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Der bequeme Bakter-Raum
Als Roy la Dakota beinahe der Kopf explodierte begann sich in einer weit, weit entfernten Galaxis, irgendwo in der Nähe des Adlernebels, ein kleines Wesen auf einem kleinen, unbedeutenden Planeten Gedanken darüber zu machen, warum es denn eigentlich die ganze Zeit nur in dem viel zu öden Wasser herumschwimmt und nicht auch mal an Land geht. Es streckte die grünen Wurmfortsätze aus dem blauen Naß und setzte sie dazu ein, seinen aaligen Leib an Land zu buchsieren. Dort angekommen fand es, daß es das richtige getan hat und begann sofort damit, Gesetze zu erfinden. Nach einigen Jahrhunderten, es hatte sich millionenfach fortgepflanzt, war eine blühende Hochkultur aalglatter, windiger Rechtsverdreher entstanden, die jedoch kurze Zeit danach schon wieder untergehen sollte, da sie sich alle gegenseitig verklagt hatten und lebenslänglich ins Gefängnis mussten.
"Waaas ist der Baaakter-Raaaum, Jaaack!?", schrie Roy, der auf Grund der hohen Geschwindigkeit zu einer nicht mehr als kleinen, aus dem beigefarbenen Sitzbezug herausragenden Erhebung verkommen war.
"Die größte Entdeckung der Raaaumfaaahrt aaaller Zeiten, benaaannt naaach ihrem Entdecker Vordinund Baaakter." Jack drosselte die Geschwindigkeit, speiste den Bordcomputer mit einigen Koordinaten und fuhr fort:
"Der Bakter-Raum, lieber Roy, ist eine vor 1.004 Jahren entdeckte Zwischenwelt, durch die du unglaublich bequem zu fast jedem bekannten Punkt im Universum reisen kannst! Das wirklich fantastische ist jedoch, daß man den Bakter-Raum von jedem bekannten Punkt im Universum gleich schnell erreichen kann. Um zur großartigen Bibliothek zu gelangen habe ich ihn auch benutzt. Da kommst du anders sowieso nicht hin! Vergiss eure Theorien über Wurmlöcher und den ganzen Quatsch... Wenn du da reinfliegst landest du mit großer Wahrscheinlichkeit einfach im Bauch eines sternenverschlingenden Undings! Aber sieh selbst!" Das TS400 vollführte 3 Rückwärtsloopings, flog zweimal vor und zurück, machte eine Seitwärtsrolle und verschwand! Roy drohte erneut der Kopf zu explodieren, glaubte er sich doch plötzlich hilflos im All treibend, einen sicheren Tod vor Augen. Jack blieb wie gewohnt ruhig und sagte, er müße keine Angst haben, da das völlig normal sei und Schwupps! saßen sie schon wieder im Cockpit des Taschenschiffs.
Roy, der nur daran dachte, daß er sich ganz, ganz dringend umziehen muß öffnete die Augen und dann sah er ihn. Den Bakter-Raum! Hmm... Es war ja wirklich nur ein Raum, dieser Bakter-Raum, stellte Roy erstaunt fest. Ein großer, runder Raum...
Fast geblendet von einem grellen, allgegenwärtigen Violett konnte man wage die verschwommenen Umrisse tausender, organisch wirkender Röhren ausmachen, über denen beleuchtete Schilder mit Zeichen und Symbolen hingen, die ein vom Affen abstammendes Wesen nicht im Stande war zu entziffern. Seltsame, runde Plättchen flogen, sich wie Quallen bewegend, in ihm umher und ab und zu sah Dakota lange, durchsichtige Würmer dicht am Cockpit vorbeischwirren. Der Bakter-Raum schien mit einer Flüssigkeit geflutet zu sein, die dick und ölig aussah und im Zusammenspiel mit dem grellen Licht wohl den Hauptgrund für die schlechte Sicht bildete. Jack steuerte das TS400 geschickt an einigen großen, braunen Brocken vorbei und sagte:
"Viele der Röhren hat noch nie ein Wesen ausprobiert, Roy! Die da zum Beispiel!" Dakota starrte in die violette Suppe und konnte erkennen, welche Röhre Jack meinte.
"Aha!", antwortete Roy zweisilbig. Ja, der Bakter-Raum war ein Ort, der Roy an ein stinknormales Rathaus erinnerte. Hinter jeder Tür könnten Ungeheuer und Gefahren lauern... Jack zeigte auf eine andere Röhre.
"Da geht's nach Kachelche 2 mit seinen großen, graden, blonden Schönheiten. Hmm, vielleicht nehm ich dich ja irgendwann mal mit...", versuchte Jack Roy die Nase lang zu machen und dachte sehnsüchtig an seinen letzten Besuch.
"Wohin führt die?", wollte Dakota wissen und zeigte auf eine krumme, verbogene Röhre weiter unten.
"Oh, die ist gefährlich... ganz gefährlich! Dort geht's nach Fern, einer Dimension, in der man nie ankommt. Sollte man meiden... Die da ist empfehlenswert! Vorausgesehen, du stehst auf Diamanten."
"Warum?"
"Na, weil's in diesem Sonnensystem einen Planeten gibt, der einem so hohen Druck ausgesetzt ist, daß dort normale Kohle innerhalb weniger Minuten zu Diamanten zusammengequetscht wird. Leider Gottes würde man bei dem Versuch, auf dem Planeten zu landen selbst zu einem Diamanten, aber schön aussehen tut er allemal! Wenn du eine Idee hast, wie man dem hohen Druck standhalten könnte, sag's mir und ich beteilige dich mit...sagen wir fünf Prozent!"
"Welche dieser Röhren führt zur Erde?", erkundigte sich Roy.
"Zur Erde? Was willst du denn da? Oh, Entschuldigung, ich vergaß... Das ist die zugestaubte Röhre da vorne über der groß und breit -Langweilig!- steht. Wird nicht oft benutzt..."
"Jack, meinst du nicht, ich kann wieder zurück auf die Erde? Du könntest mich ja, sagen wir in Neuseeland absetzen und ich baue mir dort eine neue Existenz auf!"
"Die Sie würden dich finden, Roy! Die Sie werden uns zwar früher oder später sowieso ausfindig machen, aber ich bin eher die Art Gigantianer, die lieber noch einen Tag länger lebt und so solltest du das auch sehen! Glaub mir, in spätestens 2 Wochen hätten die sie dich gefunden und dann wärst du..."
"... nicht mehr, als ein hackfleischähnlicher Klumpen Scheißdreck!", beendete Roy den Satz.
"Genau!" Der Bordcomputer lotste das Taschenschiff behände an erschreckenden Gebilden seltsamer, brauner Konsistenz vorbei, um dann schließlich die Geschwindigkeit langsam zu drosseln und mit einem verzerrten - chhrr Ziel erreicht chhrr - vor einer großen Röhre anzuhalten, aus der ein beständiger Strom Raumschiffe in den Bakter-Raum floß. Jack zeigte ihm gigantische Frachter, leichte, wendige Spähschiffe des Neuen Ordens, die dubiosen, mit den Flügeln schlagenden Vehikel der Drill, Kampfschiffe mit eingeschalteter Tarnvorrichtung, die wie ein Schemen aus der Bakter-Röhre krochen, mehrere Taschenschiffe und ein seltenes Glasgefährt der Kristalloiden, einer uralten Rasse aus der roten Wolke der Galaxie BV-5. Dann sagte er voller Tatendrang:
"Da müssen wir rein! Tu was ich von dir verlange, wenn wir durch die Röhre fahren und dir kann so gut wie nichts passieren!", schaltete auf Handsteuerung um und gab Gas.
"So gut wie nichts...", wiederholte Roy ängstlich und schluckte.
