Der Bundbär ist reduziert
Mit Hilfe des Lageplans habe ich das Zielobjekt gefunden. Der Pförtner, der aussieht wie ein Jäger, auf den die Hasen zurück geschossen haben, spricht über ein Mikrofon mit mir, obwohl er nur circa 50 Zentimeter von mir entfernt sitzt. Über Lautsprecher brüllt er mir ein raues „Morgen! Zimmer Nullsäx!“ entgegen. Zum Abschied unserer intimen Begegnung drückt er mir einen Schrieb in die Hand, den ich kurz überfliege.
„Der Leiter des Kreiswehrersatzamtes wünscht Ihnen einen angenehmen Tag!“
Zum Schießen, Herr Leiter!
Ich begebe mich in Zimmer 06. Dort nimmt mich eine zackige Dame in Empfang, die ihren Freunden immer nur erzählt, sie arbeite an der „Rezeption“.
„Geburtstag 02.11.85?“
„Jawoll!“
„Führerschein?“
„Positiv!“
„Familienstand?“
„ledig!“
„Kinder?“
„Nein, danke!“
Sie kommandiert mich ins Wartezimmer. Die Gruppenstärke beträgt bereits fünf Mann. Alle verschlafen. Zwei Stunden im Kreis gähnen, so scheint es. Insgeheim bibbert aber jeder der Musterlinge seiner bevorstehenden Genitaluntersuchung entgegen. Immer wieder fahrige Aufrufe, die über ein ausgeklügeltes Lautsprechersystem auch in der letzten Ecke des Amtes noch zu hören sind.
„Herr Marks bitte zur Urinprobe, Zimmer 08!“
Das bin ich. Gut, dass jetzt auch in der Kantine alle wissen, dass ich zum Pissen muss.
Ich laufe durch das labyrinthartig angelegte System von Gängen und finde schließlich Zimmer 08. Zaghaft öffne ich die Tür. Hinter einem Schreibtisch sitzen zwei hässliche Entlein und grinsen über beide Ohren. Eines von ihnen drückt mir einen derjenigen Plastikbecher in die Hand, in denen man bei billigen Bäckern den Kaffee bekommt, und schickt mich mit der Bemerkung „ein Tropfen reicht“ (das steht übrigens auch auf meinem Mundwasser) auf Zimmer Nummer 00. Als ich nach getaner Arbeit zurückkehre, grinsen die beiden immer noch. Scheinbar grinsen sie den ganzen Tag. Bei dem Job…
Weitere Tests finden in Zimmer Nummer 02 statt. Eine asiatische Ärztin mit knallrotem Lippenstift und grellgrünem Lidschatten, die ununterbrochen vor sich hin singt, unterzieht mich einem Sehtest. Sie setzt mir eine alberne, getönte Pilotenbrille auf und ich soll bestimmen, welche Comicfigur auf einer Pappkarte, die sie mir völlig ungehemmt vor die Nase hält, hervortritt. Ich weiß nicht, ob sie das ernst meint, oder ob sie ihren tristen Tagesablauf durch einen Scherz aufzufrischen versucht. Völlig willenlos mach ich das Theater mit. Anschließend setzt sie mir Kopfhörer auf, Hörtest. Immer, wenn ich einen Ton höre, soll ich „Stopp“ sagen. Ich höre keinen Ton. Nicht den leisesten. Also sage ich immer „Stopp“, kurz nachdem sie auf ihren Knopf für den nächsten Ton drückt. Sie ist erstaunt, wie gut ich höre.
Zum Schluss gibt sie mir einen blauen Werbezettel in die Hand und säuselt: „Der Bundbär ist reduziert!“. Tatsächlich! Der wehrhafte Teddybär Oly (mit feschem Ypsilon) kostet statt 25 Euro jetzt unglaubliche 12,50 Euro. Aber nur für kurze Zeit. Das militärische Bärchen ist in eine hübsche Uniform gewandet, 28 Zentimeter groß, und guckt selten blöd drein. Auf dem Zettel steht „Bei uns ist der Bär los!“. 2,50 Euro pro Bär gehen an die „Sorgenkinder in Bundeswehrfamilien e.V.“.
Anschließend werde ich in Zimmer Nummer 04 geschickt und von einer einäugigen, buckligen, müffelnden Ärztin in Empfang genommen. Ich lasse mich von ihr durchkneten und sie attestiert mir kurzum eine Wirbelsäulenverkrümmung.
„Rauchen Sie?“
„Ja.“
„Wie viel am Tag?
„fünf bis zehn.“
„Schachteln?“
Die alte Schachtel findet sich witzig. Sie lacht sich die Kehle aus dem Leib. Ihr Lachen artet aus und mutiert zum Hustenanfall. Raucherin. Bevor sie endgültig erstickt zieht sie mir die Unterhose runter und begrabscht meine Weichteile. Ich bin etwas enttäuscht. Das war eine Sache von Sekunden. Ich hatte mir das schon etwas … intensiver vorgestellt. Die Genitalien muss man sich anscheinend erst zum Schluss befingern lassen. Es ist sozusagen das Allerletzte. Augenscheinlich wollen die Musterer die Spannung bis zum Ende aufrechterhalten.
In Zimmer Nummer 07 erwartet mich der zuständige Sachbearbeitende. Sein bescheidenes Büro ist voll gestopft mit wertlosem Ramsch. An den Wänden kleben Plakate, auf denen hässliche Jungsoldaten mit lässigen Schriftzügen wie „Björn, der Panzergrenadier“ oder „Georg von der Gebirgsjägerstaffel“ auf Rekrutenfang sind. Auf einem Wandregal sind fünf Modelltrucks akkurat aufgereiht. Der Herr Sachbearbeiter würde sicher losheulen, wenn ich sie umschmisse. Er trägt ein geschmackloses, safrangelbes Hemd und auf seiner Kaffeetasse steht „Halt’s Maul, ich arbeite!“.
Er leiert mir lispelnd einen Haufen Paragraphen entgegen, um mich über meine Rechte und Pflichten aufzuklären und bei dem Wort „Pamphlet“ ergießt sich ein lauwarmer Speichelregen über mein Gesicht.
Auf seinem Schreibtisch steht eine kleine Skulptur, eine tarnfarbene Giraffe.
Er drückt mir meinen Musterungsbescheid in die Hand und fordert mich auf, diesen durchzulesen. Beim Umblättern schmeiße ich seine Giraffe um. Er mustert mich mit vorwurfsvollem Blick und stellt seinen Schatz wieder auf. Ich glaube, er hat sie lieb.
„Tauglichkeitsgrad zwei“, sagt er.
„Gehen Sie jetzt bitte noch mal in Zimmer Nullsechs, das ist das Zimmer, in dem sie sich heuheuheu…heuheute Morgen angemeldet haben.“
Er ist ein absoluter Psychopath.
In Zimmer 06 sagt man mir: „Sie können bei uns alle Laufbahnen einschlagen außer Flugschüler, Kraftfahrer Kette, Panzerabwehr-Soldat und Fallschirmjäger.“
Ich breche in Tränen aus, kann es nicht fassen. Ich hatte mir so große Hoffnungen gemacht, und jetzt das. Ich kann kein Fallschirmjäger werden! Nicht den Heldentod sterben. Mein Leben hat keinen Sinn mehr.
Darüber kann mich nur mein kleiner Bundbär hinwegtrösten.