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Der Anzug

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15.07.2002
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Der Anzug

Neulich trug ich einen Anzug.
Ich bin jetzt tatsächlich 29 Jahre alt und genauso lang hatte ich es geschafft, weder einen Anzug zu besitzen noch einen zu tragen, aus Prinzip. Ich mag keine Anzüge, hab ich nie gemocht! Ich meine, wenn andere sie gerne tragen, schön und gut, hab ich nichts dagegen, aber für mich selbst mag ich es eben nicht. Auch wenn ich mir jetzt doch anhören mußte, daß ich wohl recht annehmbar darin aussehe. Die meisten Anzughosen kratzen und sind schlecht geschnitten, finde ich jedenfalls, oder viel zu teuer. Wieso sollte ich ein kleines Vermögen ausgeben für ein paar Fetzen Stoff? Vielleicht hatte ich ja auch bloß noch nie einen richtig guten Anzug getragen, aber wie dem auch sei. Diese Einstellung reicht, wie bereits erwähnt, zurück bis in meine Kindheit. Nie, auch zu keinem noch so feierlichen Anlaß wollte ich mich in einen unbequemen, dämlichen Anzug zwängen, nur um anderen zu gefallen, damals noch sehr zum Leidwesen meiner Mutter, mit der ich oft ewige, scheinbar nie enden wollende Dispute darüber geführt hatte, da sie wohl meinte, man könne nur in einem Anzug gut angezogen sein. Doch ich kleide mich eigentlich immer, wie es mir gefällt, und bequem eben.
Und auf so vielen superfeierlichen Anlässen bin ich nun auch nicht gewesen. Damals zur Konfirmation trug ich wohl etwas ähnliches, da ich noch zu jung war, um mich meinen Eltern mit aller Gewalt zu widersetzen. Eine dunkle Hose, die ich sobald als möglich durch eine Jeans ersetzte, ein Hemd und einen Blouson. In der achten Klasse besuchte ich dann, weil das jeder tat, einen Anfängertanzkurs. Damals hatte mich das Tanzen noch nicht interessiert, erst als ich älter wurde, bereute ich ein wenig, daß ich nicht weiter gemacht hatte. Doch dieses Manko habe ich bereits behoben. Tanzen kann unter Umständen sehr viel Spaß machen und so besuchte ich während meiner Studienzeit, die noch nicht allzu lange her ist, mehrere Tanzkurse. Dabei gab es aber keine, jedenfalls nicht so feierlichen Abschlußbälle, wie den damals von dem Schulkurs. Nun, obwohl meine Eltern gar nicht gekommen waren, zwangen sie mich eine helle Hose, ein Hemd mit Fliege und ein extra gekauftes aber nur einmal getragenes Sakko anzuziehen. Die damalige Zusammenstellung kam wohl einem Anzug am nächsten.
Auf sonderlich vielen Hochzeiten bin ich eigentlich bisher auch nicht gewesen, zumindest kann ich mich nur an vier erinnern. Als ich etwa 17 war, heiratete der Cousin meines Vaters, der allerdings um etliches jünger ist als mein Dad, so konnte man es recht gut mit ihm aushalten, da er doch noch etwas Jugendliches an sich hatte. Dies änderte sich allerdings dann kurz nach seiner Hochzeit, als seine Frau schwanger wurde. Er ist wohl erwachsen geworden. Scheinbar wird man spätestens dann erwachsen, wenn man selbst Kinder hat. Ab diesem Zeitpunkt schaut man dann wohl eher nurmehr zu. Damals konnte mich meine Mutter schon nicht mehr dazu bringen so eine Kratzhose anzuziehen und so ging ich zur Hochzeit in schwarzer Jeans, Hemd und einem etwas zu kleinem Jackett meines Dad´s.
