Der Auftrag
Es war der sechste Mond diesen Jahres. Er schien heute Nacht besonders hell. Die Bar befand sich im 425. Stockwerk eines riesigen Bankgebäudes, 358m über dem Boden. Man konnte meilenweit über die endlosen Lichter der nie schlafenden Stadt sehen. Mit dem Aufzug dauerte es ca. eine Minute bis man oben war. Die Bässe konnte man allerdings schon nach 45 Sekunden hören. Der rote Samtteppich dämpfte die Stimmung ungemein, positiv aber. Es war sehr entspannt. Die Kellnerinnen die aufgrund ihrer genetischen Anpassung annähernd über den Boden glitten, brachten volle und leere Gläser zu den Tischen, an denen sich die Reichen und Erhabenen der kompletten erschlossenen Milchstraße niedergelassen hatten. Ein stetiger Rhythmus. Fast schon pulsierend.
Er ging langsamen Schrittes zu dem äußersten Tisch. Aufgrund der großen, fluoreszierenden Farne, entstanden in den exotischsten Biotopen, war dieser fast nicht zu sehen. Nur wenige beachteten ihn, sie waren viel zu sehr damit beschäftigt, sich ihre Erinnerungen wegzutrinken, zu rauchen, oder sonst wie Rauschmittel in ihre Körper zu füllen. Was innerhalb der letzten 24 Stunden passiert war, war nicht leicht zu verkraften. Es würde sich viel ändern in nächster Zeit. Wer wusste schon wann wieder Zeit zum Berauschen sein würde?
Er war nicht auffällig gekleidet, olivfarbener Mantel, hinten länger als vorne, blutroter Saum, Runen überall verteilt auf der Kapuze. Er hatte sie nicht auf. Sein linkes Ohr wurde von einem Magonit- Behälter geziert. Kurzhaarschnitt. Er setzte sich langsam an den Tisch. Der ergonomische Gelstuhl schien förmlich darauf zu warten sich seinem Rücken anzupassen. Das konnte man im Jahre 2219 erwarten. „Bist du bereit?“ sagte der Nocturne. Seine tiefroten Augen blitzten hervor und fixierten ihn genau. Es war praktisch nicht erkennbar wo seine Kleidung aufhörte und seine Haut begann. „Hast du die Nachrichten gesehen? Es ist etwas dazwischen gekommen. Trotzdem wirst du dich an den Plan halten, verstanden?“ Er stand auf, woraufhin der Stuhl wieder seine Ausgansform annahm. „Du wirst dich an den Plan halten. Verstanden?“ Das letzte Wort presste er zwischen seinen Lippen hervor. Seine Augen waren in die Ferne gerichtet. Geistig war er jedoch vollkommen da. „Was bleibt mir anderes übrig?“, sagte der Visionär. „Ich brauche das Paket.“, fügte er kalt hinzu, „Hast du es?“. Der Nocturne legte ein kleines Paket aus Alimora auf den Tisch. „Alimora? Wo hast du das her?“ Der Visionär stand langsam auf. Er war nur knapp unter der Augenhöhe des Nocturne. Seine Netzhaut-Implantate ermöglichten es ihm, direkt in die Augen seines Gegenübers zu blicken. Einem normalen Sol hätte dies die Sehkraft gekostet. Der Nocturne war keineswegs erstaunt, Er sagte nur: „Was noch seltener als Alimora ist, ist Gehorsam. Kannst du mir folgen? Alle Augen sind auf dich gerichtet. Aufstieg oder Fall.“ Er blickte ihn noch eine weitere lange Sekunde an und drehte seinen Kopf Richtung Spiegelglas. Er lachte. Es klang zumindest dem ähnlich, was ein Sol als Lachen bezeichnen würde. Dann trat er einen Schritt zurück, nahm Anlauf und sprang.