Was ist neu

Der Clown

Beitritt
05.03.2013
Beiträge
558
Zuletzt bearbeitet:

Der Clown

Er liebte es, wenn die Leute über ihn lachten. Freude erfüllte ihn, wenn er die strahlenden Kindergesichter sah. Stolz machte es ihn, wenn sich Erwachsene über seine Späße auf die Schenkel schlugen. Zu Tränen gerührt nahm er bei der Schlussparade den Applaus entgegen. Er, der Clown in seiner kurzen, engen Lederhose, darüber das Pionierhemd mit Halstuch, mit einem Panamahut auf dem Kopf und mit einer riesigen Schnapsnase über seinem breitroten Mund, war die Hauptattraktion des Staatszirkus der DDR.
In der Artistengemeinschaft fand er Aufgabe, Heimat und Hilfe. Er liebte den Zirkus und er fühlte sich von ihm geliebt. Bis zum Kunstpreisträger der DDR hatte er es gebracht.
Mitte der siebziger Jahre führte er als Musikclown eine Nummer mit einem Esel vor, der die Trommel zu dem Lied „Ein Männlein steht im Walde“ betätigte. Als der einmal den Rhythmus verfehlt hatte, rief der Clown dem Tier zu: „Erich, du bist aus dem sozialistischen Gleichschritt gekommen!“
In hohem Bogen flog der Possenreißer wegen staatsfeindlicher Äußerungen aus der Zirkusarena in ein Zimmerchen in Bautzen.
Vom Bautzener Turmstübchen fand er den Weg zurück in die Arena des Privatzirkus Wolf Hein. Als sich der Direktor des Zirkus mit „Schwichtel, wie Wichtel, nur mit Scheiße vorn dran“ vorgestellt hatte, ahnte er die Primitivität an seiner neuen Arbeitsstelle. Für Applaus oder Lacher musste er tief in die Klamottenkiste greifen. Die Leute lachten, wenn er dreimal hintereinander über den Stuhl fiel! Sie lachten, wenn ihm seine Assistentin einen Eimer Wasser über den Kopf schüttete! Sie lachten, als er wegen einer missglückten Jongliernummer hysterisch weinte! Und als einmal bei seiner Wildschweinnummer das Tier einen schönen Haufen machte, entfuhr es ihm: „Das ist Erichs Wirtschaftspolitik.“
Nach weiteren drei Monaten in Bautzen fand er eine Stelle als Putzmann im Theater am Schiffbauerdamm.
Dort begegnete er kurz vor der Premiere des Stückes „Der Selbstmörder“ von Nicolai Erdmann den fluchbeladenen fünf Buchstaben. Der Staatsratsvorsitzende wollte seinen Ehrenplatz einnehmen, stockte, trat zur Seite und flüsterte mit dem Intendanten. Dieser rannte zum Clown und schrie ihn an: „Der Platz des Staatsratsvorsitzenden ist schmutzig!“ Der Clown wurde vom Intendanten am Ärmel mitgeschleift, um einen großen braunen Fleck mit einem Polsterschaum zu entfernen; ein bisschen Braun blieb übrig. Im ersten Akt spürte der Ehrengast, dass Sauberkeit mit Feuchtigkeit verbunden ist.
Nach der Wende übernahm eine westliche Reinigungsfirma die Säuberung des sozialistischen Theaters und entließ ihn.
Eine neue Chance, ein neues Leben, sagte er sich und gründete die Firma „Gesund durch Lachen – der Krankenhausclown Erich“. Ein paar Jahre tingelte er erfolgreich durch die Berliner und Potsdamer Krankenstuben. Erneut blühte er auf, wenn er die lachenden, krebskranken Kinder sah oder auf einer Krankenstube mit alten Frauen Erinnerungen an früher austauschte und im Männerzimmer Honeckerwitze erzählte. Vom Senat der Stadt bekam er sogar eine Bürgermedaille für seine sozialtherapeutische Tätigkeit.
Aber in der Zeit der Dotcomblase wollte niemand mehr die Dienste eines Krankenhausclowns in Anspruch nehmen und bezahlen. Nur noch die Mitarbeiter des Arbeits- und Sozialamts erfreute er mit seinen Lustigkeiten.
Tagelang schaute er in seiner Einraumwohnung im dritten Hinterhof am Prenzlauer Berg auf sein Leben zurück. Oft stand er am Fenster seines Zimmers im fünften Stock – nur öffnen und springen und im Hinunterfallen lachen: hahaha! Schließlich ist er Clown.
Aus dem schwarzen Loch tauchte eines Tages die Idee auf, als Aktionskünstler etwas Einmaliges zu inszenieren. Mit seiner wiedergefundenen Lebenskraft richtete er auf einem verlassenen Industriegelände in einer Werkshalle einen Raum für seine Vorstellung her. Einladungszettel verteilte er in der Umgebung. Darauf konnten die Bewohner des Prenzlauer Bergs Folgendes lesen:

Ab dem
01.05.2014
schneide ich mir jeden Tag
um 17.00 Uhr
ungefähr 2 Gramm Fleisch aus meinem Körper.
Eintritt frei. Spenden sind willkommen.
Erich, Clown und Aktionskünstler
Erlösungsgasse 1​

