Der Anfang vom Ende
„Das ist der erste große Schritt, um das Fahrradfahren zu erlernen. Das ist gerade mal der Anfang und du weißt, dass du mich immer anrufen kannst?“, fragend blickte er mich an. „Ja, das weiß ich. Danke.“, ich nickte ihm zu, er nickte auch und streichelte kurz meinen Arm, während er weiterging. Dieser Mann wurde mir so wichtig, dass er immer mehr wie ein Vater wurde, den ich nie hatte. Und jetzt sollte ich alles andere und das wegwerfen, für einen Neuanfang, den ich verabscheue.
Ich blicke umher. Überall liegen sich die Menschen weinend und schluchzend in den Armen, es ist wirklich grausam. Doch es gibt einen Punkt, an dem man zu traurig ist, um zu weinen. Und genau diesen Punkt, kann man erreichen, indem man seinen gesamten Lebensinhalt einfach so ungewollt über Bord wirft.
Ich sehe jemand anderen – die Frau, die mir immer eine sehr wichtige Vertraute war. Wir haben vieles erlebt. Zielorientiert gehe ich auf sie zu, wende meinen Blick nicht von ihren Augen ab, ich kann nicht fassen, was gerade passiert. Auch sie hat Tränen in den Augen – kann es wirklich sein, dass ich die einzige Person bin, die nicht weint? Ich spreche lange mit ihr, zumindest kommt es mir lange vor. Diese Augenblicke zu durchleben ist ganz anders, als ich es mir jahrelang im Albtraum herbeigeträumt hatte. Obwohl es nur knapp 20 Grad sind ist mir schrecklich heiß. Andauernd geht mein Kreislauf in den Keller und ich muss mich immer wieder setzen. Wäre es denn so schlimm, umzukippen? Sie rät mir, mich auf die Treppe zu setzen und verspricht, gleich hinzuzukommen.
Schleppend bewege ich mich zur Treppe, lasse mich nieder, sehe dem Geschehen zu und kneife mich mehrmals. Alles ist so bewegend und undurchsichtig. Die Menschentraube löst sich auf und es bilden sich überall Ecken mit teilweise heulenden und teilweise lachenden Menschen. Jeder durchlebt dasselbe und doch ist es bei jedem anders. Alles ist so unwirklich und doch so erschreckend echt.
Da kommen sie, meine Freunde. Fragen, wie es mir geht, umarmen mich ununterbrochen. Jetzt bin ich anscheinend gut genug. Ich lehne wo es geht ab, vermeide Körperkontakt. Dieser Moment soll nur mir gehören, sie haben ihre eigenen Momente. Nachdem ich sie weggeschickt habe, kommt der Schmerz. Man sagt, die Zeit heile alle Wunden, jedoch kommen einem die Wunden zu Beginn stets zu riesig vor.
Meine Gedanken schweifen ab und ich suche sie. Menschenmassen - sie scheint verschwunden. Jeder Gang lässt mich aufschrecken, doch ihr Gang ist zu einzigartig, um ihn zu verwechseln. Und so sitze ich einfach dort und sehe, wie sich von Zeit zu Zeit alle verabschieden und die ersten bereits das Tor verlassen, ohne ein einziges Mal zurückzublicken. Meine Freunde sind schon weg, ohne dass sie sich verabschiedet haben. Niemand weiß, wann man sich wiedersieht und es scheint ein wenig an Bedeutung zu verlieren.
Die Frau kommt zurück zu mir und setzt sich neben mich. So lange haben wir wohl noch nie geredet und ehe ich mich versah, war fast der ganze Hof leer. Die Dame meiner Träume ist noch immer nicht zu sehen und langsam glaube ich, dass sie nur wegen mir gegangen ist. Doch ich werde nicht gehen, ich bleibe solange an diesem Ort, bis ich gezwungen werde, ihn zu verlassen. Trotzdem möchte ich aufstehen und mich lieber rein setzen.
Gerade will ich aufstehen, da zucke ich zusammen. Ich höre dieses vertraue Geräusch, das perfekte aufeinanderfolgen des Taktes hoher Schuhe und ich weiß, wer sich jetzt gerade in meiner Nähe befindet. Erschrocken blicke ich zu ihr, die Frau an meiner Seite tauscht mit ihr und mir die Blicke, streichelt mein Knie und geht die Türe rein, während mir die Dame immer näher kommt und mir kurz in die Augen sieht. Sie hält genau vor mir, weist mich an, aufzustehen und geht mit mir ein Stück. Wir schweigen. Vor dem Schulforum bleiben wir stehen. „Wir müssen reden.“, sagte sie. „Ich kann es nicht mit meinem Gewissen vereinbaren, dass meine Schülerin, die Gefühle für mich hat, jetzt einfach geht, ohne, dass sie noch einmal mit mir sprechen konnte.“