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Der Aufstieg und der tiefe Fall

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01.11.2014
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Der Aufstieg und der tiefe Fall

Ich stehe in meinem Wohnzimmer, trage einen geblümten Bademantel und ziehe mit meinen blutunterlaufenen Lippen an der von mir selbst verschriebenen Pfeife. Den warmen Dunst inhalierend bemerke ich, wie sich meine Lunge in vertrauter Weise mit Dreck auffüllt. Das Sofa, welches grundsätzlich zum Sitzen oder Liegen auffordert, öffnet seinen pelzigen Schlund, noch bevor es mich anbrüllen kann.

> Es liegt sich so bequem wie in einem gut gepolsterten Sarg.

Ich schwelge in fadenscheinig-paranoiden Erinnerungen an fettige Teewurst und kalten Apfeltee. Nach gefühlten hundert Stunden Gedankenfolter löst sich mein Körper von meinem übriggebliebenen Verstand und beschließt, aufzustehen, um wie in Trance an der Schrankwand hochzuklettern. Meter für Meter verschwende ich aufsteigend meine Zeit, erkunde die Welt global. Um nicht abzurutschen, benutze ich geflochtene Zahnseide, die ich zur Sicherung an meinem Hals befestigt habe. Sie ist stabil genug um das Gewicht meines ausgemergelten Körpers auszuhalten.

> Ich würge!

Die Kotze läuft mir mal wieder beide Mundwinkel runter und tropft in die Gesichter derjenigen, die mich von unten anfeuern. Manche imaginierten Menschen, die von oben selbstverständlich wie Ameisen aussehen, rufen mir zu, dass ich doch einfach springen solle. Aber wohin soll ich springen, wenn der Boden aus blubbernder Lava besteht? Ohne Schuhwerk verbrenne ich mir schließlich die Füße. Abgefackelte Gliedmaßen sind wirklich das Letzte, was ich in dieser benebelten Situation gebrauchen kann. Der Gipfel ist zudem fast erklommen und der Schrankwand-Rekord rückt in greifbare Nähe. Der Rau(s)ch verschwindet langsam, die Luft wird dünner. Ich atme durch, als sei ich Protagonist einer unter Drogeneinfluss entstandenen Kaugummi-Reklame. In Wahrheit fühle ich mich hingegen wie Reinhold Messner auf LSD.
Oben auf dem Schrank explodiert plötzlich eine Granate direkt neben meinem Kopf. Die Splitter durchbohren zuerst meinen Schädel und dringen dann in meinen präfrontalen Kortex ein. Woher kam dieses verfluchte Scheißteil?! Und warum erkennt OpenOffice das Wort Scheißteil nicht? Ich mache mir zu viele Gedanken. Das ist suboptimal. Mit Splittern in der Rübe lässt es sich ohnehin schlecht denken, weswegen ich fortan nur noch anthroposophisch kommunizieren werde.

> Wir befinden uns in einem Nullsummenspiel ohne Gewinner. Kohlenstoff!

Tanzend falle ich von der Schrankwand in die Lava und verbrenne innerhalb weniger Sekunden bis auf die Knochen. Endlich ist das Fleisch runter und ich muss nicht mehr frieren. Knisternd liege ich so da, zapple mit meinen müden Knochen zu Iron Butterflys In-A-Gadda-Da-Vida und fühle mich wie der Hummer im heißen Kochtopf. Ich bin das Lebendfutter der Lava geworden und scheine mit ihr eine Symbiose einzugehen.

> Aber erstmal ist Toilettenpause.

Als der ganze Spuk ein Ende findet, flicke ich mich wieder zusammen und gehe durch mein versteinertes Wohnzimmer Richtung Fenster. Ich reiße es mit beiden Händen und zehn Fingern aus den Angeln. In dieser verschwitzten Sauna lässt es sich anders auch gar nicht mehr aushalten. Der säuerlich schmeckende Regen peitscht mir von draußen in meine Fresse - welche als Synonym für mein ganzes Gesicht stehen soll - und spült mir die Asche aus meinen aufgequollenen und völlig zerkochten Augen.

> Wie es hier wieder aussieht!

Mit dieser Aussage, die in der Regel jedem Kind das Fürchten lehren soll, beziehe ich mich nicht auf die Wohnung. Ich lege schließlich meinen Fokus auf die Stadt und ihre Einwohner, auf die ich durch das gigantische Loch in meinem Haus blicke. Ich beobachte sie wie ein Spanner seine potenziellen Opfer. Alle Menschen und ähnlich aussehende Kreaturen lassen ihre Köpfe nach unten hängen. Früher hat man seinen Blick auf den dreckigen Asphalt gerichtet, um nicht versehentlich in Hundekacke zu treten. Heute schaut man gen Boden, um auf irgendwelchen Apps herumzudrücken.

> Das ist Krieg!

Schon wieder explodiert eine Granate neben meinem Schädel. Die Splitter durchdringen abermals mein Hirn. Jesus von Nazareth! Wo sind die Schmerzen hin? Habe ich es etwa übertrieben? Bin ich besoffen von dem Mist, den ich mir täglich geben muss? Ich beginne wahrhaftig wahnhaft zu lachen. Dabei kriechen mir unzählige Schlangen aus dem Hals. Oder sind es vielleicht mutierte Bandwürmer, die meinen Mund mit meinem Gesäß verwechseln und nun die Freiheit suchen? Darüber will ich mir ehrlich gesagt gar keine Gedanken machen. Zu groß ist meine Abneigung gegen jegliches Gewürm. Schlangen wären hingegen in Ordnung. Ihr Gift lässt mich durchaus besser schlafen.
Würgend schaue ich aus dem Fenster und die Menschen schauen immer noch Richtung akkubetriebenen Gehirnersatz. Sie merken nicht einmal, wie sie dabei trotzdem durch die Scheiße trampeln, die sogar zwischen ihren Zehen hervorquillt und an ihnen langsam emporzuklettern versucht. Das kommt wohl davon, wenn man barfuß durch den Regen läuft und den Blick fürs Wesentliche verloren hat. Es offenbart sich mir ein Trauermarsch. Beerdigt werden heute die von imaginären Granaten zerfetzten Wertmaßstäbe, wie auch gestern schon und an Tagen zuvor. Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose. Morgen ist ein neuer Tag. Ich sollte mich unbedingt in meinen Sarg legen, den Deckel schließen und einen weiteren Zug aus meiner Pfeife nehmen. Der Wahnsinn endet nie.

 
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Servus Faustus

Ich stehe in meinem Wohnzimmer, trage einen geblümten Bademantel und ziehe mit meinen blutunterlaufenen Lippen an der von mir selbst verschriebenen Pfeife.

Hmm …

Einerseits finde ich den ersten Satz ganz witzig, weil ich sofort an den Dude in The Big Lebowski denken musste, andererseits haute mich der Begriff „blutunterlaufene Lippen“ gleich mal wieder raus, weil ich mir darunter echt nix vorstellen kann.

Den kalten Dunst inhalierend bemerke ich [Komma] wie sich meine Lunge in vertrauter Weise mit Dreck auffüllt.
Mit Pfeifenrauchen assoziiere ich eher warmen Rauch als kalten Dunst.

Das Sofa, welches grundsätzlich zum Sitzen oder Liegen auffordert, öffnet seinen pelzigen Schlund, noch bevor es mich dahingehend anbrüllen kann.
Wohingehend?

Ich schwelge in fadenscheinig-paranoiden Erinnerungen von fettiger Teewurst und kaltem Apfeltee. Nach gefühlten 100 Stunden Gedankenfolter löst sich mein Körper von meinem übriggebliebenen Verstand und beschließt [Komma] aufzustehen, ...
besser: Erinnerungen an, hundert

... um wie in Trance an der Schrankwand hochzuklettern. Meter für Meter verschwende ich aufsteigend meine Zeit, erkunde die Welt global. Um nicht abzurutschen [Komma] benutze ich


Hmm ...
Ach was, ich fang noch mal an, weil …

Der Wahnsinn endet nie.

Servus Faustus,
nach meinen anfänglichen Schwierigkeiten, reinzukommen, gefiel mir dein Text immer besser.
Texte über Drogenerfahrungen so zu schreiben, dass sie für andere erfahrbar und lesenswert sind, das ist schon eine ganz spezielle Kunst und für mein Gefühl ist dir das hier ganz gut gelungen. Natürlich kann ich die Geschichte auch einfach nur als ein herrlich schräges, weitgehend sinnbefreites Herumgeblödele betrachten, aber selbst dieses funktioniert für mich. Vor allem, weil du dich einer wirklich witzigen Sprache, origineller Ideen und wunderbar absurder Sprachbilder bedienst.

Ja, das war mir ein richtiges kleines Lesevergnügen und macht mich auf jeden Fall neugierig auf weitere Sachen von dir.

Willkommen hier, Faustus.

offshore

 
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Ich danke dir für deine Hinweise und Einwände. Sie sind durchweg berechtigt.
Mit der Setzung von Kommata habe ich, wie du ja auch schon bemerkt hast, so manchmal meine Probleme.
Beim nächsten Mal werde ich verstärkt auf solche Stolpersteine achten.

Und ich danke dir fürs Willkommenheißen.

