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- 02.06.2001
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Der Cyber-Klon
Diese Geschichte ist von einem meiner Lieblingsfilme, "Alien", inspiriert und verwendet einige Elemente daraus bzw. aus dem Roman zum Film.
Es handelt sich dennoch um eine eigenständige Geschichte, eben nur mit einem bekannten Background.
Die Story selbst ist eine meiner ersten auf dem Gebiete der SF.
Die monströs große Halle weckte in ihr Assoziationen an SF-Filme jüngeren Entstehungsdatums. Die Wände waren mit Spiegeln verkleidet, was das ohnehin riesige Innere des Gebäudes um ein Vielfaches in seiner beeindruckenden Titanenhaftigkeit verstärkte.
Alles war sauber, steril wäre vielleicht das sorgfältiger gewählte Wort hierfür gewesen. Tatsächlich verschlug es ihr aber erst dann den Atem, als sie die Apparatur zu Gesicht bekam, welche sich in einer schwarzen Kabine befand.
Sie betrat diese. Etwa drei mal drei Meter im Grundriss, vier Meter hoch. An schier zahllosen Drähten angebracht, baumelte ein einem Taucheranzug nicht unähnliches Kostüm. Jedenfalls sah es wie ein Kostüm aus, absurd schlaff, dehnbar. Sie tastete das Material mit den feuchten Fingern ihrer linken Hand ab.
"Fühlt sich angenehm weich und warm an.“, stellte sie fest.
"Das soll es auch. Übrigens wird die Körpertemperatur permanent darin überprüft, um die Außentemperatur konstant zu halten.", erklärte Aldrich, in dessen Stimme eine nicht unwesentliche Portion Stolz mitschwang. „Es ist an alles gedacht, die Illusion ist perfekt."
"Hoffentlich nicht zu perfekt!", warf Delaine, ihr Berater ein. "Die heutige Jugend lebt sowieso bereits in einer Scheinwelt, konsumiert kritiklos alles, was ihr vorgesetzt wird. Ich möchte wirklich nicht fortschrittsfeindlich klingen, aber das hier macht mir Angst."
Aldrich hob beschwichtigend die Hände. "Oh, es ist Ihr gutes Recht, eine eigene Meinung zu deponieren, aber glauben Sie mir, es können keine Schäden an der Psyche von Jugendlichen oder auch Erwachsenen auftreten. Es ist im Grunde nichts anderes, als ein Abend im Kino."
"Nun, wir werden sehen, was Mrs. Shattner davon hält."
Bei der Nennung ihres Namens wandte sie die Aufmerksamkeit von dem Anzug ab und dem Lizenzbetreiber der neuen Technologie zu. "Ich werde den Behörden einen kritischen Bericht abliefern. In Ihrem Interesse hoffe ich, dass dieses ... Spiel so harmlos ist, wie sie es zu beschreiben pflegen."
"Absolut. Sie werden danach zwar etwas benommen aufgrund der überwältigenden Sinneseindrücke sein, doch das legt sich wieder. Im übrigen denke ich doch, dass es Menschen über 16 Jahren möglich ist, zwischen Illusion und Realität zu unterscheiden."
Sie stieß einen Seufzer aus. "Gut, bringen wir's hinter uns. Was muss ich machen?"
Aldrich ging in die Kabine. Er drückte einen Knopf, woraufhin der Anzug zu Boden glitt und wie eine tote Schlange liegen blieb.
"Ziehen Sie den VR-Anzug einfach an. Haben Sie keine Angst, Sie könnten etwas beschädigen. Selbst einem Vandalen gelänge dies nicht."
Aufmunternd zwinkerte er ihr zu, was ihr etwas unangenehm war.
"Wenn Sie sich dessen so sicher sind, na gut."
Sie schlüpfte in den VR-Anzug. "Passt wie eine zweite Haut.", murmelte sie verwundert.
"Dehnbar, reißfest, an jeden menschlichen Körper anschmiegend.", erläuterte Aldrich grinsend. Nur ihr Kopf war nicht von der schwarzen Haut verschlungen worden.
"Und jetzt?"
Aldrich hielt ihr eine Art riesiger Brille entgegen, an der ein rundes Dutzend Kabel angebracht waren. "Setzen Sie das hier auf, als würden Sie eine Taucherbrille benutzen."
Sie nahm das Ding argwöhnisch entgegen. Ein ellipsenförmiger Ring, im Durchmesser größer als ein menschlicher Kopf, schien als Halterung zu dienen. Sie begann sich zu fragen, ob sie es mit den Händen festhalten müsste. Vorsichtig stülpte sie die Gläser über die Augen.
Surrend passte sich der Ring an die Kopfform an.
"Sie können den VR-Monitor loslassen, er wird nicht runterfallen oder verrutschen."
Tatsächlich war dem so.
"Ich werde nun auf einen Knopf drücken, der die Automatik anstellen wird. Haben Sie keine Angst, Ihnen kann überhaupt nichts passieren."
"Einen Moment, Mister Aldrich. Sie haben mir nicht erklärt, was ich zu tun habe!"
"Ist auch nicht nötig. Entspannen Sie sich, lassen Sie sich völlig gehen, vertrauen Sie dem Computer und vergessen Sie nicht - alles was Sie sehen werden, ist der Cyberspace, jeglicher Realität entrückt."
"Im Moment sehe ich nur Schwärze."
"Gute Reise. Sie werden sämtliche Bedenken Ihrer Kolleginnen und Kollegen ad acta legen, das verspreche ich Ihnen."
Sie zuckte mit den Achseln und wartete ab, was passieren würde. Ein dumpfes, leises Geräusch erfolgte. Vermutlich hatte Aldrich die Kabine verlassen und die Tür war geschlossen worden.
Plötzlich fühlte sie einen sanften Druck, der sie nach oben zu ziehen schien. Vor ihren Augen entstand ein Bild.
Ein sympathisch wirkender junger Mann lächelte in ihr Gesicht und sagte: "Willkommen in der Welt ohne Grenzen! Vergessen Sie all Ihre Probleme, entspannen Sie sich, seien Sie nicht nervös!"
Eine seltsame Schwerelosigkeit umfing sie. So muss sich ein Astronaut fühlen, ging es ihr durch den Kopf, während der junge Mann beruhigend auf sie einsprach. Mit einemmal berührten ihre Füße wieder Boden. Jedenfalls nahm sie das an.
Verwirrt drehte sie sich um. Hinter ihr war – nichts!
Sie nahm den Mann (Eine Illusion des Computers?) in Augenschein.
„Bitte teilen Sie mir nun mit, welches Spiel Sie gerne erleben möchten."
Erleben? Noch ehe Sie diesen Gedanken fassen konnte, präsentierte ihr die Figur grinsend einen Zettel. Dieser war ihr so nahe dass sie vermeinte, die Druckerschwärze riechen zu können.
"Bitte teilen Sie mir Ihren Wunsch mit!", forderte sie die Computerdarstellung freundlich auf.
Acht Titel waren auf dem Zettel aufgelistet. Jeder davon schien ihr dem benebelten Verstand eines Filmregisseurs entsprungen.
"Sind Sie unschlüssig, Misses?", fragte die Figur. "Darf ich Ihnen bei der Auswahl behilflich sein?“
"Was ist ’The Ripper’?", meinte sie und kam sich augenblicklich albern vor.
Die Figur war nicht echt, sondern...
"Es handelt sich hierbei um ein Actionspiel. Sie sind FBI-Agentin Branigan, die eine Mordserie in LA aufklären muss. Allerdings könnten Sie nur allzu leicht in die Rolle des Opfers gedrängt werden..."
"Was ist ‚Alien Attack’?", wollte sie wissen.
"Sie sind an Bord eines terranischen Raumschiffes. Ungewollt schleusen Sie einen tödlichen außerirdischen Organismus an Bord ein. Es hängt von Ihnen ab, ob Sie dieses Wesen besiegen, fliehen oder sterben werden."
Unwillkürlich zuckte sie zusammen. Wahrscheinlich eine Adaption des Filmes ‚Alien’. Immerhin kannte sie den Film, hatte ihn sogar ganz ausgezeichnet gefunden. Warum nicht?
"Überredet. Ich möchte dieses Spiel spielen." Die Miene der Computerfigur verfinsterte sich. "Sie tun mir leid, Misses! Sie haben keine Chance zu überleben!"
Hämisch lachte im Hintergrund eine metallische Stimme. Sally Shattner bekam es mit der Angst zu tun. Dabei hatte das Spiel noch gar nicht begonnen
Wieder wurde es ihr schwarz vor Augen, aber nur ganz kurz. Dann befand sie sich in einem futuristischen Cockpit.
"Was...", sagte sie, unterbrach sich verblüfft selbst und blickte sich um.
Hinter ihr stand ein hünenhafter Mann.
"Schlechte Nachrichten, Captain Shattner. Allem Anschein nach gelingt es uns nicht, das fremdartige Wesen von Mitchells Gesicht zu entfernen."
Sally schrak auf und stieß dabei gegen den Kommandopult. Ein jäher Schmerz durchzuckte sie. "Verdammt. Das tut weh! Aldrich, wenn Sie mich hören, das tut verdammt noch mal weh!"
