Lieber Peeperkorn,
deine Geschichte habe ich mit unterschiedlichen Gefühlen gelesen. Sie kam mir insgesamt zu reduziert vor. Dabei kann ich noch nicht einmal genau sagen, ob es die inhaltliche Verknappung oder die - wie mir schien - recht vordergründige Aussage deines Textes war. Weil ich deine bisherigen Geschichten sehr gerne gelesen habe, versuche ich mal, mich auch diesem Text zu nähern.
Der Protagonist deiner Parabel ist Georg, der in seiner Manteltasche eine alte Bibel trägt, mit der er
möchte. Er bietet sie den
drei Kinder(n), die in den Körpern von Fünfundzwanzigjährigen stecken, schwarzen Kaffee trinken und sich gewiss als Teil einer verlorenen Generation betrachten
an.
Das „gewiss“ würde ich wegnehmen, weil hier wirklich der Autor hervortritt.
Es sind gebildete Kinder:
In den nächsten Minuten werden sie bunte Moleskine-Notizbücher aufschlagen und mit der eleganten Handschrift ihrer Eltern lange Sätze niederschreiben, denen nie ein Komma fehlt.
Sie schreiben in
Moleskine-Notizbücher, über die ich gelesen habe, dass mittlerweile Moleskine-Notizbücher
Synonym (ist) für Kultur, Reise, Erinnerung, Phantasie und persönliche Identität – in der realen wie in der virtuellen Welt. … Ein weltweites Symbol für zeitgenössisches Nomadentum – in engem Zusammenhang mit der digitalen Welt durch ein Netz von Website, Weblog, Online-Communities und virtuelle Archive. (Moleskine - Die Geschichte eines legendären Notizbuches)
Aber obwohl sie diese schönen, langen Sätze in einer schönen Schrift schreiben können, haben sie ein großes Problem
„Woran kann man heute noch glauben?“, hört Georg das eine Kind fragen.
„An den Glauben zu glauben ist obsolet geworden“, sagt das andere und rückt seine dickrandige Brille zurecht.
und ziehen ein Fazit, das hier verkürzt und ohne seinen echten Zusammenhang (Lyotards Gedanken zur Postmoderne) zur Phrase wird:
„Nach dem Ende der grossen Erzählungen bleiben nur noch Kurzgeschichten“, sagt das dritte Kind.
Georg bietet ihnen seine Bibel an:
„Ihr wollt glauben?“ fragt er die drei Kinder. „Dann glaubt an den Herrn.“
Mit Verachtung, Hohn und Blasphemie
Mit sowas könnte man gut Katzen ficken. So anal. Ist gerade dünn genug.
weisen die Kinder ihn und die Bibel zurück.
Pepperkorn, ich kann nur vermuten, was du mit deinem Text sagen willst.
Die jungen Leute möchten in ihrem Zustand des „Nichtglaubenkönnens“ verharren, sie wollen weiterhin schöne Sätze in schöner Formatierung in kulturbehaftete Notizbücher schreiben. Sie öffnen die Bibel nicht mehr, machen sich derb lustig über das Symbol der Oberfläche, setzen sich nicht mit dem Inhalt auseinander.
Sie wollen gar nicht raus aus der Situation, sie möchten auch weiterhin eine „verlorene“ Generation bleiben. Sie geben an, nach etwas zu suchen, woran sie glauben können. Der Glaube kann es nicht mehr sein, er ist obsolet für sie. Anstelle dessen werfen sie undurchschaute Phrasen, die gedanklichen Tiefgang vorgeben, in den Raum und verunglimpfen mögliche Antworten nach Sinn ebenso, wie denjenigen, der ihnen diese anbietet.
Sie delektieren sich an dem Satz
„An den Glauben zu glauben ist obsolet geworden“
und glauben mit diesem leeren Spruch eine tiefe Weisheit gefunden zu haben.
Dein Text scheint darauf hinzuweisen, dass sich diesen fünfundzwanzigjährigen „Kindern“ weder der Glaube an etwas noch die Frage nach dem Sinn erschließen wird. Zumindest solange nicht, wie sie sich in Selbstmitleid ergehen und darüber weinen, dass sie zu einer „verlorenen Generation“ gehören, keinen Glauben mehr haben, gleichzeitig aber alles, was ihnen einen Sinn zeigen könnte, verhöhnend abwehren. Sie haben sich mit ihrem Kaffee, ihren kulturschwangeren Notizbüchern und ihren Phrasen komfortabel eingerichtet.
Georg, der Spinner, möchte sie retten, der „Anschlag“ misslingt, muss misslingen. Er wendet sich anderen zu.
Vielleicht würde er den Alten mit der toten Gazelle doch noch ansprechen.
Peeperkorn, so, wie du den Georg skizzierst, wird er für mich leider auch zum oberflächlichen Sonderling, der nervt, wenn er „Sinn stiften“ geht.
... und knallt sie auf den Tisch
Letztendlich antwortet er auf die Glaubens-Suche der jungen Leute mit dem Hinwerfen der Bibel, fast so, wie man einem Hund einen Knochen hinwirft: Friss oder stirb. Auch wenn die jungen Leute phrasenhaft mit ihrer Suche nach Glauben oder Sinn umgehen, so wird das alleinige Hinwerfen von etwas Sinn-Gebendem sie so nicht erreichen. Und da wird die Situation schon beinahe kafkaesk in der Darstellung der Unmöglichkeit einander zu erreichen, miteinander ins Gespräch zu kommen.
Beide Seiten zeichnest du plakativ und setzt sie so der Kritik aus. Aber vielleicht war es ja genau das, was du beabsichtigtst. Ich weiß es nicht. Auf deine Antwort bin ich gespannt.
Ich wünsche dir ein schönes Wochenende
barnhelm