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Der Brief

Seniors
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28.11.2014
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Der Brief

Sie zog den Prospekt zusammen mit der Zeitung aus dem Briefkasten. Er war ein wenig aufgeweicht vom Regen, der durch den löchrigen Deckel getropft war. Wir müssten einen neuen kaufen, dachte sie. Immer, wenn die Post nass war, fiel es ihr wieder ein. Und jedes Mal schob sie den Gedanken daran zur Seite. Unter siebzehn Euro war keiner zu bekommen. Ganz schön teuer.

Sie ging in die Küche und legte die Zeitung neben Pauls Teller. Während sie einen Schluck Kaffee nahm, strich sie den welligen, feuchten Prospekt glatt und betrachtete seine Titelseite. Das Model trug einen Pullover in einem hellen, matten Rosa. ‚Hundert Prozent Cashmere!’, las sie. Sie liebte dieses Weiche und Seidige, empfand es als sanft und ruhig. Es bereitete ihr Vergnügen, sich diese leichte Wolligkeit überzustreifen, sich im Spiegel zu betrachten und sich elegant zu fühlen. Ihre Schwester sagte ihr immer, dass sie sich mit viel Geschmack kleide. Ja, wenn sie deren Geld hätte, würde sie sich nur Qualität kaufen, erste Qualität. Aber sie mussten rechnen. Besonders jetzt. Paul war ein guter Mann, hatte immer gearbeitet, aber zu oft für seinen Freund Jürgen. Der hatte Paul zu nehmen gewusst, hatte ihm stets gesagt, wie sehr er auf ihn angewiesen sei, wie sehr er ihn brauche. Hatte ihm das Geld bar auf die Hand gegeben, ihm immer einen Sechserpack dazugestellt. Nur angemeldet hatte er ihn nicht.

Auf Seite drei des Prospekts waren die Kindersachen. Auch runtergesetzt. Petra, ihre Schwiegertochter, würde es nicht gut finden, aber die Sachen waren wirklich billig. Sie stellte sich die Kleinen darin vor, freute sich auf deren Freude. Am Wochenende würden sie kommen. Sie liebte diese Wochenenden, wenn die Enkel im Garten spielten, zu ihr kamen, sich zu ihr setzten, etwas fragten und sie ihnen erzählen konnte. Dann war sie wieder die junge Mutter, die mit ihren Kindern spielte, mit ihnen herumtollte, mit ihnen sang, mit denen, die lebten.

Sie räumte ihr Geschirr weg, ging ins Wohnzimmer, öffnete das Fenster und ließ die frische Luft in den Raum. Langsam verlor sich der abgestandene Rauch. Die Weinflasche war noch halb voll. Er trank nicht viel, wenn er seine Sendungen schaute, Reiseberichte und Filme über andere Länder. Aber er rauchte zu viel. Der Aschenbecher war gefüllt mit Zigaretten, die bis zum Filter heruntergeraucht waren. Sie stellte die Flasche ins Regal, sah den Brief, den er dorthin gelegt hatte, wollte ihn nehmen. Das hat noch Zeit, dachte sie und zog ihre Hand zurück. Sie nahm den Aschenbecher und das Weinglas mit dem rot-geronnenen Rest und brachte beides in die Küche.
Später, wenn auch er wach war und seine Sachen dazu gestellt hatte, würde sie alles spülen.

Unschlüssig saß sie am Tisch, ihre Hand lag auf dem Prospekt, der sich immer noch feucht anfühlte. Sollte sie schon losfahren? Es war noch früh, erst neun, Strauss öffnete um zehn. Sie ging ins Wohnzimmer, schloss das Fenster. Der Himmel war grau, aber es regnete nicht mehr.
Sich im Wohnzimmer umschauend, überlegte sie, was sie noch tun konnte. Wieder fiel ihr Blick auf den Brief. Später, dachte sie und ging zum Flur.
Leise zog sie die Stiefel und die Regenjacke an, öffnete behutsam die Eingangstür, schlüpfte hindurch und zog sie ganz langsam hinter sich zu. Das Einrasten war kaum vernehmbar. Sie ging zum Schuppen, wo ihr Fahrrad stand.

Das Haus, in dem sie wohnten, lag am Ende der Stadt, nahe am freien Feld. Sie bog ein in die Straße, die ins Zentrum führte. Hier war alles noch ruhig, es gab keine Geschäfte, nur schmale Wohnhäuser mit grauroten Klinkern. Dieses Viertel war gleich nach dem Krieg wieder aufgebaut worden, man hatte die Steine der zerbombten Häuser verwendet. Und auch für die Friedhofsmauer, an der sie jetzt entlangfuhr, hatte man sie genommen. Im Gegensatz zu den Häusern, die sie ärmlich aussehen ließen, gaben die Steine dem Friedhof etwas Ehrwürdiges, fast so, als gebe es ihn schon seit Jahrhunderten.
Ob das Tor noch geschlossen war?
Greta stellte das Fahrrad gegen die Wand, nahm ihre Tasche und drückte mit der Hand gegen das Tor, das sich öffnete. Sie könnte den Primeln Wasser geben, ging es ihr durch den Kopf. Eigentlich war es ja noch nicht nötig nach zwei Tagen. Und dann hatte es ja auch geregnet. Aber besser, sie schaute mal nach.
Die kleinen Gräber waren die ersten, die man sehen konnte, wenn man durch das Tor trat. Links und rechts säumten sie den Weg. Kleine Gräber mit kleinen Tafeln. Jojos war das sechste auf der rechten Seite. Man sah es schon von weitem. Der kleine Wacholder, den sie vor fünfundzwanzig Jahren gepflanzt hatten, war groß geworden. So groß, dass das Grab aussah, als wäre es nur für ihn angelegt worden. An der Seite waren kleine, schräg angeordnete Steinplatten in den Boden eingelassen. Ein paar hatten sich gelöst, drohten zur Seite zu rutschen und gaben dem Grab etwas Unordentliches. Sie würde Paul bitten, sie wieder zu befestigen. Er würde nicht gerne mitkommen, das wusste sie.

