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Der Bankraub
Der Bankraub
Aus vollem Lauf warf er sich gegen die Schwingtür, riß im selben Moment die Strumpfmaske vom Gesicht und stürmte ins Freie. Die Sonne blendete. Er sprang die Marmorstufen herunter und geriet ins Straucheln. In seinem rechten Fuß explodierte ein Schmerz, der wie ein elektrischer Schlag das Bein hinauf zuckte und ihm die Tränen in die Augen trieb. Jeder Schritt bereitete ihm danach brennende Pein. So gut es ihm möglich war, stürmte er weiter. In seiner Linken hielt er verdeckt die Waffe.Als er sie in die Jackentasche schob, berührte er den heißen Lauf. Er fluchte leise. Warum mußte sich dieser alte Idiot ihm in den Weg stellen? Damit hatte er nicht gerechnet und in seiner Panik die ganze Trommel leergeschossen.
Ohne daß er aufgehalten wurde, erreichte er die Seitenstraße, in der er den BMW abgestellt hatte. Die Tür war nicht verschlossen, und den Schlüssel hatte er steckenlassen. Er schleuderte die kleine Reisetasche in den Wagen, warf sich hinter das Lenkrad, startete und raste in Richtung Hauptstraße. Jede Betätigung des Gaspedals ließ den Schmerz in seinem Fuß heftig aufflammen. Er fluchte. Sein Herzschlag hämmerte ihm bis in die Kehle hinauf und nur mit Mühe bezwang er die aufsteigende Panik. Es sollte alles glattgehen. Seine Planung war gut gewesen. Keine Verletzten, das schnelle Geld und weg. Ein schwerer Irrtum. Bisher war so gut wie alles schief gelaufen. Er hatte zwar das Geld, aber ein Toter war nicht eingeplant. Die Ampel zeigte rot. Wenn er stehenblieb, konnte er auch gleich auf die Polizei warten. Also gab er Gas. Im selben Moment sah er die Frau, den Mann und das kleine Mädchen. Mit aller Gewalt stemmte er sich auf die Bremse. Sie riß ihr Kind zurück, schrie, sprang und stürzte. Der Mann war aus seinem Blickfeld verschwunden. Die Räder blockierten mit einem markerschütternden Quietschen, dann gab er erneut Gas und bekam das Fahrzeug wieder unter Kontrolle. Irgendwo erscholl die Hupe eines Autos. “Paß doch auf du dumme Pute.“ brüllte er und im selben Moment wurde die Beifahrertür aufgerissen. „Halt an, du Dreckskerl!“ Der Fremde griff weit in den Wagen hinein und versuchte seinen Arm zu packen. Er trat das Gaspedal noch einmal beherzt durch, der BMW machte einen Satz, der Mann wurde vom Wagen weggeschleudert, er riß das Lenkrad herum, die Tür schlug zu, und er zwängte sich mit radierenden Reifen in den fließenden Verkehr. Die Panik hatte ihm Tränen in die Augen getrieben. Ihm war danach zu beten. Aber zu wem? Jetzt bloß ganz ruhig fahren. Nicht auffallen, außerhalb der Stadt den Wagen abstellen und zu Fuß weiter. Es konnte noch alles glattgehen, doch seine Nerven ließen sich mit dieser Prognose nicht beruhigen. Das Zittern durchzog seinen ganzen Körper. Mit schweißnassen Händen umklammerte er das Lenkrad so fest, als könnte er den aufgestauten Druck aus seinem Inneren direkt in den Wagen fließen lassen. Es gelang nicht. Ständig blickte er sich wie gehetzt nach allen Seiten um. Aus jedem Wagen schien man ihn zu beobachten. Jeder Passant kannte sein Geheimnis. Jedes Augenpaar konnte ihm tief in die Seele blicken. Im Rückspiegel fiel ihm ein Ford auf, der schneller fuhr als der übrige fließende Verkehr, bald