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Der Aufstieg und der tiefe Fall
Ich stehe in meinem Wohnzimmer, trage einen geblümten Bademantel und ziehe mit meinen blutunterlaufenen Lippen an der von mir selbst verschriebenen Pfeife. Den warmen Dunst inhalierend bemerke ich, wie sich meine Lunge in vertrauter Weise mit Dreck auffüllt. Das Sofa, welches grundsätzlich zum Sitzen oder Liegen auffordert, öffnet seinen pelzigen Schlund, noch bevor es mich anbrüllen kann.
> Es liegt sich so bequem wie in einem gut gepolsterten Sarg.
Ich schwelge in fadenscheinig-paranoiden Erinnerungen an fettige Teewurst und kalten Apfeltee. Nach gefühlten hundert Stunden Gedankenfolter löst sich mein Körper von meinem übriggebliebenen Verstand und beschließt, aufzustehen, um wie in Trance an der Schrankwand hochzuklettern. Meter für Meter verschwende ich aufsteigend meine Zeit, erkunde die Welt global. Um nicht abzurutschen, benutze ich geflochtene Zahnseide, die ich zur Sicherung an meinem Hals befestigt habe. Sie ist stabil genug um das Gewicht meines ausgemergelten Körpers auszuhalten.
> Ich würge!
Die Kotze läuft mir mal wieder beide Mundwinkel runter und tropft in die Gesichter derjenigen, die mich von unten anfeuern. Manche imaginierten Menschen, die von oben selbstverständlich wie Ameisen aussehen, rufen mir zu, dass ich doch einfach springen solle. Aber wohin soll ich springen, wenn der Boden aus blubbernder Lava besteht? Ohne Schuhwerk verbrenne ich mir schließlich die Füße. Abgefackelte Gliedmaßen sind wirklich das Letzte, was ich in dieser benebelten Situation gebrauchen kann. Der Gipfel ist zudem fast erklommen und der Schrankwand-Rekord rückt in greifbare Nähe. Der Rau(s)ch verschwindet langsam, die Luft wird dünner. Ich atme durch, als sei ich Protagonist einer unter Drogeneinfluss entstandenen Kaugummi-Reklame. In Wahrheit fühle ich mich hingegen wie Reinhold Messner auf LSD.
Oben auf dem Schrank explodiert plötzlich eine Granate direkt neben meinem Kopf. Die Splitter durchbohren zuerst meinen Schädel und dringen dann in meinen präfrontalen Kortex ein. Woher kam dieses verfluchte Scheißteil?! Und warum erkennt OpenOffice das Wort Scheißteil nicht? Ich mache mir zu viele Gedanken. Das ist suboptimal. Mit Splittern in der Rübe lässt es sich ohnehin schlecht denken, weswegen ich fortan nur noch anthroposophisch kommunizieren werde.
> Wir befinden uns in einem Nullsummenspiel ohne Gewinner. Kohlenstoff!
Tanzend falle ich von der Schrankwand in die Lava und verbrenne innerhalb weniger Sekunden bis auf die Knochen. Endlich ist das Fleisch runter und ich muss nicht mehr frieren. Knisternd liege ich so da, zapple mit meinen müden Knochen zu Iron Butterflys In-A-Gadda-Da-Vida und fühle mich wie der Hummer im heißen Kochtopf. Ich bin das Lebendfutter der Lava geworden und scheine mit ihr eine Symbiose einzugehen.
> Aber erstmal ist Toilettenpause.
Als der ganze Spuk ein Ende findet, flicke ich mich wieder zusammen und gehe durch mein versteinertes Wohnzimmer Richtung Fenster. Ich reiße es mit beiden Händen und zehn Fingern aus den Angeln. In dieser verschwitzten Sauna lässt es sich anders auch gar nicht mehr aushalten. Der säuerlich schmeckende Regen peitscht mir von draußen in meine Fresse - welche als Synonym für mein ganzes Gesicht stehen soll - und spült mir die Asche aus meinen aufgequollenen und völlig zerkochten Augen.
> Wie es hier wieder aussieht!
Mit dieser Aussage, die in der Regel jedem Kind das Fürchten lehren soll, beziehe ich mich nicht auf die Wohnung. Ich lege schließlich meinen Fokus auf die Stadt und ihre Einwohner, auf die ich durch das gigantische Loch in meinem Haus blicke. Ich beobachte sie wie ein Spanner seine potenziellen Opfer. Alle Menschen und ähnlich aussehende Kreaturen lassen ihre Köpfe nach unten hängen. Früher hat man seinen Blick auf den dreckigen Asphalt gerichtet, um nicht versehentlich in Hundekacke zu treten. Heute schaut man gen Boden, um auf irgendwelchen Apps herumzudrücken.
> Das ist Krieg!
Schon wieder explodiert eine Granate neben meinem Schädel. Die Splitter durchdringen abermals mein Hirn. Jesus von Nazareth! Wo sind die Schmerzen hin? Habe ich es etwa übertrieben? Bin ich besoffen von dem Mist, den ich mir täglich geben muss? Ich beginne wahrhaftig wahnhaft zu lachen. Dabei kriechen mir unzählige Schlangen aus dem Hals. Oder sind es vielleicht mutierte Bandwürmer, die meinen Mund mit meinem Gesäß verwechseln und nun die Freiheit suchen? Darüber will ich mir ehrlich gesagt gar keine Gedanken machen. Zu groß ist meine Abneigung gegen jegliches Gewürm. Schlangen wären hingegen in Ordnung. Ihr Gift lässt mich durchaus besser schlafen.
Würgend schaue ich aus dem Fenster und die Menschen schauen immer noch Richtung akkubetriebenen Gehirnersatz. Sie merken nicht einmal, wie sie dabei trotzdem durch die Scheiße trampeln, die sogar zwischen ihren Zehen hervorquillt und an ihnen langsam emporzuklettern versucht. Das kommt wohl davon, wenn man barfuß durch den Regen läuft und den Blick fürs Wesentliche verloren hat. Es offenbart sich mir ein Trauermarsch. Beerdigt werden heute die von imaginären Granaten zerfetzten Wertmaßstäbe, wie auch gestern schon und an Tagen zuvor. Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose. Morgen ist ein neuer Tag. Ich sollte mich unbedingt in meinen Sarg legen, den Deckel schließen und einen weiteren Zug aus meiner Pfeife nehmen. Der Wahnsinn endet nie.