Der Mann verzog das Gesicht zu einer Grimasse der Überraschung.
"Captain, was reden Sie da? Geht es Ihnen etwa nicht gut?"
"Wer sind Sie?"
„Wer ich bin? Wieso stellen Sie mir eine derart seltsame Frage? Sind Sie krank?"J
„Ja, ich bin krank. Mein Verstand muss krank sein, dass ich mich auf einen derartigen Unsinn überhaupt eingelassen habe! Aldrich, holen Sie mich bitte zurück!"
"Äh ... soll ich Ihnen ein Beruhigungsmittel geben, Captain?"
"Nein, ich will kein ... was ist hier überhaupt los? Wo bin ich? Wer sind Sie und was habe ich hier zu suchen?'
Der Mann schien ernsthaft besorgt zu sein. "Captain Shattner, Sie haben vermutlich einen schweren Schock erlitten. Am besten, O'Brian verpasst Ihnen eine Beruhigungsspritze. Kommen Sie, ich ..."
"Nein!", schrie Sally wütend. „Es ist doch nur ein Spiel! Na schön. Ich habe einen Schock erlitten, aber ich benötige keine medizinische Hilfe. Beantworten Sie nur meine bereits gestellten Fragen."
"Wenn Sie darauf bestehen ... Sie befinden sich an Bord des Raumfrachters Nostromo. Ich bin Dan Moore, erster Offizier der Nostromo. Auf Ihre dritte Frage kann ich Ihnen, fürchte ich, keine vernünftige Antwort geben."
Sally nickte. In Gedanken ließ sie den Film ‚Alien’ Revue passieren. Sie konnte sich nicht mehr genau an die Namen der Besatzungsmitglieder erinnern, war sich aber sicher, dass niemand einen irischen Namen wie O'Brian trug.
Vielleicht gab es rechtliche Schwierigkeiten bei der Adaption der Kinofassung. Dennoch - es war nur eine Illusion des Computers.
Das jedenfalls behauptete ihr Verstand, wieder und wieder. Warum auch nicht? Aldrich hatte sie vorgewarnt.
"Captain?", ertönte eine Stimme aus einem der Lautsprecher.
Sally antwortete nicht, bis ihr klar wurde, dass sie die Rolle des Captain über hatte. Nicht schlecht für eine Frau in einem SF-Film.
"Ja. Ich höre?"
"Bitte kommen Sie in die Ambulanzstation. Etwas ... nun ja, seltsames ist geschehen."
"Ist gut, ich komme."
Und ich kann mir bereits sehr gut vorstellen, was geschehen ist, dachte sie amüsiert.
"Gehen Sie vor.", befahl sie Moore, der die Stirn runzelte, jedoch nichts erwiderte.
***
Gemeinsam betraten sie die Ambulanzstation. Hinter einer Glaswand saß ein Mann auf einer Bahre, der vermutlich vom Wissenschaftsoffizier untersucht wurde.
"Oh, Captain.", sagte dieser lächelnd, "Sehen Sie sich das an."
Der weißgekleidete Mann auf der Bahre machte einen etwas schwächlichen, aber durchaus gesunden Eindruck. Sally verstand, was sie sich ansehen sollte.
"Dieser Organismus ist verschwunden."
"Richtig.", bestätigte der Wissenschaftsoffizier - es musste sich dabei um O'Brian handeln.
"Ihr Name ist O'Brian, ja?"
Besagter blickte von dem Mann auf der Bahre hoch. "Natürlich heiße ich O'Brian! Wie sollte ich sonst heißen?"
"Es ist nur ...", setzte Sally an, beließ es dann jedoch dabei. "Das erzähle ich Ihnen später."
O'Brian nickte, senkte den Blick wieder.
"Ansonsten sind Sie okay, Mitchell?"
"Vom größten Kohldampf meines Lebens abgesehen, vollkommen!"
O'Brian lachte. "Verständlich! Dieses Ding war ein ziemlich übler Parasit!"
Erstmals meldete sich Moore zu Wort. "Aber ... wo ist dieses verdammte Ding nur abgeblieben? Es kann sich ja schlecht in Luft aufgelöst haben."
"Da gebe ich Ihnen recht. Wir müssen es aufspüren. Moore, schließen Sie die Tür."
Der erste Offizier tat sofort wie ihm geheißen.
"Gut. Es muss sich auf jeden Fall noch hier befinden. Suchen wir, aber seien Sie bitte vorsichtig!"
"Sehr witzig.", warf der Mann auf der Bahre lustlos ein und rieb sich die Augen.
"Entschuldigung.", meinte O'Brian halbherzig, denn eigentlich war er bereits mit der Suche beschäftigt.
Moore sah sich bedächtig um, bereit, die Flucht zu ergreifen, falls erforderlich.
Sally hingegen lehnte gelangweilt an der Tür und beobachtete das Geschehen, als ginge es sie überhaupt nichts an (was ihrer Meinung nach zutraf).
O'Brian bemerkte dies und war verärgert. "Ich will Sie ja nicht kritisieren, Captain Shattner, aber würden Sie uns bitte behilflich sein, anstatt Ihren gewiss interessanten Gedanken nachzuhängen?"
"Hm '?", stieß Sally hervor, "Ach so, natürlich."
Der Mann auf der Bahre (wie hieß er doch gleich ... Mitchell) hatte sich inzwischen wieder hingelegt. Sally spitzte die Lippen und pfiff eine Melodie. Dabei sah sie sich ein wenig um, bewunderte die Illusion und hielt es für unmöglich, dass dies eine Computergrafik sei. Viel zu kompliziert.
Möglicherweise hatte man ihr ein Serum verabreicht, das sie in eine Art Traumzustand versetzte. Allerdings - davon war nie die Rede gewesen; es wäre zudem verboten und gefährlich! Könnte es sein, dass sie auf natürliche Weise eingeschlafen war? Sehr viel wahrscheinlicher.
"Was für eine Melodie ist das?", wollte Moore wissen, um seine Nervosität zu überspielen.
„Yellow Submarine.“
"Noch nie gehört."
"Das kann ich mir gut vorstellen."
Darüber musste Sally lachen. "Schließlich sind Sie-"
Etwas schweres, knochiges landete auf ihrer linken Schulter und belastete diese. Sie schrie auf, beruhigte sich aber wieder, da dies nur ein dummes Spiel war.
Nicht ohne Überraschung registrierte sie, dass ein spinnenartiges Etwas mit trägem, riesigem Auge in der Körpermitte regungslos auf der Schulter haftete.
"Nicht bewegen!", rief O'Brian.
Moore hatte sich entsetzt die Hand vor den Mund geschlagen, um einen Schrei zu unterdrücken. Die klare Erinnerung an den Film beruhigte sie merklich.
Sie wusste, das Alien war nur tote Hülle. Mit einer lässigen Handbewegung wischte sie das starre knochige Wesen von der Schulter. Dieses fiel plump zu Boden.
"Es ist tot, kein Grund zur Panik.", bemerkte Sally und grinste in das bleiche Gesicht des ersten Offiziers.
"Woher wissen Sie das?", fragte :0'Brian, dessen Miene keine Rückschlüsse auf sein Innerstes zuließ.
Sally wusste auch hierfür einen Grund zu nennen. "Ich weiß es eben."
Vorsichtig stieß der Wissenschaftsoffizier das leblose Etwas mit dem Fuß an. Keine Reaktion.
"Es scheint tatsächlich tot zu sein." Wenig später fügte er hinzu: "Und ich frage mich erneut, woher Sie das wissen."
Sie zuckte mit den Achseln. "Es gibt so vieles, das ich weiß. Beispielsweise weiß ich, dass niemand lebend dieses Raumschiff verlassen wird - meine Wenigkeit ausgenommen.“
Darüber musste sie unwillkürlich lächeln.
"Schön für Sie, Captain!", sagte O'Brian lakonisch, ohne den Gesichtsausdruck zu ändern. "Ich mische mich ja nur ungern ein, aber könnte mir wohl jemand erklären, was dieses ... Ding auf dem Boden zu bedeuten hat?"
"Später. Das ist eine lange, zu lange Geschichte!", wehrte Moore ab.
"Da stimme ich Ihnen vollends zu. Nachdem sich dieses Problem gewissermaßen von selbst gelöst hat, sollten wir uns auf das Besteigen der Kühltruhen vorbereiten.", pflichtete ihm O'Brian bei.
"Okay, erzählt es mir später. Eines noch - ich bin echt am Verhungern und brauche unbedingt etwas zu essen."
"Genehmigt. Es wäre zu gefährlich für Sie, sich in geschwächtem Zustand in den Hyperschlaf zu begeben."
"Ich könnte ohne weiteres ebenfalls eine ordentliche Portion Futter vertragen.", meinte Moore und wandte sich Sally zu, der das ganze Spektakel Spaß zu machen begann.
Sie trug Verantwortung, ohne für etwaige Fehlentscheidungen irgendwann zur Rechenschaft gezogen werden zu können. Ein konträres Abbild der Realität. "Einverstanden."