Als das Schiff mit unseren zwei obdachlosen Abenteurern in die Bakter-Röhre fuhr begann Jack damit, einige, wie sich im nachhinein herausstellen sollte, Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, um möglichst 'unbeschadet' in Gigantia anzukommen. Er kramte in einer kleinen Kiste nach zwei Paar Ohrenstöpseln, von denen er ein Paar behielt und das andere Roy in die Hand drückte. Danach schaltete er das Radio an. "Steck dir die in die Ohren, und falls sie dir herausfallen sollten mußt du mir eins versprechen, Roy la Dakota! Egal, was passiert, hör nicht hin!" Als sie der faserige Sicherheitsgurt umschlung und das TS400 merklich an Geschwindigkeit zulegte begann es... Anfangs hörte Roy rein gar nichts, was ihm aber wegen der unerträglichen, selbst Katzengejammer übertrumpfenden Brohl-Musik, die bei voller Lautstärke aus dem Radio hämmerte, nicht das geringste ausmachte. Auch Jack gab keinen Grund zur Beunruhigung, saß er doch wie immer ruhig und gelassen hinter'm Steuer, das Taschenschiff geschickt durch die immer enger werdende Röhre manövrierend. Plötzlich bemerkte Roy, daß es zwar immer noch vollkommen ruhig war, ihm diese absolute Stille aber wie ein dunkler, wummernder Bass auf der Brust lag, der ihm langsam die Luft abschnürte und ihn zu erdrücken drohte. Es war fast nicht mehr auszuhalten, spürte er doch eine unglaubliche Last auf seinen Lungen ruhen, einen schweren, alles zerknirschenden Bass, der im Stande war, sein Brustbein ohne weiteres zu zertrümmern. Er dachte ernsthaft darüber nach, die Ohrenstöpsel wieder herauszunehmen! Jack hatte gesehen, wie es um Roy stand und ihm ein Zeichen gegeben, die Stöpsel auf jeden Fall in den Ohren zu behalten und einfach ein- zweimal tief durchzuatmen. Die Luft wollte nicht in seine Lungen gelangen, so als ob er einen festen Schlag in's Zwerchfell kassiert hätte und als er Gefahr lief jämmerlich zu ersticken, riss er sich japsend die Ohrenstöpsel heraus und versuchte angestrengt ein wenig Sauerstoff in sich hinein zu pressen. Das TS400 schoß ohne Rücksicht auf Verluste durch die Bakter-Röhre, denn Jack hatte die Geschwindigkeit so stark erhöht, daß das Taschenschiff fast nicht mehr zu steuern war und allerlei umhertreibenden Unrat rammte, der sich in den 1.004 Jahren in der Bakter-Röhre angesammelt hatte. Getränkedosen, Fast Food, Scheiße. Aber das war ihm egal, es ging ihm einzig und allein darum, den nach Luft ringenden Roy möglichst 'unbeschadet' aus dem Gefahrenbereich zu bringen. Roy bekam von alledem nichts mit... Er war viel zu sehr damit beschäftigt, dieser süßen, wohlklingenden Melodie zu lauschen. So etwas hatte er noch nie gehört... Sie war auf keinen Fall ekelhaftes, disharmonisches Brohl-Gegröhle, und sie kam auch auf keinen Fall aus dem kleinen Bordradio des Taschenschiffs. Nein, sie kam von draußen und sie war so lieblich, unschuldig und rein, daß Roy ganz genau wusste, er würde vor Sehnsucht sterben, würde sie ihn nicht für den Rest seines Lebens umgarnen. Der herzergreifende Klang, denn es war eigentlich gar keine richtige Melodie, sondern vielmehr nur ein einzelner, unglaublich vielschichtiger, zuckersüßer Ton schien ihn zu sich zu rufen und Roy verspürte plötzlich das dringende Bedürfnis, einfach diese verdammte Tür aufzumachen und ihm entgegenzuschwimmen. Ja, er mußte hier raus! Er mußte die Musik spüren, fühlen, in sich aufsaugen! Er mußte sich ihr hingeben, alles tun, um sie für immer hören zu können! Der organische Sicherheitsgurt verschwand zischend hinter dem Sitz und Roy versuchte verzweifelt die Tür zu öffnen, um nach draußen zu gelangen. Jack hatte sie verriegelt, was Dakota jedoch nicht von dem Versuch abhielt, die Scheibe mit dem kleinen, handlichen Feuerlöscher einzuschlagen. Zum Glück war es Kristalloiden-Glas aus der roten Wolke, hergestellt mit einer solchen Präzision und Liebe, daß es nicht einmal eine Nuklear-Rakete hätte zertrümmern können. Würde Roy es schaffen, die Tür zu öffnen, sie wären beide für immer verloren...
