Was ist neu

Der Andere

Mitglied
Beitritt
06.01.2002
Beiträge
8

Der Andere

Den ganzen Tag schon taumelten satte Schneefloken hinab, fielen auf das Gras der Wiesen und bedeckten es ebenso wie die gewundenen Wege. Sie schufen auf diese Weise aus dem großen Park eine unendliche und konturenlose Weite, in deren Mitte Samuel alleine war. Mit dem Mädchen das er liebte war er seit langer Zeit befreundet, sie waren richtig zusammengewachsen, hatten sich dann irgendwann ineinander verliebt. Ève war seine einzige und einzig wahre Liebe, und Samuel hatte keinen Grund gehabt hierher zu kommen. Letzte Nacht hatten sie sich dann auf wunderbare Weise verbunden, doch ahnte er schon im Moment des größten Glücks die Vergänglichkeit. Spürte, wie sich seine Liebe unaufhaltsam in Angst verwandelte.
Die Angst trieb ihn hierher.

Etwas rötliches war allmählich sichtbar geworden. Es schien vielleicht fünfzig Meter entfernt unmittelbar im weißen Raum zu schweben. Samuel ging in diese Richtung und erkannte das Etwas aus der Nähe als simplen Stofffetzen. Obwohl es ununterbrochen schneite, lag auf dem Stückchen roten Gewebes keine einzige Flocke, mitten in ihr und dennoch von ihr entrückt lag es so in der Weite. Samuel nahm es nicht mit sich, bemerkte auch die deutlichen Fußspuren am Boden nicht.

Bis er Ève fand war sein Leben zwischen Buchstaben eingezwengt gewesen; dieses Mädchen hatte ihm endlich die Einsicht geschenkt, dass alle Bildung im Grunde fruchtlos, jeder Erfolg unsinnig, nur eine Ablenkung vom Leben an sich war. Um ihn aus sich Selbst zu retten war sie gekommen, wie ein Engel. Darauf zog er voller Freude und Dankbarkeit aus , diese Welt zu einer besseren zu machen, kam aber bald schon voller Ernüchterung zurück. Er hatte gesehen, dass den Menschen ihr schrecklicher Irrtum längst bekannt war und sie sich dennoch mit aller Kraft an ihm festkrallten, dass jeder Versuch sie davon zu lösen nur noch mehr Schmerz und Verwirrung zur Folge haben musste. Es war die inzwischen schon längst vorbeigezogene Parkbank gewesen, die ihn daran erinnerte. Dort hatte er mit Éve zusammengesessen und sein Leben bereits viele Male gelebt.
Die kahlen Äste eines alten, wettergeformten Baumes streckten sich zu einer Lessingbüste hin, wo Samuel kurz verblieb. Gestern noch hätte er sie andächtig bewundert, heute glotzten ihre toten Augen nur noch blöde in den Kosmos hinein. Glotzten hinüber zum blauen Fetzen, der vom Wind vorbeigeweht wurde. Er ging weiter, teilte durch seine Existenz den vorbeiströmenden Raum vor sich, und wusst ihn hinter sich wieder zusammenfließen. Er spürte dabei erstmals die Kälte und sein Verlorensein im Endlosen.

Bald hörte Samuel das sanfte Plätschern einer kleinen Quelle. Aus dem Leib der Erdenmutter floß klares Wasser hervor, von hier aus schien sich stets neues Leben aufzumachen, die Welt zu erfüllen. Aber in Wahrheit war das Wasser schon immer da. Ist immerzu auf seiner Reise vom Quellbecken zum Bach, zum Fluß und vom Ozean zum Himmel zurück, und von dort wieder hinunter zur Erde. Keine neue Schöpfung, keine wirkliche Bewegung. Dieses Wasser wird irgendwann wieder auf die selbe Weise in die Welt kommen, dieser Ort ist nur ein Teil seiner ständigen und sinnlosen Reise. Es ist Heimat für unzähliges Leben und trägt ebenso die toten Körper fort. Der Gott der diese Welt vielleicht einmal geschaffen hat musste ein melancholischer sein.

Ein Stückchen Grün wurde aus der Tiefe emporgehoben und vom Wasser weggetragen.

Samuel blickte auf und sah eine Menschengestalt verschwinden. Er dachte nun an diesem Ort nicht mehr alleine zu sein. Melancholie. Fragen. Worin unterscheiden sich Leben und Tod? Beginnt das Sterben und somit der Tod nicht bereits vor der Geburt. Sind denn Leben und Tod nicht beständig in allem Atmenden zugleich? Nur widerwillig wollte er die Luft seiner Lunge freigeben.

