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Der Damalsvogel

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02.01.2002
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Der Damalsvogel

So schönes Gefieder. Seine Oberseite schillerte in einem kalten Aquamarinblau, so blau wie das Wasser, in das er sich jeden Moment wieder stürzen würde. Seine Unterseite leuchtete in den Farben des Sonnenunterganges, der im Hintergrund zu sehen war. Den Kopf hielt er stolz erhoben und zuweilen glaubte ich beinahe, den Zweig auf dem er saß wippen zu sehen, so lebensecht wirkte das Bild. Ich liebte es und konnte im Unterricht kaum die Augen davon abwenden.

»Lydia?«

Frau Meiers scharfe Stimme riss mich in die Gegenwart zurück. Ich murmelte eine Entschuldigung und beugte mich rasch über mein Heft. Das Herz klopfte mir bis zum Hals. Ich flehte innerlich, Frau Meier möge es bei der Ermahnung belassen. Irgendein gnädiger Gott erhörte meinen Wunsch, denn sie setzte sich wieder an ihr Pult. Ich spürte noch den einen oder anderen Blick meiner Mitschüler auf mir ruhen, aber das kümmerte mich nicht. Man gewöhnt sich daran.

*

Ich blieb auf meinem Platz sitzen, als es klingelte. Die anderen packten ihre Taschen und stoben zur Tür hinaus. Ich sah ihnen hinterher. Der Schulbus kam immer erst am Nachmittag um mich abzuholen. Bis dahin musste ich warten. In der Zwischenzeit löste ich immer meine Hausaufgaben, Frau Meier korrigierte derweil einen Stapel Hefte. Aus den Augenwinkeln erkannte ich, dass sie mich ab und zu über den Rand ihrer Brille beobachtete. Nach ein paar Sekunden pflegte sie dann wieder den Kopf zu senken und weiterzuarbeiten.

Ich schielte zum Bild hinüber. So schöne Farben ... Erst einmal hatte ich einen lebendigen Eisvogel gesehen. Es war lange her, doch ich erinnerte mich noch genau daran. Ich erinnerte mich an jeden Tag dieser sorglosen Ferienzeit, die ich mit meinen Eltern in den Bergen verbracht hatte. Unsere Hütte lag ganz in der Nähe des Flusses. Ma ging es damals noch gut, Pa hatte noch seine Arbeit und es wurde viel gelacht. Und an einem dieser letzten sorglosen Tage entdeckte ich den Eisvogel, wie er in das klare Wasser schoss, während die Sonnenstrahlen auf der Oberfläche funkelten. Ich stand am Ufer und sah ihm zu, die Hände in den Taschen, den Wind in den Haaren und das Herz voller Glück.

Es war nicht bloß ein Eisvogel auf dem Bild. Für mich war es der Damalsvogel. Ein Andenken an eine frühere Zeit.

»Du träumst ja schon wieder!«

Ich schrak zusammen. Frau Meier stand vor meinem Tisch. Ihre Augen waren nur noch schmale Schlitze.

»Bist du mit deinen Aufgaben fertig?«

Stumm schüttelte ich den Kopf.

Die Lehrerin gab einen verärgerten Laut von sich. »Ich kann deine Unaufmerksamkeit nicht mehr dulden. Bitte sag deinen Eltern, dass sie demnächst in meine Sprechstunde kommen sollen. Ich wollte schon längst einmal mit ihnen über deine Mitarbeit reden.«

Ich fühlte, wie ich erblasste. Ich stotterte eine Entschuldigung, verhaspelte mich dabei und brachte keinen vernünftigen Satz zustande.

Das Gesicht der Lehrerin blieb eisern. »Du bildest dir vielleicht ein, dass eine kleine Standpauke zuhause ein Weltuntergang sei. Aber ich sage dir, dass es dir nur mal ganz gut tun wird, wenn dir deine Eltern Bescheid geben.«

»Nein, ich habe keine Angst vor Ärger, ich-« Ich biss mir auf die Lippen, dass es schmerzte. Frau Meier würde keine Rücksicht nehmen, das wusste ich. Kannte sie Kummer? Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht. Vielleicht nicht so gut, wie Ma und Pa ihn kannten. Verzweifelt wich ich ihrer harten Miene aus, während ich mich um die passenden Worte bemühte. Mein Blick traf den Damalsvogel und die Idylle dahinter. So schönes Gefieder ...