"Ich werde Payton, Taylor und McKenzie die Nachricht. vom Ableben unseres kosmischen Freundes übermitteln. Wir treffen uns dann im Mannschaftsraum, okay?“
Sally nickte O'Brian zu. "Ich werde mit Moore voraus gehen."
Moore öffnete die Tür, die sich beinahe lautlos in die Wand zurückzog. "Diesen fremden Organismus werde ich nach der Zielankunft analysieren. Derweil verwahre ich ihn in einer ausbruchssicheren Stasisröhre."
"Tun Sie das."
Sie und Moore verließen die Krankenstation.
"Captain, Sie benehmen sich reichlich merkwürdig." .
„Tja, so bin ich nun mal.", sagte sie fröhlich und malte sich in Gedanken aus, wie sie Aldrich einen Kinnhaken verpassen wurde.
"Nein, so sind Sie nicht! Ich kenne Sie als pflichtbewussten, zuverlässigen Captain. Seit etwa einer Stunde präsentieren Sie sich als zerstreuter, hellsichtiger Captain. Das ist ein zu gravierender Unterschied für meinen Geschmack."
"Ich bin nicht hellsichtig.“
"Nein? Woher wussten Sie dann-"
"Bitte fragen Sie nicht. Wo ist der Mannschaftsraum?"
Moore seufzte hörbar. "Da vorne links, zweite Tür."
Sie hielt sich an die Wegbeschreibung und fand sich in einem großen Raum wieder. Ehe sie sich an den Tisch setzte, betrachtete sie ihr Gesicht in einem Monitor. Obwohl sie nur grobe Konturen feststellen konnte, merkte sie sofort, dass es sich um ihr eigenes Gesicht handelte. Für den Computer (wenn dem so war) kein Problem, ihr Antlitz zu scannen und in das Geschehen einzubinden.
Dann erst setzte sie sich zu Tisch.
Moore folgte ihr schweigend, ehe er dieses Schweigen durchbrach.
"Und Sie wollen mir nicht verraten, was mit Ihnen nicht in Ordnung ist?"
"Wieso nehmen Sie an, ich sei nicht in Ordnung?", stellte sie die Gegenfrage und nahm ihm damit den Wind aus den nicht gerade gestrichenen Segeln.
Die Illusion war wirklich perfekt. Zwei Dinge waren es, die diese ihrer Meinung nach trübten: Zum einen die Namen der Mannschaftsmitglieder. Jeder Name war simpel zu merken, ideal für ein Spiel.
Zum anderen war es das Aussehen der Crew. Payton, Taylor und McKenzie hatten sich inzwischen ebenfalls zu Tisch begeben.
Payton war die einzige Frau an Bord (Sally sah sich in der Rolle der außenstehenden, neutralen Person). Sie war - wie könnte man etwas anderes annehmen - bildschön und höchstens dreißig Jahre alt.
Moore war von kräftiger Statur und - zumindest in ihren Augen - gutaussehend.
O'Brian schien der älteste an Bord zu sein. Er machte einen hinterlistigen Eindruck, ohne aber wirklich böse zu wirken. Dennoch sah er annehmbar aus.
McKenzie und Mitchell waren die wohl jüngsten Mitglieder an Bord, wobei Mitchell auffallend hübsch, wenn auch ziemlich mager und blass war.
Kein Wunder, nach allem, was er durchgemacht hatte.
Sie aßen.
Mitchell stopfte das grässliche Mahl, künstliches Fleisch und Beilagen, in seinen Mund. Sally stocherte eher angewidert in dem Essen herum und schlang von Zeit zu Zeit einen Bissen runter, ohne einen Nachgeschmack zu verspüren. Schade, wieder eine Illusion weniger.
"Captain?", begann Moore, "Ich kann mich nicht mit der Tatsache abfinden, dass Sie nicht darüber sprechen wollen. Sie-"
Ein kehliges Geräusch unterbrach den ersten Offizier. Das unappetitliche Geräusch entsprang Mitchells Kehle. Sally wusste, was passieren würde, machte jedoch keine Anstalten, darauf hinzuweisen.
"Was ist mit dir? Stimmt was nicht, Tim?", fragte Payton besorgt und legte die Gabel zur Seite.
Mitchell brach in kalten Schweiß aus. "Ich ... Schmerzen ...“
Er hielt abrupt inne und starrte verwirrt in Sallys Richtung. Plötzlich krallte er sich mit beiden Händen am Tischrand fest und stöhnte schauderlich.
Payton und O'Brian sprangen auf und versuchten ihm zu helfen. Interessiert erwartete Sally den Moment, der ihr vor Jahren stark zugesetzt hatte. Zwei Nächte lang hatte sie Alpträume gehabt und ihr Verlobter, Jason, hatte einige Tage später ähnlich entsetzliche Geräusche von sich gegeben und getan, als würde ihm gleiches widerfahren ... Gott, war sie wütend gewesen!
"Oh Gott, es tut so weh ...", kreischte Mitchell, tappte einige Schritte umher und fiel auf die Knie. Er umklammerte seine Brust.
"Oh Gooooott..."
Ein dunkler Fleck bildete sich auf dem weißen Hemd. Ein Fleck, rot, der einen immer größeren Radius beschrieb. Das Geräusch brechender Knochen vermengte sich mit dem reißenden Stoffes und alsbald wand sich ein monströser Kopf aus der Brust des 'bedauernswerten' Mitchells.
Entsetzt wichen alle Umstehenden zurück und mussten mit ansehen, wie das schlangenförmige Alien zischende Drohgebärden machte und den fremden Körper mit unglaublicher Geschwindigkeit verließ, was den sofortigen Tod des Wirtes zur Folge hatte.
Blitzschnell entschwand das Monster den Blicken der Crew. Obgleich sie die schreckliche Szene sozusagen hautnah erlebt hatte, war ihr nicht im geringsten übel.
Sie genoss diese sogar.
Der Tisch war mit Blut besudelt, sie selbst war davon verschont geblieben.
"Mein Gott.", flüsterte O'Brian, der über die Leiche gebeugt war.
Moore tröstete die schluchzende Payton, McKenzie wischte sich mit einer Serviette Mitchells Blut von der Wange. Schade, dachte Sally, dass es gerade ihn erwischte.
Er war so hübsch gewesen ... alter Trick - das Monster beseitigt anfangs jene, die am sympathischsten oder attraktivsten erscheinen, um die Angst des Publikums vor dem Ungetüm zu verstärken.
"Will noch jemand einen Nachschlag?", sagte sie mit unschuldiger Stimme und brach in schallendes Gelächter aus.
"Halt die Schnauze, du verdammte Drecksau, halt die Schnauze!", kreischte Payton und lehnte ihren Kopf an die umfangreiche Brust des ersten Offiziers an.
"Was für eine Scheiße.", jammerte McKenzie und lief aus dem Mannschaftsraum.
Er wirkte wie unter Drogen stehend.
"Bleiben Sie hier! Dieses Biest könnte Sie schnappen!", rief ihm Moore hinterher, blieb aber erfolglos in seinem Bemühen, McKenzie zu einer Rückkehr zu bewegen.
"Das war eine sehr geschmacklose Äußerung, Captain.", sagte O'Brian an Sally gerichtet.
Sie erhob sich aus dem Stuhl und machte einen Schritt auf die Leiche zu. "Sieht ja wirklich ekelhaft aus."
"Captain, ich finde, das reicht. Sie sind uns eine Erklärung schuldig."
"Eine Erklärung?" Sie gab sich erstaunt und sah zu, wie Moore die noch immer in Tränen aufgelöste Payton nach draußen auf den Korridor geleitete.
"Sie wissen sehr wohl, was ich meine.", sagte O'Brian harsch und warf ihr einen scharfen Blick zu.
Sally fragte sich, wie weit das Spiel gehen würde. Wäre erst ihr Tod das Ende? Oder könnte sie es vorher beenden, indem sie alle Karten auf den Tisch legte?
"Sie wollen wissen, was los ist? Na schön. Ich bin Sally Shattner, Regierungsbeamte, befinde mich in einem Cyberspace-Abenteuerspiel und habe die Nase voll von diesem dummen Spiel. Ich will hier raus, und zwar schnell! Aldrich, oder wer immer mich auch hören mag, entlassen Sie mich aus diesem Spiel und zwar schnell!"
Zum ersten Mal zeigte O'Brian Emotionen in seinem Mienenspiel. Er sah aus wie jemand, der sich einem Verrückten gegenüber wähnte. "Wovon sprechen Sie?"
"Okay, das war alles ganz lustig. Ich meine, dass Sie mir die Rolle des Captain zugestanden haben, weil ich zufällig Shattner heiße, wie der Schauspieler, der in Star Trek Captain Kirk mimte. Sehr lustig, und ich will jetzt bitte in die Realität gebracht worden, ja?"
Nichts wesentliches geschah.
"Am besten, ich verpasse Ihnen eine Novatil-Spritze zur Beruhigung.", meinte O'Brian und nahm sie sanft am Oberarm um sie zu führen.