Wieder so ein Spinner, sagten sich die Leute und vergaßen die Angelegenheit.
Drei neugierige Damen aus dem Altenheim Ernst Thälmann näherten sich zur angekündigten Zeit dem verwahrlosten Werksgelände und saßen bald auf den wackeligen Stühlen. Etwas betreten beobachteten sie, wie der Clown in seinem Kostüm aus seiner Zeit im Staatszirkus – Lederhose, Pionierhemd, Honeckerhut und Clownsgesicht mit übergroßen Schuhen - seinen Auftritt spielte. Wackelnd schlurfte er heran, zog seinen Hut vor ihnen und verbeugte sich großartig mit breitem Grinsen, watschelte in die Mitte eines freien Raumes, verbeugte sich abermals, öffnete die Hosenträger und zog das Pionierhemd aus. Lächelnd stellte er einen CD-Player an und es ertönte aus der Matthäuspassion von Johann Sebastian Bach das Lied „O Haupt voll Blut und Wunden.“ Lächelnd öffnete er einen schwarzen Lederbehälter und hob andächtig ein scharfes Metzgermesser aus dem Etui, das er den Damen zeigte. Die Strophe
„Nun, was du, Herr, erduldet,
Ist alles meine Last;
Ich hab’ es selbst verschuldet,
Was du getragen hast“
begleitete das Ansetzen des Messers am linken Oberarm und den kräftigen Schnitt in das Fleisch. Die anfänglichen Schmerzen ließen kurz das Lächeln zittern. Dann war es vorüber. Mit großartiger Geste legte er einen Verband über die Wunde an, ging zu den Damen, verbeugte sich clownsmäßig übertreibend, wies sein Stück Fleisch vor und schritt zu den Zeilen
„Erscheine mir zum Schilde,
Zum Trost in meinem Tod,
Und laß mich sehn dein Bilde,
In deiner Kreuzesnot“​
gravitätisch watschelnd zum Kleinbüro, in dem er verschwand. Die Damen applaudierten begeistert.
Beeindruckt von dieser Vorstellung erzählten sie beim Abendessen anderen alten Damen und Herren von ihrem Erlebnis. Es sei wie ein Gottesdienst so feierlich und doch so unterhaltsam wie im Zirkus gewesen. Sie hätten sich irgendwie gebessert gefühlt; jedenfalls seien sie als andere Menschen herausgekommen, als sie hineingegangen waren.
Am nächsten Tag besetzten zehn Besucher aus dem Altenheim Ernst Thälmann die Stühle und wollten sich verwandeln und verzaubern lassen. Der Erfolg zeigte sich in begeistertem Applaus und kleinen Spenden.
So füllte sich die heruntergekommene Werkshalle jeden Tag mit mehr Neugierigen, die der Selbstverstümmelung zusehen wollten. Der Clown schöpfte Hoffnung auf eine Wiederherstellung seiner Berühmtheit.
Den Körperteil der Exzision wechselte er täglich, um größtmögliche Schonung zu erreichen.
Die Veranstaltung wurde Kult. Nachdem einige Anzeigenblätter, dann seriöse Zeitungen anerkennende Berichte veröffentlicht hatten, mietete er in den Hackeschen Höfen einen großen Saal für zweihundert Leute. Als Eintritt verlangte er nun 10 Euro, Wochenkarte 50 Euro, Monatskarte 180 Euro. Wer allerdings zusätzlich einen Scheck ausstellte, der durfte durch die Absperrung und eigenhändig ein Stück Fleisch heraussäbeln.
Eine Gegenbewegung gegen die künstlerisch-clowneske Exzision formierte sich. Ein Pfarrer verlangte die Einstellung dieser pseudoreligiösen, blasphemischen Veranstaltung, Vertreter der Ärzteschaft wiesen auf die Infektionsgefahr hin, Psychologen warnten vor den Einflüssen vor allem auf sich ritzende Mädchen. Menschenrechtsanhänger demonstrierten gegen die Selbstverstümmelung, Künstlerkollegen veranstalteten eine Gegendemonstration für die Freiheit der Kunst.
Enthusiasmiert von dem großen Erfolg setzte der Clown mit neuem Selbstbewusstsein die Veranstaltung fort und säbelte sich Gramm um Gramm Tag für Tag aus seinem Körper, der nun schon von tiefen Narben gezeichnet war. Ausgleich schufen 80.000 Euro auf dem Konto.
Bald beteiligte sich das ganze Land an der Diskussion über die Kunstsäbelei. Alle waren eigentlich dagegen, aber alle wollten es sehen, sodass ein Fernsehstudio in eine Nachbarwohnung eingebaut wurde. Täglich um 18.00 Uhr brachte ein Privatsender einen viertelstündigen Bericht über den Tag „Bei Erich“ mit ausgewähltem Publikum. Als Renner für die Bekleidungsindustrie erwiesen sich das Pionierhemd und der Panamahut a la Honecker, den auch der Bundeskanzler trug.
Das Bankkonto des Clowns war mittlerweile auf beinahe eine Million Euro angewachsen. Die Kritik war angesichts der Beliebtheit der Veranstaltung verstummt. Es sei halt ein Zeichen für unsere Zeit, meinten skeptische Zeitgenossen.
Ein Beirat aus Ärzten, Medienfachleuten, Politikern und Geistlichen beriet den Aktionskünstler dabei, wo und wie er sich das nächste Stückchen Fleisch herausschneiden sollte. Zu Weihnachten und Ostern schnitt er, umrahmt von einer Fünfgängemenü-Revue, nach dem vierten Gang seine zwei Gramm aus dem Körper. Eine Damenkapelle spielte dazu „Bei mir bistu schejn“.
Da es langweilig wurde, immer nur ein unschädliches Muskelstückchen herauszuschneiden, kam der PR–Berater auf die Idee, den Penis zu entfernen. Wochenlange PR-Arbeit düngte den geistigen Boden mit religiösen Vorstellungen. Ein Jubellied über die Eunuchenpriester der Kybele düngte den geistig-seelischen Boden, der für den Triumphzug nötig war. Man wählte mit Bedacht Pfingsten als Sendetermin aus, weil dies der Tag des Heiligen Geistes ist, dem man der Einfachheit halber auch Eunuchentum zuschrieb.
Ein Zug durch Berlin wurde geplant, ein Zug mit einundzwanzig Musikwagen, die heiße Rhythmen mit höchster Lautstärke in die Menge pfeffern sollten. In der Mitte des Zugs, auf dem elften Wagen, musizierte das berühmteste Orchester der Stadt mit dem berühmtesten Chor der Stadt und den berühmtesten Gesangssolisten der Stadt andauernd den vierten Satz der neunten Symphonie von Beethoven, wo sich, in griechischen Kurzröckchen gekleidet, Männlein und Weiblein umschlangen.
Unter ihnen saß der nur mit dem Honeckerhut bekleidete Clown auf einem vier Meter hohen Thron. Die Menschen jubelten ihm zu und voller Stolz winkte er in die Menge, warf Geldscheine in sie, genoss ihre Aufmerksamkeit in vollen Zügen, sah er doch nur lachende Gesichter.
200 Millionen Zuschauern erlebten dieses Ereignis am Fernsehapparat. Public Viewing in allen größeren Städten ließ das Konto von Catering Firmen anschwellen.
Auf einer riesigen Bühne mitten im Olympiastadion, das berstend voll war, durfte eine berühmte Dame der obersten Gesellschaft das Messer führen; ihr Gesicht war hinter einer Maske versteckt, aber jeder wusste, dass es die ... war. Sie bezahlte für diese Ehre eine Million Euro. Der rasende Rhythmus aller Musiker des Zuges brachte den Clown in solche Verzückung, dass er von dem Schnitt der Dame nichts spürte. Triumphierend hielt sie den jubelnden Fans des Clowns den Penis entgegen und setzte ihm den Panamahut auf. Der Penis mit Hut fand an hervorragender Stelle seinen Platz im Deutschen Historischen Museum.
Das rechte Auge zu Allerheiligen war kein großer Erfolg, die Zunge zu Sylvester ein Quotenmiesling.
Das Bankkonto des Selbstverstümmlers belief sich zwar auf 22 Millionen Euro, aber der Höhepunkt seiner Karriere war überschritten.
Wann würde er damit aufhören? Diese Frage beschäftigte schon kaum mehr jemanden. Die Fernsehübertragungen wurden eingestellt, weil eine Frau, die eine Wette über sieben Millionen Mark abgeschlossen hatte, dass sie innerhalb eines halben Jahres ihr Gewicht von 67 Kilo auf 250 Kilo steigern würde, weitaus höhere Einschaltquoten hatte als der Clown. Dieser war so auf seine Aufgabe konzentriert, dass er nicht mehr aufhören konnte, selbst wenn er es gewollt hätte.
Entstellt und verstümmelt säbelte er an seinem Körper weiter. Unappetitlich war er jetzt anzusehen. Seine Berater hatten ihn längst verlassen. Die Millionen von seinem Konto waren mit ihnen gegangen.
In einer Einraumwohnung in Friedrichshain sahen nur wenige unermüdliche Anhänger seiner Verstümmelung zu und spendeten ein paar Euros. Nur noch einmal den Zustand erreichen, den er so oft im Staatszirkus der DDR erlebt hatte, das sehnte er inniglich herbei. Er hatte es notwendig, die Aufmerksamkeit auf sich gerichtet zu spüren, das war ihm notwendig wie die Luft zum Leben, wie das Wasser zum Schwimmen, wie das Herz zum Lieben, das war sein Lebenselixier.
Mit den Ohren musste es gelingen.
Die letzten Freunde klebten Werbezettel rund um sein Zimmerchen in Friedrichshain auf. Nur neun Leute kamen zu dieser Veranstaltung, Penner zumeist, die ein warmes Plätzchen suchten, denn am Aschermittwoch brach die Kältewelle aus dem Osten über Berlin herein. Ein Misserfolg.
In den nächsten Tagen führte er heroisch sein Schauspiel im leeren Zimmer auf. Als körperliches Wrack, das humpelte und sich wegen seiner Blindheit nur tastend fortbewegen konnte, mit verzerrtem Gesicht, denn die Wunden heilten langsamer und die Narben schmerzten, erregte er die Abscheu seiner Mitbewohner des Mietshauses. Der Hausbesitzer warf ihn einfach hinaus.
Der Clown schleppte sich zum schützenden S-Bahn-Tunnel und ließ sich unweit des Zugangs zu den Zügen nieder, legte seinen Hut vor sich hin, um damit den Lebensunterhalt zu verdienen.
Am Abend des Gründonnerstags begoss ihn eine besoffene Bande jugendlicher Mädchen und Jungen mit ihren Bierflaschen. „Wehr dich doch!“, schrie ihn der glatzköpfige Häuptling an. Der Bettler lag reglos da. Ein Fußtritt. „Wehr dich doch!“ Wieder keine Reaktion! Die Jungen nahmen ihre Schwänze aus der Hose und bepinkelten den Künstler: „Wehr dich, du Feigling!“ Die Gruppe war mit ihrer Geduld am Ende. Kichernd die Mädchen, lachend die Jungen, schlugen sie auf ihn ein und traten ihn mit den Füßen.
Einmal hatte er es so geliebt, wenn Menschen über ihn lachten. Er sah die fröhlichen und strahlenden Kindergesichter im Staatszirkus der DDR vor sich, er sah, wie er …
Eine Polizeistreife beendete die Tortur des Clowns.
Am nächsten Tag verschied er in der Charité.
Sein Panamahut lag einige Zeit in einer Ecke, bis ihn eine Reinigungskolonne ...