 

Hallo, auch von mir ein herzliches Willkommen.
Mister Faustus, du spinnst. Und das ist ein Kompliment. Ich weiß zwar eigentlich nicht so genau, worauf deine Geschichte rauswill, und ob sie überhaupt was will, aber eines muss man sagen: Ideen hast du, auf die muss man erst mal kommen.
Also ich hab deinen Erstling hier gerne gelesen, weil du so bizarre Einfälle hast, da kann man so durchrauschen und sich manchmal fragen, ob du das eigentlich ernst meinst oder nicht.
Anfangs dachte ich, jetzt fehlt mir doch so ein Spürchen Hintergrund, was den Bademantelherren eigentlich dazu antreibt, sich diese Torturen anzutun. Denn schön klingt das ja auch nicht gerade, sich mit Zahnseide zu erdrosseln, von Lava verschmurgelt und mehrfach gesplittert zu werden. Und das ist ja längst nicht alles.
Am Schluss glaubte ich dann, sein Motiv entdeckt zu haben. Zivilationsmüdigkeit treibt ihn an, der tägliche Wahnsinn lässt sich nur im Dunst ertragen.
Na gut, da hast du eine Weise gefunden, durch absurdkomische Wort- und Ideenakrobatik ein bisschenZivilisationskritik zu betreiben.

Ach noch ein Wort hierzu:

Mit der Setzung von Kommata habe ich, wie du ja auch schon bemerkt hast, so manchmal meine Probleme.
Beim nächsten Mal werde ich verstärkt auf solche Stolpersteine achten.
Wehe!!! Was heißt hier beim nächsten Mal???? Jetzt sollst du das tun, wenn der ernst dir schon einige Kommafehler und Sprachverbesserlis raussucht. Meinst du, der macht das zu seinem Vergnügen oder weil er sie sich auf den Bauch tätowieren will?
Also - jetzt noch mal ganz in Ruhe, die strenge Mama geht gerade mit mir durch. Man kann und soll den Text natürlich jetzt schon verbessern, wenn es um so profane Dinge geht wie fehlende Kommas oder eine ungenaue Formulierung.
Ich sag mal, wir Kommentatoren wollen doch auch was davon haben. Und wenns nur so ein hübsches, neu gesetztes Kommachen ist.
Viele Grüße, Mister Faustus, und noch viel Spaß hier.

 

Vielen Dank. So eine Kritik liest man gern.

Zur Entstehung: Ich habe mich einfach hingesetzt und ohne großartig nachzudenken alles abgetippt, was mir in den Sinn kam. Am Ende habe ich dann lediglich noch ein paar Ausschmückungen vorgenommen.

Und ja, es soll schon in Richtung Zivilisationsmüdigkeit gehen. Werke von Hunter S. Thompson (z.B. Fear and Loathing in Las Vegas oder Rum Diary) haben mich geprägt. In diesen Werken, die übrigens beide verfilmt worden sind, geht es oft auch sehr absurd zu.

Ich schätze eure Kritik sehr. Deswegen bin ich schließlich hier. Mal sehen, ob noch Fehler gefunden werden. Die entsprechenden Passagen werde ich dann natürlich ausbessern.

 

Faustus schrieb:
Mal sehen, ob noch Fehler gefunden werden.
Ein Mensch, der Hunter S. Thompson liest, kann kein schlechter Mensch sein, dachte ich mir, und hab den Text noch mal durchgesehen:

Ich atme durch, so [weg] als sei ich
Knisternd liege ich so da, zappel [zapple]
die in der Regel jedem Kind das fürchten [Fürchten] lehren soll,

Faustus schrieb:
Ich habe mich einfach hingesetzt und ohne großartig nachzudenken alles abgetippt, was mir in den Sinn kam. Am Ende habe ich dann lediglich noch ein paar Ausschmückungen vorgenommen.

Also wenn bei dieser Herangehensweise solche Texte rauskommen, empfehle ich dir dringend, weiterzuschreiben, Faustus.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hola Faustus
Mit Verlaub, Du faselst. Pilzomelett? Das ist aber keineswegs böse gemeint, außerdem tust Du das auf eine fast geniale Art. Der auf diese Weise entstandene Text ist keinen Deut schlechter als viele hochwissenschaftlich eruierte Ausschweifungen über die Probleme unserer Zeit. Viele von uns packen´s einfach nicht mehr. Sie würden gerne gestalten, aber sie müssen funktionieren, wenn sie nicht absaufen wollen. Moderne harte Zeiten.
Dein Text ist authentisch, weil Viele so wie Du herumexperimentieren. Vielleicht klappts, vielleicht auch nicht. Das beobachte ich schon länger. Es scheint die Zeit zu fehlen, sich um die Eigenarten der Dinge um uns herum zu kümmern - und um die Dinge in uns.
Joséfelipe

 

Hallo Joséfelipe,

Faseln kann ich gut. Ein köstlich zubereitetes Pilzomelett sollte man nicht unterschätzen. Ich danke dir für deine Ansichten und glaube, du hast auch den Text zwischen den Zeilen gelesen und mit deinem Beitrag erweitert. Danke dafür. Es folgt sicher bald mehr.

 

Hola Faustus
Danke für Deine freundliche Antwort einschl. "Ein köstlich zubereitetes Pilzomelett sollte man nicht unterschätzen." Ich meinte eine ganz spezielle Art von Pilzen: die berühmt-berüchtigten "magic mushrooms" (die haben gewisse Eigenschaften - und leuchten nachts).
Joséfelipe

 

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