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Der Blick in den Spiegel
„Du bist auserwählt, den Raum zu bereisen.“ sagte die Stimme zu Sebastian, der sich suchend umschaute.
„Wer spricht da?“ fragte er sichtlich verdutzt.
„Ich bin der Raum.“ bekam er als Antwort.
Rote und gelbe Lichter erschienen, eine Melodie, die an ostasiatische Zeremonien erinnerte, mischte sich dazu. Die Welt begann, sich im Schein der Lichter und Klang der Melodie erst langsam, dann schneller zu drehen, bis sie sich so schnell drehte, dass jedweder Fluchtpunkt sich in einer endlos erscheinenden Linie auflöste. Die Linien begannen zu schwingen, auf und nieder, ineinander, sich verflechtend, die Farbe wechselnd. Der Einzige, der stillstand, war Sebastian.
Er schloss die Augen, unfähig, dieses Schauspiel mit den Augen zu verfolgen.
Eine Wärme breitete sich innerlich aus, so, als wenn man in ein warmes Meer im Hochsommer steigt.
Als er seine Augen öffnete, fand er sich auf einem weiten Feld wieder, das mit einer purpurnen Erde gesäumt war. Überall erhoben sich röhrenartige Gebilde in den orangefarbenen Himmel, die in allen Farben des Regenbogens leuchteten und ihre Farbe ständig wechselten. Sie versprühten fremde, süßliche Gerüche, die Sebastian fremd waren, doch anziehend auf ihn wirkten wie Nektar auf eine Biene.
Er ging zu einer Röhrenpflanze hin und brach einen kleinen Trieb ab, roch an ihm. Ein Duft stieg in seine Nase, der ihn an Erdbeeren und Honigmelone erinnerte und zugleich würzig wie Rosmarin war.
Er kostete davon.
Die Welt um ihn herum begann, sich zu verändern. Aus den Röhrenpflanzen stiegen nun grünliche Dämpfe auf, in denen sich Gesichter schöner Frauen zu bilden schienen. Der Himmel wurde zu einer zitternden, wogenden Oberfläche, die wie ein von Stroboskoplicht beschienendes Meer aussah. Fremdartige Töne schwirrten durch den Raum, betörend ihr Klang, die reine Lust verkörpernd.
Berauscht von der Sinnlichkeit ging er einige Schritte, wobei der Boden unter seinen Schritten federte wie Wackelpudding. Doch versank er nicht in ihm, sondern wurde immer ein wenig in die Luft gehoben. Das Gefühl im Bauch erinnerte ihn an das im Flugzeug oder der Achterbahn.
Er kam zu einer Art See. Rund um das Ufer erhoben sich Pflanzen fremder Natur mit großen Blättern, grazilem Stiel, überdimensionalen Blüten, gewellt ihre Form.
In die Blätter legte er sich, die Blüte über seinem Kopf schien am Himmel einen sinnlichen Tanz zu vollführen. Der Blütenstaub rieselte auf Sebastians Nase.
Eine Art Strom durchfuhr seinen Körper. Seine Glieder wurden schwer und müde. Er schloss die Augen.
Der See schien sich in der Mitte zu teilen, das Wasser wilde Spiele zu treiben. Fontainen in hellblauen Farben sprangen gen Himmel, die Tropfen schwebten wie an Fallschirmen zu Boden und änderten ständig ihre Form. Einige fielen ihm auf die Nase, sprangen von dort wieder Richtung Himmel und schienen dabei lebendig wie Kinder, die von einem Sprungbrett ins Wasser springen.
Erinnerungen mischten sich in das Schauspiel ein. Die Tropfen, welche sich nun wie in Zeitlupe bewegten, spiegelten das Glück der Kindertage wider. Fröhliche Spiele, unbeschwertes Leben, ein warmes Gefühl der Geborgenheit erschienen in ihnen, konserviert und fähig, sie zu trinken.
Er trank von ihnen, was einen Strom der Glückseligkeit in ihm auslöste, den er sich berauscht hingab.
Auf der Schwelle zwischen traumhafter Wirklichkeit und wirklichem Traum stand er auf und ging auf ein Gebäude zu, das die Form einer geschlossenen Muschel hatte. Er brauchte nur die Schale zu berühren, da öffnete sie sich und gewährte ihm Einlass.
Als er eingetreten war, schloss sie sich wieder.
Dunkelheit erfüllte den Raum.
Aus der Dunkeln schwebten Gesichter hervor in Farben, die ihm unbekannt waren, mehr Gefühl denn optischer Reiz waren. Sie umlullten ihn, schlossen ihn ein und er entschlummerte in einen seligen Schlaf.
Auf einer Welle schien er über den Globus zu surfen, alsbald wuchs die Welle ins Unendliche und schickte ihn durch den Weltraum, an Planeten und Sternen vorbei, durch lilafarbene Nebel und grünlich- blaue Wolken. Immer weiter, immer höher, immer tiefer hinein, immer schneller. Die Sterne und alles um ihn herum schwanden zu Linien, die zu schwingen anfingen, sich ineinander schlossen, öffneten, miteinander tanzten.
Ein lauter Knall lies ihn erwachen.
Sein Zimmer war in das Licht der Dämmerung gehüllt.
Wie lange war er unterwegs?
Er wusste es nicht, stand aus dem Bett auf und ging ins Bad.
War das nur ein Traum?