"Ich will keine Spritze.", protestierte sie, dann fiel ihr ein, dass hier nichts wirklich war und gab dem Wissenschaftsoffizier nach.
Möglicherweise stellte dies den Ausstieg aus dem Spiel , dar?
Drei Minuten später versetzte sie der fast unmerkliche Nadelstich in einen tiefen Schlaf.
***
Sally erwachte. Ihre Augenlider flatterten, dann hatte sie ihren Körper wieder voll unter Kontrolle.
Verwirrt blickte sie sich um und erwartete den Anblick der kleinen Kabine, in welcher es begonnen hatte.
Es, was immer es auch sein mochte.
Statt dessen befand sie sich, dessen war sie sicher, noch immer an Bord des Raumschiffs.
„Verdammt.“, murmelte sie unhörbar für etwaige Umstehende und rieb sich die Schläfen. Also war das Novatil doch nicht der ersehnte Ausstieg aus dem merkwürdigen Spiel.
Langsam stand sie auf, von Moore als erstem bemerkt. "Gut, dass Sie wieder unter den Lebenden weilen."
"Danke."
"Etwas schreckliches ist geschehen.", begann er.
Sie sah dem riesenhaften Offizier direkt in die blauen Augen. "Lassen Sie mich raten - das Alien ist mittlerweile etwa drei Meter groß und hat sich ein Mannschaftsmitglied geschnappt, ja?"
Moore starrte Sally an, als hätte sie ihm einen Heiratsantrag oder etwas ähnlich unmoralisches unterbreitet. "Woher wissen Sie das nun wieder? Sie haben die ganze Zeit geschlafen!"
"Wen hat's erwischt?", fragte sie der Form halber.
"McKenzie. Armer Junge. O'Brian und ich konnten gerade noch seinen Schatten erkennen."
O'Brian hatte das kurze Zwiegespräch verfolgt und schritt auf die beiden zu. "Fühlen Sie sich jetzt besser?"
"Nein. Ich werde mich nicht besser fühlen, bis ich dieses verdammte Spiel hinter mir gelassen habe."
O'Brian wechselte mit Moore einen eindeutigen Blick der besagte, dass sie vermutlich völlig verrückt sei. "Sie waren mir noch nie geheuer, aber mit Auftauchen dieses Aliens scheinen Sie mir absolut unbegreiflich."
"Vielen Dank.", sagte Sally ironisch und nicht unfreundlich.
"Keine Ursache. Eigentlich wäre Ihr Geisteszustand kein Grund zur Beunruhigung für mich. Ich hätte Sie einfach in :die Kühltruhe verfrachtet. Dank des Aliens sieht diese Möglichkeit nicht zur Diskussion. Wir müssen alle zusammenhalten, wollen wir dieses Ding dahin schaffen, wo es herkommt und hingehört - in die Hölle."
"Sehr richtig.", stimmte Moore zu.
"Sehr löblich, doch bin ich eher skeptisch, was dies betrifft.", meinte Sally und sah zu Payton rüber, die verloren Daten in einen Computer eingab oder abrief.
"Wollen Sie uns nicht erzählen, was es mit diesem Spiel auf sich hat, das sie unablässig ansprechen?"
Sie überlegte und entschied sich sodann, dem Folge zu leisten. Es war ihr ernst, das Spiel zu beenden. Sie hatte genug gesehen und erlebt.
Sie hatte Schmerzen empfunden, war ohnmächtig geworden und hatte wie ein betrunkener Matrose geflucht. Alles in allem ein verwerfliches Spiel. Nein, sie würde diesem Aldrich den Laden dichtmachen lassen. Keine weiteren Automaten.
"Wenn Sie durchaus wollen, bitte sehr. Dies hier, das Raumschiff, Sie, das Alien, sogar ich, wir alle sind nur eine von einem Computer erzeugte Illusion, die ich möglichst rasch zu verlassen gedenke, da ich keinen Sinn für den groben Unfug, der mit Cyberspace-Games getrieben wird, aufbringen kann."
Mindestens eine Minute herrschte völlige Ruhe in der Messe.
O'Brian zerstörte die unheimliche Stille. "Sie denken also, Sie befänden sich in einem Computer-Spiel, richtig?"
"Richtig."
"Wieso können Sie es dann nicht verlassen?"
"Ich weiß nicht. Ich werde daran gehindert."
O'Brian schien darüber nachzudenken. "Das würde erklären, weshalb Sie Dinge vorhersahen, die erst später eintraten. Gehörte der Tod Mitchells auch dazu?"
"Ja. Übrigens weiß ich, dass Sie kein Humanoid, sondern ein Android sind."
O'Brian grinste. "Ich soll ein Android sein? Weshalb erzählen Sie einen solchen Unsinn?"
"Dieses Spiel ist eine Adaption des Kino-Streifens ‚Alien’. Deshalb wusste ich von all den Dingen."
"Hm. Interessant ..."
"Sie sind ein Roboter, der die eigentliche Protagonistin - sprich mich - zu töten gedenkt. Sie wurden von der Gesellschaft, was immer das auch sein mag, eingeschleust, um das Alien zur Erde zu bringen. Da ich Ihnen auf die Schliche kommen werde, wollen Sie mich töten. Moore rettet mich. Schlussendlich läuft es darauf hinaus, das Fluchtschiff zu nehmen und die Nostromo zu zerstören.
Moore und Payton werden von dem Alien getötet, ich überlebe und haue ab. Dummerweise war das Alien schlau genug, mir zu folgen. Es kommt zu einer letzten Konfrontation, die ich für mich entscheiden kann. Ich sende einen Notruf ab in der Hoffnung, ein terranisches Raumschiff findet mich. Punkt. Noch Fragen hierzu?"
"Das muss ja ein toller Film gewesen sein!", spottete O'Brian.
"Warum werfen wir das verrückte Weib nicht dem Alien zum Fraß vor?", warf Payton kühl ein, ohne den Blick vom Bildschirm zu nehmen.
"Mitchells Tod gibt Ihnen nicht das Recht, so m t Ihrem Vorgesetzten zu sprechen.", bemerkte O'Brian trocken und strich sich durch das kurze Haar. "Jedenfalls, das ist schon eine merkwürdige Sache."
"Was ist merkwürdig?", fragte Sally O'Brian und sich selbst, wie lange dieser Alptraum noch andauern sollte.
"Ich bin kein ausgebildeter Psychiater, aber für mich liegt ganz klar auf der Hand, dass sie einem durch den Schock ausgelöstem Trauma zunehmend erliegen. Sie verweben Realität und Imagination zu einem undurchdringlichern Netz der Scheinrealität."
"Das mag schon sein.", warf Moore ein, "Aber es ist mir unerklärlich, woher sie diese Vorahnungen hatte."
O'Brian zuckte mit den Schultern. "Vielleicht verfügt sie über parapsychologische Kräfte. Wäre gut möglich."
"Ich mag es nicht, wenn in meiner Anwesenheit in der dritten Person über mich gesprochen wird. Außerdem ist dies hier keine Scheinrealität, sondern einzig und alleine Imagination. Ob seitens meines Unterbewusstseins oder des Computers ist belanglos."
Diese Bemerkung veranlasste O'Brian zu energischem Kopfschütteln. "Ich fühle mich sehr real, Moore und Payton kommen mir sehr real vor, Sie sind real, und das verdammte Monster ist real. Sie sagen, ich sei ein Android? Meine Aufgabe sei es, Sie zu töten?
Es wundert mich nicht, dass Sie die Vorstellung hatten, ich sei kein Mensch. Ich war Ihnen von Anfang an nicht sympathisch, deshalb schlug Ihnen Ihr Unterbewusstsein vor, mich zu einem Monster zu machen."
Schlagartig fiel ihr noch etwas sehr wesentliches ein. "Haben wir eine Katze an Bord?"
"Eine Katze?"
"Ja, eine ganz normale Hauskatze. In besagtem Film überlebt sie das Alien. Das hatte ich ganz vergessen."
"Aha.", rief O'Brian aus und zeigte mit dem Finger auf sie. "Sie erdachten sich einen imaginären Freund, der Sie moralisch unterstützt. Viele Frauen bewundern Katzen ihrer Kraft und Ungezähmtheit wegen, das ist der Grund..."
"Oh bitte, hören Sie mit dieser Freudschen Pferdepisse auf! Das konnte ich noch nie leiden, wenn einem nachgesagt wurde pervers veranlagt zu sein, weil man gern Bananen isst, oder so."
"Na schön.", seufzte O'Brian und wandte sich von ihr ab.
Sally richtete sich auf. Fast wäre es dem Wissenschaftsoffizier gelungen, sie zu verunsichern.
Fast. Doch sie hatte rechtzeitig abgewehrt und entschlossen gezeigt, dass sie nicht gewillt war, diesen Unsinn zu glauben. Sie vermeinte, die grinsenden Mäuler irgendwelchen Idioten zu sehen, die vor einem Computer saßen und ihre Worte durch die O'Brian-Figur verlautbarten.
Wenn es diese Idioten gab.
Sie kam immer stärker zu der Ansicht, alles sei nur ein absurder Traum, ausgelöst durch eine Ohnmacht oder, was unendlich schrecklicher wäre, durch eine. chemische Behandlung.
Etwa, dass man automatisch eine Spritze verpasst bekam, wenn die Kabinentür hinter einem geschlossen wurde.
Es wäre eine perfekte Maschinerie, die individuellen Persönlichkeiten zu verändern. Mein Gott, dachte sie, wenn das wahr wäre! Wenn dem so wäre ... Aldrich, oder der, in dessen Auftrag er handelte, könnte unbegrenzte Macht erlangen - und das auf legalem Wege
Eine völlig neuartige Droge, die nach außen hin Normalität vorspiegelt, doch den Verstand manipuliert.
Sie schauderte. Ein wütender Schrei Paytons ließ sie rasch in die Realität (?) zurückgleiten.
"Mutter weigert sich, mit irgendwelchen Daten rauszurücken
„Haben Sie's schon über das Passwort versucht?"
"Sie halten mich wohl für so verrückt, wie Shattner! Natürlich habe ich alles versucht!"
"Ich bin nicht verrückt!", wehrte sich Sally.
"Ach nein? Vielleicht hat die Gesellschaft Sie auserkoren, das Alien unversehrt zur Erde zu bringen."
Ehe Sally eine passende Antwort darauf fand, stärkte ihr O'Brian den Rücken. "Mitchell wird davon nicht lebendig, wenn Sie dem Captain ständig paranoiden Mist vorwerfen. Selbst wenn dem so wäre - Alleine könnte Sie nicht zur Erde gelangen. Und außerdem ist es dem Alien egal, ob jemand der Gesellschaft untersteht oder nicht.
Es wählt nicht, es tötet einfach. Das müsste Ihnen einleuchten, oder?"
Payton schien tatsächlich zerknirscht. Unsicher suchte sie den Blickkontakt mit Sally. Diese ließ sie gewähren.
"Es tut mir leid, Captain.", stieß sie mit schüchterner Stimme hervor, "Mitchells Tod hat mir schwer zugesetzt. Er war mein bester Freund."
Die Art, wie sie dies sagte, schlug Sally auf das Gemüt. Wie würde sie reagieren, stürbe Jason? "Ich verstehe."
"Captain?", zerstörte O'Brian den kurzen Moment wunderbarer Vertrautheit, "Würden Sie uns bitte Ihr Patent-Passwort mitteilen? Vielleicht gelingt es uns damit, Daten von Mutter zu erhalten."
J 03211979. Sag es! Und nichts davon war ihr bewusst.
"J 032111979"
"Danke. Versuchen Sie's bitte damit, Payton.", sagte O'Brian.
Was habe ich da von mir gegeben?
"Hören Sie, das ist mir soeben spontan eingefallen, es ist ohne Sinn und..."
"Es hat funktioniert. Mal sehen, was Mutter damit anfangen kann.", sagte Payton mit gedämpfter Stimme.
Wenig später erklang die Stimme aus dem alles beherrschenden Übercomputer.
"Daten nur Captain Shattner zugänglich. Präferenzstufe Plus Zehn. Anweisung an Captain Shattner, den Kurs der Nostromo so zu verändern, dass das Signal aufgenommen werden kann. Übrige Mannschaft verspätet aus dem Hyperschlaf holen und mein Gedächtnis so programmieren, dass ich Geschichte von Notruf übermittle. Fremdes Lebewesen zur Erde bringen, damit es untersucht und von Fachleuten der Gesellschaft auf mögliche kommerzielle Auswertung überprüft werden kann. Volle Wahrung gebotener Diskretion."
Die Computerstimme verhallte, blieb für lange Augenblicke die letzte, verbliebene Stimme in der Messe.
"Oh mein Gott.", sagte Moore schließlich und starrte Sally an. "Oh mein Gott! Wir wurden zu dem Planeten geschickt um..."
"Ein Forschungsteam wäre denen zu wertvoll gewesen. Wir sind leichter ersetzbar.", stellte O'Brian verbittert fest und vermied es tunlichst, Sally ins Gesicht zu blicken.
"Ich hatte also doch recht!", rief Payton aus, stürzte aus dem Drehstuhl und auf Sally los.
Diese war so verblüfft, dass sie keine Anstalten machte, der Angreiferin auszuweichen.
"Du verdammtes Miststück !", kreischte Payton und schlug ihr die Faust ins Gesicht.
Sally ging zu Boden, Payton verpasste ihr einen Tritt in die Nierengegend. Keuchend fuhr Sally zusammen, verblieb in embrionaler Stellung.
Dann spürte sie zwei wütende Hände, die ihren Hals umrangen und zudrückten.
"Stirb und fahr zur Hölle!"
Panik ergriff Sallys Verstand - könnte sie tatsächlich getötet werden? Real oder nicht real? Was war Illusion, was war wirklich? Aus den Augenwinkeln heraus konnte sie beobachten, wie O'Brian Payton wegzerrte.
Benommen richtete sich Sally auf.
"Wir müssen sie töten!", geiferte Payton und versuchte vergeblich sich aus der Umklammerung O'Brians zu befreien.
"Seien Sie still, oder ich werfe Sie eigenhändig dem Alien vor."
Payton beendete ihre Versuche sich loszureißen und versprach, Sally in Ruhe zu lassen. O'Brian entließ sie aus den starken Armen und wischte sich mit der Hand über die nasse Stirn.
"Was geht hier eigentlich vor?", fragte er verwirrt.
Sally schluckte, massierte sich die geschundene Stelle am Hals und wusste keine Antwort zu geben.
"Angenommen sie, ich meine, Captain Shattner, erhielt wirklich jenen Auftrag, von dem Mutter uns berichtete - wieso sollte sie uns ihr Patent-Passwort mitteilen? Sie hätte wissen müssen, welche Folgen das hat.", sprach Moore ruhig und sachlich.
O'Brian nickte. "Vielleicht wurde Mutter instruiert, eine falsche Auskunft zu erteilen, damit wir in Streit geraten?"
"Nein, um das Projekt nicht zu gefährden benötigt man mindestens eine Person, die es nach Leibeskräften unterstützt.", folgerte Moore nachdenklich. "Einer von uns vieren."
"Genau.", sagte O'Brian bestätigend.
"Und Sie denken, ich sei diese Person.", meinte Sally kühl, ganz in ihrer neuen Identität versunken.
"Ich kann mich leider nur wiederholen, Captain. Ich fürchte, alles spricht gegen Sie. Sie müssen zugeben, dass Ihr Benehmen etwas merkwürdig war."
Sally fühlte sich nun noch stärker persönlich angegriffen und wollte sich verteidigen, so gut es ging. "Das will ich gerne zugeben, aber versetzen Sie sich in meine Lage: Ich weiß nicht mehr, was Wirklichkeit und was Illusion ist. Ich komme mir vor, als sei ich mitten in einen SF-Film geraten, ganz wie in den billigsten Schundheftchen. Verdammt, ich weiß nicht ein noch aus!"
O'Brian nickte, ließ aber nicht erkennen, ob er ihr Glauben schenkte oder nicht. In ihren Augen sammelten sich Tränen - Gott, sie hatte seit mindestens zehn Jahren nicht mehr geweint!
"Ich befinde mich im schlimmsten Alptraum meines Lebens! Verstehen Sie das?"
"Nein, denn selbst ein berufsmäßiger Träumer brächte keinen Traum, respektive Alptraum zuwege. Und das ist es, was Sie verstehen müssten."
Sie ließ ihren Tränen freien Lauf. "Aber wenn dies hier kein Traum ist, ist es dann die tatsächliche, objektive Realität?", brachte sie schluchzend hervor.
"Es gibt keine objektive Realität. Alles und nichts ist Illusion, hervorgebracht durch unser Gehirn. Geschaffen im Geiste der Macht."
"Hören Sie auf.", unterbrach Moore unwirsch und trat zwischen Sally und O'Brian.
Einen Augenblick lang hatte es den Anschein, Moore würde Sally sanft in die Arme nehmen und sie trösten. Wahrscheinlich war ihr danach, doch Moore verkniff sich Sekunden, ehe es geschehen konnte, diese viel zu vertrauliche Geste.
"Okay", lenkte O'Brian ein, "Nur noch eine abschließende Bemerkung. Captain, mir sind Ihre Gedankengänge nicht klar. Ich kann mit Ihrer Verwirrung nicht viel anfangen, im Übrigen ist es Ihre Privatangelegenheit, aber um das eine möchte ich Sie bitten, nein, anflehen: Nehmen Sie einfach an, dies hier wäre kein ‚Spiel’, sondern Ernst, blutiger Ernst! Nur solange, bis wir diesen fremden Organismus entschärft haben."
Sallys Schluchzen geriet ins Stocken. Ihre Tränen wischte sie mit dem Ärmel ab. Langsam, als hinge ihr Kopf an Fäden, die im Hintergrund gezogen wurden, nickte sie. "Okay, ich will's versuchen."
"Rührend.", meldete sich Payton sarkastisch zu Wort, "Warum laden wir nicht das Alien zu einem Kaffeekränzchen ein und versuchen es davon zu überzeugen, dass es das Notschiff nimmt und abhaut?"
