Der alte Mann
Neulich sprach mich ein alter Mann an, und fragte mich nach dem Weg in die Innenstadt.
Mit amerikanischem Akzent erzählte er mir, er sei vor dem Krieg hier aufgewachsen, dann seien seine Eltern in die USA ausgewandert, auch weil er in seiner Familie einen jüdischen Vorfahren besäße.
Heute sei er zurückgekommen, um noch einmal durch die Strassen der Stadt zu gehen, die ihm nur noch wage in Erinnerung blieb.
Doch dann gestikulierte er, ich verstand ihn recht schlecht.
Das Viertel in dem er aufwuchs wäre heute mehrheitlich von Türken und Jugoslawen bewohnt, die alten Kneipen und Wirtshäuser Thairestaurants oder Fitnesscenter, die Geschäfte genauso wie in Amerika, erzählte er mir, mit etwas wehleidigem Unterton.
Überhaupt schien ihm nur wenig übriggeblieben zu sein, von dem alten deutschen Charakter seiner Heimatstadt, der deutschen Gemütlichkeit, die er doch noch vermutete in dem Land seiner Herkunft.
Er erzählte mir, wie seine Freunde und er durch die Strassen zogen, unbeaufsichtigt von seinen Eltern, er erzählte mir vom Leben, von 10 köpfigen Familien, von Menschen die einander kannten und nicht fremd waren, von Zusammengehörigkeits- und Heimatgefühl.
Ich sagte ihm, ich könne diesen Charakter nicht nachvollziehen, da ich sehr jung sei, ich sagte ihm auch, heute ginge es nicht mehr um Heimat, sondern um Geld.
Der kalte Bürokomplex an der Ecke, ich zeigte mit dem Finger, ja dort arbeite ich.
Er verstand und wünschte mir noch einen guten Tag.
[Beitrag editiert von: brot am 08.02.2002 um 18:13]