Zum abermaligen Entsetzen meiner Mom ging ich zu meinem eigenen Abiball ebenfalls in Jeans und Hemd, wobei ich hier mal anmerken muß, daß ich gegen Hemden eigentlich nichts habe, manchmal trage ich sie sogar wirklich gerne. Ich trug auch einen Binder an diesem Abend. Wow, da schaut Ihr und denkt wahrscheinlich, daß ich nun langsam zum Verräter an meinen Prinzipien werde, was? Und tatsächlich würde ich euch auch Recht geben, denn ich stehe auch nicht sonderlich auf Krawattenträger. Doch war dies eine handbemalte Seidenkrawatte, bemalt von meiner Schwester und ich war sehr stolz auf sie und erzählte damals jedem Mädchen, das ankam und sagte „Hey Rudi, du siehst ja heute mal echt schick aus, und sogar mit Krawatte, wow! Hast du vielleicht Lust zu tanzen?“ – „Vielleicht später mal. Die Krawatte hat übrigens meine Schwester selbst bemalt!“ So in etwa war das damals. Die Jungs, naja, denen fällt so was nicht auf, die wenigsten haben Sinn für so etwas, nur Sebastian, heute mein bester Freund, meinte, daß sie sehr schön sei und mir wirklich stünde. Aber gut, jedenfalls betrachte ich dies nicht als Verrat! Um mein Bild abzurunden, jedenfalls so lange man dies laut Anna, einer damaligen guten Freundin, mußte, trug ich noch ein Jackett, wieder mal von meinem Dad. Wie gesagt, sobald Anna mir erlaubte, es auszuziehen, ward es nicht mehr gesehen!
Die zweite Hochzeit, der ich beiwohnte, war die meiner Cousine zweiten Grades Jenny in den USA. Jedenfalls glaube ich, daß sie meine Cousine ist. Die Verwandschaftsverhältnisse dahingehend sind für mich immer noch ein wenig verworren. Aber wie dem auch sei, es war eine Traumhochzeit. Besser als im Film! In einem Park am Meer unter freiem Himmel mit einem weißen, von bunten Blumen übersätem Altarbogen. Und viele weiße Stühle für die Gäste. Aber das Beste waren dann doch die beiden weißen Tauben, die das eben vermählte Brautpaar frei ließ, hollywoodreif! Die Amerikaner haben ja bei sowas immer einen leichten Tick, so leiht sich jeder der näheren männlichen Verwandtschaft, sofern er nicht selbst einen hat, einen Smoking. Irgendwie krank, oder? Naja, ich selbstverständlich nicht. Aber wenigstens hatte ich damals eine schwarze Hose an, die, soweit ich mich erinnere auch nicht allzusehr kratzte. Darüber ein weißes Hemd. Das war´s. Konnte ja auch vorher nicht wissen, daß die da so ein Brimborium draus machen, aber selbst dann. Und daß mich jemand schief angeschaut hätte, daran kann ich mich nicht mehr erinnern.
Hochzeit Nummero drei, war die meiner Schwester vor genau vier Jahren. Dazu kann ich nur sagen, daß meine Schwester mich so liebt wie ich bin und sich immer noch jedesmal wahnsinnig freut, wenn wir uns sehen, selbst wenn ich dabei eine dunkle Jeans und ein Hemd trage, die nicht wirklich farblich aufeinander abgestimmt sind. Mom hätte wohl am liebsten einen Aufstand gemacht, als sie mich sah und dabei womöglich einen Herzinfarkt erlitten, schüttelte aber statt dessen nur mit dem Kopf, bevor sie mich in die Arme nahm, aus Respekt und Stolz gegenüber meiner Schwester und ihrem großen Tag. Was die etwas steif wirkende Verwandtschaft des Bräutigams wohl dachte, könnte ich mir schon vorstellen, will ich aber gar nicht.
Das waren so im Groben die feierlichsten Anlässe in meinem bisherigen Leben und tatsächlich trug ich nie wirklich einen Anzug. Eben bis vor Kurzem. Wie es dazu kam? Jeder, der schon einmal richtig verliebt war, weiß, daß man für den Menschen, den man liebt sogar manchmal seine Prinzipien über Bord wirft. So hat sie es doch tatsächlich geschafft! Sie ist die Frau, die mich dazu brachte einen Anzug zu tragen. Mich, 29 Jahre.
Alles begann vor etwa zweieinhalb Jahren als Sebastian meinte er gebe eine kleine Grillparty, habe aber noch keinen Wein. Ein Wink mit dem Zaunpfahl also. Ich entgegnete nur „Naja, dann müssen wir wohl Dominik auch einladen.“ und lächelte verschmitzt. Als es dann soweit war stiefelte ich, nachdem mir Claudia, seine damalige Freundin, die Tür geöffnet hatte, mit einer Kiste Wein beladen in den Keller. Sein Haus war sowieso praktisch wie mein Zuhause, denn ein eigenes hatte ich bis dato noch nicht gefunden. Als ich dann mit drei Flaschen in die Küche Richtung Kühlschrank stolperte fiel mir erstmals auf, daß außer mir bereits noch jemand da war, obwohl es erst eine Stunde später losgehen sollte. Sie half Claudia dabei, einige Sachen vorzubereiten und wurde mir vorgestellt als Michelle, eine Freundin, die sie noch von früher kannte und zufällig wieder getroffen und gleich eingeladen hatte. Da standen wir nun, ich mit meinem Wein und sie mit einem Küchenmesser in der einen und einer Gurke in der anderen Hand und sagten einander hallo. Ich muß zugeben, irgendetwas an ihrem Gesicht faszinierte mich, so daß ich sie scheinbar ein wenig anstarrte und sie lächelnd fragte ob alles in Ordnung sei? „Ja, na klar.“ Wir lächelten uns noch kurz an bevor sie sich wieder ihrer Arbeit zuwand. „Wo ist eigentlich die Nudel?“ So nannte ich Sebastian manchmal, ich gab ihm diesen Namen bereits vor einer Ewigkeit. „Probier´s mal draußen,“ meinte Claudia und so zog ich ab. Es war nicht Liebe auf den ersten Blick, denn daran glaube ich nicht, jedenfalls nicht für mich! Wir führten ab und zu ein wenig Small Talk aber eigentlich keine längeren Gespräche, da ich zu sehr mit den anderen beschäftigt war. Ich freute mich, einige mal wieder zu sehen, was auf Grund der Tatsache, daß ich beruflich doch einiges unterwegs war, damals eher selten vorkam. Erst später am Abend, nachdem schon einige gegangen waren, fiel mir auf, daß sie plötzlich verschwunden war. Aus Neugierde fragte ich dann Claudia nach ihr. „Sie scheint dir ja zu gefallen. Nein, sie ist noch nicht gegangen, sie schläft heute Nacht auch hier, hat Sebastian dir noch nichts erzählt?“ Ich schüttelte den Kopf. „Oh, würde es dir was ausmachen auf der Couch zu schlafen und ihr das Gästebett zu überlassen?“ „Ich muß gestehen: ja“ dabei lachte ich ein wenig, „aber nicht viel. Ist schon okay. Wäre auch zu schön gewesen, mal wieder in einem richtigen Bett zu schlafen.“ Claudia lächelte „Danke! Sie ist drinnen, wollte sich etwas zum überziehen holen. Aber du könntest mal nachsehen, nicht daß sie sich verlaufen hat.“ „Na gut, dir zu Liebe.“ Aus Gewohnheit machte ich kein Licht, als ich ins Haus ging und so kam es dann, daß wir doch tatsächlich ineinander liefen. Sie erschrak sich ein wenig, bevor wir beide lachen mußten. Schließlich unterhielten wir uns ein wenig näher, bevor wir uns wieder zu den anderen gesellten, wo wir unser Gespräch fortsetzten. Wir verstanden uns auf Anhieb recht gut. Sie hatte eine nette Art und einen interessanten Humor. Man muß diese spezielle Art von Humor allerdings mögen, aber vielleicht gefiel sie mir gerade deswegen so gut. So saßen wir vier noch lange in die Nacht, bevor wir schließlich ins Bett gingen. Die anderen beiden waren schon hochgegangen, da zog mich Michelle noch kurz zur Seite und meinte, es täte ihr leid, daß ich ihretwegen nun auf dem Sofa schlafen müsse. Sie meinte ich soll etwas ganz schönes träumen. Sie war leicht, naja, betrunken wäre vielleicht etwas übertrieben, aber doch angetrunken zumindest, genau wie ich. Und als sie da so dicht vor mir stand mit ihrem schulterlangen gelocktem Haar, ihren vollen Lippen und mich mit ihren großen braunen Augen ansah und dabei lächelte, habe ich mich gefragt, wie es wohl wäre sie jetzt zu küssen? „Bei euch da unten alles okay?“ Sebastian diese Vollnudel, so gern ich ihn hab, manchmal ist er schon irgendwie ein Arsch. „Ja, komme schon,“ rief sie sanft zurück. An der Treppe hielt sie kurz inne, sah zu mir rüber und hauchte ein letztes „Gute Nacht!“ bevor sie verschwand.
Das Sofa war doch recht bequem und ich hatte ja bereits öfter das Vergnügen.
So lernte ich sie also damals kennen, lieben lernte ich sie allerdings erst später mit der Zeit.
Am nächsten Tag bot ich ihr an, sie nach Hause zu fahren und unterwegs fragte ich sie, ob sie nicht vielleicht Lust hätte, irgendwann mal mit mir ins Kino zu gehen. „Ja, warum eigentlich nicht?“
Von da an unternahmen wir öfter mal was zusammen. Manchmal auch mit Claudia und Sebastian oder eben alleine zu zweit.
Irgendwo in dieser Zeit verliebten wir uns ineinander und kamen schließlich auch zusammen. In der folgenden Zeit war ich sehr glücklich! Sie brachte mich zum lachen. Ich liebte einfach alles an ihr! Ihr dunkles, gelocktes Haar, ihr Lachen, ihren Geruch, ihre Stimme, die Art, wie sie Dinge erzählte. Ich hörte ihr immer gerne zu. In ihren sanften braunen Augen verlor ich mich. Sie zu berühren und zu spüren, einfach mit ihr zusammen zu sein war wie ein süßer warmer Traum. Ich hatte nie zuvor so intensiv für jemanden empfunden. Mit ihr hatte ich mein so lang vermißtes Zuhause gefunden! Wir verstanden uns immer gut und es gab ein wie selbstverständlich wirkendes Einverständnis zwischen uns. Natürlich, wie das in jeder Beziehung so ist, gab es auch die eine oder andere kleine Streiterei, aber irgendwie nicht wirklich. Eben bis auf das eine Mal.
Hochzeit Nummero vier, die Hochzeit ihres jüngeren Bruders. Sie war schon etwas erstaunt, daß ich keinen Anzug besaß. Aber als ich mich dann weigerte, mir extra einen zuzulegen, wie sie vorgeschlagen hatte, wurde sie richtig verärgert. Ich sah aber gar nicht ein, wieso ich jetzt plötzlich einen Anzug kaufen sollte und so gerieten wir in Streit. Verletzende Worte fielen und nachdem ich meinen Standpunkt als endgültig festgesetzt hatte sprach sie eine Woche kaum mehr mit mir und auf der Hochzeit auch nur das Nötigste. Für eine weitere Woche ging sie mir aus dem Weg, bevor ich mich schließlich bei ihr entschuldigte. Dabei weinte sie und ich nahm sie fest in meine Arme. Wir hielten einander für eine Ewigkeit.
Wäre ich doch damals nicht so stur gewesen! Hätte ich doch eher eingesehen, daß es für sie so wichtig war und ihr so viel bedeutete! Aber das habe ich damals leider nicht!
In vielen der unzähligen schleimigen Hollywood-Filme sagen die Leute oft, wenn sie alt sind oder vor ihrem Ende stehen, sie hätten keine Bedauern und würden alles genauso noch einmal machen. Ehrlich gesagt ist das doch gequirlte Kacke! Ich jedenfalls würde vieles anders machen, unter anderem vielleicht öfter mal einen Anzug tragen! Ich bedauere es sehr, daß ich ihr dieses Opfer damals nicht brachte, ihr diesen Gefallen abschlug und sie damit sehr verletzt habe. Könnte ich, so würde ich fast alles tun, um es ungeschehen zu machen. Denn auch wenn sie es nicht sagte, so tat es ihr doch sehr weh, auch nachdem sie mir bereits lange verziehen hatte.
In der Zeit nach diesem „Zwischenfall“ kehrte bald alles zum Alten zurück und wir schwebten auf Wolke 7. Schließlich suchten wir uns auch eine gemeinsame Wohnung.

Und neulich kam es dazu, daß ich dann doch einen Anzug trug. Ich trug ihn ihr zu Liebe und nur dieses eine Mal. Es war ein richtiger Anzug mit allem was dazugehört, schwarz, das passende Hemd und eine Krawatte.

Ich trug ihn auf ihrer Beerdigung.

 

Hallo du Nudel,

Ich mag die Geschichte, ist flüssig geschrieben. Das Ende ist das Beste.
Ich finde die Umschreibung für die Anzugallergie ein bißchen lang geraten, wird beim Lesen langwierig. Habe mich dann echt gefragt, ob Du nun den Leser bis zum Ende von dieser Apathie lesen läßt.
Ja, trotzdem hab ich bis zum Ende durchgehalten! Obwohl es den Eindruck machst, du hättest dich erst im letzten Ende an die eigentliche Geschichte herangeschrieben.
Vielleicht in Zukunft einfach mal nen paar Nebensächlichkeiten rauslassen,

Gruß Joy

 

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