"Aus dem gleichen Grunde, weshalb ich Sie nicht als lebenden Köder für das Wesen missbrauche.", erwiderte O'Brian.
Okay, wiederholte Sally im Geiste, nimm nur eben mal an, dies hier sei die Wirklichkeit.
Die Worte klangen grausig.
Wirklichkeit - keine Vergangenheit, eingesperrt in einem Raumfrachter, Gott weiß wie viele Millionen Meilen von der Erde entfernt, bedroht von einem entsetzlichen Etwas.
Ihr Verstand wand sich anfangs gegen die völlig absurde Vorstellung Loveeraftscher Wirklichkeit, fügte sich dann jedoch in sein Schicksal gezwungenen menschlichen Geistes.
"Das Passwort ... es ergibt mein Geburtsdatum. Jedenfalls nehme ich das an."
Mittlerweile war sie gar nicht mehr so überzeugt, was ihre Vergangenheit betraf.
"Nehmen Sie es an. Es ist egal."
Sally hatte nicht übel Lust, Payton die Fresse einzuschlagen.
Zum Glück lenkte sie O'Brian von diesem Gedanken ab. "Genug der Worte gewechselt. Im Ernst: Wir, Sie, Captain, ausgenommen, haben mitangesehen, wie das Alien binnen weniger Stunden von einem schlangenförmigen Riesenbandwurm zu einem drei Meter großen Etwas mutierte. Niemand weiß, wie das Ding in seiner derzeitigen Form aussieht."
"Wie ein schleimiges Reptil auf zwei Beinen.", bemerkte Sally und atmete tief durch.
"Danke. Angenommen es verhält sich so, was könnte das nächste Entwicklungsstadium des Aliens darstellen?"
"Ist das so wichtig?", fragte Moore mit vor der mächtigen Brust verschränkten Armen.
"Unter Umständen ja! Momentan wiegen wir uns in der relativen Sicherheit der Tür, die aus drei titangehärteten Stahlplatten besteht und jeder an Bord denkbaren Belastung widerstehen könnte. Das dumme ist nur, dass die Erbauer keines dieser Aliens in ihre Pläne miteinbezogen."
"Shattner hat doch diesen tollen Film gesehen - warum fragen Sie sie nicht, wie wir das Ding zur Strecke bringen können?"
Sally warf Payton einen scharfen Blick zu. Sie begann die junge Frau zu hassen und wünschte sich, sie wäre das nächste und letzte Opfer des unheimlichen Aliens.
"Am Anfang war es wie in dem Film, aber jetzt ... nichts stimmt mehr.", gab sie von sich, wie zur Verteidigung.
"Moore, haben wir irgendwelche Waffen an Bord, die mir entgangen sein sollten?", fragte O'Brian mit wenig Zuversicht.
Wie befürchtet schüttelte Moore den Kopf. "Es ist uns streng untersagt, Waffen an Bord zu bringen."
Wenig später fügte er hinzu: "Wir haben ein paar Flammenwerfer. Allerdings handelt es sich um etwas ältere Exemplare."
"Warum haben Sie das nicht gleich gesagt? Wo sind die Geräte?"
"Im Lagerraum 2. Ich werde sie holen gehen."
"Seien Sie vorsichtig. Wie gesagt, das Alien könnte stark genug sein, eine verschlossene Tür zu öffnen."
Moore schluckte hörbar. "Sie verstehen es, zu motivieren."
Dennoch ging er.
Nachdem acht Minuten verstrichen waren, ohne dass er zurück gekommen war, wurden die drei Besatzungsmitglieder nervös.
"Vielleicht sollte ich mal nach dem rechten sehen.", schlug O'Brian vor, stieß jedoch auf Widerstand Paytons.
"Gute Idee! Dann können wir sicher gehen, dass wir dem Alien keine allzu große Mühe bereiten, wenn wir einer nach dem andern in seine Klauen laufen."
"War ja nur ein Vorschlag."
Endlich erschien Moore. Auf seinen Rücken war ein kleiner zerkratzter Metallbehälter geschnallt. In der linken Hand hielt er eine Art Rohr, in der rechten ein Duplikat des Geräts.
"Gott sei Dank.", meinte O'Brian erleichtert. "Sind noch weitere Geräte im Lager?"
Ächzend stellte Moore die sichtlich schwere Last des rechten Arms ab. "Leider nein. Ich habe alles abgesucht, aber es waren nur diese beiden Flammenwerfer vorrätig."
"Diese verdammten Geizhälse von der Gesellschaft.", murmelte Payton.
"Das würde ich nicht behaupten, schließlich benötigt man im Normalfall keine Flammenwerfer an Bord. Es ist nur gesetzlich vorgeschrieben, zwei Exemplare an Bord eines Raumschiffs zu lagern."
Sally wurde neugierig. "Warum?"
"Keine Ahnung.", war Moore ehrlich.
O'Brian machte sich daran, den zweiten Gasbehälter auf seinem Rücken zu befestigen. "Trotzdem ist die Gesellschaft geizig - ich wette, diese Dinger sind fast so alt wie ich es bin."
"Interessante Theorie. Denken Sie, die Neandertaler benutzten Flammenwerfer anstatt Steinen, um Feuer zu machen?", sagte Payton, aber niemand lachte.
"Übrigens, wieso nehmen Sie das Gerät in Beschlag?"
O'Brian stieß einen seufzenden Laut aus. "Befinden Sie sich auf dem Emanzipationstrip? Schönes Kind, diese Geräte sind ziemlich schwer, wie sie sehen. Sollten wir überleben, können wir das diskutieren, ja?"
"Ich bin nicht Ihr Kind; so alt fühle ich mich noch lange nicht, aber von mir aus. Hauptsache, irgend jemand heizt dem Bastard ordentlich ein."
Zufrieden nickte O'Brian. "Stellen Sie den Mechanismus zur Auto-Destruktion an."
Payton zuckte wie unter einem unsichtbaren Faustschlag. "Wie bitte?"
"Sagen wir zehn Minuten. Das müsste auf jeden Fall ausreichend sein."
Payton machte keine Anstalten, dem Befehl Folge zu leisten. "Aber ... wir können doch nicht. einfach den Frachter in die Luft jagen. Das-"
"Captain?", sagte O'Brian und blickte in Sallys Richtung. Sie verstand.
"Bitte tun Sie, was er Ihnen auftrug. Das ist ein Befehl."
Verzweifelt wandte Payton sich an Moore, doch der ließ keine Reaktion erkennen.
"Zu Befehl.", sagte Payton mit monotoner Stimme.
Sekunden später erfüllten leise klickende Geräusche die Messe.
"Da ist nur noch ein Problem."
"Welches, Moore?"
Dieser zögerte kurz. "Das Shuttle beinhaltet drei Kühltruhen.“
"Tja, da scheinen wir tatsächlich ein Problem zu haben.", gab O'Brian zu.
Derweil befahl Payton per Programmierung die automatische Sprengung des riesigen Frachters. Ihnen würden nur zehn Minuten verbleiben, das Raumschiff mit dem Shuttle zu verlassen.
"Zündung der Sprengladungen in den Reaktoren Null minus neun Minuten, 55 Sekunden." , teilte Mutter den vier Überlebenden mit.
"Gut. Hauen wir ab.", sagte O'Brian, der mittlerweile das Kommando an sich gerissen hatte - zur Erleichterung Sallys, die sich außerstande sah, wirksame Befehle zu erteilen.
"Captain, öffnen Sie die Tür und weichen Sie zur Seite zurück. Falls das Biest auflauert, wird es verdammt heiß werden."
Sally nickte. O'Brian und Moore stellten sich etwa einen Meter neben die Tür. Die Flammenwerfer waren aktiviert. Auf ein Zeichen O'Brians hin, drückte Sally auf den Knopf, woraufhin die massive Tür zur Seite glitt. Moores Finger zuckte nervös, betätigte jedoch nicht den Abzug.
Kein Alien wand sich durch die Öffnung.
"Gott sei Dank.", hauchte Payton erleichtert.
"Nun, mir wäre es entschieden lieber, ich wüsste, wo sich das Ding aufhält.", warf Moore ein und schritt vorwärts.
"Passen Sie auf, Moore!", rief ihm der Wissenschaftsoffizier nach. "Es könnte an der Decke hängen. Ich meine, möglich ist alles."
Dann deutete er Sally und Payton zu gehen. "Schließlich soll es uns nicht in den Rücken fallen, oder?", erklärte er und grinste unverschämt.
"Seien Sie bitte vorsichtig mit dem Gerät. Vergewissern Sie sich erst, ob Gefahr besteht, ehe sie es zum Einsatz bringen, ja?", sagte Payton.
Keine Angst, mein schönes Kind, ich werde erst abdrücken, wenn das Biest sie in den Klauen hält."
"Danke", erwiderte Payton und schritt voran, dicht hinter hinter Sally, der sie offensichtlich immer noch nicht traute.
Langsam ging das Quartett den Korridor entlang. Die erste Abzweigung. Ängstlich starrte Moore um die Ecken.