»Starr das dumme Bild nicht so an, sondern sieh mir in die Augen, wenn ich mit dir spreche!«

»Ich, ich ...«, stammelte ich.

Frau Meier fuhr mir über den Mund. »Wenn du glaubst, dass du mir so davonkommst ...«

Ein Pfeifen ließ den Redefluss der Lehrerin verstummen. Verwirrt schaute sie auf, doch das Geräusch verhallte sogleich wieder. Nach einem kurzen Zögern wandte sich Frau Meier erneut an mich. Ich konnte sie nur noch mit aufgerissenen Augen anstarren.

»Wie ich eben sagte-«

Pfeifen.

Abermals stockte die Lehrerin. Ich zitterte. Der hohe Ton klang geisterhaft in dem großen Klassenzimmer. Frau Meier suchte mit den Augen den Raum ab. Für einen Moment war alle Souveränität verschwunden. Mein Blick fuhr zum Fenster - geschlossen. Ich ließ ihn weiterschweifen, über den Boden, die Tische, die Schränke, die Tafel, die Wände, das Bild - das Bild.

So schönes Gefieder. So schöne Farben. So schöner Gesang.

Er hielt den Kopf noch höher als zuvor und stieß ein silberhelles Pfeifen aus. Die Wassertropfen glitzerten auf seinen seidigen Federn und mit rasendem Herzen bemerkte ich auf einmal das sanfte Schaukeln des Zweiges, auf dem er saß.

Ein Keuchen ließ mich herumfahren. Aus dem Gesicht der Lehrerin war alles Blut gewichen.

»Wie kann das sein ...«, flüsterte sie heiser. Ich atmete tief durch.

So gelassen wie möglich fragte ich: »Was denn?«

Sie krächzte und deutete mit bebendem Arm auf das Bild.

»Das Pfeifen«, hauchte sie. »Das Pfeifen.«

Ich kämpfte um Beherrschung. »Ich höre nichts«, erwiderte ich. »Was für ein Pfeifen? Was soll mit dem Bild sein?«

Vielleicht waren es Sekunden, vielleicht waren es Minuten, die vergingen, bis sich Frau Meier auf einen Stuhl sinken ließ und mich zu sich winkte.

»Es ... es geht mir nicht gut«, sagte sie so leise, dass ihre Stimme in der sanften Melodie beinah unterging. »Dein Bus kommt gleich. Warte draußen. Ich muss ... ich werde wohl krank.« Sie sah mich an. "Sag deinen Eltern, dass ich noch nicht weiß, wann ich sie sprechen kann. Vielleicht ...« Sie schüttelte den Kopf. »Geh jetzt bitte.«

Ich ergriff meine Tasche und verließ das Klassenzimmer. Kurz bevor ich die Tür schloss, blickte ich noch einmal auf das Bild. Und mir war, als blicke er von dort zurück.

 

Hallo Ginny-Rose!
Eine schöne Geschichte. Konnte mir den Eisvogel bzw. das Bild sehr gut vorstellen. Hatte gehofft das Lydia das Bild bekommt, aber die Erinnerung zählen!

Habe ich sehr gerne gelesen...

Eine kleine Anmerkung:

"Seine Unterseite leuchtete in den Farben des Sonnenunterganges im Hintergrund. "
(hört sich mMn etwas eigenartig an, als wenn die Unterseite des Vogels im Hintergrund wäre)

Der Titel gefällt mir übrigens irre gut!

LG Ulrike

 

Hallo Ginny,
der Damalsvogel, ein sehr einfallsreicher Titel, der neugierig macht.:)
Auch die Erklärung des Damalsvogels, was er für die Prot bedeutet, hat mir sehr gut gefallen. Sie assoziiert damit eine glückliche Zeit in ihrer Vergangenheit,als es ihrer Mutter noch gut ging (ist sie jetzt tot?)und die Familie glücklich zusammen war.
Warum ist der Gedanke, dass die Lehrerin mit ihren Eltern sprechen will, so schrecklich für sie?
Weil ihre Mutter tot ist? Das hab ich nicht so ganz verstanden.
Der Schluss ist etwas merkwürdig, hätte auch gut in die Rubrik Seltsam gepasst. Hat sie sich so in das Bild hineingesteigert, dass sie das alles nur träumt, dass der Vogel ihr sozusagen hilft, zu verhindern, dass die Lehrerin weiter nach ihren Eltern fragt?
Denn real ist es ja nicht, was da passiert. Hm, das lässt mich jetzt etwas ratlos zurück. :(
Vielleicht hilfst Du mir mal auf die Sprünge.
Auf jeden Fall, war es interessant zu lesen.
Eine kleine Sache ist mir noch aufgefallen:
"Frau Meier suchte mit den Augen durch Raum ab."
entweder durchsuchte mit den Augen den Raum oder suchte mit den Augen den Raum ab.;)

