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Der Blonde

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17.06.2018
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Anmerkungen zum Text

Meine Lieben, das, das euch hier vorliegt, ist streng genommen keine Geschichte. Viel mehr ist es die Aufzeichnung einer meiner Träume. Wer meine Geschichte Patricia kennt, dem fallen vielleicht Parallelen auf. Tatsächlich ist der vorliegende Stoff wohl unbewusst eine Art Probelauf für Patricia gewesen, nur dass der Probelauf meiner Meinung nach wesentlich besser gelungen ist :P

Der Blonde

Irgendwie wusste Daniel, dass etwas nicht stimmte. Als hätte sich etwas verändert, aber außerhalb der menschlichen Wahrnehmungsgrenze. Und trotzdem betrat er den Eissalon, jenen, den er seinen liebsten nannte.
Irgendetwas stimmte nicht. Der Eissalon war doch schon seit Wochen fertig eingerichtet gewesen. Anscheinend irrte er sich, denn außer der Eistheke, vor der er stand, war der Raum leer und kahl. Niemand war da. Betonwände ohne Farbe. Eine Glühbirne am Draht, statt eines Lampenschirms. Aber das Eis war köstlich, das wusste er. Er kam immerhin schon seit April hier her, seit sie geöffnet hatten.
Oder?
»Stopp, bleiben Sie stehen!«, ertönte eine Männerstimme aus einem Hinterzimmer und prompt stürmte eine merkwürdige Gestalt in den Hauptraum des Salons.
Es war ein Mensch, gehüllt in dicke, bunte Schichten aus Speiseeis, nur der rechte Arm war frei und ragte wie ein dürrer Ast aus dem Eisberg. Der Mensch sah aus wie ein Geist aus Eis, und Daniel nahm an, dass es sich um einen Eissüchtigen handeln musste.
Der Eissüchtige gab tiefe Geräusche von sich. Als würde er schreien unter dieser dicken Eisschicht, die den Schall zu einem dumpfen Grummeln dämmte.
Nun kam der Mann, dem die Stimme von vorhin gehörte, aus dem Hinterzimmer gestürmt.
»Tut mir Leid«, sagte er. »Manchmal ist er nicht zu halten.«
Der Mann war eigentlich ganz hübsch, dachte Daniel. Groß, blond, er kannte ihn, hatte ihn aber noch nie gesehen. Irgendetwas stimmte nicht mit ihm. Er war entstellt.
Der blonde Mann führte den Eissüchtigen aus dem Raum. Eine Frau kam aus dem Hinterzimmer. Es war die Verkäuferin, wie Daniel wusste. Er kannte sie schon lange, seit er im April das erste Mal hier gewesen war. Sie wirkte aufgeregt. Sie stürmte hinter die Eistheke. Dort war plötzlich ein neues Möbelstück, eine Art Rollkasten, wie man sie normalerweise als Bestandteil von Schreibtischen kannte. Die Frau begann wie wild die Zettel, die wichtigen Unterlagen auf der Ablage am Kasten, zu durchwühlen.
»Ich finde meine E-Card nicht«, sagte sie. »Verdammt, wo ist meine E-Card?«
Irgendetwas stimme nicht.
»Das ist doch schon einmal passiert«, sagte Daniel. Die Frau starrte ihn verwirrt an. »Das ist alles schon einmal passiert. Lassen Sie mich mal.«
Er ging um die Eistheke, stieß die Frau unsanft zur Seite, ging in die Knie und öffnete die unterste Schublade.
»Das letzte Mal war sie hier«, sagte er und durchsuchte die randvolle Lade.
Aber sie war nicht da.
»Das letzte Mal war sie hier«, wiederholte er. »Sie muss hier sein.«
»Was soll das?«, fragte die Verkäuferin. »Da ist sie nicht. Sie ist verschwunden.«
»Dieses Mal ist es anders«, murmelte Daniel.
Eine Frau und ein Mann kamen in den Eissalon.
»Entschuldigen Sie«, sagte die Frau. Hübsch, jung, langes braunes Haar. »Wir sind die Handwerker. Wir kommen wegen der russischen Heizungsrohre, die kaputt sind.«
»Aber … aber das habt ihr doch schon erledigt«, stammelte Daniel.
»Bitte?«