Das kleine weiße Schildchen war hinter dem Wacholder kaum noch zu erkennen. Jonas Johannsen. Ihre Schwester hatte gescherzt, dass man ihn in der Schule sicher Jojo rufen würde. Jojo. Die Primeln waren noch frisch, sie brauchten kein neues Wasser. Sie bückte sich, sammelte ein paar welke Blätter auf und strich über die feuchte Erde zwischen den Pflanzen und dem Wacholder. Das Grab nebenan war wieder frei. Man hatte nicht verlängert und die kleine Tafel war weggenommen worden. Das kleine Mädchen war schon dort gewesen, als Jonas kam. Es hatte früh zu schneien begonnen in jenem Jahr und sie hatten sich auf eine weiße Weihnacht gefreut, seine erste Weihnacht.

Ihre Hand wischte immer noch über die Erde.
Wäre sie nicht aus dem Zimmer gegangen, wäre alles nicht passiert, wäre er nicht gefallen, so unglücklich gefallen, dass nichts mehr zu tun blieb. Irgendwo in seinem kleinen Gehirn hatte es angefangen zu bluten. Sie starrte auf ihre Hand, die hin- und herfuhr und die kleinen klebrigen Bröckchen der Erde immer aufs Neue verteilte. Und jetzt der Brief.

Sie richtete sich auf und rieb mit einem Taschentuch die Erdreste von ihren Fingern. Es hatte ganz leicht zu nieseln begonnen. Sie zog die Kapuze ihres Anoraks über den Kopf und ging zurück zum Fahrrad.

* * *

Es war mehr geworden, als sie vorgehabt hatte. Die beiden kleineren Tragetaschen konnte sie vorne im Korb verstauen, die größere mit den beiden Pullovern hängte sie an den Lenker. Heute war ein besonderer Tag bei Strauss: Viele Artikel waren noch billiger als im Prospekt - aber nur heute. Die Kinder würden sich über die neuen Sachen freuen.
Sie stellte die Tragetaschen leise neben den Garderobenschrank und ging durch die offene Tür in die Küche.
Paul hatte das Geschirr abgewaschen und war dabei, die Kartoffeln zu schälen.
Er gab ihr einen flüchtigen Kuss und schaute wieder auf die Kartoffel in seiner Hand.
„Du musst das zurückbringen. … Es geht nicht. Wir kommen sonst nicht aus.“
Sie betrachtete die grauen Platten des Küchenbodens, schämte sich und wusste, dass er Recht hatte.
„Die Pullover waren wirklich günstig. Zwanzig Euro billiger.“
„Glaub mir, es geht nicht. Wir sind am Monatsanfang.“
Sie wusste, dass das, was er sagte, richtig war, dass es nicht anders ging.
„Ja, am Nachmittag bringe ich alles zurück.“ Ihr kam eine Idee: „Aber vielleicht können wir die Sachen für die Kleinen behalten? Das war nicht viel.“
„Du weißt, was Petra sagen wird. Sie möchte nicht, dass du ihnen immer wieder etwas kaufst. Sei vernünftig. Es geht nicht anders.“
Die Platten waren grau mit kleinen Sprenkeln; in ihr stiegen die Tränen auf.
Er hörte, wie sie die Nase hochzog, ließ die Kartoffeln stehen, kam zu ihr und gab ihr ein Taschentuch. „Sei vernünftig. Es ist doch nichts passiert. Du bringst alles zurück und alles wird gut.“
Er nahm sie in den Arm und drückte sie an sich, sah über ihre Schulter.
Alles wird gut, hallten seine Worte in ihm wider. Nichts war wirklich gut geworden. Auch nach fünfundzwanzig Jahren nicht. Er wusste, dass es der Brief war, der alles wieder nach vorne geholt hatte. „Die Zeit heilt alle Wunden.“ Aber die Narben blieben. Manchmal überdeckte sie ihre Narben mit kleinen, unsinnigen Einkäufen. Er wünschte, er könnte sie gewähren lassen. Es würde ihr helfen, ein bisschen zumindest – für ein paar Glücksmomente.

Während er sie streichelte und darauf wartete, dass sie ruhiger wurde, dachte er an den Brief. Morgen würde er ihn beantworten. Das kleine Grab musste bleiben – für sie.

 

‚Der Brief’ ist eine neue Version meines ersten hier eingestellten Beitrags „Cashmere“. (Das war übrigens der erste Prosa-Text, den ich verfasst habe.) Einer der Kommentatoren sagte damals ganz lapidar: Der Text ist eindeutig zu kurz. Er hatte Recht. Deshalb hab ich mich noch mal rangesetzt und ihn ein bisschen ausführlicher gestaltet.
Vielleicht hat das Kommentieren und Kommentiert-werden der letzten Monate etwas gebracht?

 
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Liebe Barnhelm, ich mochte deine Geschichte von der Mutter, die nach so vielen Jahren immer noch nicht den Tod ihres Kindes und die vermeintliche Schuld daran vergessen kann. Es ist eine zurückhaltende Geschichte. Völlig unprätentiös, aber dafür voller Schwermut und innerer Trauer.
Ich hab sie schon damals in der Kurzfassung gelesen und mochte die Idee, aber damals, das stimmt, war es eindeutig zu kurz. So ist das besser. Viel, viel besser.
Sie verursacht ein eigenartiges Gefühl, deine Geschichte, wie ein Splitter, der in einem Leben sitzt, sich zwar verkappt im Laufe der Zeit, aber dennoch immer spürbar bleibt.
Traurig und nachdenklich machend.