"Nichts", stellte er fest und schlug den linken Gang ein.
"Zündung der Sprengladungen in den Reaktoren Null minus 9 Minuten", gab Mutter gelangweilt von sich, als würde der Tod des Raumfrachters nicht ihr eigenes Ende bedeuten.
Moore stob erschrocken einen Schritt zurück, trat Sally auf die Zehen. Ein kurzer Schmerzensschrei entrann ihrer Kohle. Moore entschuldigte sich, wandte ihr dabei jedoch nicht den Kopf zu.
"Benötigen wir eigentlich keine Lebensmittel?", fragte Sally leise die ihr folgende Payton.
"Normalerweise schon, aber nachdem wir diese Reise - wenn überhaupt - ohne genaues Ziel antreten ... Wir können nur darum beten, dass uns irgend ein Frachtschiff zufällig auffindet oder das Notsignal auffängt."
Wenn nicht, dachte Sally die Feststellung fertig zu Ende, werden wir hunderte Jahre in einem galaktischen Sarg durch das All schweben, bis irgendwann die Kühlsysteme den Geist aufgeben.
"O'Brian?", rief Moore nach hinten. "Was halten Sie davon, im Vorratslager nachzusehen? Wenn ich mich an Bord eines Raumschiffs schmuggeln würde, würde ich mich am ehesten im Lebensmittellager verstecken."
"Kann sein, aber vergessen Sie nicht, dass in wenigen Minuten die Nostromo kosmischer Staub sein wird.", tat diesen Gedanken O'Brian ab und sah sich um.
Kurz darauf stiegen sie in das B-Deck hinab, das deutlich schlechter beleuchtet war, als das vertraute A-Deck.
"Diese Scheißtypen von der Gesellschaft haben an allen Ecken und Enden gespart.", maulte Moore, erhielt jedoch keine Antwort.
Mutter teilte mit, dass in 8 Minuten die Nostromo gesprengt würde. Ihr war es egal, ob mit oder ohne menschlicher Besatzung.
"Warum habe ich nur das dumpfe Gefühl, dem Tode geweiht zu sein?" ,begann Moore, während er den B-Korridor entlang ging. "Selbst wenn wir es schaffen, in 8 Minuten das Shuttle zu erreichen, ohne vorher dem Alien in die Arme zu laufen, sind unsere Überlebenschancen-"
Moores Worte erstarrten, als er um die Ecke nach rechts bog, wo sich der Abstieg zu Deck C befand.
Die anderen drei waren nicht minder entsetzt, ob des schrecklichen Anblicks.
Von der Decke herab baumelte ein Kokon von überdimensionierter Größe. Darin regte sich etwas – McKenzie!
"Oh mein Gott.", stieß Payton hervor, konnte die Augen aber nicht von dem makabren Schauspiel abwenden. Das wohl Entsetzlichste war, dass dieser nicht tot war.
"Bitte ... tötet ... mich", keuchte McKenzie.
Es war wenig mehr, denn ein erstickender Kehllaut, gerade laut genug, um vernommen zu werden.
"Wir werden dich befreien und-"
"Nein.", brach McKenzie den Satz Paytons ab.
„Töten Sie ihn.", befahl Sally mit schwankender Stimme.
Ein Kloß rutschte ihren Hals zögerlich hinab. Moore schluckte trockene Luft und betätigte den Abzug. Eine grelle Feuerzunge verzehrte McKenzie. Sie kniffen die Augen zu, so grell war der Feuerstrahl.
"Ob das Absicht von dem verdammten Ding war, den armen McKenzie genau hier-"
Noch ehe Moore den Gedankengang beenden konnte, antwortete ein Schmerzensschrei auf seine unvollendete Frage.
Das folgende ereignete sich so rasch, dass es Moore kaum bewusst verfolgen konnte: Als der Schrei hinter ihm ertönte, wirbelte er herum. Sally und Payton kreischten ebenfalls auf.
Ein, höchstens zwei Sekunden lang erhaschte Moore einen Blick auf das abscheuliche Alien. Er sah, dass es O'Brian, der darauf nicht vorbereitet war, geschnappt hatte. Er hätte das Alien in einem Meer an Feuer ertränken können, aber er hätte Sally und Payton ebenfalls bei lebendigem Leibe geröstet.
Dann war das Monster mit seiner Beute entschwunden. Sally und Payton hatten inzwischen zu Moore aufgeschlossen, doch es war zu spät: Das Alien war geflüchtet. Nebenher teilte der Computer mit, dass es nur noch 6 Minuten bis zur Detonation seien.
"Scheiße", entfuhr es Moore, der keine Bewegung zu vollbringen vermochte. Er schien wie versteinert, nur seine Lippen zitterten.
"Warum haben Sie es nicht getötet? ", schrie ihn Payton vorwurfsvoll an.
"Wäre es Ihnen genehmer, zu verbrennen?", gab Sally an Moores Stelle zurück.
Payton sank auf die Knie. Vor ihr brannte der Kokon mit dem zum zweiten Mal gestorbenen McKenzie. "Tut mir leid.", schluchzte sie, "Es tut mir ja so leid."
Endlich rührte sich Moore von der Stelle. "Schon gut. Stehen Sie auf, wir müssen weiter."
***
Und es ging weiter.
Weiter, das C-Deck hinunter, weiter, den Korridor entlang.
"Dieses Ding ist mindestens so intelligent wie wir.", bemerkte Moore.
Für Sally stellte sich indes keine Frage mehr, ob dies hier Realität war oder nicht. Es musste ganz einfach wahr sein.
Die Zeit verrann und stellte sich gegen sie. Nur noch 5 Minuten bis zur Detonation. Sie hasteten von Deck zu Deck. Endlich - der Korridor der zum Shuttle führte!
Die viertletzte Minute brach an.
Zitternd vor Glück legte Payton jenen Hebel um, der die Schleuse öffnen sollte.
Nichts geschah. Ihre Münder waren trocken vor Panik.
Payton probierte es ein zweites Mal.
Ein drittes Mal.
Die Schleuse blieb dicht, die Verbindungstür verweigerte ihnen beharrlich den Zutritt.
"Nein!", heulte sie auf und schlug mit den Fäusten gegen die unnachgiebige Tür.
"Haben Sie vergessen, die mechanische Sperre zu lösen?", sagte Moore vorsichtig, um die junge Frau nicht noch mehr zu verschrecken.
"Nein! Ich habe, es Mutter befohlen. Ich ... vielleicht hat sich Mutter umprogrammiert?"
"Quatsch, nein.", merkte Moore an und wischte sich Schweiß von der Stirn.
"Einer von uns muss zurück in die Messe und die Sperre deaktivieren."
"Soll ich das Alien mit einer Fratze in die Flucht schlagen, wenn ich ihm begegne?"
Moore atmete hastig aus. "Ich werde gehen!"
"Nein!", schrie Payton wütend über die Aussicht, schutzlos dem Alien ausgeliefert zu sein.
"Seien Sie vernünftig.", mahnte Moore, "Uns bleiben keine 4 Minuten mehr! Wenn Sie mitkämen, wären Sie auf jeden Fall geliefert. Ich werde mich beeilen. Es müsste mir möglich sein, in 3 Minuten die Messe zu erreichen."
Payton schüttelte den Kopf. "Ich habe keine Zeit mehr, mit Ihnen zu diskutieren. Leben Sie wohl."
Damit rannte Moore los, seine Konturen verloren sich rasch im Dunkel des Korridors und er entschwand alsbald endgültig ihrem Blickfeld. Payton starrte seinem Phantom nach.
"Wir sind ohne Waffen.", sagte sie ruhig und kühl. Sally legte ihr eine Hand auf die Schulter.
"Vielleicht ... ist es noch mit O'Brian beschäftigt und lässt Moore ungehindert passieren."
"Wir haben im besten Fall noch 3 Minuten zu leben.", stellte Payton fest und lehnte sich an die Verbindungstür. Langsam rutschte sie mit dem Rücken abwärts, bis sie mit ihrem Hinterteil Bodenkontakt hatte.
Schlaff streckt sie die Füße aus.
"Hoffentlich fliegen wir in die Luft, ehe uns dieses verdammte Ding erwischt."
Darauf erwiderte Sally nichts, statt dessen legte sie probeweise den Hebel um. Die Tür blieb verschlossen. Sie hatte wider besseren Wissen gehandelt, denn über dem Hebel leuchtete ein rotes Lämpchen. Selbst ihr, die sie nicht mit dem Raumschiff vertraut war, war klar, was dies bedeutete.
Jede Sekunde war endlos und doch viel zu kurz.
"Captain..."
"Nennen Sie mich Sally."
"Okay - Sally, eines möchte ich noch wissen: Hat die Gesellschaft Sie beauftragt, das Alien zur Erde zu bringen oder nicht?"
Sie sah hoch, was Sally als unangenehm empfand.
"Ich weiß es nicht. Das ist die Wahrheit, ich weiß es nicht."
Plötzlich fühlte sie sich kraftlos wie Payton.
