Der beste Freund
Als sie mir entgegenkommt, lächelt sie. Ihre kastanienbraunen, schulterlangen Haare sind zu einem Dutt gebunden. Ihre blauen Augen blicken mir mit einem Glitzern entgegen. Ich umarme sie zur Begrüßung. Wir sagen beide nichts. Als wir loslaufen, berühren sich unsere Hände. Ich will sie nehmen, doch ich lasse es. Wir sind auf dem Weg in die Bar. Das Wetter ist bedeckt. Ein leichter Märzwind streicht mir durchs Gesicht, während ich leichte Tropfen spüre. Wir beginnen, zu reden. Es sind belanglose Themen. Beide bemerken wir den Regen. Wann wird es Frühling, es war lange genug Winter? Ich erzähle eine Geschichte, ich bringe sie zum Lachen. Lächelnd beobachte ich sie, das Grübchen neben ihrem Mund, die leuchtenden Augen. Sie scheint meine Gegenwart zu mögen. Ich bin ihr bester Freund. Und ich hasse es.
Wir erreichen die Bar. Ich bestelle ein Bier für mich und einen Sekt für sie. Sie mag kein Bier. Es ist ihr zu bitter. Ich weiß das, ich bin ihr bester Freund. Ich übernehme die Runde. Ich schlürfe den Schaum vom Bier, er schmeckt gut, es ist meine Lieblingssorte. Wie immer frage ich sie, ob sie einen Schluck will, sie schüttelt den Kopf. Schnell ist mein Bier leer. Die Bar füllt sich. Die Musik wird lauter. Als sie aufs Klo geht, fragt mich eine junge Frau, ob der Platz bei mir frei ist. Ich mustere sie, sie sieht gut aus. Sie wirkt nett. Als ich den Kopf schüttele und sie meine Begleitung zurückkehren sieht, nickt sie verstehend. Meine beste Freundin setzt sich wieder neben mich. Ich bestelle eine zweite Runde. Auch jetzt zahle ich, sie hat zu wenig Geld dabei. Während wir reden, rücke ich näher an sie heran. Unsere Beine berühren sich. Ich lege meine Hand auf ihr Bein. Sie scheint es nicht zu stören. Zwischendurch sagen wir nichts. Ich kenne das Lied das läuft und singe mit. Sie lächelt, als sie das sieht. Ich lächle zurück. Ihre Hand liegt auf dem Tresen. Erneut will ich sie nehmen. Ich stelle es mir vor. Als ich ihre Hand halte schaut sie mich verwirrt an, lässt dann los und trinkt weiter aus ihrem Glas. Ich will es nicht riskieren. Ich verwerfe den Gedanken. Ich trinke weiter aus meinem Bier, leere es und bestelle mehr. Ich entschuldige mich kurz und gehe Richtung Toilette. Während ich durch die Bar laufe, mustere ich die Leute. Lachende Studentengruppen, küssende Pärchen. Einige Leute jubeln über ein Tor auf dem Fernseher. Andere scheinen tief in Gespräche verwickelt. Keiner ist alleine. Ich betrete das Bad. Bei schlechter Beleuchtung prüfe ich meine Frisur. Ich richte sie so gut wie möglich und versuche, meinem Spiegel-Ich zuzulächeln. Als ich wieder aus der Toilette komme, spüre ich ein bisschen vom Alkohol. Vorsichtig schiebe ich mich durch die Menschenmenge auf meinen Platz zu. Als ich sie erblicke, beobachte ich sie kurz. Sie sieht schön aus, ihr vertrauter Blick erfreut mich. Mein Herz macht einen kleinen Sprung der Enttäuschung, als ich sehe, dass der Platz neben ihr nicht mehr frei ist. Ich frage sie danach. Sie sagt, jemand habe sich einfach hingesetzt, dann war es zu spät um etwas zu sagen. Ich trinke mein Bier im Stehen weiter. Ich merke, wie ihr Alkoholpegel steigt. Sie lacht mehr und spricht ein bisschen undeutlich. Ich lege meinen Arm um sie, während wir reden. Sie legt ihren Kopf auf meine Schulter. In meinem Kopf überstürzen sich die Gedanken. Ich will sie küssen, doch ich lasse es. Ich will ihr sagen, wie ich über sie fühle, doch ich lasse es. Ich will sie fragen, was sie über mich denkt, doch ich lasse es. Die Reaktionen würden mich nur verletzen. Und das weiß ich. Ich bestelle noch ein Bier und noch einen Sekt. Ich weiß, dass es für sie zu viel ist. Sie verträgt nicht so viel. Aber das ist mir jetzt egal, mir ist es nach Alkohol. Mein bester Freund meint, das alles sei nicht gut für mich. Wenn ich wegen ihr nachdenklich werde, rauche ich, wenn ich wegen ihr traurig bin, trinke ich. Ich will das eigentlich alles nicht, aber ich kann mir nicht helfen. Ich ziehe sie näher an mich heran. Mit meinem Daumen streichle ich über ihre Schulter. Langsam wird es Zeit, zu gehen. Ich trinke mein Bier aus, nehme meinen Mantel und gehe Richtung Tür. Ich merke, dass sie ein bisschen schwankt beim Gehen. Als wir draußen sind, hakt sie sich bei mir ein. Ich nehme meinem Mut zusammen und befreie meinen Arm. Ich nehme ihre Hand. Sie lässt nicht los. Schweigend gehen wir Richtung Fluss. Ich streichle abwesend mit meinem Daumen über ihre Hand. Ein starker Windstoß weht mir ins Gesicht, als wir hinter den schützenden Häusern hervorkommen und den Fluss erreichen. Wir bleiben stehen. Ich nehme sie in den Arm. Sie schmiegt ihren Kopf an meine Brust. Mein Puls steigt und ein Kribbeln macht sich in mir breit, als ich sie behutsam an der Hüfte ein Stück nach hinten schiebe. Ich lehne mich ihr zum Kuss entgegen. Als unsere Lippen sich berühren, schließt sie die Augen. Dann sinkt sie zusammen. Ich halte sie fest. Nach einigen Sekunden realisiere ich, was los ist. Ich sage mehrfach ihren Namen. „Mir ist nicht so gut“, stöhnt sie. Ich halte sie kurz, dann begreife ich, dass sie viel zu viel getrunken hat.
Ich bringe sie nach Hause. Sie bedankt sich bei mir. Am nächsten Tag hat sie alles vergessen. Ich bin ein guter bester Freund. Und ich hasse es.