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Der Ausschnitt
Der Ausschnitt
Tiefer Ausschnitt; draußen der Regen; Käthe, ohne Jacke. Botho sah den Horror vor sich. Wie sie seine schöne neue Jacke trägt, sich an ihn drückt. Es ist ja so schrecklich kalt, frierst du nicht? Doch schon. Und Botho hörte ihre dumpfe Stimme, die zuvor noch lieblich schien.
Er saß allein am Tisch; verschwiegene Stille im Kerzenlicht. Musik spielte lange nicht mehr und statt den schönen Klängen klassischer Musik zu lauschen, rauschte nun das Radio hinterm Tresen der Bar, wo zwei Männer saßen und über Bier philosophierten. Selbst das schien Botho tiefgründiger als der Stuss, den Käthe den langen Abend über geredet hatte.
“Und da stand ich dann. Irgendwo im Supermarkt, zwischen Regalen mit Produkten, von denen ich noch nie gehört habe und ich seh‘ mich um, aber meine Mutter ist weit und breit nicht zu sehen. Das war schon unheimlich. – Nein, das war letzte Woche.”
Willst du vielleicht noch hoch? Auf einen Kaffee? Nein, natürlich nicht. Ich will nach Hause und dieses furchtbare Date vergessen. Botho mahlte sich eine Welt aus, in der er ehrlich war.
Als Käthe zurückkam vom “Nasepudern”, hatte sie ihre im Verlauf des Abends fade gewordenen Lippen mit rotem Lippenstift nachgezogen. Botho fragte sich, wie sie sich wohl anfühlen und sah wieder in ihren Ausschnitt. Käthe, der wandelnde Ausschnitt. “Wollen wir gehen? Es ist spät.” Liebend Gerne.
“Ich hätte mir eine Jacke mitnehmen sollen.” - “Hier nimm meine.” Botho legte seine Jacke um ihre Schulter und nahm sie fest in den Arm. “Es ist ja so schrecklich kalt. Aber frierst du nicht?” - “Nein.” Natürlich nicht.
“Ich mag dich, weißt du.” Die Ampel war rot, der Regen plätscherte, kein Entrinnen für Botho. Sie berührte seine Hand ganz zärtlich, wie ein Kind, das zum ersten Mal verliebt war; so als wäre es ein Versehen, aber das war es nicht. Kinoromanze, ohne Funken. Dann schaltete die Ampel auf Grün, aber Käthe ging nicht los. Sie blieb stehen und presste plötzlich ihre Lippen auf seine und obwohl er es besser wusste, obwohl Botho sie nicht ausstehen konnte, erwiderte er den Kuss. Sie drückte ihren Busen an seine Brust. Endlich.
Eine Szene, wie aus einem schlechten Film und Botho ließ sich darauf ein, auf diesen schlechten Film.
Als sie bei Käthe ankamen war der Schauer zu einem lauen Regenfall geworden. Käthe umarmte ihn nochmal fest und verabschiedete sich, ging langsam die Stufen hoch und drehte sich dann doch entschieden um. “Ich weiß es ist albern, aber willst du vielleicht noch hoch? Auf einen Kaffee?” Botho sah den laufenden Ausschnitt an. In ihre hellen Augen, das runde Gesicht, die roten Lippen und mit dem Wissen, dass er sie nicht liebte und keine Sekunde länger mit ihr zusammen sein wollte, sagte er: “Ja.”