 

Hallo Wilhelm

Stolz machte es ihn, wenn sich Erwachsene über seine Späße vor Spaß auf die Schenkel schlugen.

Auch wenn ich denke, dass es kein Versehen war, die Doppelung des Spasses, fände ich ein Synonym an zweiter Stelle eleganter zu lesen. Selbst wenn – wie ich kurz danach erkannte – es dort damals nicht für alle viel Anlass zur Freude gab.

Er, der Clown in seiner kurzen, engen Lederhose, darüber das Pionierhemd mit Halstuch,

Beim Pionierhemd war mir sofort klar, zu welcher Zeit und in welchem geografischen Kulturraum es spielen muss, noch bevor ich dann DDR las. Den Ausdruck Pionier für Pfadfinder lernte ich Mitte Sechzigerjahre in Budapest kennen – eine Terminologie von Osteuropa.

„Erich, du bist aus dem sozialistischen Gleichschritt gekommen!“

Selbst mir als politisch Enthaltsamer war sofort klar, dass hier der Hohn anecken musste. Eine Klausur in der gesiebten Luft von Bautzen, zu meditativ-sprachlicher Ideologisierung als reinigender Akt, musste ihm da doch voraussehbar gewesen sein.

„Das ist Erichs Wirtschaftspolitik.“

Da hebelt sich jegliche Unschuldsvermutung, sollte sie beim ersten Akt als Eventualität noch erwägbar gewesen sein, selbst aus.

Mit großartiger Geste legte [er] einen Verband über die Wunde an, ging zu den Damen, verbeugte sich clownsmäßig übertreibend, wies sein Stück Fleisch vor

Das er würde ich den Damen nicht vorenthalten, immerhin will er nicht doppelsinnig als Subjekt wahrgenommen werden, selbst wenn es hier in der Zukunft des nächsten Jahres spielt.

Den Körperteil der Exzision wechselte er täglich, [um] größtmögliche Schonung zu erreichen.

Auch hier schiene mir die Verknappung eher angezeigt, wenn es ohne zu endete, dafür mit erreichend. Ansonsten jedoch mit um eingeschoben.

Er hatte es notwendig, die Aufmerksamkeit auf sich gerichtet zu spüren, das war ihm nötig wie die Luft um Leben, wie das Wasser zum Schwimmen, wie das Herz zum Lieben, das war sein Lebenselixier.

Warum nicht zum Leben, diese Verknappungen verwirren mich noch mehr, als seine unfachmännischen Schnipseleien.

Ein trauriges Ende, das in diesem Akt jedoch auch wieder an die Realität ermahnt. Aus meiner Distanz betrachtet, ein Stück stark überzeichneter Realsatire. Der innere Gehalt der Geschichte transportiert wohl aber so manch verblasste Träume, die Ex-Sozialstaatsbewohner gefühlsmässig heute vielleicht plagen, sich noch an andere Zeiten erinnernd.

Mir persönlich wäre es zwar interessanter gewesen, diesen Verlauf auf gänzlich realer Ebene nachzuvollziehen, doch konnte ich es mir ausreichend abstrahieren, sodass ich es gerne, und trotz teilweise Grobschlächtigem, vergnüglich las.

Schöne Grüsse

Anakreon

 

Hallo Wilhelm Berliner,

ich habe es über weiter Strecken gern gelesen. Die Geschichte und auch der Hieb auf Medien und "und was Zuschauer wollen", hat mir gut gefallen. Etwas langatmig empfand ich den zweiten Teil, da ja klar ist, worauf es hinausläuft. Da hätten so Schlaglichter, für mein Empfinden, ausgereicht. Schön fand ich auch den Aufbau, schöpft man kurz Hoffnung für den Clown, als er im Krankenhaus zwar wieder Bestätigung seiner Berufung findet, aber davon nicht leben kann.

Stolz machte es ihn, wenn sich Erwachsene über seine Späße vor Spaß auf die Schenkel schlugen.

Mich hat auch der doppelte Spaß aus dem Tritt gebracht. Und dabei geht es so gut ohne:
Stolz machte es ihn, wenn sich Erwachsene über seine Späße auf die Schenkel schlugen.
Wovor auch sonst, wenn nicht aus Erheiterung ;).