Hier ein kleiner Bericht von Vordinund Bakter, dem Entdecker des hilfreichen, bequemen Bakter-Raums:
"Habe heute wieder die Zwischenwelt besucht, um neue Studien über mögliche Gefahren, die die Reise durch die Röhren betrifft, zu unternehmen. Nachdem ich in eine Bakter-Röhre geflogen war, die ich noch nicht ausprobiert hatte, vernahm ich ab einem bestimmten Punkt eine süße, liebliche Harmonie, zwar sehr leise, aber immer noch laut genug, um sie ganz deutlich hören zu können. Sie verdrehte mir den Kopf und redete mir ein, das Schiff zu verlassen und ihr entgegenzuschwimmen. Zum Glück gehöre ich der maritimen Rasse der Vordinen an, die problemlos in einer solchen Flüssigkeit atmen können und ich vermute auch, daß ich die Melodie nur so leise gehört habe, da wir Vordinen nahezu taub sind. Als ich mich, nahezu in Trance versetzt, in der Flüssigkeit befand, um die liebreizende Musik zu ihrem Ausgangspunkt zurück zu verfolgen, begann sich urplötzlich vor mir ein Teil der Röhrenwand zu bewegen. Er verbog sich, er verformte sich und nach wenigen Sekunden war daraus eine froschähnliche Fratze mit Papageienschnabel geworden, die versuchte, mich in ihr teuflisches Maul zu saugen. Auf Grund meiner starken Beine und meiner angeborenen Schwimmhäute gelang es mir gerade so, dem Sog zu entgehen und das trockene Schiff zu erreichen. Wesen anderer Rassen wären hilflos verloren, sollten sie es wagen, ihr Schiff zu verlassen und der Musik entgegenzuschwimmen! Die Vermutung liegt nahe, daß sich in mehreren der Röhren solche Ungetüme aufhalten. Vielleicht sogar nicht ohne Grund... Ich taufe die Schreckgestalt hiermit auf den verheißungsvollen Namen - Bakterium - (Vordinusisch für Bakter-Monster)."[/I][/I]
Dakota ging es von Sekunde zu Sekunde schlechter. Er rüttelte wie ein Verrückter am Türgriff des Taschenschiffs, riss sich die Haare vom Kopf, schrie, fluchte und als er letzten Endes versuchte, Jack zu erwürgen, fing er sich einen irrsinnigen Schlag in's Gesicht ein, woraufhin er bewusstlos in den Sitz fiel und endlich Ruhe gab. Schon wenige Herzschläge danach verließ das TS400 die Bakter-Röhre und wurde ganz in der Nähe, nämlich in nur 50 Millionen Kilometer Entfernung von Gigantia 'ausgespuckt'. Sie hatten es geschafft! Jack setzte die Geschwindigkeit auf lediglich 100.000 km/h, um Roy genügend Zeit zu geben, wieder zu sich zu kommen, bevor sie seine Heimat erreichen würden. Der gewaltige Außenposten in der Umlaufbahn hatte das kleine Schiff entdeckt und die Waffensysteme aktiviert. Einige Augenblicke später erhielt Jack auch schon die erste und letzte Warnung. - Idenifikation erforderlich, Identifikation erforderlich - Würde Jack ihnen die gewünschten Daten nicht binnen einer Minute zukommen lassen, würde die Raumstation sie mit ihrer riesigen Magnetwaffe beschiessen und ihre Atome so durcheinanderwirbeln, daß sie sich allerhöchstens noch als hackfleischähnlicher Klumpen Scheißdreck aus dem Staub machen könnten. Die Gigantianer hatten den Frionen die Magnet-Verteidigungsanlage vor einigen Jahren zum Spottpreis von 10.000.000.000 Brohl-Dukaten und einem 'kleinen Gefallen' abgekauft, da sie selbst nicht dazu in der Lage waren, eine solch gewaltige Station zu bauen, geschweige denn sie in's All zu befördern. Jack dachte voller Hass an den Tag, an dem die Frionen kamen und den 'kleinen Gefallen' einforderten, verscheuchte die Erinnerung dann aber wieder schnell und sendete ein gigantianisches Begrüßungs-Signal auf einer sicheren Frequenz. Einige Augenblicke später bekam er auch schon die angeforderte Landegenehmigung übermittelt. - Guten Tag, Jacktron Wesson. Sie cchrr dazu befugt, auf dem Stützpunkt Meer der Stille zu cchrr. Die Koordinaten cchrr 225-147 - Dakota erlangte nach ungefähr 4 Minuten das Bewusstsein zurück und das erste, daß er hörte, war nicht etwa die liebliche Musik des Bakteriums, sondern Jack:
"Siehst du, das hast du nun davon!", sagte er schnippig, "Hättest du die verdammten Ohrenstöpsel drin behalten hättest du die Fahrt durch die Röhre 'unbeschadet' überstanden. Naja, aus Fehlern lernt man..." Roy griff sich an's Kinn und stellte fest, daß es mit großer Wahrscheinlichkeit gebrochen war, knirschte es doch gewaltig bei jeder Kau-Bewegung. Jack nahm ihm die Möglichkeit sich aufzuregen und fügte schnell an:
"Keine Sorge, wir richten das auf Gigantia, mein Freund!". Das TS400 wurde schneller und drang nach etwa 10 Minuten in die ockerfarbene, neblige Atmosphäre des Riesenplaneten Gigantia's ein.