LG
Blanca

 
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Huhu ihr Beiden.

Danke für's Lesen und kommentieren. Bin mir selbst nicht sicher bei der Story, hab sie mehrmals umgeschrieben und freu mich deswegen, wenn sie euch gefällt.

@Joker:

hört sich mM etwas eigenartig an
Ich hab's ein bisschen verändert, hoffe es klingt jetzt besser.

@Blanca: Ich bin ehrlich gesagt nicht ganz glücklich mit der Rubrik hier, an "Seltsam" hatte ich auch gedacht, vielleicht wäre sie da besser aufgehoben ...
Wegen den Eltern: Hab ich bewusst offengelassen. Die Mutter ist nicht tot, es geht ihr halt nicht gut, vermutlich hat sie eine Krankheit. Lydia möchte nicht, dass die Lehrerin mit ihren Eltern spricht, weil es ihnen beiden nicht gut geht - Vater arbeitslos, Mutter krank o.ä.
Ich geb dir aber Recht, wenn du meinst dass das nicht deutlich genug rüberkommt. Ich bin mir nur noch nicht sicher, wie ich das dezent in die Geschichte einbauen kann, deswegen habe ich es erstmal so gelassen. Lydia möchte einfach nicht, dass sie ihren Eltern noch zusätzlichen Kummer bereitet.

Hat sie sich so in das Bild hineingesteigert, dass sie das alles nur träumt, dass der Vogel ihr sozusagen hilft, zu verhindern, dass die Lehrerin weiter nach ihren Eltern fragt?
Denn real ist es ja nicht, was da passiert.
Ist es nicht? Ich weiß es nicht. Und Lydia weiß es vielleicht auch nicht. ;-)

edit: Ich hab was Neues eingefügt an der Stelle, wo die Lehrerin ihr droht mit den Eltern zu sprechen und zwar:

Frau Meier würde keine Rücksicht nehmen, das wusste ich. Kannte sie Kummer? Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht. Vielleicht nicht so gut wie Ma und Pa ihn kannten.
Ich hoffe, das ist nicht zu plakativ.

Danke für die schnellen Rückmeldungen.

Grippy, äh, Ginny :sicko:

 

Hallo Ginny,
jetzt ist es viel klarer mit den Eltern, gefällt mir viel besser so. :)
LG
Sylvia

 
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Hallo Ginny!

Eine schöne Geschichte, die ich gerne gelesen habe.
Der fast melancholische Unterton passt zur Story, die sich gut lesen lässt. Es fiel mir nicht schwer, mich in die Protagonistin hineinzuversetzen. Der Schluss rückt die ganze Story ins Geheimnisvolle, was mir sehr gut gefallen hat.

Sprachlich fand ich den Text weitgehend gelungen. An ein paar Stellen könntest du aber noch ein bisschen feilen:

„Den Kopf hielt er stolz erhoben und zuweilen glaubte ich beinahe
>>> „zuweilen beinahe“ ist hier vielleicht etwas „überformuliert“

„Erst einmal hatte ich einen wirklichen Eisvogel gesehen.“
>>> Formulierung passt nicht, finde ich.
Vielleicht „Erst einmal hatte ich einen richtigen Eisvogel in freier Natur gesehen“ oder so.

„Pa besaß noch seine Arbeit“
>>> kann man „Arbeit besitzen“?
Besser: „Pa hatte noch Arbeit“ oder „Pa hatte noch einen Arbeitsplatz/Job“

„Bitte sage deinen Eltern, dass sie demnächst“
>>> Das „e“ spricht eigentlich niemand; besser einfach „ Bitte sag deinen Eltern“

„Ich wollte schon längst einmal mit ihnen über deine Mitarbeit geredet haben.«“
>>> Auch so spricht doch niemand. Warum nicht einfach „Ich wollte schon längst einmal mit ihnen über deine Mitarbeit reden“?