"Dann war diese Story, die Sie uns erzählten, nicht gelogen? Sie haben Ihre Vergangenheit vergessen?"
"So ähnlich.", antwortete Sally. "Oh Payton, ich hätte es verhindern können! Ich meine, ich wusste ja anfangs, was geschehen würde- Aber ich war mir so sicher, dass dies nur ein verdammtes Spiel ist.“
Die letzten 60 Sekunden dämmerten. Noch immer glühte das rote Lämpchen auf. Trotzdem probierte Sally, ob die Sperre deaktiviert war.
"Vergessen.“, sagte Payton in freundlichem Plauderton. "Falls es Moore schaffen sollte, erfahren wir's.“
Drei langgezogene Signalgeräusche. Nicht zu überhören.
"Schön, wie Sie mir Mut machen.", sagte Sally sarkastisch, bereute dies aber bereits nachdem es ihr über die Lippen gegangen war.
"Das Alien hat ihn geschnappt. Wahrscheinlich wartet es in einem der Korridore auf uns."
"Das dürfen Sie nicht mal denken!"
„Achtung! Detonation der Reaktoren erfolgt in 30 Sekunden! Achtung! Bitte verlassen Sie das Raumschiff! Detonation der Reaktoren erfolgt in 25 Sekunden!"
"Enttäuschend", merkte Payton lakonisch an, "Ich dachte immer, in den letzten Sekunden des Lebens würde so 'ne Art Film vor den Augen ablaufen."
"Ich weiß ja nicht, wie es bei Ihnen ist, aber bei mir würden etwa zwei Filmsekunden ausreichend sein."
Payton lachte auf, gleichzeitig traten ihr Tränen in die Augen.
"Achtung! Detonation der Reaktoren erfolgt in 10 Sekunden!", mahnte Mutter. "Nun denn, ich würde sagen, das war's.", stellte Payton fest, die angesichts des unvermeidlich scheinenden Todes locker wirkte, ja, fast befreit.
"Man sieht sich.", sagte sie mit zugekniffenen Augen, während der Countdown von der Zahl 4 auf 3 sprang.
2 und 1.
Und 0.
Und Sally vernahm augenblicklich kein Geräusch mehr. Bange Sekunden verstrichen. Payton blinzelte. "Bin ich schon tot?"
"Hoffentlich nicht.", flüsterte Sally.
"Was ist los?"
"Moore hat es anscheinend doch geschafft. Er hat den Selbstzerstörungs-Mechanismus deaktiviert."
"Aber ... er sollte doch die Schleuse freigeben!", war Payton seltsam entrüstet.
"Könnte ja sein, dass er sich entschied, mit uns zu kommen, oder?", sagte Sally und half Payton auf die Beine.
"Faktisch ist es unmöglich, das System zu deaktivieren.", erklärte Payton verwundert, "Jedenfalls nahm ich das bisher an."
"Vielleicht ist das auch nur ein Spartrick der Gesellschaft.“
Das fand Payton witzig und kicherte. "Wissen Sie was? Moore hat das Alien vernichtet und dann das System deaktiviert."
"Klingt logisch.", erwiderte Sally, mochte aber selbst nicht so recht daran zu glauben. Andrerseits, gab es Alternativen zu dieser Überlegung?
"Gehen wir.", sagte Sally und schritt voran. Ohne zu murren folgte ihr Payton.
"Übrigens, ich heiße Rita."
Sally nickte nur. Es brach erneut über sie ein Dieses Happy-End konnte nur das abstruse Machwerk einer Gruppe bebrillter und verblödeter Spezialisten auf dem Gebiete der Cyber-Technik sein.
Bald würde sie in die Wirklichkeit zurückkehren.
Und es würde eine lautstarke Rückkehr sein. Sie würde Aldrich ins Gesicht sagen, nein, brüllen!, was sie von diesem High-Tech-Spielzeug hielt.
Ab und zu wechselte sie mit Rita ein paar Worte, während sie Deck um Deck erklommen und die Korridore entlang gingen. Jedesmal, wenn sie ein neues Deck oder einen neuen Korridor betraten, erwarteten sie einen verkohlten, stinkenden Haufen zu erblicken: Das von Moore erledigte Alien.
Schließlich kamen sie zu Deck A. Stille beherrschte die Nostromo. Ein neuer, erschreckender- Gedanke kam ihr: Angenommen Moore hatte Mutter umprogrammiert und war dann doch vom Alien überrascht worden? Dann lauerte in den etwas helleren Korridoren von Deck A eine tödliche Gefahr.
Sie sprach dies aber nicht aus. Rita war bestens gelaunt und Sally wollte ihre gute Laune nicht durch eine paranoide Panik ersetzen.
Sie erreichten den Korridor, der zur Messe führte. Die Tür war nicht offen, wie sie es war, als sie den Raum vor etwa zwanzig Minuten zu viert verlassen hatten.
Jetzt waren sie höchstwahrscheinlich nur noch zu dritt an Bord
Rita und sie, und entweder Moore oder das Alien. Sally schickte ein Stoßgebet nach oben, wo immer das sein mochte, dass ersteres der Fall sein würde. Sie standen vor der Tür.
"Rita, ich weiß nicht so recht, ob-„
Ihr Einwand kam zu spät, schon hatte Rita den Knopf betätigt, die Tür glitt auf und - Rita taumelte zurück, stieß Sally um und stolperte über diese, nachdem sie zu Boden gegangen war.
Vor dem Terminal stand das fremdartige Wesen und berührte mit einer seiner Klauen eine Taste, woraufhin sich hinter ihnen die Tür verschloss und den Korridor abriegelte. Es gab nur noch einen Weg – und dieser führte am Alien vorbei, doch wohin?
Trügerisch langsam wandte das Monster ihnen den Kopf zu und, so hatte es jedenfalls den Anschein, grinste ganz unverhohlen.
Speichel, scharf wie Säure, tropfte aus den Mundwinkeln zu Boden. Sally verstand nun die Zusammenhänge. Mutter kam dem Alien entgegen, unterstützte es nach programmierten Kräften, hatte eigenständig den Selbstzerstörungs-Mechanismus deaktiviert.
Sie beschützte das grauenvolle Monster und war ihm nicht unähnlich - amoralisch und ohne Bedenken.
Tötungsmaschinen.
Rita kauerte auf dem Boden und gab keinen Laut von sich. Sally hingegen richtete sich auf und starrte das Alien an.
"Du brauchst uns nicht, wie?"
Sie erhielt natürlich keine Antwort, aber wenn dem so gewesen wäre hätte diese mit Sicherheit ‚Ja’ gelautet, wie sie vermutete.
Sally ergab sich in ihr Schicksal. Sie hatte keine Vergangenheit, sie hatte keine Zukunft. Ihr einziger Wunsch war ein rascher Tod.
Es galt nur noch ein Gesetz, welches den Terminal grinsend verließ.
"Die Sprengladungen in den Reaktorblöcken wurden entschärft", war jener Satz, der ihr Leben endgültig und ohne Umschweife terminierte.
***
"Jetzt ist Mrs. Shattner bereits eine viertel Stunde da drin.", sagte Delaine leicht entnervt.
"Tatsächlich? Dann müsste-„
Die Tijr zu der Kabine glitt leise auf. Delaine heftete seinen Blick auf die Kabine. Sally Shattner trat heraus.
Sie wirkte etwas benommen, als hätte man sie aus einem Tiefschlaf gerissen. Sie blinzelte mit den Augen.
„Meine Güte, ist das hell hier.", merkte sie an.
"Das kommt Ihnen nur so vor.", beruhigte sie Aldrich der lächelte und ihr entgegen schritt. "Verzeihen Sie meine Ungestümheit, aber ich kann doch annehmen, dass Ihr Bericht positiv ausfällt?"
Sie strich sich mit der linken Hand durch das Haar. "Das können Sie, Mister Aldrich.", versicherte sie, etwas zum Erstaunen Aldrichs.
Sie hatte, so wie er, Bedenken gegen das Projekt angemeldet. Fehlender Realitätsverlust einer bereits enthemmten Jugend, hatte sie es genannt.
Plötzlich schien sie geläutert.
"Gehen wir?", sagte sie an Delaine gewandt.
Dieser warf ihr einen verwundenen Blick zu. "Geht es Ihnen auch wirklich gut?", wollte er wissen.
"Oh ja, mehr als das! Ich hatte in meinem ganzen Leben noch nicht so viel Spaß gehabt, wie in diesem Anzug.", meinte sie lächelnd.
Delaine zuckte mit den Achseln. "Wenn Sie meinen..."
"Unbedingt! Ich sage Ihnen, das müssen Sie einmal selber ausprobieren!"
Sie verabschiedeten sich von Aldrich.
Dieser blieb allein in der Halle zurück.
Er verschränkte die Arme vor der Brust. Nun stand nichts mehr seinem Projekt im Wege.
Zufrieden mit sich selbst und der Welt im allgemeinen, begab er sich in die Cafeteria nebenan, bestellte eine Tasse Kaffee und ein Stück Torte und freute sich auf den bevorstehenden Besucherandrang und der Erfüllung seines Traumes.