Zu Tränen gerührtKOMMA nahm er bei der Schlussparade den Applaus entgegen.

Die Ungerechtigkeit schmerzte ihn tief. Nicht an den Staatsratsvorsitzenden hatte er gedacht, sondern an seinen Nebenbuhler, der bei der Susi nicht landen konnte. Aber das glaubte ihm niemand.

Fand ich verwirrend, ja wenn der Nebenbuhler nicht landet bei der Susi, ist er doch kaum des Gedankens wert. Warum heißt denn der Esel nicht einfach Erich? Dann wäre die Ungerechtigkeit noch einen Tick ungerechter und die Wiederholung würde auch nicht so ins Gewicht fallen.

Die Leute lachten, wenn er dreimal hintereinander über den Stuhl fiel! Sie lachten, wenn ihm seine Assistentin einen Eimer Wasser über den Kopf schüttete! Sie lachten, als er wegen einer missglückten Jongliernummer hysterisch weinte!

Das hat mir gut gefallen. Das ist so dezent großes Drama.

Nach weiteren drei Monaten in Bautzen fand er eine Stelle als Putzmann im Theater am Schiffbauerdamm.

:)

Im ersten Akt spürte der Ehrengast, dass Sauberkeit mit Feuchtigkeit verbunden ist.
Der Clown weinte bitterlich. (Den Sturz vom Hochseil des Staatszirkus mit Auslandsreisen zum kalauernden Provinzclown und endlich zum Putzmann für den Arsch der fünf schicksalhaften Buchstaben: was für eine Karriere!) Er weinte, bis die Mauer fiel.
N. d. W. (nach der Wende) übernahm eine westliche Reinigungsfirma die Säuberung des sozialistischen Theaters und entließ ihn.

Das in Klammern bringt den Leser nicht weiter, weiß er ja, könnte man streichen. Und schreib doch gleich Nach der Wende aus, dann sieht das nicht so komisch und nachgestellt aus.

Vom Senat der Stadt bekam er sogar eine Bürgermedaille für seine sozialtherapeutische Tätigkeit.
Aber in der Zeit der Dotcomblase wollte niemand mehr die Dienste eines Krankenhausclowns in Anspruch nehmen und bezahlen; zu viel Geld wanderte von einem zu einem anderen, meistens zum ganz Anderen. Nur noch die Mitarbeiter des Arbeits- und Sozialamts erfreute er mit seinen Lustigkeiten.

Und das ist hier ist mir zu viel Zeigefinger, muss ich sagen. An solchen Stellen dachte ich immer - schade. Warum jetzt so plakativ?

Und obwohl er vom Bürgermeister eine Medaille bekam, wollte schon bald niemand mehr die Dienste eines Krankenhausclowns in Anspruch nehmen und bezahlen. Sein Publikum wechselte erneut, jetzt waren es die Mitarbeiter des Amtes.

Tagelang schaute er in seiner Einraumwohnung im dritten Hinterhof am Prenzlauer Berg auf sein Leben zurück.
Sein Niedergang engte ihm die Brust ein. Er versank im schwarzen Loch von Arbeitslosigkeit und von Hartz IV. Oft stand er am Fenster seines Zimmers im fünften Stock – nur öffnen und springen und im Hinunterfallen lachen: hahaha! Schließlich ist er Clown.

Hier auch noch mal so nachgebohrt.

Tagelang schaute er in seiner Einraumwohnung im dritten Hinterhof am Prenzlauer Berg auf sein Leben zurück. Oft stand er am Fenster seines Zimmers im fünften Stock – nur öffnen und springen und im Hinunterfallen lachen: hahaha!

Sagt alles, kurz und knapp und weniger umständlich. Aber ist natürlich nur Vorschlag und mein Empfinden, ist klar.

Aus dem schwarzen Loch tauchte eines Tages die Idee auf, als Aktionskünstler etwas Einmaliges zu inszenieren.KEIN ZEILENUMBRUCH
Mit seiner wiedergefundenen Lebenskraft richtete er auf einem verlassenen Industriegelände (in einer Werkshalle) einen Raum für seine Vorstellung her. Einladungszettel verteilte er in der Umgebung. Darauf konnten die Bewohner des Prenzlauer Bergs Folgendes lesen.DOPPELPUNKT STATT PUNKT

Wieder so ein Spinner, sagten sich die Leute und vergaßen die Angelegenheit.
Drei neugierige Damen aus dem Altenheim Ernst Thälmann näherten sich zur angekündigten Zeit dem verwahrlosten Werksgelände und saßen bald auf wackeligen Stühlen (ganz allein in dem verdreckten Raum).

Weiß der Leser schon ;).

Etwas betreten beobachteten sie, wie der Clown in seinem Kostüm aus seiner Zeit im Staatszirkus – Lederhose, Pionierhemd, Honeckerhut und Clownsgesicht mit übergroßen Schuhen - seinen Auftritt wie im Staatszirkus spielte.

Tut nicht Not hier noch mal in Worten an den Staatszirkus zu erinnern, macht das Kostüm von selbst.

Etwas betreten beobachteten sie, wie der Clown in Lederhose, Pionierhemd, Honeckerhut mit übergroßen Schuhen, wackelnd heranschlurfte, seinen Hut vor ihnen zog und sich verbeugte ...

Beeindruckt von dieser Vorstellung erzählten sie beim Abendessen anderen alten Damen und Herren von ihrem Erlebnis. Es sei wie ein Gottesdienst so feierlich und doch so unterhaltsam wie im Zirkus gewesen. (Sie hätten sich irgendwie gebessert gefühlt; jedenfalls seien sie als andere Menschen herausgekommen, als sie hineingegangen waren.)

Das ist für mich nicht nachvollziehbar und auch überflüssig.

Wer allerdings zusätzlich einen Scheck ausstellte, der durfte durch die Absperrung und eigenhändig ein Stück Fleisch heraussäbeln.

:D

Eine Gegenbewegung gegen die künstlerisch-clowneske Exzision formierte sich. Ein Pfarrer verlangte die Einstellung dieser pseudoreligiösen, blasphemischen Veranstaltung, Vertreter der Ärzteschaft wiesen auf die Infektionsgefahr hin, Psychologen warnten vor den Einflüssen vor allem auf sich ritzende Mädchen. Menschenrechtsanhänger demonstrierten gegen die Selbstverstümmelung, Künstlerkollegen veranstalteten eine Gegendemonstration für die Freiheit der Kunst.

Braucht es das?

Das Bankkonto des Clowns war mittlerweile auf beinahe eine Million Euro angewachsen.

Der Satz dreht sich auch so um sich selbst.
Das Bankkonto des Clowns wuchs auf beinahe eine Million Euro.

Dieser ganze Umzugsteil nimmt mir eindeutig zu viel Raum ein, es bringt die Geschichte nicht voran, es wird echt etwas - zäh - hier.

Das Bankkonto des Selbstverstümmlers belief sich zwar auf 22 Millionen Euro, aber der Höhepunkt seiner Karriere war überschritten.