Er war hinunter zum Fluß gelangt, und dann dessen Lauf gefolgt. Da sah er die Gestalt wieder, in etwa zweihundert Metern Entfernung flußaufwärts. Der Bewegungsweise nach war es ein Mann. Recht klein, mit braunen Mantel und Hut bekleidet stand er direkt am Ufer, beugte sich ein wenig vor und lies etwas Gelbes auf die Wasseroberfläche fallen. Anschließend blickte er zu Samuel hinüber und winkte ihm mit dem Hut kurz zu.

Seine Erinnerung daran würde nach und nach vom Vergessen durchsetzt werden, würden die Bilder verändert und vertauscht werden. Hier und dort, vorher und danach, schwarz und weiß, Oben, Unten, der Andere – das konnte alles nicht wirklich, nur Teil seiner Selbst sein. Nur sein Verstand baut sich eine Welt absoluter Zustände, um alleine darin zu hausen. Aber es ist ein Bild, das nicht der Wirklichkeit entspricht. Alles ist zugleich, überall und nirgendwo. Nirgendwo in Raum und Zeit zu Hause.

Der Fluß gelangte zur Brücke. Früher gab es eine zweite, doch die war fortgespült worden. Auf ihr, sich auf das stromabwärts gelegene Geländer gestützt, stand der Mann. Samuel ging zu ihm und sah aus der Nähe, dass Hut wie Mantel aus unzähligen wild flatternden Stoffen verschiedenster Art zusammengesetzt waren, die erst durch Entfernung eine einheitliche Farbe und Gestalt annahmen. Das Wesen war ohne Hose und Schuhe, schien überhaupt unter dem merkwürdigem Gewand nackt zu sein. Samuel stellte sich zu ihm um sein Gesicht zu sehen, doch da war keines. Stattdessen sah er sich darin für einen Augenblick auf der steinernen Brücke stehen.

Die Erscheinung wandte sich ab und war bald am anderen Ende des Überganges. Samuel wird es ihm einmal gleich tun.

:rolleyes:

[Beitrag editiert von: nohome am 24.02.2002 um 21:29]

 

Besteht eigentlich eine Verbindung zwischen Anfang und Ende? Ansonsten, vom Stil her war es ziemlich gut, vielleicht etwas zu langatmig.
Sind die Namen eigentlich bewußt aus der Bibel genommen? Wenn, dann hilf mir mal auf die Sprünge, wo die Verbindung zwischen den Bibelgeschichten um Eva und um Samuel und deiner Geschichte ist.
Gruß, Zorenmaya

 

Hi, also erstmal Danke für deine wohlmeinende Kritik. Du hast mir nicht geschrieben, welche Stellen dir langatmig vorkamen, aber du hast sicher recht. "Der Andere" hab ich ehrlich gesagt nicht für den evtl. Leser, sondern für mich geschrieben.
Ich finde deine Frage interessant, muss dich aber leider enttäuschen: Eve (Eva) habe ich gewählt, weil das übersetzt "Leben" bedeutet; Samuel deswegen (ganz oberflächlich), weil dieser Name wie ich finde schön klingt. Die einzige Verbindung die ich sehe, ist, dass beide es nicht ganz so einfach haben. Darf ich fragen, ob du dich auch sonst für das Christentum, Bibel und so interessierst? ciao

 

Interessieren, könnte man so sagen. Schließlich muß man seine Feinde kennen :D
Ich finde es recht bescheuert, fünf oder sechs Sätze zu zitieren und dann zu sagen: da langweilig. Ich spreche lieber etwas allgemeiner. Am Anfang beschreibst du sehr ausführlich die Umgebung und irgendwann kommt dann eine Figur hinzu, irgendwann sogar eine Handlung, aber diese Abschnitte sind etwas zu lang geraten. Du beschreibst die Umgebung sehr gut, nicht daß hier irgendwelche Kritikpunkte wären. Aber es gibt da eine Art Formel: Wichtige Informationen sollten in einem überschaubaren Verhältnis zu den Randinformationen stehen. Das ist hier an einigen Stellen leider nicht.

 

Was hälst du für Randinformationen? Die Landschaft existiert hier nicht isoliert, sondern ist Ausdruck meiner "Botschaft" und zugleich Teil der Handlung - zumindest war das meine Absicht.

:teach:

[Beitrag editiert von: nohome am 01.03.2002 um 14:49]

 

Hups, dann ist mir beim Lesen was von der Absicht verloren gegangen, sorry. :sad:

[Beitrag editiert von: zorenmaya am 01.03.2002 um 18:39]

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom