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der Bleistift und sein hartes Leben
Ich bin ein ganz normaler, verdammter, kleiner Bleistift.
Halt! Langsam: Normal, verdammt, klein? Nein, ganz trifft diese Bezeichnung auch wieder nicht zu. Klein bin ich. Bei uns alten Bleistiften ist das allerdings immer so: Im Gegensatz zu unseren Meistern, meines Wissens Menschen genannt, werden wir mit dem Alter nur immer kleiner. Zu vergleichen ist diese mir unangenehme Eigenschaft mit derjenigen der Kerzen, nur, dass jene minderwertigen Weichklötze, im Gegensatz zu unsereins es noch nie fertigbrachten einige sauberen Zeilen aufs Papier zu bringen! Nun hinüber zu „verdammt“: Na ja, das bin ich wohl; verdammt dazu mir meine alten Knochen und insbesondere meine Nase immer in dem gleichen Raum bersten zu müssen, in der Schreibwerkstatt des Kreises. Doch ganz so langweilig ist es in diesem Raum sicherlich nicht: Hier werden nämlich äusserst spannende Geschichten geschrieben! Jetzt aber zu „normal“: Dieser Begriff passt am wenigsten zu mir: Mein Schicksal ist es wirklich nicht. Vielleicht mein Familienname? Ja, „swiss made“ habe ich auch schon anderswo gehört. Und mein Vorname sei auch sehr berühmt: Den trage ich mit Würde, oder trug: „Caran D‘ache“! Trug? Na ja, mit der Zeit wurde auch er mir weggeschnitzt. So, jetzt, wo ihr meinen Namen kennt, werde ich mit meinem Leben fortfahren.
Was Menschen nicht alles schreiben! Besonders in diesem Raum. Also, zu mir: Ich kann mich nicht mehr richtig daran erinnern, wie ich entstand. Ich entsinne mich noch an die Zeit, als ich noch gross und jung war. Zusammen mit drei gleichnamigen Brüdern wurde ich damals an einen Ort ausgestellt – ich erfuhr später, dass man ihn Laden nennt – ,wo viele Leute umhergingen und nach unsereins griffen.
Nach mir und meinen Brüdern griff ein langbärtiger, fürchterlich aussehender und dabei auch schlecht riechender, kleiner Mann. Mit der Zeit stellte sich heraus, dass er der Chef meiner Meister (Usatoren, von usus, würde auch gut tönen) war. Er brachte mich also in den bereits erwähnten Raum, in dem sich Montags und Freitags, stets die berüchtigten zwölf Kreis-Autoren – so nannten sie sich selbst – trafen.
Bei ihnen würde ich eine Menge Spass haben, erklärte mir der Stinker, was ich vorerst einmal bezweifelte. Die übrigen elf aber stimmten zu: „Bei uns wirst du vielerlei Spannendes zu schreiben haben!“
Schon zündete einer der elf – ich erfuhr später persönlich, dass er Horrorschriftsteller war – eines dieser minderwertigen, mit dem Alter klein werdenden, weichen Klötze an (Kerze, nicht Zigarre). An diesem ersten Tag kam ich in die dünnen, durch Nagellack verzierten Hände einer eleganten, netten Dame mit einem ausgeprägten Wortschatz, dessen Begriffe ich mir gut einzuprägen bemühte. Als ich ihre Manuskripte später wieder einmal vor mir hatte, las ich sie aufmerksam durch und stellte fest, dass sie eine talentierte Novellenschriftstellerin war.
Am zweiten Schreibtag wurde ich, mein Vokabular um einiges reicher, einem witzigen, eifrigen, jungen Dichter zur Verfügung gestellt. Durch seine tollen Reime und vielen Scherze belustigt, rollte ich unglücklicherweise vom Schreibwerk hinunter und fiel auf den Boden. Ich brach mir die Nase und mein Meister richtete mich fluchend wieder für das weitere Schreiben zu, das heisst; ich verlor einiges an Grösse, das ‚s‘ von swiss made verschwand, aber dafür hatte ich eine neue Schreib-Nase bekommen. Als sich alle Schriftsteller zurückgezogen hatten, gedachte ich einige der eben gelernten, vom Meister neu erfundenen und von mir geschriebenen Scherze meinen Brüdern mitzuteilen. Am dritten und vierten Schreibtag landete ich bei einem Historiker – ich erfuhr später, dass man die so nennt - , während einer meiner glücklichen Brüder die Scherze des jungen Dichters kosten durfte. Ich allerdings musste meine Aufmerksamkeit einem gewissen William Wallace widmen, der sein langes Schwert – so schrieb mein Meister – gegen einen gewissen Regenten auf irgend einer Insel erhob.
Ich wäre freilich gerne noch drei weitere Male zum Historiker gegangen, wenn ich gewusst hätte, was für einem Schriftsteller ich als nächstes in die Hände fiel.
Brrrr.
Als ich zu Timodor Kahn kam, hatte ich noch keine Ahnung, was das schreckliche Wort „Horror“ bedeuten sollte. Bevor er mit mir zu schreiben begann, erklärte er mir, dass er mit mir die Zeilen schreiben wolle, vor denen er Abends vor dem Einschlafen selbst in die Hosen machen würde. Und der Schlaf sei nicht da um bunte Blümchen zu sehen, sondern um fürchterliche Ungeheuer zu kreieren. Dann begann der „angefressene“ Horror-Bengel zu schreiben. Wohl nur aus Angst, wieder auf den Boden zu fallen wagte ich, Caran D’ache, nicht vor Grauen zu zittern.
Obwohl ich diese schaurigen Schreibmomente bei Kahn nicht genossen hatte, war mir mein Stolz nur zu gut anzumerken, als ich erfuhr, dass eines von Timodors Büchern grossen Erfolg erzielt hatte. Bei einem Versuch, zur Feier einen Luftsprung zu machen, rollte ich ...und fiel zu Boden. Wie in jedem Unglück, so konnte ich auch in diesem etwas Positives sehen. Meine Nase brach diesmal nicht sofort, sondern erst später: Der Chef der Zwölf hatte sich vorgenommen, auch wieder mal etwas zu schreiben, ich glaube einen Krimi und dafür griff er genau nach mir – Puahh! Dieser Gestank! Diese fettigen Hände! So geschah es, dass meine schon angebrochene Nase brach, der Chef fluchte, mich aber glücklicherweise nicht schnitzte, sondern einfach einen anderen swissmade zu Hilfe zog.
So lernte ich viele Typen kennen: mal eine ältere Dame, die eine Biographie von ihrem rührenden Leben verfassen wollte, mal einen Fantasy-Autoren, einmal auch einen verrückten „Science-fiction-Man“, der bei Ideenlosigkeit auf mich einzubeissen pflegte – Wunden aus dieser Zeit trage ich heute noch, falls sie nicht weggeschnitzt wurden. Dann wieder zwei liebe, sachte Kinderbuchautoren. Die mochten mich sehr, schliesslich war ich ihr Lieblingsspielzeug.
So wurde ich von Zeit zu Zeit immer älter und kleiner und viele von mir und meinen Meistern geschriebene Bücher gelangten zu grossem Ruhm, den ich als Schulwerkzeug eines zwölfjährigen nie gehabt hätte. Nun langsam aber sicher nahte mein Ende und ich befürchtete, einfach vergessen zu werden.
Da kam der Tag, an dem ein neuer, junger Schreiber in die Clique kam und für den Stinkchef einen Probetext verfassen musste. Den Bleistift, mich, in der Hand grübelte er lange nach und fand keine gute Idee, die den Voraussetzungen entsprach: Er sollte etwas ganz neues schreiben. Dann betrachtete er mich mit seinen grünen, hellen Augen, sah, dass ich schon sehr klein war und fragte mich freundlich: „Würdest du mich durch das Werk leiten, wenn ich mich bemühe deine Geschichte aufzuschreiben?“
Sofort willigte ich ein, ja ich sei bereit, verzichtete allerdings auf den Luftsprung.
Es war mein letztes Werk und dann war ich zu klein.