Und an diesem Punkt frage ich mich, warum hört er nicht auf, und geht ins Krankenhaus zurück. Spätestens hier war ich raus, was seine Motivation betrifft. Am Anfang litt er darunter, so billige Kunst vorführen zu müssen, er litt unter dem schlechten Geschmack, den er sich jetzt zu nutze macht. Er tut es für seine Eitelkeit, für die Masse, aber dieser Rausch, kommt für mich nicht richtig an. Klar kann die Geschichte hier nicht enden, wäre ja ein Happy Ende und das willst du sicher nicht, was ich gut verstehen kann. Aber mir wird der Typ an dieser Stelle unsympathisch und ich steige emotionsmäßig aus und eigentlich ist mir dann auch egal, was mit ihm passiert. Zu viel drumrum geschildert und ihn vernachlässigt.

Dieser war so auf seine Aufgabe konzentriert, dass er nicht mehr aufhören konnte, selbst wenn er es gewollt hätte.

Kommt bei mir nicht an und ich glaube dem Erzähler an dieser Stelle nicht.

Nur noch einmal den Zustand erreichen, den er so oft im Staatszirkus der DDR erlebt hatte, das sehnte er inniglich. Er hatte es notwendig, die Aufmerksamkeit auf sich gerichtet zu spüren, das war ihm nötig wie die Luft zum Leben, wie das Wasser zum Schwimmen, wie das Herz zum Lieben, das war sein Lebenselixier.

Zu spät, denke ich und zu einfach. Er muss doch jetzt 'nen gewaltigen Film schieben, um weiterzumachen. Da funken doch die Synpasen nicht mehr richtig. Die Erklärung scheint mir zu harmlos.

Sein Panamahut lag einige Zeit in einer Ecke, bis ihn eine Reinigungskolonne mit anderem Dreck zur Müllhalde fuhr.

Mag ich sehr, wenn es auch kürzer und somit dramatischer ginge:
Sein Panamahut lag einige Zeit in einer Ecke, bis die Stadtreinigung ihn aufsammelte.
Wo er dann landet ist ja klar ;).

Über weite Strecken wirklich sehr gern gelesen, die Idee gefällt mir gut.

Soviel von meinen Eindrücken und Empfindungen. Wie gesagt, alles sehr subjektiv.
Beste Grüße Fliege

 

Hallo Anakreon,

der Spaß ist weg, nicht der Spaß, Deine Erläuterungen zu lesen (wenn das Wort Spaß oder noch mehr Spass überhaupt in diesem Zusammenhang verwendet werden soll).

Da hebelt sich jegliche Unschuldsvermutung, sollte sie beim ersten Akt als Eventualität noch erwägbar gewesen sein, selbst aus.
Die Doppeldeutigkeit des Redens und Denkens ist hier von mir nicht ganz klar herausgearbeitet. Das Sprechen auf zwei Ebenen meinte ich: Natürlich ist es einer Seite der Persönlichkeit klar, dass er politisch aneckt, andererseits sind manche Ausreden ähnlich naiv wie die des Clowns und dienen der vergeblichen Beschönigung des Vergehens, sind faule Ausreden.
Siehe:
Ein mir bekannter Conférencier klagte darüber, er könne im Kabarett überhaupt keinen Witz mehr machen, ohne daß dieser politisch interpretiert würde, und selbst wenn er von nichts spräche als von der der Schwiegermutter, dem Hausfreund oder von des Försters klugem Dackel ...
Werner Bergengruen: Schriftstellerexistenz in der Diktatur. München 2005, S. 172
Aus diesem Dilemma will sich der Clown rausreden.

Warum nicht zum Leben, diese Verknappungen verwirren mich noch mehr, als seine unfachmännischen Schnipseleien.
Natürlich zum, ich habe das Z nicht stark genug gedrückt.

Mir persönlich wäre es zwar interessanter gewesen, diesen Verlauf auf gänzlich realer Ebene nachzuvollziehen, doch konnte ich es mir ausreichend abstrahieren, sodass ich es gerne, und trotz teilweise Grobschlächtigem, vergnüglich las.
Die reale Ebene findet man in Autobiografien und Biografien. Das Grobschlächtige soll Aufmerksamkeit erregen und Provokation.
Es erscheint mir die Zerstückelung und Zerstörung des Körpers eine grobe, eingängige Metapher für die Behandlung von Menschen in einer von Konkurrenz geprägten Gesellschaft: die Selbstzerstörung als Antwort auf die entsprechende Situation. Die vielen Fälle von Burn-out oder von ritzenden Jugendlichen deuten daraufhin, dass hier ein gesellschaftliches Problem liegt. Die Krassheit soll zeigen, dass hinter der „feinen“, dezenten Diskussion über Burn-out eine brutale Leidensgeschichte steht, die in einzelnen Erscheinungsformen der Grobschlächtigkeit des Textes nicht nachsteht. Nur selten werden diese Geschichten öffentlich.
Vielen Dank für Deine Mühe, deine hilfreichen Hinweise und den Diskussionsanlass. Sie waren mir eine große Hilfe.
Herzliche Grüße
Wilhelm

Hallo Fliege,

es freut mich, dass Du die Geschichte wenigstens teilweise gern gelesen und mir viele Hinweise, von denen ich einige eingearbeitet habe, gegeben hast.

Der Nebenbuhler ist verschwunden, eine faule Ausrede. Auch andere Kürzungen habe ich nach Deinen Vorschlägen vorgenommen. Grundsätzlich hast Du mit den Kürzungen recht. Ich predige dies mir immer wieder, aber dabei habe ich das Gefühl von Verstümmelung des Textes. Ich lese den Text halt mit allen Vorversionen und in einem anderen Kontext als der fremde Leser und manches bleibt stehen, aus „sachfremden“ Gründen. Du hast solche Stellen entdeckt.

Beeindruckt von dieser Vorstellung erzählten sie beim Abendessen anderen alten Damen und Herren von ihrem Erlebnis. Es sei wie ein Gottesdienst so feierlich und doch so unterhaltsam wie im Zirkus gewesen. (Sie hätten sich irgendwie gebessert gefühlt; jedenfalls seien sie als andere Menschen herausgekommen, als sie hineingegangen waren.)
Das ist für mich nicht nachvollziehbar und auch überflüssig.
Dies ist mein Hinweis auf die Katharsistheorie von Aristoteles, dass man durch Mitempfinden die eigene Seele reinigt. Deshalb finde ich den Satz wichtig, er beschreibt eine Art Psychotherapie.

Eine Gegenbewegung gegen die künstlerisch-clowneske Exzision formierte sich. Ein Pfarrer verlangte die Einstellung dieser pseudoreligiösen, blasphemischen Veranstaltung, Vertreter der Ärzteschaft wiesen auf die Infektionsgefahr hin, Psychologen warnten vor den Einflüssen vor allem auf sich ritzende Mädchen. Menschenrechtsanhänger demonstrierten gegen die Selbstverstümmelung, Künstlerkollegen veranstalteten eine Gegendemonstration für die Freiheit der Kunst.

