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Der Blumenstrauß

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07.02.2002
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Der Blumenstrauß

Blumen in all ihrer Vielfalt; bunte ausdrucksstarke Bestandteile eines gemeinsamen Werkes. Mein Strauss zum 17. Hochzeitstag.
Ich sitze in unserem großen gemeinsamen Haus alleine im Wohnzimmer. Nur das monotone Ticken der Uhr zeigt an, dass Minuten, Stunden, mein Leben vergeht. Meine Arbeit hatte ich aufgeben müssen. Ich hätte das nicht geschafft – das alles und seine Schreibarbeiten für’s Geschäft. Ich tue das gerne. Versuche immer, meine eigenen Geschwindigkeitsrekorde beim Abtippen zu brechen oder die Steuererklärung in schnellstmöglicher Zeit zu erledigen.. Heute habe ich noch nicht mal einen Blick in Richtung Büro gerichtet. Heute sitze ich mit meinem Strauß zum Hochzeitstag im Wohnzimmer.
Das umgebende Grünzeug des Straußes wirkt beengend und verwirrend. Nimmt den Blumen die Möglichkeit nach einem individuellen Platz.
Gemeinsam Kochen, mit Zutaten rumexperimentieren und den anderen vom eigenen Löffel kosten lassen, taten wir nur solange, bis es regelmäßig in Küchenschlachten mit Geschirrbombadierung gipfelte. Danach war die Küche mein alleiniges Metier. Heute koche ich nicht. Heute sitze ich mit dem Rücken zur Küche vor meinem Strauss zum Hochzeitstag.
Einigen Blumen beginnen bereits zu welken. Ihre fahlen schlaffen Blütenblätter passen nicht mehr ins große Ganze. Ich entferne sie. Die noch Frischen haben zumeist Dornen oder giftige Blätter.
Seinen Dackel führe ich täglich spazieren, übe mit ihm Tricks ein, hoffe damit auf ein wenig Anerkennung vor ihm – genau wie der Hund. Heute ignoriere ich das Jaulen. Heute sitze ich im Wohnzimmer und schneide allen übriggebliebenen Blumen unseres Straußes zum Hochzeitstag die Blütenköpfe ab.

 

Ein guter Text, find ich, einer, der zum Nachdenken anregt. Ich erlebe das allerdings so, dass die Protagonistin in ihrer eigenen Selbstbeschränkung gefangen ist, in mangelndem Selbstbewusstsein. Ich lese nichts von Zwängen, von Beschränkungen, nur von mangelnder Anerkennung für Nichtigkeiten. Kinder scheint es keine zu geben, nur den Dackel, also das "hat sie aufgeben müssen" kann nur von innen heraus kommen.

Sprachlich finde ich den Text sehr interessant. Der Aufbau aus schlichten, kurzen Hauptsätzen ist sehr konsequent durchgehalten und reflektiert in sehr interessanter Weise die Beschränktheit der Welt, die sie sich selbst geschaffen hat.

Die Symbolik mit dem Blumenstrauß find ich auch sehr gelungen, allerdings interpretiere ich ihn mehr als Symbol für ihr eigenes Leben als für ihre (Nicht-)Beziehung. Beispiele:

Das umgebende Grünzeug des Straußes wirkt beengend und verwirrend. Nimmt den Blumen die Möglichkeit nach einem individuellen Platz

Umgebendes Grünzeug, ist das nicht Haus und Garten?

Einigen Blumen beginnen bereits zu welken. Ihre fahlen schlaffen Blütenblätter passen nicht mehr ins große Ganze. Ich entferne sie. Die noch Frischen haben zumeist Dornen oder giftige Blätter.

Wem da als Mann nicht ein bestimmter Frauentyp einfällt ...

Heute ignoriere ich das Jaulen. Heute sitze ich im Wohnzimmer und schneide allen übriggebliebenen Blumen unseres Straußes zum Hochzeitstag die Blütenköpfe ab.

Resignation? Innere Emigration? Schlimmeres?

Mir ist jetzt gerade das Bild von den einsamen, disziplinierten Frauen in manchen Derrick-Folgen gekommen, die dann je nach Folge entweder die Geliebte des Gatten umbringen, den Gatten wegen der Geliebten umbringen, vom Gatten wegen eines vermeintlichen Geliebten umgebracht werden ...

Alles in allem eine sehr schöne Geschichte, finde ich.

[Beitrag editiert von: Strider am 08.02.2002 um 08:43]

 

Salut Gérard und Strider.

Diese Geschichte spiegelt tatsächlich die leider häufig vorkommende Entfremdung in Beziehungen wider. Jeder Ehepartner fügt sich in eine Rolle und tritt seinen individuellen Platz ab. Diese Geschichte ist vom Aufbau her in die Erzählschicht der Frau und die Metapherschicht (Beschreibung Strauß) gegliedert. [Leider konnte das hier nicht durch Absätze verdeutlicht werden, weil ich bei der Eingabe der Geschichte nicht wusste, wie)
Das Symbol "Blumenstrauß" steht für die Ehe und ihre Entwicklung: zunächst bunt und vielfältig, dann beengend, dann Resignation und Hass.
Das Ende der Geschichte muss nicht für Agression stehen, sondern kann auch die Entschlussfindung der Frau symbolisieren - sie beendet und zerstört das gemeinsame "Ehewerk".
Die sprachliche Gestaltung ist gezielt "unperferkt": Ellipsen, kurze Hauptsätze, Apostrophierungen, Wiederholungen (ich sitze, ich tue, heute ...) und
gewollte Disharmonie im Klangbild ("Meine Arbeit hatte ich aufgeben müssen" statt "Ich hatte meine Arbeit aufgeben müssen"). Ziel dessen ist natürlich die Unterstreichung der Unvollkommenheit der Ehe und der verzweifelten Situation der Frau.

Ich danke für eure Beiträge.
Greta

 

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