- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 17
Der Autor als Landwirt
Es verging einige Zeit, bevor ich ihn wieder besuchte. Inzwischen lebte er in jener kleinen Ortschaft, in welcher ihm seine Mutter ein Haus hinterlassen, und wo er auch seine Kindheit und Jugendzeit verbrachte hatte.
Er und ich fuhren mit seinem rostbraunen Coupé – das innen genauso verstaubt war wie außen – spazieren. Hin und wieder hielt Erich das Auto am Straßenrand an, ließ seinen Blick für einige Sekunden über die Straße wandern und erzählte mir dann von früher.
„Dort drüben stand das große Postgebäude, wo mein Vater arbeitete. Es war die Zentralstelle für alle Ortschaften im Umkreis von 40 Kilometern.“ Ich folgte seinem Blick, und dort, wo man ein großes Gebäude mit regem Treiben vermutete, stand ein einfaches Einfamilienhaus mit grauem Verputz. Im Vorgarten wuchsen hohe Nadelbäume, und der von ihnen geworfene Schatten fiel fast über die gesamte Straßenbreite.
Gedankenverloren blickte mein Freund auf das Haus. Was mochte wohl in ihm vorgehen? Er hatte sich stark verändert, seit ich ihn das letzte Mal sah. Ein Gegenwind schien ihn erfasst zu haben. Vom Lebemann, der Wein, Weib und Gesang stetig suchte; vom bis in die Morgenstunden arbeitenden Autor, der ein Buch nach dem anderen veröffentlichte, dem die begeisterte Leserschaft ein Werk nach dem anderen aus der Hand riss, der immer eine wahnwitzige Geschichte zu erzählen wusste, der ein Abenteuer nach dem anderen magisch anzog; – aus diesem Mann war nun ein ruhiger, einsamer Landwirt in einer kleinen Ortschaft weitab vom kulturellen Trubel geworden.
Ich staunte auch nicht schlecht ob seiner Figur: sein einstmals kugeliger Bauch war abgeflacht, und seine abgetragene Hose legte sich so über die Beine, dass die muskelbepackten Oberschenkel zur Geltung kamen. Auf seinen entblößten Unterarmen war jede Sehne und jeder Muskelbauch so stark ausgeprägt und sein Gesicht dabei so ernst, dass man beinahe vor ihm zurückschrecken musste. Neben seiner landwirtschaftlichen Tätigkeit stemmte er am Morgen und des Abends Gewichte, immer mit Blick auf seine Felder. Auch rührte er keinen Tropfen Alkohol mehr an und schrieb nur hin und wieder an einer Geschichte, welche aber oft nur für kleine Kreise bestimmt war. Ich war voller Repekt für diesen Mann – was hatte ihn wohl dazu bewegt, sein Leben derart umzukrempeln?
Langsam fuhren wir weiter und bei der engen Linkskurve kurz vor dem Ortsende wechselten zwei Männer vor uns über die Straße. Wir hatten die Fenster heruntergekurbelt und konnten so gut verstehen, was draußen gesprochen wurde. „Ja, du musst den Boden gut düngen, dann hast' den besten Ertrag, verstehst Du?“, warf der vordere, älter wirkende Mann, seinem jüngeren Begleiter zu. Dieser nickte nur bejahend.
Erich schüttelte den Kopf. „Diese Tölpel werden wohl nie verstehen, dass der Boden von den Ausscheidungen des eigenen Mikrobioms am besten lebt. Mit Düngemittel machst du nur das Mikrobiom kaputt und ja, du erzielst ein schnelles Wachstum, aber um welchen Preis? Du musst dann ständig düngen und der Boden wird immer lebloser. Es ist besser, das Mikrobiom zu erhalten und zu pflegen. Es ist kreisförmig angeordnet, überall, auch am Körper des Menschen. Diese Kreise überlappen sich und können so Informationen untereinander austauschen. Es ist ein richtiges Wunderwerk.“
Glückselig und verträumt blickte er jetzt drein. Ja, so kannte ich ihn. Der Poet schlummert noch immer tief in dir, alter Freund, dachte ich still bei mir.