„Verzweifelt wich ich ihrer harten Miene aus“
>>> Man weicht eher einem Blick aus, nicht einer Miene bzw. einem Gesichtsausdruck

„Nach einem kurzen Zögern wandte sich Frau Meier erneut zu mir.“
>>> Hat sie sich vorher abgewandt? Sie wurde doch nur kurz abgelenkt.
Außerdem wenig elegante Formulierung, besser wäre „wandte sich erneut mir zu".

„Vielleicht waren es Sekunden, vielleicht waren es Minuten die vergingen“
>>> Komma: ...waren es Minuten, die vergingen“

Und dann noch etwas Technisches:
Bei den Dialogen würde ich erklärende Sätze immer der wörtliche Rede zuordnen, das heißt, Erklärungen, die die Protagonistin betreffen dem Absatz mit der wörtlichen Rede der Protagonistin zuordnen und Erklärungen, die die Lehrerin betreffen, deren Dialogsätzen.

So hast du es gemacht:

»Bist du mit deinen Aufgaben fertig?«

Stumm schüttelte ich den Kopf. Die Lehrerin gab einen verärgerten Laut von sich.

»Ich kann deine Unaufmerksamkeit nicht mehr dulden. Bitte sage deinen Eltern, dass sie demnächst in meine Sprechstunde kommen sollen. Ich wollte schon längst einmal mit ihnen über deine Mitarbeit geredet haben.«

Ich fühlte, wie ich erblasste. Ich stotterte eine Entschuldigung, verhaspelte mich dabei und brachte keinen vernünftigen Satz zustande. Das Gesicht der Lehrerin blieb eisern.

»Du bildest dir vielleicht ein, dass eine kleine Standpauke zuhause ein Weltuntergang sei. Aber ich sage dir, dass es dir nur mal ganz guttun wird, wenn dir deine Eltern Bescheid geben.«

»Nein, ich habe keine Angst vor Ärger, ich-« Ich biss mir auf die Lippen, dass es schmerzte. Frau Meier würde keine Rücksicht nehmen, das wusste ich. Kannte sie Kummer? Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht. Vielleicht nicht so gut, wie Ma und Pa ihn kannten. Verzweifelt wich ich ihrer harten Miene aus, während ich mich um die passenden Worte bemühte. Mein Blick traf den Damalsvogel und die Idylle dahinter. So schönes Gefieder ...

»Starr das dumme Bild nicht so an, sondern sieh mir in die Augen, wenn ich mit dir spreche!«

»Ich, ich ...«, stammelte ich. Frau Meier fuhr mir über den Mund.

»Wenn du glaubst, dass du mir so davonkommst ...«


So fände ich es besser:

___________________________________________

»Bist du mit deinen Aufgaben fertig?«

Stumm schüttelte ich den Kopf.

Die Lehrerin gab einen verärgerten Laut von sich. »Ich kann deine Unaufmerksamkeit nicht mehr dulden. Bitte sage deinen Eltern, dass sie demnächst in meine Sprechstunde kommen sollen. Ich wollte schon längst einmal mit ihnen über deine Mitarbeit geredet haben.«

Ich fühlte, wie ich erblasste. Ich stotterte eine Entschuldigung, verhaspelte mich dabei und brachte keinen vernünftigen Satz zustande.

Das Gesicht der Lehrerin blieb eisern. »Du bildest dir vielleicht ein, dass eine kleine Standpauke zuhause ein Weltuntergang sei. Aber ich sage dir, dass es dir nur mal ganz guttun wird, wenn dir deine Eltern Bescheid geben.«

»Nein, ich habe keine Angst vor Ärger, ich-« Ich biss mir auf die Lippen, dass es schmerzte. Frau Meier würde keine Rücksicht nehmen, das wusste ich. Kannte sie Kummer? Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht. Vielleicht nicht so gut, wie Ma und Pa ihn kannten. Verzweifelt wich ich ihrer harten Miene aus, während ich mich um die passenden Worte bemühte. Mein Blick traf den Damalsvogel und die Idylle dahinter. So schönes Gefieder ...