Ein paar Kleinigkeiten:

Das Grab nebenan war wieder frei. Man hatte nicht verlängert und die kleine Tafel war weggenommen worden. Das kleine Mädchen war schon dort gewesen, als Jonas kam. Es hatte früh zu schneien begonnen in diesem Jahr und sie hatten sich auf eine weiße Weihnacht gefreut, seine erste Weihnacht.
Ich kann das grad nicht grammatikalisch erklären, obwohl ich das sonst ja liebe, aber ich würde hier nicht diesem Jahr schreiben, weil sich das für mein Verständnis viel zu sehr auf das Jahr bezieht, in dem sie jetzt mit ihrem Mann und dem Briefkasten und dem Prospekt lebt. Ich würde "jenem" einsetzen, denn jenem bezieht sich (hoffentlich) auf die ganz weit zurückliegende Zeit. Aber mein Gefühl stimmt oft. :)

Er wünschte, er könne sie gewähren lassen.
könnte
Das ist ein Wunsch, also echten Konj 2 verwenden.

Sie liebte diese Wochenenden, sie liebte es, wenn die Enkel im Garten spielten, zu ihr kamen, sich zu ihr setzten, etwas fragten und sie ihnen etwas erzählen konnte.
Das ist mir ein wenig zu formell und zu gefüllselt geschrieben, immer mal wieder eine distanzierende Formel drin.
Würde es so schreiben:
Sie liebte diese Wochenenden, wenn die Enkel im Garten spielten, zu ihr kamen, sich setzten, etwas fragten und sie ihnen erzählen konnte.
Das ist inhaltlich nicht viel anders, aber ein paar Wörter fehlen und ich meine, der Rhythmus wird dadurch besser. Aber du weißt ja, man sucht sich das raus, was man für sich brauchen kann.

Schön geschrieben, schwermütig, einfühlsam, aber nicht melodramatisch. Hab ich echt sehr gerne gelesen.

Viele Grüße an dich.
Novak

 
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Hallo barnhelm,

Schon die erste Version der Geschichte fand ich gut. Für mich war der Text damals nicht zu kurz. Gerade dadurch bekam er sein Gewicht und seine Schwere.
Ich habe aber auch die zweite Version gern gelesen. Durch den ausführlicheren Text hat die Geschichte noch gewonnen.

Ein Kind zu verlieren ist schwer. Ich kann mir vorstellen, dass der Schmerz mit der Zeit weniger wird, aber nie ganz verschwindet. Du hast das sehr einfühlsam beschrieben, besonders die Szene auf dem Friedhof.
Da die Frau eine Schwiegertochter hat, wurde ihr demnach noch ein zweiter Sohn geboren. Das war für sie sicher ein Trost. Jonas ersetzen konnte er jedoch nicht.

Der Schluss der Geschichte gefällt mir. Ihr verständnisvoller Mann wird sich dafür einsetzen, dass das kleine Grab bleibt.

Eine gute Woche wünscht Dir
Marai

 
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Hallo barnhelm,

ich habe die ursprüngliche, anscheinend kürzere Fassung des Textes nicht gelesen, kann also nicht sagen, ob diese Version besser ist, aber etwas Unvoreingenommenes ist ja auch nicht schlecht. ;)

Das ist ein schöner Text. Sprachlich wunderbar vermittelst du dem Leser eine Melancholie und Schwermut, die einen förmlich in den Text versinken lässt. Es besteht ja immer die Gefahr, bei solchen Text zu gefühlsduselig zu werden und den Holzhammer auszupacken, frei nach dem Motto "Leser, hier lies und fühl was dabei". Aber hier ist dir das einfach super gelungen, wirklich. Die Protagonistin, die den Kindern ihrer Schwiegertochter etwas Gutes tun will, um die eigene, eingebildete Schuld am Tod ihres Sohnes zu verarbeiten, es aber wegen Geldsorgen nicht kann. Da gibt's keine Effekthascherei, keine Gefühlsduselei, das ist einfach nur schön geschrieben.

Paul war ein guter Mann, hatte immer gearbeitet, aber zu oft für seinen Freund Jürgen. Der hatte Paul zu nehmen gewusst, hatte ihm stets gesagt, wie sehr er auf ihn angewiesen sei, wie sehr er ihn brauche. Hatte ihm das Geld bar auf die Hand gegeben, ihm immer einen Sechserpack dazugestellt. Nur angemeldet hatte er ihn nicht.

Hier dachte ich, der Jürgen spielt im Verlauf der Geschichte noch eine Rolle und der Konflikt mit der Arbeit kommt später noch zum Tragen. Und dass Paul so hilfsbereit ist, spielt ja auch nicht wirklich eine Rolle. Ich will nicht sagen, dass du das kürzen kannst, aber es hat für mich den Fokus von dem Leiden der Mutter in Richtung Arbeitsverhältnis des Mannes verschoben, ohne dass letzteres wirklich relevant wird. Und dass sie schlichtweg Geldprobleme haben, ist für mich persönlich genug Hintergrundwissen.

Dann war sie wieder die junge Mutter, die mit ihren Kindern spielte, mit ihnen herumtollte, mit ihnen sang, mit denen, die lebten.

Hier wusste ich einfach, wohin die Reise führt. Gut, gewusst ist vielleicht nicht das richtige Wort, aber ich hatte doch eine starke Ahnung. Sie hat also ein Kind verloren, war mein Gedanke, der sich ja auch bewahrheitet hat. Ich finde, du lässt die Bombe hier zu schnell platzen. Die erste Hälfte des Textes lebt ja von dieser Schwere im Alltag, die du echt gut vermittelst. Man spürt, dass da etwas ist, das die Familie belastet, und man will auch wissen was. Die Spannung beim Friedhofsbesuch leidet auch etwas darunter. Ich konnte mir einfach denken, was sie da wollte und spätestens bei kleinen Gräbern fiel der Groschen endgültig. Der Text erzeugt von selbst genug Spannung, eben weil er melancholisch ist und man einfach spürt, dass da mehr hinter den Familienzuständen steckt. Dieser kleine Zusatz hat, natürlich nur für mich persönlich, Spannung rausgenommen.

Aber das ist alles nur Kleinkrams. Der Text ist dir wirklich toll gelungen und es war wirklich ein Vergnügen, das zu lesen.

Liebe Grüße
gibberish

 

Liebe Novak,
dein Kommentar tut mir gut. Sagt er mir doch, dass ich es geschafft habe, meinen ursprünglichen Text zu verbessern. Ich merke, dass ich in meinen WK-Monaten doch das eine oder andere gelernt habe. Und das Schreiben macht mir Spaß, obwohl ich weiß, dass bei mir das Handwerkliche überwiegt. Anders als die wirklich guten Schreiber unter uns kann ich mich nicht einfach hinsetzen und einen Text aus mir herausfließen lassen. Das ist auch nicht mein Anspruch. Mich freut es schon, wenn ich ein Thema, das ich gewählt habe, einigermaßen gut umsetzen kann.
Novak, danke für deinen Kommentar. Ich glaube, ich habe alle von dir angemerkten Sachen korrigiert.


Liebe Marai,
wie immer hast du das Menschliche sehr feinfühlig erkannt. Da es mir an Inspiration und Phantasie fehlt, suche ich mir für meine Geschichten meist etwas Autobiographisches – und so ist es auch hier. Ich beschreibe das, was meiner Schwester wirklich passiert ist und womit sie bis heute leben muss. Obwohl sie noch drei weitere Kinder bekommen hat, hat sie den Tod des ersten Kindes nicht wirklich verarbeiten können. Einem Fremden würde das kaum auffallen, aber der Familie eben doch. Bis heute gelingt es ihr nicht, am Friedhof vorbeizugehen, ohne unter einem fadenscheinigen Vorwand kurz nach dem Grab zu sehen. Wir spielen mit, lassen sie gewähren. Es ist der Rest ihrer Trauerarbeit.

Marai, ich danke dir für deinen Kommentar.

Euch beiden wünsche ich einen guten Wochenanfang
barnhelm
gibberish224, dir antworte ich später. Muss noch etwas über deinen Kommentar nachdenken.

 
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Auch ich hatte Cashmere im März d. J. gelesen, aber der Kühlschrank, der ich nun mal emotional bin, hatte es keineswegs als zu kurz empfunden wie ja auch Marai,

liebe barnhelm.

Über Änderungen (ich geb mal nur die ersten zwo an), wie etwa statt

Sie zog den Prospekt mit den anderen Briefen aus dem Briefkasten [alt, nun]Sie zog den Prospekt zusammen mit der Zeitung aus dem Briefkasten
Wir müssten mal einen neuen kaufen, dachte sie [alt],
nun der gleiche Satz ohne Kursivschreibung des Gedankens, kann man sich auslassen, aber die „Zeitung“ erfüllt im Gegensatz zu den „anderen Briefen“ eine Funktion, sie wird dem Gatten „neben den Teller gelegt“.

Und genau mit Paul, dem Gatten, kommt nun auch Sozialkritk hinein, durch welche die finanzielle Not – ob es „Armut“ ist, wie ichs im März noch gemeint hab, lässt sich so recht nicht sagen, auch bei Gutverdienern kanns zu finanziellen Engpässen kommen, selbst der weitere Verlauf gibt es so recht nicht her Muss er auch gar nicht). Aber wenn Paul (fast?) nur für seinen Freund arbeitet, weiß man um die Misere und das Risiko, wenn das Finanzamt oder das Jobcenter dahinter käme.

Aber einen Satz vom 19. März kann ich getrost übernehmen, es ist – obwohl Du in anderen Texten schon davon abgekommen bist – immer noch

Schulbuch gerecht/... mäßig.
Selbst bei solchen Sätzen schimmert es auch ohne Hilfsverb durch

Ihre Schwester sagte ihr immer, dass sie sich mit viel Geschmack kleide.
Das ist ja nicht falsch. Stärker wäre hier aber allemal, „ihre Schwester bestätigte/bekräftigte ihr immer wieder, dass sie …“

Hier

Man hatte nicht verlängert und die kleine Tafel war weggenommen worden.
ist nun nicht das Wechselspiel der Hilfsverben, sondern das Was? der Verlängerung das Problem, denn nicht das Grab, sondern der Pachtvertrag wurde nicht verlängert.

Dann fällt mir besonders auf, wie Du – trotz Deiner andernorts dargestellten Skepsis gegenüber dem Konjunktiv - würde-Konstruktionen schaffst, wo’s auch mal ein Futur („wird“ statt „würde“) täte, was hier

Wenn Strauss noch nicht geöffnet hatte, würde sie sich unterstellen müssen.
kurios wirkt, prädestiniert doch das schlichte „wenn“ den Teil als den möglichen, und den zwoten als die Folge des ersten, wenn der Fall denn einträte, der auch ohne Hilfsverb grammatikalisch gerecht und dem durchschnittlichen Ohr auch des Ruhrpöttlers und Rheinländers nicht fremd vorkäme
Wenn Strauss noch nicht geöffnet h[ä]tte, [müsste] sie sich unterstellen.

Der einzige echte Schnitzer, der mir ins Auge sprang, findet sich übrigens hier
Aber er rauchte zu[…]viel.

Dennoch, gern gelesen vom (obwohl "gern" sicherlich nicht das rechte Wort für problematische Geschichten ist, aber "mit Interesse" lese ich halt alles, was mit unter die Augen kommt - zumindest anfangs ...)

Friedel

Nachtrag, manchmal fällt der Euro halt in einzelnen Eincentstücken (früher konnte man dergleichen mit nem Groschen treiben), aber sollte der Titel nicht eher "Der Prospekt" lauten?

 

Lieber gibberish224,
danke für deinen sehr freundlichen und eingehenden Kommentar. Es freut mich, dass dir mein Text gefallen hat.
Zu deinen Anmerkungen:
Wie Friedrichard auch schon angemerkt hat, ging es mir darum darzustellen, warum es der Familie nicht so gut geht. Vielleicht sollte ich den Namen des Freundes weglassen. Ich verstehe, dass die Person damit zu konkret wird, und man sich fragt, wozu. Aber ich wollte auf ein ausführlicheres Thematisieren, warum es dem Ehepaar nicht so gut geht, verzichten.

... ,die noch leben.
Ist natürlich 1. ziemlich stark und 2. nimmt es die spätere Auflösung vorweg. Du hast Recht. Meine Idee war, eine Fragehaltung zu erzeugen. Du interpretierst das anders, was ich aber auch nachvollziehen kann. Auch hier kann ich mich ein bisschen schwer trennen und lasse es deshalb erst mal so.
Hab nochmals Dank fürs genaue Lesen.

Lieber Friedrichard,
danke, dass du dir den Text noch mal vorgenommen hast. Ich glaube, dein Gehirn hat eine enorme Speicherkapazität. Erstaunlich, wie gut du dich an auch eher unwichtige Sachen wie meine kleine erste Geschichte erinnerst. Überhaupt scheinst du zu vielen Themen Informationen abrufbereit zu haben, bei denen wir Normalsterblichen immer Herrn Google oder Frau Wiki-Dingsbums befragen müssen. Alle Achtung.
Den „Strauss-würde-Satz“ hab ich gestrichen, er brachte ohnehin nicht so viel und wurde – egal wie ich ihn drehte – immer sperriger. Also weg damit.
‚zu viel’ ist mein Lieblingsfehler, passiert mir immer wieder, wenn ich nicht aufpasse. Danke.

Man hatte nicht verlängert ...
Es erschien mir hier nicht nötig, das, was nicht verlängert worden war (die Nutzungsdauer der Grabstelle) zu benennen. Das sollte sich aus dem Zusammenhang ergeben.

... und die kleine Tafel war weggenommen worden.
Zur Atmosphäre schien mir diese Anonymität des Passivs ganz gut zu passen.
Ob der Satz nun wirklich schön ist, muss ich noch mal überlegen.

Beim Titel möchte ich bleiben. Es ist ja doch der Brief, der ihr im Kopf steckt und

... alles noch einmal nach vorne geholt hatte.

Danke für’s nochmalige Lesen

Euch beiden wünsche ich einen schönen Tag.

barnhelm

 

Liebe Barnhelm,

wirklich eine berührende Geschichte.

Ich habe die erste Version nicht gelesen, von der du schreibst, dass sie kürzer war.
Manche der Informationen erscheinen mir ohne rechten Zusammenhang zum Kern der Geschichte, zumindest auf den ersten Blick.

Paul war ein guter Mann, hatte immer gearbeitet, aber zu oft für seinen Freund Jürgen. Der hatte Paul zu nehmen gewusst, hatte ihm stets gesagt, wie sehr er auf ihn angewiesen sei, wie sehr er ihn brauche. Hatte ihm das Geld bar auf die Hand gegeben, ihm immer einen Sechserpack dazugestellt. Nur angemeldet hatte er ihn nicht.
Auch wenn die beiden nicht so sehr sparen müssen, bleibt doch der Grundkonflikt erhalten. oder ? Es lenkt mich beim Lesen ab, aber es nicht komplett störend.

Das Model trug einen Pullover
der Ausdruck "Model" passt nicht recht zur Geschichte... vielleicht: die Frau trug einen Pullover direkt auf der Haut...

leichte Wolligkeit
mm: das klingt unnatürlich: sich die leichte, geschmeidige, sanfte, wärmende (?) Wolle überzustreifen...

Überhaupt wünschte ich mir, dass am Ende der Wollpullover aus Cashmere oder was auch immer noch mal auftaucht, als Traumbild, als Andeutung zum Beispiel:

Während er sie streichelte und darauf wartete,
Während er ihre Cashmere-Haut streichelte, so rein, so zart, so durchsichtig (?)

Viele Grüße
Isegrims

 

Liebe Barnhelm,

vieles zu diesem anrührenden und melancholischen Text ist ja schon gesagt. Ich möchte deshalb auf einen Apsekt eingehen, der mir wichtig schien: dass sich der Ehemann von einem guten Freund ausnutzen liess. Das ist kein nebensächlicher Abschnitt, der gestrichen werden könnte. Er erklärt die Ursache der Geldsorgen. Der Ehemann ist kein Versager, sondern hintergangen worden. Und diese Einstellung zum Leben, seine Bereitschaft, guten Freunden zu Gefallen zu sein, bestimmt ja auch das Zusammenleben des Ehepaares. Es wird ihm gewiss nicht leicht gefallen sein, seine Frau wieder in den Laden zurückzuschicken. Sicher, die Sachen für die Enkel sind nicht das Problem. Das weiss sie auch besser. Aber hätte er ihr nicht wenigstens einen Pullover lassen können? Aber da ist ja der Brief. Und der ist viel wichtiger als alle Pullover, das hat Du ja durch die eindringliche Szene am Grab deutlich gemacht.

Besonders beschäftigt hat mich der Umgang der Frau mit dem Tod ihres Kindes. Wenn ich an Kindergräber auf den Friedhöfen denke, ist es wohl gängig, seinen Erinnerungen am Grab nachzusinnen. Und das tut mir weh. Mein Kind lebt in meiner Erinnerung, aber das Grab habe ich seit vielen Jahren nicht besucht. Vielleicht, damit die Trauer nicht überhand nimmt.

Liebe Grüße

Jobär

 

Liebe/r Isegrims, lieber jobär

danke fürs Lesen und Kommentieren.
Isegrims, leider kann ich diesmal keinen deiner Vorschläge annehmen.
Es ist nun mal so, dass wir uns auch im Alltag angewöhnt haben, eine Frau, die auf einem Prospekt oder Plakat ein Kleid oder einen Pullover trägt/vorführt, Model zu nennen. Deshalb möchte ich dabei bleiben.
Zu deiner Anmerkung über den ‚Jürgen’ in meiner Geschichte hat jobär schon Einiges gesagt, was ich voll unterschreiben kann.

Das ist kein nebensächlicher Abschnitt, der gestrichen werden könnte. Er erklärt die Ursache der Geldsorgen. Der Ehemann ist kein Versager, sondern hintergangen worden. Und diese Einstellung zum Leben, seine Bereitschaft, guten Freunden zu Gefallen zu sein, bestimmt ja auch das Zusammenleben des Ehepaares.

Zur ‚Wolligkeit’: Das ist natürlich eine Eigenschöpfung, bei der es mir, wie auch bei den anderen Adjektiven zum Thema Cashmere, um die Prot geht, die nach Wärme, aber auch nach ein wenig Eleganz sucht. Sie findet so eine Möglichkeit, für kurze Zeit aus ihrer Realität zu fliehen. Der Pullover hilft ihr. Auch das hat jobär mE gut erkannt.

Ich finde es anrührend, lieber jobär, dass du ihr am liebsten einen Pullover gelassen hättest. Das zeugt von deiner Empathie, ebenso wie deine Gedanken über das Thema ‚Trauer’. Es ist schon eine sehr inividuelle Sache, wie wir damit umgehen. Manchmal schieben wir sie einfach weg, um dann später zu spüren, dass sie uns wieder einholt. Aber, das wäre vielleicht eine andere Geschichte.

Isegrims und jobär, ich danke euch.

Liebe Grüße
barnhelm

 

… Ich glaube, dein Gehirn hat eine enorme Speicherkapazität. Erstaunlich, wie gut du dich an auch eher unwichtige Sachen wie meine kleine erste Geschichte erinnerst. Überhaupt scheinst du zu vielen Themen Informationen abrufbereit zu haben, bei denen wir Normalsterblichen immer Herrn Google oder Frau Wiki-Dingsbums befragen müssen. Alle Achtung.

Nix zu danken,

liebe barnhelm,
aber woll’n ma’ nich’ übertreiben. Mein Gedächtnis ist zwar ziemlich gut und intakt, selbst wenn ich mich manchmal auf dem Weg nach Alzheim wähne, zumindest aber ggfs. zu sein behaupte (ist wohl dann auch sehr abhängig von Interessen), aber der alte XP ist trotz seiner 14 Jahre noch tauglich, aber schon lange ohne Internet (was vllt. der Grund der langen Haltbarkeit ist). Er ist Schreib und Rechenmaschine, vor allem aber Zettelkasten mit einer hervorragenden internen Suchmaschine, wo von Abraham (a Santa Clara) über barnhelm bis Zuckmayer alles abgespeichert ist, was mich interessiert, zu dem sich eben eine interne Suchmaschine gesellt, dass ich unabhängig von von Googel und Co in der Beziehung bin …

Aber nochmals zur für die Geschichte notwendigen Rolle Pauls, der die Familie durch seine – ich nenn’s mal so – Freundschaftsdienste in eine prekäre Situation bringt.

Neben der Geschichte Jojos besteht also noch ein nur angedeutetes Sozialdrama (Stichwort Schwarzarbeit?, Scheinselbständigkeit kanns nicht sein, da gäb’s einen Vertrag, der all das, was Jürgen versäumt auf Paul abwälzte).
Trotz der angespannten Situation teilt Paul ohne viel Aufhebens die Hausarbeit (er spült unaufgefordert) mit ihr, geht überhaupt behutsam mit ihr um.

Aber entscheidend ist dann der titelgebende Brief, der schon am Vortag gekommen sein muss:

Sie stellte die Flasche ins Regal, sah den Brief, den er dorthin gelegt hatte, wollte ihn nehmen
Und schiebt es vor sich her (nachher noch einmal), den Brief zu lesen. Vllt. verweist der Absender auf Unangenehmes …

So, genug für heute vom

Friedel

 

Liebe barnhelm

Ich schliesse mich an: eine unaufgeregt geschriebene und dadurch sehr berührende Geschichte. Mir gefällt, dass verschiedene Aspekte (Geldnot / Das Verhältnis zu Paul / Pauls Umgang mit dem Verlust) thematisiert werden und der Text dennoch seinen Fokus behält. Zwei, drei Anmerkungen:


Sie ging in die Küche und legte die Zeitung neben seinen Teller.

Das hat mich hier verwirrt. Vielleicht: "die Zeitung neben Pauls Teller".

Sich im Wohnzimmer umschauend überlegte sie, was sie noch tun konnte.

"Sie schaute sich im Wohnzimmer um und überlegte..." fände ich eleganter.

Wieder fiel ihr Blick auf den Brief. Später, dachte sie und ging zum Flur.
Leise zog sie die Stiefel und die Regenjacke an, öffnete behutsam die Eingangstür, schlüpfte hindurch und zog sie ganz langsam hinter sich zu. Das Einrasten war kaum vernehmbar.

Hier könnte man vielleicht Redundanzen vermeiden. (leise / behutsam / schlüpfte / langsam / kaum vernehmbar).

Der kleine Wacholder, den sie vor fünfundzwanzig Jahren gepflanzt hatten, war groß geworden. So groß, dass das Grab aussah, als wäre es nur für ihn angelegt worden. An der Seite waren kleine, schräg angeordnete Steinplatten in den Boden eingelassen. Ein paar hatten sich gelöst, drohten zur Seite zu rutschen und gaben dem Grab etwas Unordentliches. Sie würde Paul bitten, sie wieder zu befestigen. Er würde nicht gerne mitkommen, das wusste sie.

Wunderbar und exemplarisch für den sachten Ton deiner Geschichte!

Die Kinder würden sich freuen über die neuen Sachen.

"freuen" sollte mehr Gewicht haben als "Sachen" und daher m.E. am Ende des Satzes stehen.

Sehr gerne gelesen
Peeperkorn

 

Lieber Friedrichard,

ja, das mit dem Herrn Alzheimer. Mein nächster Text soll sich mit diesem Thema beschäftigen. Ich bastle noch dran - wenn ich’s nicht vergesse.

Das mit dem Brief fällt mir erst jetzt auf, nachdem du (und wohl auch Isegrims) Probleme damit hattest. Ich habe da wohl etwas vorausgesetzt, was nicht evident ist: dass es sich bei dem Brief um einen Brief der Friedhofsverwaltung handelt. Ich habe gedacht, wenn ich bei dem anderen Grab von der Verlängerung spreche, so erschließt sich das. Das hat wohl nicht unbedingt geklappt. Ich überlege, ob ich etwas Erklärendes einschiebe.

Lieber Peeperkorn,

danke für’s Lesen und deinen freundlichen Kommentar

Zwei deiner Vorschläge habe ich aufgenommen und schon geändert.

Sich im Wohnzimmer umschauend überlegte sie, was sie noch tun konnte.
Meine Sätze sind leicht S-P-O-Sätze. Aus diesem Schema wollte ich hier ausbrechen, deshalb habe ich die Partizipial-Konstruktion gewählt.
Mit den Redundanzen hast du Recht. Ich denke über eine neue Formulierung nach.

Freut mich, dass dir mein kleiner Text gefallen hat.

Euch beiden wünsche ich einen schönen, sonnigenTag.
barnhelm

 

Hallo barnehlm,

ich finde, Dein Text enthält viele Hinweise auf den Brief. Es scheint ein unangenehmer Brief zu sein, das wird sehr deutlich Und da man ihm das schon von außen ansieht, wird es wohl ein "amtlicher" Brief sein. Und dann die füfnundzwanzig Jahre, die das Grab besteht und das Grab daneben, das schon länger bestand, ist aufgegeben. Da konnte es für mich nur eine Lösung geben: Der Brief kommt von der Friedhofsverwaltung und sagt ganz klar: Zahlen oder aufgeben. Und dass diese Vermutung richtig ist, bestätigt dann ja der letzte Satz. Also ich würde da nichts ändern.

Liebe Grüße

Jobär

 
Zuletzt bearbeitet:

Liebe Barnhelm,

deine Geschichte hat mich berührt, auch wie du in dieser Geschichte einer großen Trauer eine ebenso große Liebesgeschichte verbirgst. Mir kam der Gedanke, dass in diesem Kaufen und wieder zurückgeben müssen fast so etwas wie ein Wiederholungszwang liegt. Wie eine Selbstbestrafung. Sie weiß, dass sie den Pullover nicht behalten kann. Er würde auch ihren Verlust nicht wieder gut machen. Und ihr Mann übernimmt die schwere Rolle ihr das zu sagen. Du deutest auch seinen Schmerz an, dass er zu viel raucht.

Zwei Punkte meiner Vorkommentatoren würde ich noch unterstützen.

Dann war sie wieder die junge Mutter, die mit ihren Kindern spielte, mit ihnen herumtollte, mit ihnen sang, mit denen, die lebten.

Gibberish fand, dass du die Bombe zu schnell platzen läßt und das finde ich auch.

Und ich finde auch dass der Inhalt des Briefes wiederum noch etwas zu unklar bleibt. Man kann es sich zwar im Nachhinein denken, aber hier könnte es noch einen winzigen Hinweis mehr geben. Das Rätseln um was für einen Brief es sich handelt, nimmt sonst einen zu großen Raum ein.

Das kleine weiße Schildchen war hinter dem Wacholder kaum noch zu erkennen. Jonas Johannsen. Ihre Schwester hatte gescherzt, dass man ihn in der Schule sicher Jojo rufen würde. Jojo. Die Primeln waren noch frisch, sie brauchten kein neues Wasser. Sie bückte sich, sammelte ein paar welke Blätter auf und strich über die feuchte Erde zwischen den Pflanzen und dem Wacholder. Das Grab nebenan war wieder frei. Man hatte nicht verlängert und die kleine Tafel war weggenommen worden. Das kleine Mädchen war schon dort gewesen, als Jonas kam. Es hatte früh zu schneien begonnen in jenem Jahr und sie hatten sich auf eine weiße Weihnacht gefreut, seine erste Weihnacht.

Diesen Abschnitt finde ich wunderbar. Wie ich überhaupt die ganze Geschichte sehr gelungen finde.

Liebe Grüße von Chutney

 

Lieber jobär,
danke für deinen Hinweis. So ungefähr hatte ich mir’s gedacht. Schön, dass es bei dir funktioniert hat.

Liebe Chutney,
danke für’s Lesen und für den freundlichen Kommentar. Ja, das mit dem Kaufen. Ich beobachte dieses Verhalten und kann es mir auch nicht so recht erklären. Was ich sehe, ist eine Ersatzhandlung. Meistens führt das ja nicht zum Zurückgeben, sondern zum Horten - Mengen an gleichen und nicht benötigten Pullovern zum Beispiel. In meiner Geschichte kommt noch die Scham darüber, es wieder zurückbringen zu müssen, hinzu. Wie im wirklichen Leben kann man manchmal Verhalten nur beschreiben, die Deutung des ‚weshalb’ ist subjektiv oder nur aufgrund von psychologischem Wissen möglich.
Die beiden von dir erwähnten Punkte werde ich mir noch einmal durch den Kopf gehen lassen, weil ja auch u.a. Gibberish mich darauf hingewiesen hat. Ich muss da ein bisschen umschreiben. Danke für deine Anregungen.


Ich wünsche euch beiden einen schönen Sonntag.
Liebe Grüße
barnhelm

 
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Hallo barnhelm

Trauer hat viele Gesichter, jeder trauert anders. Was tröstlich ist: die Trauer ist geduldig, man kann sie nicht verpassen, nur verdrängen. Aber Trauer ist wichtig, und wenn sie anklopft sollte man sie hereinlassen. Für wie lange? Kein Plan, am besten mal so richtig, dann wird's zunehmend leichter ...

Aber ich wollte ja was zu deiner Geschichte sagen. Dass sie mich berührt hat, ist wohl bereits erkennbar, was mir sonst noch aufgefallen ist:

Ganz schön teuer. Sie mussten rechnen.
Aber sie mussten rechnen. Besonders jetzt.
Ich empfinde die Doppelung als störend. Eventuell kannst du das erste sogar weglassen, wenn 17 Euro für einen Briefkasten als zu teuer taxiert werden, dann assoziiert das bereits "Sie mussten rechnen". Das zweite ist dann ok.

Sie räumte ihr Geschirr weg, ging ins Wohnzimmer, öffnete das Fenster und ließ die frische Luft ins Zimmer.
WW - Wohnzimmer/Zimmer
öffnete das Fenster und ließ frische Luft herein.

Später, wenn auch er wach war und seine Sachen dazu gestellt hatte, würde sie alles spülen.
Hier dachte ich, er schlafe im Wohnzimmer und sein Glas stehe noch vor ihm, aber anscheinend schläft er noch im Schlafzimmer und du meinst mit "Sachen" das Frühstücksgeschirr, richtig? Hat mich anfangs etwas verwirrt. Aber möglicherweise auch nur, weil ich von Paul ein falsches Bild hatte:

Paul hatte das Geschirr abgewaschen und war dabei, die Kartoffeln zu schälen.
Er gab ihr einen flüchtigen Kuss und schaute wieder auf die Kartoffel in seiner Hand.
Mir gefiel dieser Moment, als ich mein Bild über Paul revidieren musste. (Stellte ich ihn mir - voreingenommen wie ich war - als verbitterten Arbeitslosen vor, der im Haushalt nur für die Erzeugen von Unordnung sorgte). Schön, dass du ihn letztendlich als fürsorglichen und gefestigten Charakter an die Seite von Greta stellst.

Ernstes, schwermütiges Thema leichtfüssig und ohne Pathos umgesetzt.

Kleine Bemerkung zum Titel
Der Brief (des Damokles) zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte, ohne dass seine zentrale Rolle ausgespielt werden muss, somit finde ich persönlich den Titel schon richig gewählt.

Gern gelesen,
Gruss dot

 

Lieber dotslash,

danke für deinen freundlichen Kommentar und deine Gedanken über das Trauern. Ich bin auch der Meinung, dass man Trauer leben sollte. Alles, was wir nicht an uns ranlassen, bleibt in uns stecken und wird irgendwann an die Oberfläche kommen, ob wir wollen oder nicht. Und dann vielleicht in einer Form die wir nicht wollen oder nicht kontrollieren können.

Deine Anregungen haben ich aufgenommen. Merkwürdig, dass mir die Dopplungen nicht selber aufgefallen sind.

Ja, der Brief hängt wie ein Damoklesschwert über den beiden.

Ich wünsche dir ein schönes Wochenende.

Liebe Grüße
barnhelm

 

Hallo Barnhelm,

insgesamt, und das vorweg, eine einfühlsame Geschichte, die ich gerne gelesen habe. Ein paar Sachen sind mir aufgefallen, die ich nachfolgend erwähnen möchte, kann aber sein, dass dies schon beschrieben wurde, ich bin spät dran.


( ... ) Er war ein wenig aufgeweicht vom Regen, der durch den löchrigen Deckel getropft war. Wir müssten einen neuen kaufen, dachte sie.

Wirkt auf mich ein wenig unglücklich. Bezieht sich auf was? Auf einen neuen Deckel? Auf einen neuen Briefkasten (was ich vermute)? Ist ein wenig schwammig formuliert.

Sie stellte sich die Kleinen darin vor, freute sich auf deren Freude.

Auch hier etwas unglücklich formuliert. Wie wäre es mit: "Stellte sich ihre Freude vor".

Ihr Haus lag am Ende der Stadt, nahe am freien Feld.

Das ist mir auch ein wenig unklar. Sie fährt auf den Friedhof, soweit ist das klar. Was aber ist "ihr Haus"?

Sehr gegenständlich und gut zu lesen ist dies:

Die kleinen Gräber waren die ersten, die man sehen konnte, wenn man durch das Tor trat. Links und rechts säumten sie den Weg. Kleine Gräber mit kleinen Tafeln. Jojos war das sechste auf der rechten Seite. Man sah es schon von weitem. Der kleine Wacholder, den sie vor fünfundzwanzig Jahren gepflanzt hatten, war groß geworden. So groß, dass das Grab aussah, als wäre es nur für ihn angelegt worden. An der Seite waren kleine, schräg angeordnete Steinplatten in den Boden eingelassen. Ein paar hatten sich gelöst, drohten zur Seite zu rutschen und gaben dem Grab etwas Unordentliches. Sie würde Paul bitten, sie wieder zu befestigen. Er würde nicht gerne mitkommen, das wusste sie.

Schön geschrieben! :thumbsup:


Die Platten waren grau mit kleinen Sprenkeln; in ihr stiegen die Tränen auf.

Klar, sie steht in der Küche, unterhält sich, sieht nach unten. Daher dieser Satz, der mir aber an dieser Stelle, so wie er formuliert ist, etwas losgelöst vorkommt. Vielleicht solltest du versuchen, diesen etwas zu verankern.

Vielleicht so: "Ihr Kopf war gesenkt, verloren betrachtete sie die Bodenfliesen, Tränen standen in ihren Augen."
(Ist jetzt auf die Schnelle etwas frei formuliert, du weisst aber was ich meine?)


Insgesamt eine gelungene Geschichte mit einem guten Aufbau. Die Neugierde nach dem Brief wird früh geweckt; natürlich wird spätestens beim Friedhofsbesuch klar, was der Inhalt des Briefes ist, das schmälert das Leseerlebnis aber keineswegs.

Weiter so!

Liebe Grüße

Freegrazer

 

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