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Der Dachboden

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08.09.2001
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Der Dachboden

An diesem Abend Mitte Februar lag Samantha wach in ihrem Bett, die Augen weit geöffnet. Sie starrte an die Zimmerdecke. Ihr Herz pochte schnell in ihrer Brust. Sie hatte Angst.
Angst.
Ihre Eltern und ihr Bruder waren vorhin weggefahren, wohin wusste sie nicht, nur, dass sie Morgen früh wiederkommen wollten. Bis dahin war sie allein. Gut, nicht ganz allein, Fiona war ja noch da, die hässliche und pickelige Siebzehnjährige, die ihre Eltern als Babysitterin angeheuert hatten und die mit einem Glas Cola im
Wohnzimmer saß und sich das Abendprogramm im Fernsehen ansah. Aber hier in ihrem Zimmer, da war sie allein.
Samantha streifte die schwere Bettdecke zur Seite und rollte sich aus dem Bett. Sechs Jahre war sie alt, ein ganz normales Mädchen, mit langem blonden Haar, das bei Sonnenlicht golden glänzte.
Aber hier gab es kein Licht.
Sie tastete nach dem Schalter der kleinen Lampe auf ihrem Nachttisch. Erleichtert stellte sie fest, dass die Glühbirne aufleuchtete. In ihrem Schein konnte sie das Zimmer überblicken, ihr großes Schlafzimmer mit den hohen Bücherregalen und ihrem Spielzeug auf dem Boden. Sie ging zum Fenster und warf einen Blick durch die Jalousien nach draußen.

...

Der Garten... Wo ist der Garten? Ach, bin ich dumm, ich kann ihn nur nicht sehen, weil es dunkel ist! Das ist es! Im Sommer wird er wieder schön grün sein und ich kann mit Bobby draußen spielen. Hoffentlich kommen Bobby und Mama und Papa bald zurück, ich will nicht länger mit Fiona alleine sein. Fiona ist blöd. Ihre Geschichten sind blöd.
Sie macht mir Angst, die blöde Fiona mit ihren blöden Geschichten. Sie will mir ja Angst machen, aber jetzt hab ich Angst. Dabei haben wir vorhin so schön "Mensch ärgere dich nicht" gespielt und ich hab gegen die blöde Fiona gewonnen.
Und dann hat sie mir die Geschichte von unserem Dachboden erzählt. "An deiner Stelle würde ich nicht mehr da hochgehen. Euer Dachboden, der ist nämlich verflucht!" Ein Fluch auf dem Dachboden, der jeden töten sollte, der sich einmal in ihm aufgehalten hatte? Fiona ist so dumm. Müssten dann Mama und Papa nicht schon tot sein?
Obwohl...
Waren sie überhaupt mal dort oben gewesen? Ich kann mich nicht erinnern. Vielleicht ist doch was dran an Fionas Geschichte? Ach, Blödsinn, woher sollte Fiona denn was davon wissen? Das hat sie doch nur erfunden, um mir Angst zu machen!
Oder doch nicht?

...

Die Neugier und Ungewissheit nagten ebenso an ihr wie ihre Angst. Sie konnte doch nur Klarheit gewinnen, wenn sie da oben nachsah, wenn sie da hinging und nachprüfte, ob das stimmte, was Fiona gesagt hatte, ob da wirklich eine Truhe stand, in der ein früherer Besitzer des Hauses lag, der einen Fluch auf das Haus ausgesprochen hatte.
Aber wenn es stimmt, muss ich sterben!
Und wenn sie nicht nachsah, musste sie ewig mit der Ungewissheit leben. Verdammt, was für eine Zwickmühle!
Dann, plötzlich, entschied sie sich. Sie wollte nach oben gehen um sich zu überzeugen, dass Fiona dummes Zeug geredet hatte. Sie löste ihren Blick vom Fenster und der schwarzen Nacht und ging zur Tür. Mit beiden Händen drückte sie die Klinke herunter und zog die Tür leise auf. Fiona sollte bloß nichts merken, die sollte denken, dass sie friedlich in ihrem Bett lag und schlief.
Aber Samantha schlief nicht, sie lief durch den langen Flur, an den Schlafzimmern ihrer Eltern und ihres Bruders vorbei, vorbei an dem blau gekachelten Badezimmer, hin zur Holztreppe, die auf den Dachboden führte. Sie eilte die Stufen hinauf und blieb dann stehen. Sie drückte die Luke auf und hielt den Atem an. Jetzt gab es kein zurück mehr.
Es gibt kein zurück mehr!
Der Dachboden war genauso dunkel wie ihr Zimmer. Aber, auf irgendeine Art und Weise, empfand sie die Dunkelheit hier viel bedrohlicher, angsteinflößender.
Sie tastete nach einem Schalter, fand aber zuerst keinen. Als sie ihn dann endlich drückte, ging das Neonlicht an der Decke mit einem Flackern an und mit einem Mal konnte sie das ganze Zimmer sehen.
Nur Kisten von einem Umzug und allerlei Gerümpel.
Keine Truhe mit einem Toten.
Samantha war froh. Ihr schnell schlagendes kleines Herz beruhigte sich langsam wieder. Alles war in Ordnung, Fiona hatte sie angelogen. Die dumme, hässliche Fiona!
Plötzlich erstarrte Samanthas ganzer Körper. Was war das gewesen? Dort hinten, bei einer der Pappkisten?
Eine Bewegung!
Die Angst war wieder da, mit einem Schlag.
Eine Bewegung! Verdammt, eine Bewegung!
Wer war das? Oder spielte ihre kindliche Phantasie ihr einen Streich? Nein, da war etwas! Einen Moment war sie unentschlossen, ob sie in ihr warmes, sicheres Bett flüchten oder der Sache auf den Grund gehen sollte. Die Entscheidung wurde ihr abgenommen. Sie sah wieder eine Bewegung.
Sie stieß einen kleinen Schrei aus.
Sie riss ihre kleinen Hände zum Schutz vor das Gesicht.
Sie machte einen Schritt nach hinten, wobei sie vergessen hatte, dass sie immer noch auf der Treppe stand.
Die Maus, die Samantha gesehen hatte, verschwand wieder hinter einer der Kisten.
Samantha schrie.
Sie fiel.
Sie schlug hart auf.
Sie brach sich das Genick.
Sie starb.

 

Hi Leute!

Meine erste Geschichte, die ich hier veroeffentliche!

Ich hoffe, dass sie euch gefaellt...

Aber auch wenn nicht, ueber Kritik bin ich immer sehr dankbar... Danke, schon mal im Voraus!

Bin gespannt auf kommende Diskussionen...

Slick Nick
:)

 

Hallo Slick Nick,

eine nette kleine Geschichte über einen tragischen Unfall, der sich aus der erhitzten Fantasie eines sechsjährigen Kindes erklären lässt.

Was mir gefällt, ist die sorgsame Handhabung des Perspektivenwechsels. Es beginnt im neutralen Erzählstil, einer Art Erzählbericht, dann wechselst du in die Froschperspektive über. Das eingeschränkte Gesichtsfeld einer Sechsjährigen ist die Basis für die Spannung, die sich nun entfaltet. Entsprechend kommt dann die Ich-Form, in der der Leser quasi ins Bewusstsein des Kindes hineingenommen wird.

Die Erform am Ende ist eigentlich eine Wiederaufnahme des Anfangs, aber doch nicht. Es scheint, als habe der Erzähler nun das beschränkte Gesichtsfeld des Kindes übernommen. Kurze Sätze, eine abgebrochener Telegrammstil, bringt gegen Ende Hektik in die Erzählung, die stark an Tempo gewinnt.

Das alles ist recht gut gemacht. Man müsste sich jetzt noch fragen, ob ein übergeordneter Sinn vermittelt werden soll. Aber vielleicht ist das gar nicht nötig. Eine gut erzählte Geschichte trägt ihre Bedeutung in sich selbst.

Hans Werner

 

Super!
Toller Erzählstil, du baust die Spannung sehr gut auf, die Perspektivenwechsel sind in sich schlüssig.
Ich hab richtig einen kleinen Film vor Augen gehabt, als ich die Geschichte gelesen habe. So soll es sein!!!
Gruß,

chaosqueen

 

aloa,

mmmh. ich finde, dass das ende viel zu frueh ersichtlich war. aber wie man das aendern koennte, weiss ich auch nicht.
die geschichte hat also von anfang an irgendwie keine spannung. griff ins falsche kistchen, wuerd ich sagen.

 

Hi Leute!

Ein wunderbares Beispiel, wie verschieden Meinungen doch sein koennen… (Sorry, dass ich keine Umlaute mache, bin im Augenblick in England und die haben sowas nicht auf der Tastatur…)

Danke fuer Lob und Kritik (obwohl ich mich ueber Lob natuerlich mehr freue ;-) Nee, nee, Kritik muss sein).

Schoen, dass es jemandem gefallen hat…

Schade, dass es rearview nicht gefallen hat…

@chaosqueen : Erst mal: cooler Name ;-)!!! Bist du auch so jemand, der um Mitternacht surft, weil’s da billiger und schneller ist??? Cool, dass dir die Story gefallen hat, hab mich ueber das Lob gefreut…

@Hans Werner : Nein, ich hatte keinen grossen Sinn im Kopf, als ich die Geschichte geschrieben hab, die hab ich nur geschrieben, weil ich irgendwie die Idee nett fand(und es schade gewesen waere, keine Story draus zu machen). Ihren Zweck hat sie ja schon erfuellt, da sie von manchen gemocht wird und ich selber Spass beim Schreiben hatte…

Jaja, ich hoer schon auf mit dem Gelaber…

Thx for your replies…

Slick Nick

 

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