zu ihm aufschloß und zum Überholen ansetzte. Aber der Wagen zog nicht vorbei. Der Ford mußte direkt neben ihm fahren. Er wagte nicht hinüber zu schauen. Sein Herzschlag steigerte sich wieder merklich. Der Magen zog sich zu einem unangenehm strahlenden Klumpen zusammen, der auch alle übrigen Organe zur Rebellion aufzufordern schien. Als das Hupsignal ertönte, traf es ihn fast wie ein Hieb und er hatte Mühe, den BMW in der Spur zu halten. Gehetzt blickte er nun doch hinüber und erkannte zwei Männer, die ihn mit entschlossenen Gesichtern musterten. Er erkannte den Beifahrer als den Mann, der versucht hatte, ihn vor der Bank aus dem Wagen zu zerren. Ihm wurde durch Handzeichen bedeutet, anzuhalten. Wie hatten sie ihn so schnell entdeckt? Und wer waren diese Männer? Bei seinem Pech eine Zivilstreife, die zufällig in der Nähe gewesen war. Daß einfache Passanten so viel Einsatz zeigten, war unwahrscheinlich. Er hatte die Polizei nie unterschätzt aber damit hatte er nicht gerechnet. Noch waren sie nur zu zweit, also bestand noch eine Chance, sie abzuhängen. Er hatte nichts zu verlieren. Der Mann in der Bank hatte mit Sicherheit nicht überlebt. Also brauchte er keine Rücksicht mehr zu nehmen. Er mußte weg. Mit einem schnellen Ruck zog er das Lenkrad nach links. Die beiden Wagen kollidierten leicht miteinander und das markerschütternde Kreischen von Blech erfüllte die Luft.
Der Ford geriet ins Schlingern und wurde im Bemühen, das Fahrzeug wieder unter Kontrolle zu bekommen, langsamer. Ein Tritt auf das Gaspedal ließ den Motor des BMW aufbrüllen, der Schmerz durchzog erneut seinen Fuß und die Beschleunigung preßte ihn in den Sitz. Gleich darauf mußte er wieder auf die Bremse treten. Der Verkehr war viel zu dicht, als daß er die Kraft des Wagens voll einsetzen konnte. Der Ford hatte Mühe, dranzubleiben. Wenn er auf der Hauptstraße weiterfuhr, lief er Gefahr, direkt in eine Straßensperre zu geraten, denn die würden sie früher oder später errichtet haben. Die einzige Möglichkeit zu entkommen ,war, unverhofft in eine ruhigere Seitenstraße abzubiegen und mit Vollgas die Verfolger abzuhängen. Die Polizei mußte Rücksicht nehmen. Dieses Problem hatte er nicht. Bald bot sich die Gelegenheit. Er drängte sich auf die rechte Fahrspur, trat auf die Bremse, riß das Lenkrad herum und gab Gas. Er schleuderte in eine Anliegerstraße, die zwar zweispurig war aber dermaßen zugeparkt, daß tatsächlich nur eine Fahrspur übrig blieb. Die Straße war frei. Der Motor röhrte auf. Die geparkten Autos flogen an ihm vorbei wie bunte, leuchtende Bänder. Mit seinem Außenspiegel zerfetzte er den eines VW, aber das registrierte er nur am Rande. Er kam voran. Im allerletzten Moment nahm er hinter der Kühlerhaube eines abgestellten Autos einen roten Helm wahr. Gleich darauf bemerkte er den ebenfalls roten Wimpel dahinter, der an einer dünnen Stange hin und her federte. Alles geschah jetzt automatisch und in Bruchteilen von Sekunden. Das Vorderrad des kleinen Fahrrades tauchte hinter dem Auto auf, er rammte sein ganzes Gewicht auf die Bremse. Die Reifen protestierten unter schrillem Kreischen. Eine Frau schrie vom Gehweg her und ein Krachen und das häßliche Geräusch von sich verformendem Blech erfüllte die Luft. Das Kind war zurückgesprungen und unversehrt. Passanten kamen angelaufen. Verzweifelt versuchte er, den Wagen wieder frei zu bekommen. Wütende Männer rannten auf ihn zu. Wo kamen die alle so plötzlich her? Panik! Er mußte weg. So schnell wie möglich. Unter dem lauten Protest des Getriebes rammte er abwechselnd den Vorwärts- und den Rückwärtsgang rein und kam frei. Gerade in dem Moment, als eine Hand nach der Beifahrertür griff, schnellte der Wagen davon. Jetzt mußte er den BMW so schnell wie möglich loswerden. Daß das Ding überhaupt noch fahrtüchtig war, grenzte fast schon an ein Wunder. Im Rückspiegel nahm er flüchtig die aufgebrachte Menschenmenge wahr, die ihm drohend wohl die Pest an den Hals wünschte. Und noch etwas hatte er gesehen. Der Ford war wieder da. Vor lauter Aufregung mußten sie vergessen haben, Blaulicht und Sirene einzuschalten, was es ihnen schwerer machte, durch die aufgebrachte Menge zu gelangen. Ein Geschenk des Schicksals, das er nutzen mußte. Tausend Gedanken rasten durch seinen Kopf. Eine Flut von Fluchtplänen entwickelte sich mit Lichtgeschwindigkeit und wurde von ihm ebenso schnell wieder verworfen. Ihm blieb zunächst einfach nur die Flucht. Er raste wieder auf eine Kreuzung zu, riß den Wagen herum und in die linke Straße hinein. Hier standen kaum Autos und der Wagen kam auf Geschwindigkeit. Zwei Straßen weiter bog er nach rechts und auch hier stellten sich ihm keine Hindernisse in den Weg. Doch sofort wurde ihm klar, daß er hiermit keine gute Wahl getroffen hatte, denn die nächste Querstraße war wieder sehr belebt. Wenn er warten mußte, hatte der Ford die Möglichkeit aufzuholen. Er schoß heran und brachte den BMW kurz vor der Kreuzung mit quietschenden Reifen zum Stehen. Und dann erstarb der Motor. „Nicht jetzt.... Bitte nicht jetzt, verdammte Mistkarre.“ brüllte er und prügelte auf das Lenkrad ein, als könnte er den Wagen mit verzweifelten Schlägen unter seine Gewalt zwingen. Im Rückspiegel sah er den Ford in die Straße einbiegen. Ein unkontrolliertes Zittern durchzog seinen ganzen Körper so sehr, daß er Mühe hatte, den Zündschlüssel zu fassen. Eine Drehung und der Motor brüllte unter wildem Protest anhaltend auf, viel zu lange hielt er den Schlüssel fest, doch der Motor lief wieder, und er drängte sich gleich darauf in den fließenden Verkehr. Wieder quietschten Bremsen. Ein vielstimmiger Chor von Hupen schrie seine Wut hinaus. Irgendwo schepperte Blech. In den blockierten Autos wurden drohende Fäuste geschwungen, und die Fahrer zeigten deutlich, was sie von ihm hielten. Er nahm keine Rücksicht. Der Ford kam näher. Meter um Meter ließ er den Wagen weiter in die Straße rollen. Nach endlosen Sekunden hatte er die Kreuzung passiert und wieder freie Fahrt. Er wußte, daß er seinen Plan ändern mußte. Er mußte den Wagen loswerden und zu Fuß weiter flüchten, noch hier in der Stadt, und so schnell wie möglich. Aber dazu brauchte er einen guten Vorsprung und eine versteckte Auffahrt oder Gasse, um den Wagen zu verstecken. Er raste weiter. Die Verfolger waren noch nicht wieder zu sehen, aber sie würden nicht lange auf sich warten lassen. Wie endlose Bänder zogen die Häuser an ihm vorbei. Einfamilienhäuser, keine verdeckten Auffahrten. Er brauchte Wohnblocks mit Toreinfahrten oder ähnlichem.
In der Ferne zweigte erneut eine Straße nach rechts ab. Er hatte Glück. Das Eckgebäude war eine große Mietskaserne, die sich weit in die Straße hineinzog. Hoffnung keimte in ihm auf. Mit einem beherzten Tritt auf das Gaspedal ließ er die Pferdestärken des BMW frei, die den Wagen mit einem gewaltigen Ruck und radierenden Reifen vorschießen ließen. Kurz vor der Einmündung stieg er mit Gewalt auf die Bremse, riß das Lenkrad herum, und im selben Moment wußte er, daß er viel zu schnell war. Der Wagen schleuderte mit fast unverminderter Geschwindigkeit in die Straße hinein. Das Heck vollführte einige gewaltige Hüpfer und schaukelte sich in Bruchteilen von Sekunden auf. Der BMW kippte über die linke Seite, hob ein Stück vom Boden ab und begrub unter gewaltigem Krachen und Splittern ein abgestelltes Motorrad unter sich. Benzingeruch hüllte die Unfallstelle ein. Eine kleine Rauchfahne quälte sich hervor, wurde dichter. Flammen züngelten gleich darauf um den geborstenen Tank des Motorrades und mit einem gewaltigen Donner brach das Inferno los und umschloß die Fahrzeuge mit einem glutroten Feuerball.
Menschen stürmten aus den Häusern. Schreie mischten sich mit dem Zischen und Knallen des Feuers.
Mit blockierenden Rädern kam der Ford in sicherer Entfernung zum Stehen. Die beiden Männer rannten zur Unfallstelle und bemühten sich, an das Wrack heranzukommen, aber die Flammen verteidigten ihre Beute mit der Verbissenheit eines wütenden Raubtieres und hielten die verzweifelten Retter auf Distanz.
Von fern erklang das Auf- und Abschwellen von Sirenen, das stetig lauter wurde und bald alle anderen Geräusche übertönte. Die Blitze von Blaulicht lieferten sich ein Duell mit den Flammen. Feuerlöscher hüllten den Brand mit Schaum ein. Schläuche wurden ausgerollt und der Kampf wurde aufgenommen.
Die Passanten standen nun abseits und Polizisten nahmen ihre Aussagen auf. Ein Beamter blickte sich suchend um und fragte sich durch die Menge. Aufmerksam geworden, traten die beiden jungen Männer heran. „Haben sie uns angerufen?“ wurden sie gefragt. Beide nickten kurz. „An der Bank in der Innenstadt wollten wir meine Frau und meine Tochter abholen.“ erklärte einer der beiden. „Der,“ er hob die Hand und deutete auf die mittlerweile von Schaum bedeckte Unfallstelle, „hat dort eine rote Ampel überfahren und hätte dabei um ein Haar meine Familie auf dem Gewissen. Dann ist er wie von Sinnen weitergerast. Wir sind an ihm dran geblieben und haben Sie über Handy hierher geführt.“ Der Polizist nickte. „Laut Hinweis aus der Zentrale hat er unmittelbar, bevor Sie an der Bank mit ihm zusammengetroffen sind, eben diese ausgeraubt. Er hat dort einen Mann erschossen und eine Menge Geld erbeutet.“ Alle drei sahen zur Unfallstelle hinüber. Der weiße Schaum wurde unablässig gegen das Autowrack geschleudert. Hin und wieder durchdrang ein zarter, rötlicher Schein aus dem Wageninneren die weiße Hülle. „Vielleicht hat ja das Schicksal es so gewollt,“ fuhr der Beamte nachdenklich fort, „daß er mit seiner Beute in den Tod geht.“
Nachdem sie ihre Aussagen zu Protokoll gegeben hatten, kehrten die beiden Männer wieder zu ihrem Wagen zurück.
„Hast du gehört, was der Polizist gesagt hat? Es ist alles vom Schicksal so gewollt.“
Er klopfte auf die Tasche vor sich im Fußraum des Wagens.
Wir sollten noch einmal darüber schlafen, bevor wir melden, daß die Tasche bei dem Handgemenge aus dem Auto gefallen ist.“