Braucht es das?
Eigentlich dringend, weil hier das Einzelereignis in den gesellschaftlichen Kontext eingepasst wird. Es zeigt die soziale und mediale Bedeutsamkeit der Selbstverstümmelungen und die Reaktion der Gesellschaft darauf.
Dieser ganze Umzugsteil nimmt mir eindeutig zu viel Raum ein, es bringt die Geschichte nicht voran, es wird echt etwas - zäh - hier.
Ist erledigt. Ich versuchte hier Love-Parade, Rosenmontagszug und Kybeleprozession zu vereinen. Das wäre eine eigene Geschichte.

Dieser war so auf seine Aufgabe konzentriert, dass er nicht mehr aufhören konnte, selbst wenn er es gewollt hätte.
Kommt bei mir nicht an und ich glaube dem Erzähler an dieser Stelle nicht.
Mag sein, dass die Sucht zur Selbstverstümmelung nicht genügend herausgearbeitet ist. Suchtverhalten führt, wenn man die körperliche Ebene des Clowns verlässt, zur Selbstvernichtung: ob Spielsucht, Alkoholismus oder Fresssucht. Das sollte gezeigt werden.

Aber mir wird der Typ an dieser Stelle unsympathisch und ich steige emotionsmäßig aus und eigentlich ist mir dann auch egal, was mit ihm passiert. Zu viel drumrum geschildert und ihn vernachlässigt.
Da magst Du wiederum recht haben. Sympathisch war er mir hier nicht. Anfangs ja, aber die Selbstverstümmelung als Metapher für das Leiden am Leben und den Protest dagegen finde ich nachvollziehbar und realistisch genug. Mein "liebevolles" Verständnis für den Fanatismus von ihm und seine Gier nach „Mehr“ (typisch für unsere Zeit) ist wenig entwickelt. Es war eigentlich nur der Automatismus zu beschreiben, mit dem Suchtferhalten bei manchen (vielen?) zum bitteren Ende führt. Ist das nicht auch bei Michael Kohlhaas so?

Du hast Dir viel Arbeit gemacht mit den wertvollen Hinweisen, die ich gerne gelesen und viele von ihnen übernommen habe. Vielen Dank dafür. Was ich theoretisch weiß: Kürzen, kürzen, kürzen, vergesse ich manchmal.

Herzliche Grüße
Wilhelm

 

Wie kann es angehn, dass an zwei Stellen hierorts (siehe Elisha) derzeit Verse Paul Gerhardt so etwas wie eine Renaissance erleben, Kirchenlieder, die ihre Metaphorik aus den Gräueln seiner Zeit ziehen – dem Dreißigjährigen Krieg, wie hier ja auch,

lieber Wilhelm,

die Nachkriegszeit eines anderen Dreißigjährigen Krieges (1914 – 45), der im Kalten Krieg seine Verlängerung fand,

Der Clown wurde vom Intendanten am Ärmel mitgeschleift, um einen großen braunen Fleck mit einem Polsterschaum zu entfernen; ein bisschen Braun blieb übrig,
braun – eine Anspielung für die Nähe totalitärer Regimes?, ist doch Braun ein Rot mit Grauschleier - dargestellt wird, wobei die obsiegende Seite sich inzwischen fleißig am eigenen Untergang arbeitet und dabei das braun am andern Ende der Welt ein gelb mit Grauschleier ist und den Staatskapitalismus mit Methoden des Neoliberalismus durchsetzt.

Eine seltsame Tragödie eines Menschen, der sich zum Clown berufen führt, dabei hätt’ ich doch gedacht, dass nicht erst seit Eckart von Hirschhausen über die gesunde Wirkung des Lachens zumindest auf Kinderstationen in Krankenhäusern Einsicht herrscht – stattdessen das Verlangen nach der Sensation und Selbstaufgabe (und wär’s als Selbstverstümmelung im Tempo drei Gramm pro Tag) an ein zahlendes Publikum mit allem Risiko des „frei“ Schaffenden, Freiberufler, Ich-AG. Immerhin ist man nicht mehr abhängig beschäftigt - und stürzt sich doch in eine viel grausamere Abhängigkeit: mit dem großen Strom zu schwimmen.

Das Wort Clown wurde bereits im 18. Jh. aus dem engl. entlehnt, der ursprünglichen CHARAKTERRolle des Bauerntölpels, spätestens aber mit der Romantik sind Narr, Gaukler und Clown absichtlich entstellten Bildnisse der Bedingungen von Kunst als verkleidetes Selbstbildnis des Künstlers, kurz: Karikatur seinerselbst. Aber vielleicht ist es eine lang – vielleicht allzu lang – geratene Parabel auf die heutige Sucht nach Publizität und Publikum, und wäre es nur für fünf Minuten in einer Castingshow. Gleichwohl ein paar Auffälligkeiten, wie hier

…, war die Hauptattraktion des Staatszirkus der DDR.
Hier solltestu einen Apostroph anbringen, um anzuzeigen, das die Genitivendung (in diesem Fall –es) fehlt. Sonst würde es korrekt zu „des …zirkusses“.
Ähnlich hier,
… des Privatzirkus Wolf Hein,
was natürlich auch unterbleiben kann - dann nämlich, wenn es insgesamt ein fester Begriff bzw. Name ist (wie bei Firmen, die ja nix anderes als der Name eines Kaufmanns sind).

Bissken Kommasetzung

… die lachenden[,] krebskranken Kinder …

Hier kannstu die extrem schwache Klammer an sich vermeiden, statt

Mitte der siebziger Jahre führte er als Musikclown eine Nummer mit einem Esel, der die Trommel zu dem Lied „Ein Männlein steht im Walde“ betätigte, vor.
- besser
Mitte der siebziger Jahre führte er als Musikclown eine Nummer mit einem Esel [vor], der die Trommel zu dem Lied „Ein Männlein steht im Walde“ betätigte […] .

Eine Wortzusammensetzung -

es ist ein Kreuz mit den verbindenden Lauten zwischen Wortzusammensetzungen, über die sich schon im 18. Jhdt. Jean Paul aufgeregt hat („Über die deutschen Doppelwörter“) und heute noch über die „Fugenelemente der deutschen Komposita“ promoviert wird. In der Tat weiß man heute, dass es ursprünglich Genitivbildungen sind – und wenn sich die Genitiv-Endung nicht in unserem Falle wie der

Werkshalle
hier vollständig abgeschliffen hätte, könnte man es noch als Halle des Werkes, Werk(e)s Halle erkennen. Der Rechtschreibduden führt tatsächlich nur noch
Werkhalle
auf.

Erscheine mir zum Schilde,
Zum Trost in meinem Tod,
Und laß mich sehn dein Bilde,
In deiner Kreuzesnot“
Anpassung an die neuere DRS

… das sehnte er inniglich.
Hier fehlt etwas und wenn es nur ein abschließendes „herbei“ wäre.

