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Der Alte
Dieser Raum war sein Lieblingsort. Hier war es warm. Ab und an lagen Wäschestücke herum, in denen man es sich gemütlich machen konnte. Der schwarze Kater saß auf dem Boden der Waschküche, und leckte eine seiner Pfoten. Er massierte mit den Ballen seiner Tatze das rechte Ohr. Es war sein Ritual, bevor er sich für etwa drei Stunden schlafen legen würde. Hier unten würde man seinen Schlaf nicht stören. Auch seine Familie wusste von dieser Eigenart. Absichtlich ließen sie ihm immer ein zwei Kleidungstücke liegen, damit der alte Kater sich dort hinein kuscheln konnte. Langsam fing er an sich zu strecken. Graziös wie ein Pfau macht er sich auf die Suche nach einem Schlafgemach. Er sah den Berg an Wäsche. Er roch seine Familie. Hier würde er nun schlafen. Er sprang in den Haufen und fing an mit seinen Pfoten sich in der Wäsche zu verkrallen. Dabei ließ er immer wieder ab. Er tippelte von der einen auf die andere Pfote, drehte sich nach links, tippelte, drehte sich nach rechts, bis die für ihn richtige Position gefunden war. Danach legte er sich ab und fing wieder mit seiner Körperpflege an. Dabei wurden seine Augen immer schwerer, bis er sie gänzlich schloss und in einen Traum zufallen schien. Man erkannte den Fellknäul nicht zwischen den anderen Kleidungsstücken. Nur sein Schnurren und Brummen war hin und wieder zu hören.
„Wo ist eigentlich der Alte?“, fragte der Mann seine Frau. „ Bestimmt liegt er wie immer im Keller“, bekam er zur Antwort. Sie mochte den Kater nicht sonderlich, seit er ihr auf ihr teuerstes Kleid ein kleines Geschenk gelegte hatte. Ein duftendes Packet voll mit Katzenscheisse lag damals mitten auf dem Cartier Kleid. Wenn man es genauer betrachtete, sah der Haufen recht provokant platziert aus. Als hätte er es extra gemacht. Von da an wurde er nicht mehr von ihr gestreichelt. Nur noch sein Futter füllte sie in seinen Napf. Sie hasste den Geruch. Aber sie würde nie ein Tier verhungern lassen oder ihm sonst irgendetwas antun. „ Kacke, Schatz hast du auf die Uhr geschaut?“ sagte der Mann. „Nein wieso, Mist der Termin auf der Bank, wie spät…Verdammt wir haben nur noch eine halbe Stunde, geh du in den Keller die Wäsche anstellen ich mach mich in der Zeit fertig. Bist du soweit bereit?“ sagte sie. Der Mann bejaht. Er ging in den Keller wie es die Frau von ihm wollte. Die zwei T-Shirts, die noch auf dem Boden lagen, schmiss er in einem Wurf in die Trommel der Maschine. Er drückte die Tür zu, bis der Verriegelungsmechanismus ausgelöst wurde. Er zog das Fach für das Waschmittel heraus. Er gab die ordnungsgemäße Menge an Waschpulver und Weichspüler hinein. Er schalte das Schonwaschprogramm dazu. So würde sie effizienter laufen. Es dauerte zwar länger, ab im Endeffekt spart man Energie und Wasser. Dann drückte er Start.
Sie lief ins Bad. Sie wusch sich schnell das Gesicht und legt neues Make-Up auf. Dezent aber trotzdem verführerisch. Nach der Katzenwäsche tauschte sie die Jogginghose gegen eine Jeans. Ihr Mann wartete bereits. „ Wir müssen los“ rief er. „Bin gleich fertig, hast du die Wäsche angestellt?“ „ Ja hab ich, jetzt mach, wir gehen im Auto noch mal alles durch.“ „ Bin ja, da bin ja da“ sagte sie im vorbeihuschen. Sie warf ihm die Autoschlüssel zu. „Du fährst!“
Während der Fahrt zur Bank wurde jede Einzelheit nochmal besprochen. Nichts durfte schiefgehen. Sie brauchten dringend diesen Kredit. Kurz bevor sie ankamen fragte die Frau: „ War der Alte eigentlich im Keller?“ „ Jetzt wo du es sagst, nein. Auf den Shirts lag er jedenfalls nicht. Bestimmt streunert er wieder ums Haus. Weiter geht er eh nicht mehr. Die Kinder werden ihn schon hineinlassen.“ sagte der Mann und parkte das Auto.
Die Trommel der Maschine setzte zum Schleudern an. Der Wäscheklumpen prallte dabei immer wieder an das Bullauge. Die ersten zwei Umläufe brauchte das Gerät, um das 1700-Umdrehungen-pro-Minute-Programm zu starten. Eine Gischt aus Schaumblasen wirbelte in der Kammer. Für eine kurze Zeit hielt die Masse aus Kleidungstücke zusammen. Ab und zu schien sie sich mit einem lauten Poltern bemerkbar machen zu wollen. Doch die Zentrifugalkraft beendete den Akt, in dem sie ihrem Namen alle Ehre machte und alles ihrem Gesetz gehorchen musste. Der Alte spürte die hektischen Bewegungen des Apparats. Er war gerade wieder in Tiefschlaf gesunken, als er von unangenehmen Rucken und Poltern aus diesem wieder hinaus gerissen wurde. Nirgends roch er noch seine Familie. Nur der Hauch von Waschmittel hing ihm in der Nase. Das war dem Kater zu viel. Er sprang von der Maschine, und schlenzte wieder durch die Katzenklappe nach draußen. Ein Schmetterling brauste ihm über die Ohren, als wolle er ihm sagen: „ Fang mich doch du Eierloch“. Als junger Kater hätte er es wahrscheinlich noch probiert. Aber das ist schon sehr lange her.