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Der Bahnsteig
Ich trete auf die kalten, grauen Pflastersteine des Bahnsteiges. Um mich herum sehe ich nur dieselben kalten, grauen Passanten wie immer. Ich sehe in ihren kalten, grauen Augen, dass sie schon so lange warten. Vermutlich sogar länger als ich.
Ob ihr Zug wohl heute fahren wird? Vermutlich nicht. Und wäre es so, und sie wüssten es, sie würden wohl kaum hier stehen und warten, ohne jegliche Hoffnung.
Ich sehe an mir herab und beginne mit Entsetzen festzustellen, dass meine Hose ergraut ist und meine Füße kalt und schwer wurden, während meiner langen Reise auf dem Bahnsteig der Hoffnungslosigkeit.
Ich fasse mir ein Herz und gehe auf die Gleise zu. Weit und breit ist kein Zug zu sehen. Doch wie sollte er auch, wo wir alle, die wir hier stehen, wenn wir ehrlich sind, nicht einmal an seine Existenz glauben?
Ich schließe meine Augen und setze all meine Hoffnung, welche ich in den langen Jahren des Wartens in mich hinein gefressen hatte, in diesen einen Moment der surrealen Wirklichkeit und beginne zu verstehen:
Der Zug ist bereits da. Er ist dort, direkt vor meinen Augen.
"Ihr hoffnungslosen Narren!", denke ich. "Ihr seit so darauf fixiert zu warten, dass ihr nie daran dachtet einfach einzusteigen."
Ich gehe den ersten Schritt in Richtung Zukunft und falle unsanft auf einen harten Grund. In naher Ferne höre ich die Geräusche des Zuges, der sich mit rascher Geschwindigkeit nähert.
Ich lächle, spucke Blut, öffne meine Augen und sehe in die schockierte Masse. Ich bin glücklich, denn auch wenn mein Vorhaben gescheitert sein mag, so habe ich es doch geschafft, den Zug endlich eintreffen zu lassen.
Ich höre Schreie und spüre das kalte Metall an meinem Kopf, dass ihn unaufhaltsam gen Boden schlägt.
"Ich hoffe, sie steigen ein.", denke ich.
Dann denke ich nichts mehr.