»Starr das dumme Bild nicht so an«, sagte Frau Meier, »sondern sieh mir in die Augen, wenn ich mit dir spreche!«

»Ich, ich ...«, stammelte ich.

Frau Meier fuhr mir über den Mund. »Wenn du glaubst, dass du mir so davonkommst ...«

__________________________________________

Ich hoffe, du verstehst, wie ich es meine.


Der Titel gefällt übrigens auch mir gut. :)

Viele Grüße
Christian

 
Zuletzt bearbeitet:

Juhu Christian.

Danke für die ausführliche Kritik - da hab'sch stilistisch mal wieder ganz schön rumgemurkst. :-(
Deien Vorschläge habe ich fast alle übernommen, bei anderen Stellen überleg ich noch mal genauer was ich damit mache, ehe ich verschlimmbessere ...
Aber schön, wenn dir der Inhalt gefallen hat. :-)

Eigentlich wollte ich heute zu Halloween ja ne neue Horrorstory liefern, aber die ist nicht rechtzeitig fertig geworden - same procedure as every year ... :-/

Gruselige Grüße,
Ginny

 

Hallo Ginny,

eine schöne und ruhige Geschichte ist dir gelungen. Trotz der Kürze hast du durch die gelungenen Beschreibungen und Assoziationen rund um das Bild eine dichte Atmossphäre geschaffen – wirklich gut. :thumbsup:

Detailanmerkungen:

Ich spürte noch den einen oder anderen Blick meiner Mitschüler auf mir ruhen, aber das kümmerte mich nicht. Man gewöhnt sich daran.
Gefällt mir gut, wie du hier unter Verzicht auf voluminöse Erklärungen durch diesen einen Satz deutlich machst, daß sie häufig ihren melancholischen Träumereien nachgeht. Dafür hätte ich selbst in 80% der Fälle wahrscheinlich wieder eine ganze Seite verbraten :D

Ma ging es damals noch gut, Pa hatte noch seine Arbeit und es wurde viel gelacht.
Das schlägt in die gleiche Kerbe. Ihrer Mutter geht es also nicht mehr gut (wobei mir gar nicht so wichtig ist, warum), ihr Vater hat also keine Arbeit mehr – und gelacht wird auch nicht mehr viel. Mir reichen diese äußerst knappen Informationen, weil man mit ein wenig Phantasie genug herauslesen kann, um die wehmütige Verträumtheit des Mädchens nachvollziehen zu können.

Ich stand am Ufer und sah ihm zu, die Hände in den Taschen, den Wind in den Haaren und das Herz voller Glück.
Schöne Formulierung.

Es war nicht bloß ein Eisvogel auf dem Bild. Für mich war es der Damalsvogel. Ein Andenken an eine frühere Zeit.
Noch viel schönere Formulierung. Mit gefällt das Wort „Damalsvogel“ extrem gut. Ich könnte nicht sagen, warum, aber es schwingt viel Melancholie darin mit. So muß das sein :)

dass es dir nur mal ganz guttun wird,
Bißchen Mecker: schreibt man das nicht auseinander? Zusammengeschrieben könnte es glattweg aus einem timbuktanischen Reiseführer stammen – vielleicht irre ich mich ja, aber das Wort sieht zu witzig aus, als daß es so geschrieben sein sollte. Hm...

Ich ließ ihn weiterschweifen, über den Boden, die Tische, die Schränke, die Tafel, die Wände, das Bild - das Bild.
Diese Wortwiederholung am Schluß ist genau mein Ding! :)

So schönes Gefieder. So schöne Farben. So schöner Gesang.
Diese immer wiederkehrenden kurzen Sätze haben einen ganz eigenen Charme. Ich wiederhole mich: gefällt mir sehr gut.

