 

Hallo neukerchemer,

Danke fürs Lesen und die Anmerkung!
Dein Vorschlag hört sich in der Tat prägnanter an, ich werde ihn übernehmen.

LG,
SchreibKraft

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo SchreibKraft!

Deine Satire bezogen auf den Literaturbetrieb im allgemeinen und die Befähigung mancher Autoren im Besonderen, gefällt mir ausgesprochen gut! Kompliment!

Die Geschichte ist nicht nur unterhaltsam, sondern darüber hinaus auch stilistisch überaus ansprechend und, was Rechtschreibung und Kommasetzung betrifft, sorgfältig ausgearbeitet.

Einer der Sätze, die mir sofort ins Auge fielen:

Ihr Werk hat in Literaturkreisen den Begriff des surrealen Intemporalismus geprägt, zusammen mit dem des Modernen Agrammatikalismus, der Ihren persönlichen Stil ausmacht!

Gerne gelesen!


Ciao
Antonia

 

Hallo Antonia!

Danke für die Blumen! *rotwerd*
Freue mich ja sehr, dass der Text so gut ankam!

Satire ist ja nun wirklich ein schwieriges Feld zwischen leisen Tönen und Holzhammer, deshalb hatte mich die Bemerkung von Fallbeil erst ein wenig verunsichert.
Da außer ihm niemand die fehlende Satire bemängelt hat, werde ich den Text mal lassen, wo er ist.
Es war ja auch mein Eindruck bzw. meine Hoffnung, dass der enthaltene "Überspitzungs- und Anprangerungsgrad" für diese Rubrik ausreicht.

Wo das herkommt, gibt's noch mehr, wenn auch nicht immer Humor/Satire. Mache mich doch gleich mal hochmotiviert an die Arbeit!

*swing* :-D

Liebe Grüße,
SchreibKraft

 

Köstliche Geschichte. Hab mich hervorragend amüsiert!
Keine negativen Kritikpunkte von mir soweit, hab spontan nix bemerkt, was meinen Lesefluss gestört hätte.

Die Sache zwischen Satire und Humor ist immer so eine Gratwanderung. Ich persönlich fänds in der Rubrik Humor passender, allerdings vertrete ich da allgemein die These: Mirdochegal.
Bisschen was satirisches is drin und wenn sich niemand lautstark beschwert...

Bie dez

Frenutzerbeund

 

Hallo Schreibkraft,

netter Einstand in der Satireabteilung und von mir aus kann die Story auch gerne hier verweilen. Ich sehe es wie du. Da sind auf jeden Fall satirische Elemente drin. Aber auch Humor und Klamauk. Und mir reicht diese Mischung, ums noch als satirische Geschichte zu akzeptieren.

Hab die Story gerne gelesen, fand nur am Ende die Erklärungen bzw. Gedanken des Protagonisten etwas überflüssig. Sie bringen inhaltlich nichts Neues, denn der Leser hats ja schon kapiert und sie stören auch, weil sie das Tempo dämpfen.
Bei der Frage des sog. Autors, ob das im Fragenkatalog steht, fänd ichs passender, wenn er zusätzlich auf seinem Schreibtisch hektisch nach diesem Fragenkatalog sucht, weil so dämlich wie du ihn sonst daherreden lässt, kann er sich vermutlich auch die Fragen nicht merken und braucht nun Hilfe.
Aber ok...vielleicht passt das dann nicht zur Kameraszene.

Lieben Gruß
lakita

 

Hallo lakita,

Danke für Deinen Kommentar!

Zum Vorschlag mit dem Fragenkatalog: Ja, ich könnte mir auch gut vorstellen, dass er unsicher und verwirrt auf seine Notizen starrt oder so etwas in der Art...lasse es mir mal durch den Kopf gehen, ob und wie man da was ergänzen könnte.

Den Schluss allerdings halte ich für wichtig, weil er ja noch zwei Informationen liefert, bzw. sogar das Motiv und die Auflösung:

1. Der depperte Autor wurde überlistet. Während er selbst noch denkt, dass ja die heiklen Infos sowieso nicht gesendet wurden, ist der Interviewer schon mit dem ganzen brandheißen Material, das ihn als Idioten und Betrüger entlarven wird, in die Redaktion unterwegs.

2.Der Onlineredakteur Huckel ist selbst Schriftsteller, doch bislang erfolglos, obwohl seine Fragestellung ja vermuten lässt, dass er durchaus Ahnung von der Materie hat, viel mehr als der Erfolgreiche.
Er hat also einen guten persönlichen Grund, solche unverdient Arrivierten wie "Pierre LaBraise" zu hassen und vor allem entlarven zu wollen.

Das sind m.E. zwei Informationen, die dem Ganzen noch einen Hintergrund verleihen und die Geschichte abrunden. Wenn ich die Geschichte nach dem "Augenrollen" abbrechen würde, wäre es doch wirklich fast nur Klamauk, oder?

Dass das Tempo am Schluss langsamer ist, ist richtig, ich finde, es passt aber auch nicht so schlecht zu seiner gelassenen Stimmung : Er hat Frieden geschlossen mit seiner Erfolglosigkeit.
Schade, dass du das als Lesebremse empfunden hast, wie gesagt wüsste ich im Moment aber nicht, wie ich den Schluss ändern könnte, ohne die beiden anderen Infos über Bord zu kippen.

Liebe Grüße,
SchreibKraft

 

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