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Der bunte Hund
((Überarbeitete Version))
Zum Glück gibt es den alten Flughafen. Friedlich treffen sich hier alle Hundegänger zum entspannten Gassi-Gehen; kein Geschimpfe und Gestreite mit Spatziergängern über den nirgendwo erwünschten Hunde-Freilauf. Seit Beginn der Fußballweltmeisterschaft ist jedoch alles ganz anders: Kein Auto weit und breit, wie ausgestorben der lange Weg zum Bach.
Ich begann, meine Spatziergänge in die Spielpausen zu legen. Auf dem Parkplatz flatterten mir hunderte, deutscher Fähnlein entgegen. Zwei pro Auto, mehrere zeigten weitere Beflaggung; um die Motorhaube geklemmt, die Rückscheibe bedeckend. Zu Beginn des Hundeweges, saß ein lediglich ein verirrter Teenie, gehüllt in eine Strandtuch-große Deutschlandfahne, auf dem Boden eine umgekippte Bierflasche. Daneben eine Klassenkameradin meiner Tochter, erschöpft döste sie vor sich hin. Ihr Gesicht war als Fußball geschminkt und mit einer schwarz-rot-goldenen Banderole geschmückt. Ich kannte sie, vor wenigen Tagen hatte sie sich in unserem Hause verächtlich über diese Sportart geäußert. Als sie mich kommen sahen, murmelte er ein undeutliches „Deutschland, Sieg!“, erhob sich, müde Beine, zu lang für sein Alter, und schlich seines Weges. Seine kleine Freundin ließ er zurück.
Erst am Bach trafen wir ein mittelgroßes Hundevieh mit Prachtgebiss, ich hatte es hier noch nie gesehen. Hinzu gesellte sich ein Pinscher. Ein vierter trottete hinzu, alt und nicht mehr fürs Toben zu begeistern, den kannte ich schon. Von den Hundehaltern jedoch keine Spur.
Mittlerweile hatte das Spiel wohl wieder begonnen, wie eine akustische Welle dröhnten Jubelgeschreie aus der Ferne, verhallten. Stille. Ich war wieder auf dem Rückweg, als ein Windhundmischling entgegenkam. Um den Hals hatte er ein Tuch gebunden in den deutschen Farben. In der Ferne sah ich eine riesige Dogge, beim Näherkommen erkannte ich im glänzend schwarzen Fell ein Italien-Halsband. Stolz trug sie ihre Beute, eine Deutschlandflagge. Auch hier kein Hundbesitzer weit und breit. Schon bald tauchte der Parkplatz auf. Zu den deutschbeflaggten Wägen hatte sich ein Bus gesellt; etwas älter, handbemalt, Grün, Weiß und Rot. Modernes Streifendesign.
Wieder war fernes Geschrei zu hören, es schwoll an, dazu gesellte sich aus der anderen Richtung Feuerwerk. Gegentor. Von links kam ein weiterer Vierbeiner, wohl ehemals weiß, jetzt bunt, eingefärbt mit Lebensmittelfarben. Sicher eine weitere Flagge, noch konnte ich sie nicht erkennen. Kurz vor den Autos hatte ich den ersten Hundebesitzerkontakt. Eine aufgeregte Dame informierte mich über den Spielstand, sie sei gegangen da sie es nicht aushielte, das Spiel, die armen Spieler. Nur ein kurzer Gang bis zur Wiese, der Hund müsse ja auch sein Geschäft erledigen, sagte sie im Weitergehen und zog eine schwarz/rot/goldene Hundkottüte aus ihrer Tasche.
Am Parkplatz sah ich sie dann, die ganzen Hundebesitzer. Vor einem ehemals doppelt beflaggten Auto, nunmehr nur noch mit einem Fahnenexemplar bestückt. Einer stand daneben, aufgeregt sprechend, wild gestikulierend. Abdrücke von Hundespuren waren auf dem schwarzen Lack zu sehen, auf diese deutete der Sprecher, dann nach oben, hin zu einem Rest der Fahnenstange. Die anderen versuchten ihn zu beschwichtigen, einer hatte ein feuchtes Tuch, ich glaube es war der Besitzer des Streifenbusses. Ein dritter schob ihn bei Seite, das ginge nicht, nein, man müsse die Spuren belassen um den Dieb zu überführen. Keiner achtete auf die illustre Hundemeute, die gerade um die Kurve in Richtung Parkplatz bog. Die treuen Gefährten waren vergessen, hier ging es um die Ehre. Als der Streit zu eskalieren begann, kam der bunte Hund. Ich erkannte nun auch sein Muster; nicht eine Fahne, viele waren da auf dem Fell. Hinter ihm die Dogge, im Maul noch die Fahnenbeute. Bevor einer der Hundebesitzer eingreifen konnte, rannte der Flaggenmusterhund auf das, seiner Fahne beraubte Auto zu. Mit einem schnellen Zungenschlapp wischte er die so wichtigen Pfotenspuren weg. Im selben Moment stürmte die Dogge zum Bus, stoppte, und legte die Fahne vorsichtig in die Hände seines Besitzers. Schwanzwedelnd, in freudiger Erwartung auf die Belohnung für das gebrachte Geschenk.
Ich ging an der Gruppe vorbei, unbemerkt, zu meinem Auto, das etwas abseits stand. Auf dem Weg zur Hauptstraße sah ich den bunten Hund. Friedlich ging er Richtung Waldrand. Mittlerweile war es dunkel geworden, bald war er kaum mehr zu sehen. Als er nur noch als kleiner Schatten zu erkennen war, ging über ihm ein prächtiges Feuerwerk los. Tausende von Lichtern explodierten, sie zersplitterten am abendlichen Himmel in alle denkbaren Farben, bildeten Muster in den einzelnen Landesfarben, die am obersten Punkt zusammentrafen, an Leuchtkraft verloren, und als gemeinsamer Widerschein im Dämmerlicht verblassten.