Ein Keuchen ließ mich umfahren.
Straßenschilder und dösige Passanten fährt man um. Müßte es nicht richtigerweise „herumfahren“ heißen? :D

So schönes Gefieder. Seine Oberseite schillerte in einem kalten Aquamarinblau, so blau wie das Wasser, in das er sich jeden Moment wieder stürzen würde. Seine Unterseite leuchtete in den Farben des Sonnenunterganges, der im Hintergrund zu sehen war. Den Kopf hielt er stolz erhoben und zuweilen glaubte ich beinahe, den Zweig auf dem er saß wippen zu sehen, so lebensecht wirkte das Bild. Ich liebte es und konnte im Unterricht kaum die Augen davon abwenden.
»Lydia?«

Das Beste zum Schluß. Kurz und dennoch bereits mit viel Atmosphäre ist der erste Absatz gestaltet und bringt eine Menge an Informationen mit.
Das Mädchen heißt Lydia, sitzt im Unterricht, betrachtet ein Bild, auf dem ein Vogel auf einem Zweig sitzt, vor ihm Wasser, hinter ihm ein Sonnenuntergang – und ein farbenprächtiges Federnkleid hat er. Das hast du verdammt gut umgesetzt. Da werde ich jetzt einfach mal grün vor Neid. Wirklich gelungen :thumbsup:

So, das muß jetzt dann aber auch reichen. Ich habe die Geschichte sehr gerne gelesen, und hoffentlich kommt bald was Neues von dir. Natürlich auch in Horror. Vielleicht ja mal eine richtig laaaaange Geschichte, bei der ich schön lecker Spekulatius in den Kaffee tunken kann, während ich sie lese :)
Gib dich ´nen Ruck.

Gruß,
Somebody

 

Hallo Ginny!

Mir hat Deine Geschichte sehr gut gefallen. Vor allem das Bild, den Vogel beschreibst du mit so vielen liebevollen Details, dass er sogar in meiner Vorstellung lebendig wird. Dir ist eine dichte Geschichte gelungen, Lydias Gefühle und Gedanken werden greifbar. Die Lehrerin kommt für mich etwas zu stereotyp rüber, bleibt etwas blass. Normales, huntermal beschriebenes Verhalten, auch ihre Reaktion auf die Lebendigkeit des Eisvogels keine Überraschung.
Ansonsten aber toll. Und sehr gerne gelesen…. :)

Liebe Grüße
Anne

 

Hallo Ginny!

Ich kann mich meinen Vorrednern nur anschließen.
Die Geschichte ist dir sehr gut gelungen. :thumbsup:
Neugierig gemacht, wurde ich durch den Titel, der absolut passend ist. Zumal der Bezug in der Geschichte einleuchtend rüber kommt. Habe sie gern gelesen. :)

LG
die Piratin

 

Hallo Ginny- Rose,

Deine Geschichte ist gelungen, mit der Wendung, dass der Eisvogel lebendig wird, habe ich nun wirklich nicht gerechnet. `Cool´ ist auch die ´coole´ Reaktion des Mädchens, die plötzlich gar nicht mehr in die Defensive gedrängt erscheint- in Bezug auf Träume kennt sie sich einfach besser aus als die Lehrerin…

Zitat:
„zuhause ein Weltuntergang“ - aufgrund des folgenden Satzes müsste es wohl `kein Weltuntergang´ heißen?

Tschüß… Woltochinon

 

Hi Ginny,

meine Vorredner haben fast alle gemeckert, ich wollte nur sagen, dass ich die Geschichte toll fand. Hat mich sehr mitgerissen - wie gut ich das kenne, mich in ein Bild hineinzuträumen! Weiter so!

Verträumte Grüße
Vita

 
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So, endlich komme ich mal zum Antworten ...
Danke erstmal für alle Kommentare.

@Some: Über deine Kritk hab ich mich besonders gefreut. Nach dem Chat und meiner dezenten Werbung :D hatte ich zwar damit gerechnet, dass du sie liest, aber weil ich ja ziemlich unsicher war nicht unbedingt mit positiven Resonanzen gerechnet ... freut mich umso mehr, dass die Geschichte bei dir ganz genauso ankam, wie sie gedacht war ... vor allem das mit den wenigen Informationen, die genügen sollen/müssen, damit der Leser sich sein Bild über die Hintergründe macht.

@Wolto:

"zuhause ein Weltuntergang" - aufgrund des folgenden Satzes müsste es wohl `kein Weltuntergang? heißen?
Das ist schon so gedacht wie es da steht, auch wenn ich die Missverständlichkeit nachvollziehen kann - die Lehrerin meint also, Lydia habe Angst vor Ärger zuhause, obwohl es gut für sie sei, wenn ihre Eltern mal ein ernstes Wort mit ihr reden würden ...