Hier nun wird haben und sein verwechselt:

Er hatte es notwendig, die Aufmerksamkeit auf sich gerichtet zu spüren, das war ihm nötig wie die Luft um Leben, wie das Wasser zum Schwimmen, wie das Herz zum Lieben, das war sein Lebenselixier.
nötig haben und notwendig sein

Genug gequält und doch gern gelesen vom

Friedel

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Friedel,
achtzehn Arten des Lachens soll es geben, gesundes und krank machendes, lustiges und bitteres. Vielleicht koordiniert das Lachen die meisten Gefühlsregungen.

Eine seltsame Tragödie eines Menschen, der sich zum Clown berufen führt, dabei hätt’ ich doch gedacht, dass nicht erst seit Eckart von Hirschhausen über die gesunde Wirkung des Lachens zumindest auf Kinderstationen in Krankenhäusern Einsicht herrscht – stattdessen das Verlangen nach der Sensation und Selbstaufgabe

Natürlich ist Lachyoga gesund, aber für Clowns, die Lachen erregen sollen, gibt es nicht viel zu lachen: Das „Lache, Bajazzo“ endet ja in Mord und Totschlag: La commedia è finita. Muss das purgatorio gewesen sein.

„frei“ Schaffenden, Freiberufler, Ich-AG. Immerhin ist man nicht mehr abhängig beschäftigt - und stürzt sich doch in eine viel grausamere Abhängigkeit: mit dem großen Strom zu schwimmen.
Richtig, die Märtyrer der Arbeit, die Arbeitssüchtigen, treiben ja auch den Sport meines Clowns, manchmal nicht einmal weniger auffällig.

Das Wort Clown wurde bereits im 18. Jh. aus dem engl. entlehnt, der ursprünglichen CHARAKTERRolle des Bauerntölpels, spätestens aber mit der Romantik sind Narr, Gaukler und Clown absichtlich entstellten Bildnisse der Bedingungen von Kunst als verkleidetes Selbstbildnis des Künstlers, kurz: Karikatur seinerselbst.

rDen Clown aus dem 18. Jahrhundert mag vielleicht Vorgänger gehabt haben: die Trickster: Hermes, Loki, Teufel bis zum Kasperle von Pocci. Spieler sind sie, und in ihrem Spiel und durch ihr Spiel decken sie gesellschaftliche Missstände auf, aber auch eigene Mängel. Mephisto ist ja ganz nett, aber ein Verlierer. Wie mein Clown: Triumphe und Vernichtung.

Aber vielleicht ist es eine lang – vielleicht allzu lang – geratene Parabel auf die heutige Sucht nach Publizität und Publikum, und wäre es nur für fünf Minuten in einer Castingshow.

Jawohl, so ist es, das stimmt für den zweiten Teil. Was aber im ersten Teil, wo das harmlose Witzgen seine berufliche Karriere ruiniert? Wo geradezu das Gegenteil stattfindet? Zu lang? Ja, es ist eigentlich immer alles zu lang. Ich kürze und kürze, und immer steht noch was da!

Gleichwohl ein paar Auffälligkeiten, wie hier
Zitat: …, war die Hauptattraktion des Staatszirkus der DDR.
Hier solltestu einen Apostroph anbringen, um anzuzeigen, das die Genitivendung (in diesem Fall –es) fehlt. Sonst würde es korrekt zu „des …zirkusses“.

Damit stürzt Du mich in die schiere Verzweiflung. Mindestens 1,86 € umsonst ausgegeben! Hatte ich doch im meinem tiefen Rechtschreibunbewussten diese Deine Gedanken zu ses und Apostroph ebenfalls gefunden, während mein Über-Ich mahnte: „Du brauchst dafür eine Bestätigung eines Fachmanns, du Niete!“ (Über-Ichs reden ja so.) Unglaubliches hörte für diesen Betrag aus Mannheim, dass nämlich alles hinten ohne zu schreiben sei. Ich fragte zweimal nach bei gleicher Antwort. Unglaublich. Und jetzt Du! Mein RUBW rumort schon und will erneut 1,86 zur Verifikation oder Falsifikation ausgeben – nein. Ich will nicht. Sparen wie die Bundeskanzlerin. Der Rest ist mir Kartoffelbrei.

Eine Wortzusammensetzung -

es ist ein Kreuz mit den verbindenden Lauten zwischen Wortzusammensetzungen, über die sich schon im 18. Jhdt. Jean Paul aufgeregt hat („Über die deutschen Doppelwörter“) und heute noch über die „Fugenelemente der deutschen Komposita“ promoviert wird. In der Tat weiß man heute, dass es ursprünglich Genitivbildungen sind – und wenn sich die Genitiv-Endung nicht in unserem Falle wie der
hier vollständig abgeschliffen hätte, könnte man es noch als Halle des Werkes, Werk(e)s Halle erkennen. Der Rechtschreibduden führt tatsächlich nur noch

Werkhalle
auf.
Auch hier muss bei mir wieder etwas schiefgelaufen sein. Mein s bei Werkshalle ist kein deutsches, nein, es muss schon in der Stunde meiner Geburt aus den nahe gelegenen Österreich zu mir herübergeweht sein und sich eingenistet haben. Aber jetzt brüllt mich mein deutsches Über-Ich gerade an, auch hierorts sei ein Fugen-s in der Zusammensetzung bei Komposita mit Werk- im Sinne von Betrieb, Fabrik möglich und richtig. Hätte es so in „Richtiges und gutes Deutsch“ gelesen. Sag ich doch: Kartoffelbrei.

Vergnüglich ist es, mit Dir so zu plaudern.
In diesem Sinne: Dieser Clown in meiner Geschichte hat seinen Beruf verfehlt, wie Bajazzo hat er sich und sein Leben zu ernst genommen. Vom Clown entwickelte er sich zum – Clown?
Oder ist er gar Tragöde?
Lachen und weinen.
Herzlichst
Wilhelm

 

Damit stürzt Du mich in die schiere Verzweiflung. Mindestens 1,86 € umsonst ausgegeben!

Hallo Wilhelm,

es ist so eine Sache mit dem Lachen, das ursprünglich nix anderes ist, als jemand anderm die Zähne zu zeigen und damit eher Bedrohung und Wehrhaftigkeit anzeigt, denn Entspannung bewirkt. Ein wenig ist davon noch im Hohnlachen enthalten wie auch im eher stummen höhnischen Grinsen, zudem ist Schadenfreude wenigstens ehrlich genug. Mag dem einen Lachen gesund sein (und – siehe Ursprung – gar lebenserhaltend), so ist es zumindest vieldeutig. Wenn es 18 Arten zu lachen gibt, so wird die Hälfte der Arten weniger frei als zwanghaft sein und in der mittleren Lage das freundliche/höfliche Lachen liegen, dass eher unaufrichtig ist.

Aber was die Dudenredaktion (s. o.) angeht, so sind das Opportunisten, wie sie im Buch stehn. Die Lieblingsformel lautet, dass „die Schreibenden selbst entscheiden, ob sie einen Apostroph setzen wollen oder nicht“ (Duden Bd. 1) Stichwort „Apostroph“, S. 35. Der erste, der sich konsequent daran gehalten hat ist Heinrich Heine (was bin ich wieder für ein Tölpel!), der dafür noch von seinem späten Nachfahren Karl Kraus in der Fackel gerügt wurde. Da konnte Harry natürlich nur übers Karlchen lachen.