»Ihr habt die Heizungsrohre schon repariert«, Daniel wurde langsam wahnsinnig. »Ihr habt die Heizungsrohre repariert. Und der Salon war schon fertig eingerichtet. Es gab Farben und Stühle und die Leute sind hier ein und ausgegangen. Das alles ist schon mal passiert.«
Daniel kassierte verwirrte Blicke. Er griff sich an den Kopf. Das konnte nicht wahr sein. Irgendetwas stimmte hier ganz und gar nicht.
»Welches Monat haben wir?«, fragte er dann.
»Juni?«, sagte die junge Frau.
»April!«, schrie Daniel zurück. »Das alles ist im April passiert. Die Renovierung, die E-Card, die russischen Rohre. DAS IST ALLES SCHON PASSIERT.«
Plötzlich waren alle zur Salzsäule erstarrt, als hätte jemand die Zeit angehalten. Nur Daniel war davon nicht betroffen. Noch verwirrter als zuvor, sah er sich um. Was ging hier vor sich? Was stimmte hier nicht?
»Wie kannst du es bemerken?«, fragte dann die bekannte Männerstimme hinter Daniel.
Er drehte sich um, und während er das tat, wandelte sich der Raum. Die Form blieb gleich, aber es wurde dunkel, und plötzlich war es kein Eissalon mehr sondern ein Schlafzimmer und auf dem Bett im Eck saß der Blonde, breitbeinig und selbstgefällig.
»Nun sag schon, wie hast du es heraus gefunden?«
»Ich wusste, dass irgendetwas nicht stimmt«, sagte Daniel.
Der Blonde schwang die Beine aus dem Bett und stand auf. Er ging auf Daniel zu, der ihn ungläubig anstarrte.
»Ich bin beeindruckt«, sagte er. »Ich hätte nicht gedacht, dass es dir bewusst wird. Eine Ahnung, ja, dass lässt sich manchmal nicht vermeiden. Aber dass es dir tatsächlich bewusst wird – nicht schlecht.«
»Du hättest besser aufpassen sollen«, sagte Daniel. »Wäre die E-Card dort gewesen, wo sie das letzte Mal war, wäre es April gewesen, dann hätte ich es vielleicht nicht bemerkt. Schlampige Arbeit.«
Der Blonde rümpfte verärgert die Nase.
»Und du hast mich immer noch nicht frei gelassen, oder?«, fragte Daniel.
Der Blonde lächelte.
»Warum tust du das?«, schrie Daniel und dann glaubte er es auch schon zu wissen. »Du willst mich, oder?«, und er streichelte die Wange des Blonde.
Der schlug seine Hand weg. »Ich will nicht dich«, sagte er. »Aber ich brauche dich.«
»Ich helfe dir sicher nicht«, sagte Daniel und trat ein paar Schritte von dem Blonden weg. »Du kannst mich hier nicht gefangen halten.«
Wieder änderte sich der Raum. Er behielt weiter seine Form aber die Einrichtung änderte sich. Daniel stand im Wohnzimmer seiner Eltern, der Blonde saß auf der Couch. Daniel war nun wieder da, wo er hingehörte.
Oder?
»Bin ich… frei?«, fragte Daniel.
»Natürlich«, grinste der Blonde. Er war so wunderschön, doch sein Gesicht war abartig.
Irgendetwas stimmte nicht.
Daniel sah aus dem Fenster. Es war Winter, draußen war alles voll mit Schnee, Weihnachtsbeleuchtung erhellte die Nacht. Ein ruhiges, ein beruhigendes Bild, Daniels liebste Zeit im Jahr. Ja, er war eindeutig da, wo er hingehörte. Alles stimmte wieder. Alles war okay. Er war wach.
»Bin ich nicht«, sagte er und schüttelte sich. Daniel ging zum Blonden, packte ihn. »Du hältst mich immer noch gefangen, oder? Das da draußen soll mich nur beruhigen. Mich glauben lassen, alles sei okay. Du willst, dass ich aufhöre mich zu wehren, nicht wahr? Nicht wahr?«
Der Blonde grinste nur.
Daniel ließ von ihm ab. Er wollte dem Blonden weh tun, aber das konnte er nicht. Er war nicht sicher, ob er wach war oder schlief. Und wenn er wach war und dem Blonden etwas antat, würde das Konsequenzen bedeuten. Aber wenn nicht, dann war er immer noch sein Gefangener.
»Ganz ruhig«, sagte Daniel zu sich selbst.
»Warum tust du dir das an?«, fragte der Blonde. »Lass es doch einfach zu. Du kannst mir nicht entflüchten. Dieses Mal nicht. Ich brauche dich.«
»Du bist ein schlechtes Abbild meines Unterbewusstseins«, sagte Daniel. »Als ob ich jemals so ein Wort verwenden würde.«
Daniel versuchte den Blonden auszublenden. Er musste sich konzentrieren. Nichts um ihn herum war echt, und obwohl er das wusste, konnte er nicht entkommen. Also musste er kämpfen.
Er ging in sich, versuchte sich zu erinnern, wo er war, wo er wirklich war. Und er spürte einen Hauch frischer Luft auf seiner nackten Haut. Das Gefühl kam aus der echt Welt, das wusste er. Und dann sah er sie vor sich, diese echte Welt. Dort war die Balkontüre gekippt, von dort kam der zarte Lufthauch. Er lag auf der Couch und schlief, er konnte es deutlich vor sich sehen. Und das war es, was er brauchte, um sich zu befreien. Er hatte sich im echten Leben gefunden, jetzt musste er sich nur noch aufwecken.
Daniel sah den Blonden an. »Du hast verloren.« Er ging leicht in die Knie, spannte seinen Körper an, presste die Arme an seine Seite, spreizte die Finger so weit er konnte, krümmte sie zusammen, als würde er einen unsichtbaren Stressball drücken. Er musste die Verbindung zwischen diesem und seinem echten Körper finden, und das ging nur, wenn er die Schlafparalyse überwinden konnte. Es war nicht das erste Mal, dass er das tat. Er wusste, dass er das konnte.
Aber anstatt aufzuwachen, bogen sich seine Finger in alle möglichen und unmöglichen Richtungen. Anstatt aufzuwachen, ließen seine Muskeln es nicht zu, dass er sie anspannte und er verlor die Verbindung in die echte Welt, die frische Luft, das Gefühl zwischen sich und er Couch. Und er war immer noch gefangen. Stand hilflos im Wohnzimmer seiner Eltern, das nur ein Gebilde seines Unterbewusstsein, ein Gebilde des Blonden war.
»Ich lasse dich nicht gehen«, sagte der Blonde scharf. »Nicht, bevor ich habe, was ich will.«
Daniel hielt ein violettes Schwert in der Hand, und erst jetzt realisiert er, worum es ging. Der Blonde wollte nicht ihn. Der Blonde wollte Regina. Er wollte alles nochmal wiederholen, um es dieses Mal richtig zu machen.
Und die Erde unter Daniel bebte, und es riss ihn in die Höhe, unter seinen Füßen nur ein kleines Stück Boden auf dem er das Gleichgewicht halten musste. Er hatte Angst, zu fallen, obwohl er wusste, dass es nicht echt war.
»So lasset die Spiele beginnen«, verkündete der Blonde und Trompeten ertönten und Regina, die böse Königin, betrat das Spektakel in ihrem Burghof.
Regina. Damals hatte der Blonde alles falsch gemacht. Sie starb und in seiner Trauer sann er nach Macht, um es ungeschehen zu machen. Und jetzt verstand Daniel, warum der Blonde ihn brauchte. Er war damals dabei gewesen, als sie starb. Er war der Grund gewesen. Nur er konnte die Vergangenheit ändern, nur er sie zurück holen.
Der Blonde zwang Daniel ins Schlafzimmer. Dort wartete Regina im Bett. In ihrer ganzen Schönheit.
»Ich … ich verstehe nicht«, stammelte Daniel. »Du wolltest doch … sie.«
»Nein«, sagte der Blonde. »Ich will euch beide.«
Und sie stiegen ins Bett, waren zu dritt, zu viert, zu fünft, aber es stimmte nicht.
Irgendetwas stimmte nicht.
Der Blonde war abgelenkt, Daniels Chance war gekommen.
Er öffnete die Augen. Er lag dort, wo er liegen sollte. Auf der Couch. Er war sicher vor dem Blonden. War seinem Gefängnis entkommen.
Oder?
Die Uhr zeigte 14:47 Uhr. Das stimmte nicht. Er hatte um 11:00 Uhr einen Wecker gestellt. Er schloss die Augen, das konnte nicht stimmen. Er öffnete sie wieder. 14:47 Uhr. Der Blonde hatte ihn immer noch gefangen, doch er war fast frei. Ein letztes Mal musste er sich anstrengen.
Er hob die Hand, griff zu seinem Handy.
06:24 Uhr.