@Maus, Piratin, vita, Fugalee Page: Danke!

Ginny

 

Hallo Ginny!

Seit ich den Titel irgenwo entdeckt hatte, wollte ich diese Geschichte lesen.
Und ich muß sagen, es hat sich gelohnt. Eine wirklich schöne Erzählung, in der man sich verlieren kann, wie sie in dem Bild.

Den Ausdruck "Damalsvogel" finde ich gelungen. Auch der Rest des Textes macht dem alle Ehre.
Sehr schön hast Du eine sehr ruhige und gleichmäßige Sprachmelodie hineingelegt, die die Situation unterstreicht.
Ich glaube, fast jeder kennt die Situation, in der Schule - oder sonstwo - von etwas abgelenkt zu sein, das einen unwiderstehlich anzieht.
Und jeder hat dafür unterschiedliche Gründe.

In Deiner Geschichte ist es aber nicht ein einseitiges Ansehen des Bildes, sondern ein Dialog mit der Erinnerung. Sogar im rettenden Moment.

Ich habe so gar nichts auszusetzen, ich habe den Text einfach nur gern gelesen. Also: :thumbsup:

Lieben Gruß,

Frauke

PS: mir fällt grad ein, woran mich der "Damalsvogel" zuerst erinnert hat: als Kind hab ich mal ein Buch gelesen, das "Fundevogel" hieß. Darin ging es um Wattenmehr, ein kleines Mädchen, Findelkind, und viel Melancholie, wenn ich mich recht erinnere.


PS: dies ist mein Beitrag 1900. Ich bin im 20. "Jahr"hundert angekommen. Yeepee!

 
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Hi Ginny,

hab die Geschichte auch wegen des schönen Titels angeklickt und bin nicht entäuscht worden. Ich mag Geschichten, die in diese Zwischendimension abdriften (nicht negativ gemeint :) ). Die tolle Beschreibung des Bildes zu Beginn hat es mir angetan, konnte es gut vor eigenen Augen sehen. Ebenso gut gezeichnet ist der zerbrechliche Charakter des Mädels, der durch diese unerwartete Unterstützung an Halt gewinnt. Da wünsche ich mir, es würde in jedem Leben mal so etwas passieren.
Was den leicht stereptypen Touch der Lehrerin angeht, hat Maus recht, aber die Szene verlangt genau nach diesem Gegenpol, der Krise, die den magischen Moment ja erst leben lässt.

Der Dialog während des Pfeifens

»Das Pfeifen«, hauchte sie. »Das Pfeifen.«

Ich kämpfte um Beherrschung. »Ich höre nichts«, erwiderte ich. »Was für ein Pfeifen? Was soll mit dem Bild sein?« [...]

hätte eventuell auch gar nicht so direkt sein müssen. Das die Lehrerin wg. des Pfeifens so verwirrt ist, wird aus dem Text klar, vielmehr hätte ich mir eine kurze gedankliche Aufarbeitung des Geschehens durch Lydia vorstellen können (in nicht unbedingt klaren Gedankengängen): kurzer Bezug auf Hoffnung, die dieser Moment gibt, evtl. eine Abtrennung zw. Leuten, die diese Momente wohl nie erleben werden (wie z.B. der Lehrerin) und ihr selbst, die auch in ihrer schwierigen Lebenslage (z.B. ihre Position in der Klasse) schöne Momente ihres Lebens halten und nutzen kann.

Aber das wäre nur ne Alternative: so finde ich Idee und Umsetzung sehr schön und: klasse Titel!

Gruß, baddax

 

Hallo Ginny!

Auch mir fiel, als ich den Titel las, der "Fundevogel" ein.

Dir ist eine sehr stimmige, stilsichere und melancholische Geschichte gelungen, die ohne große Um- und Beschreibungen ausgezeichnet die Atmosphäre und die Gedanken der Protagonistin darstellt.

Das Lebendigwerden des Vogels empfand ich als geniale Idee.

Habe die Geschichte gern gelesen, hat mir wirklich gefallen.

LG Aragorn

 

Liebe Ginny,

Deine Geschichte vom "Damalsvogel" gefaellt mir wirklich sehr gut! Sie ist stimmig, phantastisch (im wahrsten Sinne des Wortes) und spricht mich auch mit ihrer Melancholie 100%ig an. Und der Titel passt haargenau!

Viele Gruesse

Jabberwock

 
Zuletzt bearbeitet:

Puh....sorry für die verspätete Antwort ... ich hoffe der Weihnachtsmann bringt mir n' bisschen Zeit für's nächste Jahr ...

@arc: Danke für's "Rauskramen" der Geschichte! Freut mich sehr, dass dir der Text gefallen hat. Der Titel ist natürlich ein Eyecatcher, nicht ganz so gewöhnlich wie die meisten meiner anderen und spukte schon seit Monaten in meinem Kopf herum, bis ich endlich dazu kam, die Story dazu niederzuschreiben.
Jetzt wo du es sagst fällt mir auch der "Fundevogel" ein, der stand allerdings nicht Pate.

@baddax: Was den direkten Dialog betrifft, da setze ich mich nochmal dran und überlege ... gefällt mir eigentlich auch nicht, es so plakativ zu gestalten, vielleicht finde ich eine bessere Lösung, die subtiler ist.

@Aragorn und Jabberwock: Danke!

Ginny :xmas:

 
Zuletzt bearbeitet:

Liebe Ginny!

Eine schöne, stimmige Geschichte, die einerseits melancholisch bis traurig ist, andererseits scheint mir auch irgendwie so ein kleiner Rachegedanke dahinter zu stecken, indem der Vogel der Lehrerin Übelkeit verschafft für ihre bösen Blicke, ihre Strenge und dafür, daß sie die Eltern sprechen will. Kennst Du das Sprichwort (oder was auch immer das ist) »Kleine Sünden werden sofort bestraft …«? Das ist mir am Schluß eingefallen...:lol:

Auf jeden Fall gefällt sie mir, auch wenn ich noch einiges zum Anmerken habe: ;)

»Seine Oberseite schillerte in einem kalten Aquamarinblau, so blau wie das Wasser«
– irgendwie stört mich die Wiederholung von „blau“, Vorschlag: Seine Oberseite schillerte aquamarinblau, so kalt wie das Wasser, …

»Seine Unterseite leuchtete in den Farben des Sonnenunterganges, der im Hintergrund zu sehen war.«
– also eigentlich leutet dann ja nicht die Unterseite, sondern sie reflektiert nur, oder? Würde schreiben: Seine Unterseite reflektierte die leuchtenden Farben des Sonnenunterganges

»zuweilen glaubte ich beinahe«
– etwas „zuweilen“ zu glauben, finde ich ja ok, aber „beinahe“ ist zuviel, würde das streichen

»Erst einmal hatte ich einen lebendigen Eisvogel gesehen.«
– einen lebenden Eisvogel (ohne -ig-) – finde aber die Formulierung nicht so toll, die von criss hat Dir scheinbar nicht gefallen, mein Vorschlag: Erst einmal hatte ich Gelegenheit, einen Eisvogel zu beobachten.

»»Ich wollte schon längst einmal mit ihnen über deine Mitarbeit reden.«
Ich fühlte, wie ich erblasste. Ich stotterte eine Entschuldigung,«
– viermal „Ich“ in drei kurzen Sätzen, davon drei am Satzbeginn, finde ich zu viel

»Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht. Vielleicht nicht so gut, wie«
– die ersten beiden „Vielleicht“ finde ich ja passend so, aber das dritte könntest Du evtl. durch „Vermutlich“, „Möglicherweise“ oder „Wahrscheinlich“ ersetzen, persönlich würde ich zu „Sicher“ greifen … ;)

»Verzweifelt wich ich ihrer harten Miene aus,«
– ähm, ich stimme auch hier criss zu…;)

»»Ich, ich ...«, stammelte ich.«
– würde „stammelte ich“ streichen, da es nur zur Wiederholung von „Ich“ führt, dem Leser aber auch so klar ist, wer hier »Ich, ich …« stammelt.

»Frau Meier fuhr mir über den Mund.«
– das ist mir zu umgangsprachlich

»doch das Geräusch verhallte sogleich wieder.«
– verhallen ist eigentlich eher langsam als sogleich, so wie ein Echo immer leiser wird, bis man es nicht mehr hört. Besser wäre hier „verstummte“

Liebe Grüße,
Susi :)

 

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