Ja, es ist ein Kreuz mit dem Schreiben. Ich lass meine Werkchen i. d. R. erst Mal schmoren und dann wird gekürzt – ich nenn’s dann „verdichten“, was genau das ist, was da steht: weg mit Ballast. Es gibt - wie überall Ausnahmen –
sagt der

Friedel,
der noch'n schön' Fattatach wünscht!

 

Hallo Wilhelm,
eine sehr traurige Story. Großartig erzählt, leider absolut realitätsnah, sie geht mir zu Herzen.
Hier ein paar Kleinigkeiten:

Seine Berater hatten ihm längst verlassen
ihn
n den nächsten Tagen führte heroisch sein Schauspiel im leeren Zimmer auf. Als körperliches Wrack, das humpelte und sich wegen seiner Blindheit nur tastend fortbewegen konnte, mit

er vergessen

schmerzverzerrtem Gesicht, denn die Wunden heilten immer langsamer und auch die Narben schmerzten,


Doppelschmerz; würde ich anders schreiben, zb: wegen der schlecht heilenden Wunden, der entzündeten und verhärteten Narben

Das ganze Leben ist...
Auf das Leben!
LG Damaris.

 

Hallo Damaris,

vielen Dank für die "Kleinigkeiten" und Deine Einschätzung des "Clowns", die mich sehr gefreut hat, wenn Freude in diesem Zusammenhang wohl nicht ganz angemessen ist. Wir sehen manchmal das Absurde und Groteske in unserem Alltag nicht, weil wir es einfach gewöhnt sind. Sicher gibt es nicht viele solche Selbstzerfleischungen, wie der Clown sie betreibt, aber ich kenne ähnliche Verhaltensweisen. Nur pathologische Fälle? Ausnahmen?
Der Hinweis auf Burn-out mag nachdenkenswert sein.
Vom politischen Hintergrund ganz zu schweigen.
Vielen Dank und auf ein freudenreiches Leben
Wilhelm

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Wilhelm Berliner,

auch wenn es eine erzählte Geschichte ist, empfand ich die Form letztendlich angemessen. Hier gibt es ja häufig die Diskussion "Show don't tell", aber manchmal entwickeln erzählte Geschichten eben auch eine faszinierende Kraft.

Nun, mit deiner Clown-Geschichte bekommst du es zweifellos hin. Dein Stil weiß dabei, wie er es angehen muss, um zu unterhalten. Aber die Unterhaltung ist voller Tragik und erlaubt sich Ausflüge in eine bittere Medien- und Gesellschaftssatire. Man hat (leider) nicht mal das Gefühl, einer maßlosen Übertreibung beizuwohnen, und das ist an sich schon bedenklich.

Einen Clown als Hauptfigur zu wählen, ist ohnehin ein kluger Ansatz, denn den Clowns haftet immer etwas Tragisches an, auch wenn sie komisch wirken (wollen oder sollen). Ich hab mich schon als Kind vor Clowns gegruselt, zu Zeiten, da Steven King "Es" noch nicht geschrieben hatte, und das Gruseln vor Clowns gesellschaftsfähig machte.

Ich finde die KG bitterböse und bitterböse gut. Ich könne mir allerdings vorstellen, dass sie auf der Show-Basis noch intensiver, härter und eindringlicher wäre. So behält man eine (vielleicht auch erträgliche) Distanz zum Geschehen, das ja an sich schon berührend und beunruhigend genug ist. Und man behält Distanz zum Clown.

Ist das so gewollt von dir? War das von Anfang an dein Konzept für den Aufbau der Geschichte? Eine Art nacherzählte Lebensgeschichte. Oder hattest du auch andere Ansätze für die Story?

Tja, mein Fazit ist insgesamt positiv, ich hoffen das erschließt sich aus meinen suchenden Worten, aber es hätte mich schon interessiert, wie du die Leser tiefer rein und dichter ran führst.

Rick

 

Hallo Rick,

trotz des Feiertags hast Du Dich der bitterbösen Unter-haltung gewidmet. Dank sei Dir. Dein Urteil nehme ich gerne an und mir zu Herzen.

Man hat (leider) nicht mal das Gefühl, einer maßlosen Übertreibung beizuwohnen, und das ist an sich schon bedenklich.
Immer wieder habe ich mich in der Korrekturphase gefragt, ob das nicht übertrieben ist. Meine Antwort war: nein. Wenn man das Schnipseln ein wenig generalisiert, trifft man den Kern der Gesellschaft, die Selbstzerstörung betreibt, vom Klima bis zum eigenen Körper, und das auch noch feiert.

Ich könne mir allerdings vorstellen, dass sie auf der Show-Basis noch intensiver, härter und eindringlicher wäre.

Das war die Geschichte auch vor der Korrekturphase. Ich habe reduziert, weil ich einen Vorwurf von Lesern vorwegnahm, es könnte zu übertrieben (= unglaubwürdig) sein oder vom Thema abweichen oder „langweilig“ sein.
Die Geschichte ist lang genug.
aber es hätte mich schon interessiert, wie du die Leser tiefer rein und dichter ran führst.
Beim Schreiben lenken mich zwei Fragen: Stimmt der Text mit der Wirklichkeit überein und passt das Geschriebene zu mir. Dabei ist meine Einstellung durch „freischwebende Aufmerksamkeit“, Neutralität und Distanz geprägt. Diese ständige Kontrolle erzeugt automatisch Distanz, versetzt nahezu in einen meditativen Zustand.
Zu Deiner Frage zum Leserbezug. Ich wünschte mir, den Lesern ein wichtiges Thema klar vor Augen stellen zu können, um bei ihnen den „meditativen Zustand“, den ich beim Schreiben hatte, zu erreichen. Ich hoffe, sie durch Klarheit und Prägnanz (einigermaßen) zu „fesseln“, dann aber wieder auf Distanz zu bringen.
Bei Brecht hat der Verfremdungseffekt eigentlich denselben Zweck. Ich will eigentlich Unterhaltung und Oberhaltung bewirken, wobei, ich gestehe es schamrot, mir die Oberhaltung wichtiger ist. Das kann den Wechsel zu Ironie, Zynismus , Lakonie und andere Meta-Ebenen bedeuten.
Dass ich damit nicht im Trend der Schreibratgeber liege, weiß ich. Wahrscheinlich bin ich in der Denke der vergangenen Generationen stecken geblieben. Unterhaltung ist für mich eher negativ: Wer will wen mit was wozu unten halten? Mir fällt da halt Goebbels ein, aber, wie gesagt, das schreibe ich meinem Alter zu.
Zu lang, zu theoretisch, und wer weiß, ob ich das erreicht habe oder ob meine Selbstaussage wirklich so stimmt.

Vielen Dank für Deine Vorlage zu diesem Eigentor?
Herzliche Grüße
Wilhelm

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom