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Der aufgeblasene Hund
Und da roch sie es wieder: diesen ekelerregenden Gestank nach nassem Hund, der einen sofort die Luft anhalten ließ.
Das Schlimmste aber war die Gewissheit, dass es nicht nur nach nassem Hund roch, sondern dass es auch ein nasser Hund war. Nass vom eigenen Sabber, der ihm - wie all diesen faltigen Rassen die aussehen als hätten sie einmal zu oft mit der Nase gebremst - beständig aus dem Mund rann. Und groß war er, groß wie ein kleines Damenrad.
„Okay, Luft anhalten und dann schnell vorbei“, beschwor sich Mina selbst, „nur nicht stehen bleiben.“
Langsam schlich sie den Gartenzaun entlang. Nur kein Geräusch machen, nur nicht den Hund auf sich aufmerksam machen. Schon war sie am Tor angekommen. Mina war sich sicher, dass er dort auf sie wartete. Jeden Morgen aufs Neue machte der Hund ihr den Schulweg zum Albtraum.
So, noch ein Schritt und da saß er schon. Der Hund. Mina kannte seinen Namen nicht und wollte ihn auch gar nicht wissen.
„Geh weiter“, forderte Mina sich selbst auf, „geh einfach weiter!“
Aber wie jeden Morgen gehorchten ihre Beine nicht und sie stand bewegungslos vor ihm.
Seine Spucke tropfte auf den Boden. Tropfte und tropfte und tropfte und dann passierte es wieder: Erst langsam und dann immer schneller schüttelte der Hund seinen Kopf. Wie ein Rasensprenger verteilte er seinen schlontzigen Sabber in alle Richtungen. Auch - und besonders - in Minas Richtung. Flatsch. Schon wieder traf sie Schlodder im Gesicht und sie meinte, dass der Hund dabei grinste. Minas Kopf lief rot an vor Wut, vor Scham und besonders vor Ekel. Erst jetzt konnte sie wieder laufen. Der große Schulranzen hüpfte auf Minas Rücken - so schnell lief sie - bis ihr die Puste ausging.
Da war sie Gott sei Dank schon in dem kleinen Park angekommen. Dort stand etwas abgelegen ihre Bank.
Sie war ihr Zufluchtsort nach jeder Hundesauerei. Zum Luftschnappen und - noch wichtiger - um sich das Gesicht abzuputzen. Dafür hatte sie extra schon ein altes Geschirrtuch im Schulranzen dabei, heimlich aus Mamas Wäschekorb stibitzt.
„Nein, nicht auch das noch“, dachte Mina, als sie sah, dass auf ihrer Bank schon jemand saß. Ein Mann mit Bart und einer ganzen Menge Plastiktüten. Brabbelnd wurstelte er darin herum.
„Hey“, sagte Mina beleidigt zu ihm, „das ist meine Bank! Kannst du deine Tüten nicht woanders sortieren?“
„Wo denn?“, fragte der Mann mit Bart freundlich und streckte Mina seine nicht ganz saubere Hand hin, „ich bin der Josef und für mich gibt’s kein Woanders.“
„Wie jetzt?“, fragte Mina, „ein Woanders gibt’s doch immer. Zum Beispiel daheim in deinem Zimmer oder einfach drei Meter weiter hinten?“
„Ja, also mein Daheim ist momentan hier, mein Zimmer ist die Bank und drei Meter weiter hinten sitze ich mitten im Gestrüpp“, entgegnete Josef.
„Na dann setzt dich halt zwei und einen halben Meter weiter hinter, neben das Gestrüpp“, schlug Mina vor.
„Aber warum sollte ich das tun: Hier steht die Bank und nicht woanders. Und ich denke, sie ist groß genug, dass du deinen feinen Popo auch noch mit dazu setzen kannst. Schau ich rutsch noch ein Stück“, sagte Josef und klopfte einladend neben sich auf die Bank.
„Na gut“, sagte Mina und setzt sich an den Rand.
Umständlich nestelte sie an ihrem Schulranzen herum, weil sie sich nicht traute einfach ihr Geschirrtuch auszupacken.
„Was machst du denn da?“, fragte Josef.
„Ach nichts, ich muss mir nur mal die Nase putzen“, antwortete Mina und zog das Geschirrtuch heraus.
„Du hast aber ein großes Taschentuch“, sagte Josef, „aber wenn ich Dich genau anschaue, hängt Dir auch eine ganz schöne Menge Rotz im Gesicht. Das kann doch nicht alles aus deiner Nase gekommen sein.“
„Nein“, flüsterte Mina reserviert, „das kommt vom Hund.“
„Aha verstehe“, sagte Josef, „und wie kommt Hunderotz in dein Gesicht?“
Mina hatte eigentlich keine Lust ihre morgendliche Qual mit irgendwem zu teilen, aber diesen Josef, den fand sie nett. Und viele Freunde, denen er es weitererzählen könnte, hatte er bestimmt nicht.
„Na der Hund, vorne in der Straße“, fing Mina an, „der, der so besonders stinkt und dem dauernd die Spucke aus dem Mund tropft.“
„Ja, den kenn ich“, erwidert Josef, „der kleine Faltige mit dem Sabberproblem, was ist mit dem?“
„Na der mag mich nicht. Er zwingt mich ihn anzustarren und dann schüttelt er mir seinen Schlabber ins Gesicht, jeden Morgen, seit die Schule wieder angefangen hat. Und ich komm zu spät, trau mich nicht sagen warum und dann krieg ich geschimpft und so einen blöden Stempel in mein Hausaufgabenheft. Einen weinenden Clown. Wenn ich zehn davon habe, muss Mama zum Direktor“, jammerte Mina.
„Und warum gehst dann nicht einfach woanders auf deinem Schulweg?“, fragte Josef.
„Da gibt’s kein Woanders“, sagte Mina, „die anderen Wege sind viel zu lang.“
„Weißt du was“, sagte Josef, „ich überleg mir was. Jetzt sieh zu, dass du schnell in die Schule kommst und wir treffen uns morgen früh wieder hier auf der Bank. Ich schau mir den Hund inzwischen noch mal an.“
„Na gut“, seufzte Mina und sauste Richtung Schule.
Am nächsten Morgen, kurz vorm Hund war sich Mina sicher, dass sie es schaffen würde, einfach vorbeizugehen. Wenn er doch nur nicht so groß wäre.
Noch drei Schritte, noch zwei, noch einer, schon kam das Gartentor und da saß der Hund. Wie immer. Bewegungslos. Einfach weitergehen. Mina hob einen Fuß und dann den zweiten, dachte sich gerade, „ja es geht, meine Füße funktionieren!“, da knurrte er.
Ganz leise und auch nur einmal, aber das reichte. Mina stand wie angewurzelt vor dem Tor. Ihre Füße waren mit dem Gehweg verschmolzen. Langsam bewegte der Hund seinen Kopf. Hin und her. Hin und her. Dann wurde er schneller und die Tropfen regneten nur so auf Mina herab. Und dann fing sie wie jeden Morgen an zu rennen.
Josef saß schon auf der Bank. Mina hatte nun keine Scheu mehr ihr Geschirrtuch sofort aus dem Schulranzen zu reißen und putzte sich gleich das Gesicht.
„War das wieder der Burli?“, fragte Josef.
„Wer ist der Burli?“, fragte Mina.
„Ja der kleine Hund, von dem du erzählt hast.“
„Keine Ahnung, wie der heißt - das interessiert mich auch nicht. Klein ist der jedenfalls nicht. Der ist riesig. Wahrscheinlich sogar größer als du.“
„Ach Schmarrn!“, erwiderte Josef, „der ist klein, wenn nicht sogar winzig. Der bläst sich bloß auf – wie ein Luftballon. Eigentlich ist er nicht größer als dein Daumennagel.“
„Ja, ja, das sagst du jetzt bloß. Riesig ist der und stinken tut er auch gewaltig“, sagte Mina trotzig.
„Mir kann man ja viel nachsagen, aber einen Schmarrn erzähl ich nie. Schon gar keinem netten kleinen Fräulein wie dir. Ich kanns dir beweisen, wenn du mir nicht glaubst“, sagte Josef.
„Natürlich glaub ich dir nicht. Ich steh dem Hund ja jeden Tag gegenüber. Wir schauen uns direkt in die Augen. Bloß dass er sitzt und ich stehe“, sagte Mina.
„Ich sag ja, dass er sich aufbläst“, wiederholte Josef, „komm einfach nach der Schule wieder vorbei. Dann wirst du es schon sehen.“
In der Schule bekam Mina heute ihren neunten weinenden Clown und sie konnte es kaum erwarten, wieder zu Josef auf die Bank zu kommen.
Noch während des Gongs zum Stundenende lief Mina aus der Schule.
Aber die Bank war leer. Kein Josef. Kein Beweis.
„Also doch nur ein Sprüchmacher!“, schimpfte Mina enttäuscht.
„Bin schon da,“ hörte sie da Josef hinter sich, „ich hab bloß noch was organisieren müssen. Komm, wir müssen gleich weiter.“
„Ist es weit?“, fragte Mina, „Mama wartet daheim mit dem Essen und sie soll nichts merken.“
„Nein, ist gleich da drüben. Wir gehen in die Kirche.“
„Oh je, meinst du, wir brauchen den lieben Gott, dass er aus dem Hund die Luft raus lässt?“
„Nein, den brauchen wir dafür nicht. Das kannst du schon selbst. Und ein bisserl brauchen wir Hans, den Mesner, der hat uns die Tür zum Kirchturm aufgesperrt.“
„Aha“, sagte Mina neugierig und ein bisschen verschreckt, „aber da oben sitzt jetzt nicht der Hund und wartet auf mich?“
„Nein, der ist, wo er immer ist. Und wir schauen ihn uns jetzt einmal ganz genau an“, sagte Josef.
Mina sauste die Kirchturmtreppe hinauf und Josef kam keuchend hinterher.
„Riechst du die gute Luft“, fragte er oben angekommen, „hier oben bin ich immer, wenn ich eigentlich woanders sein will. Weit weg. In den Bergen oder den Wäldern. Da schau ich dann runter und bin schon fast dort. So, jetzt schnauf einmal ganz tief ein“, forderte Josef die Mina auf, „ganz tief in den Bauch.“
Mina schnaufte, bis keine Luft mehr in ihren Bauch hineinpasste.
„So“, sagte Josef dann, „jetzt ist der aufgeblasene Burli ganz klein geworden. Schau nur runter.“
Mina beugte sich über die Brüstung. Gegenüber war das verhasste Gartentor mit dem Hund.
„Was redest du denn“, sagte Mina enttäuscht, „der schaut ja aus wie immer.“
„Genau“, sagte Josef, „klein wie immer. Nicht größer als dein Daumennagel, hab ich gesagt. Probiers halt aus.“
Mina hielt ihren Daumen in die Luft und versuchte den Hund damit abzudecken. Und es klappte tatsächlich. Hinter ihrem Daumen verschwand der ganze Hund. Sie probierte alle Finger durch und sogar der winzige kleine Finger verdeckte den Hund. Mit der ganzen Hand konnte sie sogar das Gartentor inklusive des gesamten Gartens abdecken. Lustig.
„Gut, du hast gewonnen“, gab Mina zu, „aber von oben schaut ja alles kleiner aus. Wenn ich ihm morgen früh wieder gegenüberstehe, ist aber doch wieder alles beim Alten.“
„Nein, das glaub ich nicht“, antwortete Josef, „du weißt ja jetzt, dass der Burli eigentlich ganz klein ist.“
„Hm“, seufzte Mina, „mal schauen, ob das was nutzt.“
Am nächsten Morgen - der Tag, der den zehnten weinenden Clown versprach - rannte Mina schon auf dem Weg zum Hundegarten. Vielleicht konnte sie schon vorher Zeit sparen, damit sie nicht ganz so spät in die Schule kam, nach dem Hundeschlamassel.
Wieder war das Gartentor in Sichtweite. Schon war sie dort und da saß er wieder. Stinkend wie immer und triefend wie immer. Mina stand bewegungslos vor ihm. Wie immer. Doch etwas war anders: Mina stand da, weil sie stehen bleiben wollte.
Sie atmete ganz tief ein. Durch die Nase, obwohl es so stank. Ihr Mund war nämlich voll: Den ganzen Weg hierher hatte sie Spucke in ihren Backen gesammelt. Und noch bevor der Hund - sie nannte ihn jetzt Burli - loslegen konnte, ließ sie ihre Spucke langsam aus dem Mund tropfen. Burli schaute Mina an, fing an zu hecheln. Legte sich auf den Boden, wälzte sich hin und her und her und hin und - grunzte zufrieden.
Mina war baff. Und trocken.
Gerade wollte sie gehen, da ging ein Fenster auf und eine Frau rief heraus: „Ja Burli, tust du schön spielen, hast du eine neue Freundin gefunden?“
Und zu Mina gewandt: „Gell, der Burli ist ein ganz ein braver. Ich hab dich schon ein paar Mal hier stehen sehen, hast ihn recht gern, oder? Vielleicht magst du ja mal mit ihm Gassi gehen. Ich bin nicht mehr so gut zu Fuß.“
„Ja, vielleicht“, sagte Mina, viel zu überrascht, um überhaupt nachzudenken und war auch schon weg.
In der Schule wartete kein Clown auf sie und nach der Schule wartete kein Josef auf der Bank.
Traurig wollte Mina gerade nach Hause gehen, da fiel ihr ein, wo sie Josef finden würde.
Und tatsächlich, er war wieder oben auf dem Turm.
„Und?“, fragte Josef nur, als er Mina sah.
„Ich hab mehr Spucke als er“, sagte Mina, „und offensichtlich einen neuen Freund. Störts dich, wenn der Burli hin und wieder mit uns auf der Bank sitzt?“
„Nein“, sagte Josef, „ich sitz dann aber woanders. Vielleicht zweieinhalb Meter weiter hinten. Weil - bei aller Liebe - stinken, tut er schon.“