 

Anmerkung zur „Anmerkung zum Text“

Hallo @Alveus Jekat,

nee, eine „Patricia“ kenn ich nicht (sehn wir mal vom Namen her der Grace Kelly ab), aber eine „Ophelia“ (und dem Ende der Liebe), zu der Du auch meinen Willkommensgruß erhieltest. Aber mir ist nicht klar, warum Träume

streng genommen keine Geschichte
seien, wenn doch schon das Wort „Geschichte“ eine Partizipbildung des Verbs „geschehen“ ist und in manchen Träumen mehr passiert, als man sich träumen ließe. Und da i.d. R. in Träumen vorhergehendes Geschehen abgearbeitet wird (schlafende Hund musstu mal beobachten, knurren nicht nur, sie ahmen sogar ihre Laufbewegungen nach) – quasi eine Wiederholung, in die Wünsche und Ängste mit hineinspielen. Also in der Deutung eher ein Fall für den Psychoklempner als für den Kommentator hier, der sich also auf die Sprache beschränkt und direkt die Frage hat, selbst wenn die individuelle Wahrnehmung und das Fassungsvermögen begrenzt ist, was ist eine
Wahrnehmungsgrenze
wie und wo lässt sie sich ziehen - und wenn ich auf deutscher Seite an der niederländischen Grenze stehe und herüberschaue, sehe ich in die Niederlande ... wassieht man dort auf der anderen Seite?

Ähnliches widerfährt Dir gegen Ende, wenn Du das

Unterbewusstsein
erwähnst. Und selbst wenn Freud das Wort verwendete, darf man nie vergessen, es ist in einer Zeit entstanden, da das Gerücht vom „Untermenschen“ aufkam. Es gibt so wenig ein minderwertiges Bewusstein wie minderwertiges Leben überhaupt.

Genug der Einleitung, bissken zu Deiner Vorliebe des Partizips II des „sein“, denn „gewesen“ stinkt manchmal nach „verwesen“. Im Deuschen haben wir nur zwo einstellige Zeiten, selbst das vom Aussterben bedrohte Futur I (oft wird selbst hier die würde-Konstruktion bevorzugt, obwohl der Konjunktiv nicht die Bohne mit der Zeitenfolge zu tun hat) ist zwostellig, Futur II gar dreistellig.

Der Eissalon war doch schon seit Wochen fertig eingerichtet gewesen.
...
Er kannte sie schon lange, seit er im April das erste Mal hier gewesen war.
...
»Wäre die E-Card dort gewesen, wo sie das letzte Mal war, wäre es April gewesen, dann hätte ich es vielleicht nicht bemerkt.
...
Er war damals dabei gewesen, als sie starb. Er war der Grund gewesen.

Allein das „Gewese“ in der wörtl. Rede will mir da gefallen und im ersten Zitat hat es auch noch nix inflationäres. Meistens kannstu aber darauf verzichten, denn unter bestimmten Bedingungen kann jede Vor- oder Nachzeitigkeit auch einstellig beschrieben werden, denn was wäre der reale Unterschied zwischen
Er kannte sie schon lange, seit er im April das erste Mal hier gewesen war.
und
Er kannte sie schon lange, seit er im April das erste Mal hier [...] war,
wenn man annehmen darf, dass der April bereits vergangen ist?

Der darauf zitierte Satz drückt diese Vorzeitigket im „damals“ aus usw.
Versuch mal selber. Wird schon klappen, behaupt‘ ich mal.

»Stopp, bleiben sie stehen!«, ertönte eine Männerstimme …
Im Zweifel behaupt ich mal, dass man im Traum auch die Höflichleitsform verwendet

Der Mann war eigentlich ganz hübsch, dachte Daniel.
Besser indirekte Rede, der Mann „sei“ … Wörtlich dachte er nämlich „der Mann ist eigentlich ...“

Flüchtigkeiten (es liegt der Beweis vor, dass Du es weißt)

»Aber[...]… aber das habt ihr doch schon erledigt«, stammelte Daniel.
QUOTE]Plötzlich waren alle zur Salzsäule erstarrt[…], als ...[/QUOTE]

Du kannst mir nicht entflüchten.
Wo hastu das Wort aufgegabelt?, zwar kenn ich das poetischen „entfleucht“ (ist dann aber auch eher von „fliegen“, denn fliehen oder flüchten abgeleitet), und die „Entfluchtung“ bei Räumungen aber so ...

Er ging leicht in die Knie, spannte seinen Körper an, presste die Arme an seine Seite, spreizte die Finger so[...]weit er konnte, k…
"so weit", eine unbestimmte Mengenangabe, "soweit", eine Konjunktion, soweit ich weiß.

Ja, und das Ende zeigt dann, dass die Traumwelt eigentlich zeitlos ist jenseits aller bürgerlichen Zeiteinheiten ...

Schau'n mer ma' und wird schon werden, meint der

Friedel -
der vorsorglich noch ein schönes Wochenende wünscht

 

Hallo @Friedrichard,

aber eine „Ophelia“ (und dem Ende der Liebe), zu der Du auch meinen Willkommensgruß erhieltest.

Ich beginne direkt mit einer Entschuldigung. Aus Gründen, die sich mir nicht erschließen mögen, ist deine Bemerkung bei meiner letzten Geschichte an mir vorbeigezogen. Selbstverständlich werde ich auch diese noch aufarbeiten. Doch alles zu seiner Zeit. Zuerst möchte ich auf deine Worte zu meinem Traum eingehen.

Aber mir ist nicht klar, warum Träume
streng genommen keine Geschichte
seien, wenn doch schon das Wort „Geschichte“ eine Partizipbildung des Verbs „geschehen“ ist und in manchen Träumen mehr passiert, als man sich träumen ließe.

Nun, daher auch meine Bemerkung streng genommen. Natürlich sind Träume Geschichten. Was ich meinte, war die Tatsache, dass ich hierfür weder meine Fantasie bemüht, noch mir überhaupt den Kopf zerbrochen habe. Es ist die simple Abschrift einer Beobachtung, eines Erlebnisses. Es ist wirklich passiert, und doch nicht. Oder vielleicht schon? Ist es wahr oder gelogen? Kommt wohl darauf an, wo jeder für sich selbst die Wahrnehmungsgrenze zieht.

selbst wenn die individuelle Wahrnehmung und das Fassungsvermögen begrenzt ist, was ist eine
Wahrnehmungsgrenze
wie und wo lässt sie sich ziehen

Und schon erkennst Du: Nein, ich maße es mir nicht an, diese Grenze für die Allgemeinheit zu ziehen. Ich verstehe, dass man in der Literatur Antworten auf Fragen dieser Art zu suchen pflegt, aber am Ende muss man diese Antworten für sich selbst finden, denn gerade das Wahrnehmen kann niemand anders übernehmen. Das muss man schon selbst tun. Es ist unsere ständige Aufgabe, das Grau in Schwarz und Weiß einzuteilen. In wahrgenommen und unwahrgenommen, sozusagen.

Ähnliches widerfährt Dir gegen Ende, wenn Du das
Unterbewusstsein
erwähnst. Und selbst wenn Freud das Wort verwendete, darf man nie vergessen, es ist in einer Zeit entstanden, da das Gerücht vom „Untermenschen“ aufkam. Es gibt so wenig ein minderwertiges Bewusstein wie minderwertiges Leben überhaupt.

Ich unterstelle dir jetzt nicht, dass du mir etwas unterstellst. Was du mir hier sagen möchtest allerdings, ist mir ebeso ein Rätsel, wie dein Problem mit dem Wörtchen Unterbewusstsein. Diesen Begriff mit dem Begriff des Untermenschen gleichzusetzen, ist ebenso absurd wie lächerlich, was ein Blick in den Duden unterstreicht. Wer dort Unterbewusstsein nachschlägt, findet die Definition "vom Bewusstsein nicht gesteuerte psychisch-geistige Vorgänge". Das entspricht nicht nur dem von mir Gemeinten. Es widerspricht auch der These, dass es sich um einen Ausdruck der Minderwertigkeit handelt. Der Form halber, wollen wir uns noch mit der Definition des Dudens des Wortes Untermensch auseinander setzen. Da heißt es "(in der rassistischen Ideologie des Nationalsozialismus) Mensch, der nicht Arier ist". Nun gut, das bedarf wohl keiner weiteren Ausführungen.

Meistens kannstu aber darauf verzichten, denn unter bestimmten Bedingungen kann jede Vor- oder Nachzeitigkeit auch einstellig beschrieben werden, denn was wäre der reale Unterschied zwischen
Er kannte sie schon lange, seit er im April das erste Mal hier gewesen war.
und
Er kannte sie schon lange, seit er im April das erste Mal hier [...] war,
wenn man annehmen darf, dass der April bereits vergangen ist?

Und hier wirds jetzt interessant, rein soziolinguistisch. Ich schicke voraus: es ist mir bewusst, dass ich mit dem PQP durchaus sparsamer umgehen kann. Doch hier habe ich ein sprachliches Problem – es klingt falsch. Meine Theorie dazu lautet wie folgt: Als Österreicher, der ich bin, komme ich in der Alltagssprache viel seltener mit dem PQP in Berührung, als dies im Nachbarland der Fall ist. Dort ist man es in der gesprochenen Sprache gewohnt, daher mag es wesentlich merkwürdiger anmuten, in einem Text, der zwar Vorzeitliches beschreibt, sich jedoch unnötig übermäßig des PQP bedient. Es mag zu sehr nach Alltagssprache als nach Erzählung klingen. Und für mich ist es genau umgekehrt. Auch wenn ich ebenso kein Fanboy des PQP bin, so ist es in meinem Sprachverständnis doch dringend anzuwenden, wird Vorzeitliches erzählt. Lass mich dir jedoch versichern, dass ich daran arbeite, ein Gefühl zu bekommen, wann es zu viel wird, wann anderes möglich ist. Aber dafür muss ich lesen, viel lesen, und das braucht Zeit.

Und nun sind wir auch schon wieder am Ende. Die kleineren Fehler, auf die du mich freundlicherweise aufmerksam gemacht hast, werden selbstverständlich sofort korrigiert. Und nun bleibt mir nichts mehr, als mich zu bedanken, für dein Lesen, für dein Kritisieren.

Liebe Grüße,
Alveus

 

Ich unterstelle dir jetzt nicht, dass du mir etwas unterstellst.

Genau, nix wird von mir da "unter"stellt,

Alveus,

aber im Gegensatz zum Adjektiv "unter" nebst seinen Zusammensetzungen wie "unterstellen" hat das Präfix "unter" eine andere Wirkung wie etwa die Vorsilbe "un" (Ungeziefer, Unmensch oder unpünktlich) und wurde gerne im 19. Jh. verwendet, dass Freud sich bei der Benennung des "Unterbewusstseins" im Gegensatz zum "Unbewussten" nix weiter denken musste, als dass es halt unterhalb des Bewusstseins ist in seinem Instanzenmodell. Die Unterwäsche ist auch dann noch Unterwäsche und niemand wird sie mit dem Wort Untermenschen noch den Protolollen der Weisen von Zion in Verbindung bringen.

So viel oder eher wenig für heute vom

Friedel

 

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