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Der alte Mann und das Leben

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15.09.2003
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Der alte Mann und das Leben

Der alte Mann und das Leben:
(Er wußte, dass seine Zeit nun gekommen war, doch bevor er gehen sollte, hatte er noch eine letzte Frage an sein Leben.)

Er wußte, dass seine Zeit nun gekommen war.
Alle Freunde und Verwandten, die ihm wichtig waren, hatten ihn heute ein letztes Mal an seinem Bett besucht und hielten ängstlich und traurig, zitternd seine kalte Hand. Sie bemühten sich ihm nicht das Gefühl der Einsamkeit zu geben und doch wussten sie, dass dieser Besuch dem Abschied diente.
Bald wurde die Ungeduld des Lebendigen in ihnen größer, als ihre sich im Kreis drehenden Gedanken der Zuneigung zu ihm und so gingen sie mit gesenktem Kopf aus dem Zimmer und schlichen sich still vor dem Unveränderlichen davon. Nur seine geliebte Frau blieb und kniete weiterhin in unermüdlicher Geduld, müde und ausgelaugt vom Weinen, an seinem Bett. Vorsichtig lauschte sie seinem Herzschlag und suchte die Wärme seines Körpers in ihrem Gesicht. Dann stand sie auf und verließ benommen das Zimmer.
Beängstigende Ruhe trat ein.
Er war allein.
Der bleiche Mond schien sanft durch das Fenster auf sein Bett und erhellte den unteren Teil der dunklen Bettdecke und dahinter grinste ihn die Fratze des trüben Schattens eines Kleiderschrankes an, tief eingehüllt im Mantel der schweren Nacht. Schon lange verlieh das Wasser in seinen Lungen jedem seiner Atemzüge ein leises Blubbern, welches dem Rhythmus seiner Gedanken monoton folgte.
Wärme durchströmte seinen Körper und ein tiefes Gefühl von Geborgenheit in der großen Einheit strömte langsam durch seinen Geist und es begann, dass sich Freude über seine Angst legte. Er blickte auf seine Vergangenheit und als sich sein schmerzerfülltes Gesicht entspannte, begann er wieder zu Lächeln.

Und da sprach der alte Mann zu seinem Leben:
"Liebes Leben, ich möchte mich für die Zeit mit Dir bedanken.
Du warst mir ein ausgefülltes Leben.
Ich sah voller Verwunderung die Größe und Vielfalt Deiner vollen Gestalt.
Und so bin ich glücklich, weil ich Dich in Deiner vollen Gestalt erleben durfte
und ausgefüllt, weil Du mir ein ausgefülltes Leben warst.
Du hast Dich mir gegeben, damit ich ohne Leere sterben kann.
Ich bin bereit zu sterben, denn meine Seele ist randvoll des Lebens, das Du mir gabst.
Da ich nicht noch Mehr mitnehmen kann, als ich bereits von Dir bekommen habe, ist nun auch die Zeit gekommen, mich mit Deinen Geschenken auf den Weg zu machen.
Und so will ich dankbar Deine nützlichen Gaben mit mir nehmen, auf das ich gewappnet sei für das Leben, das da kommen wird und möchte mich von Dir verabschieden.

Doch bevor ich Dich verlasse, bitte ich Dich noch, mir eine letzte Frage zu beantworten, damit ich mein Glück verstehen kann, denn wenn ich auf unsere Zeit zurückblicke, so gab es doch auch genügend Gründe für mich, dieses Leben verbittert und unglücklich zu verlassen.
Nicht immer war die Zeit mit Dir schön.
Du gabst mir Zeiten des Unglücks und der Trauer, des Schmerzes und der Einsamkeit.
Und dennoch schaue ich voller Glück auf meine ausgefüllte Seele, über deren Rand das lebendige Leben geradezu herausschwappt.
Mein liebes Leben,
wie konntest Du mich nur so verzaubern,
dass ich mich jetzt glücklich und frohen Mutes auf den Weg machen kann und nur meine Liebe zu Dir, mich unsere Trennung schmerzen lässt?"

Da sprach das Leben zu dem alten Mann:
"Nur selten habe ich Dir etwas gegeben, mein alter Freund.
Ich bot Dir nur ein wenig Zeit, die Vielfalt zu erkennen, solange Du bei mir verweiltest.
Doch ich überließ Dir die Wahl, zu sehen und zu nehmen, was Dir für Deine nächste Reise wichtig erschien, auf das Du in Deinem Sinne ausreichend gewappnet seiest, für das Leben, das da kommen soll.
So zeigte ich Dir nicht nur das Glück, sondern auch das Unglück,
die Freude, wie auch den Schmerz
und den Mut, wie auch die Angst,
damit Du durch das Eine das Andere erkennen würdest,
damit Du Dich von dem Gedanken befreien würdest, der nichts als nur das Eine kannte,
damit Du aus der Vielfalt Deine Schöpfungskraft entwickeln würdest,
um mehr zu werden, als Du bist.
um gewappnet zu sein für das Leben danach, das für Dich da kommen sollte.

Doch zu viele arme Seelen, wenden ihre Blicke zu oft ab und haben nur den Blick für das Eine.
Und so finden sie keinen Mut, weil sie die Angst ignorieren
und finden nicht die Freude, weil sie den Schmerz ignorieren.
Und weil sie nichts sehen, wissen sie auch nicht, womit sie ihre Seele füllen sollen.
Und so verlassen sie mich wieder mit den gleichen leeren Seelen, mit denen sie gekommen sind.

Ich zeige Euch die Tiefen, damit Ihr auch die Höhen erkennen könnt, um Euch an ihnen zu erfreuen. Es liegt an Eurer Aufmerksamkeit, ob Ihr die Höhen und Tiefen von einander unterscheiden könnt.
So wird der Aufmerksame, zwischen der scheinbaren Monotonien des Gleichen, immerhin einige der Höhen und Tiefen zählen können und hat ein Leben, auf das er blicken kann.
Doch vor allem dem Leidenschaftlichen bleiben keine Höhen und Tiefen verschlossen und so ist seine Seele am schnellsten vom Leben erfüllt, dass da deutlich und intensiv ist.

Mein alter Freund,
es war Deine Liebe zu mir, die Dich sehen ließ
und das macht Dich so glücklich."


Und das Zimmer erhellte sich.
Frei und unbeschwert schwebten seine Blicke durch den Raum und fanden das vertraute Gesicht seiner Liebe, die nun, zum Abschied bereit, wieder an seinem Körper verweilte, seine Gedanken spürte und ihn voller trauriger Zuneigung mit ihren großen Augen aufmerksam beobachtete.


"Meine liebe Frau", sagte der alte Mann,
"Du kannst das Glück nicht festhalten.
Es ist ein Reisender genau so wie das Unglück, das Dich besucht und wieder verlässt.

Und so, wie es den Tag nur gibt, weil es die Nacht gibt,
gibt es die Freude nur, weil es den Schmerz gibt.

Und so wie die Mitte der Nacht, der Anfang des Tages ist,
folgt dem tiefsten Schmerz die wachsende Freude.

Und so, wie Du zwar weißt, dass Dir manch Schmerz erspart bleibt, wenn Du das Risiko scheust,
solltest Du auch wissen, dass Dir das Glück nicht in den Schoß fallen wird,
denn Du kannst nicht das Laufen erlernen, wenn Du Angst vor dem Stürzen hast.

Also treffe Deine Entscheidungen nie als Sklave Deiner Angst,
sondern als Gefährte Deines Verstandes,
denn wenn Du als Sklave der Angst vor dem Schmerz flüchtest, entgeht Dir das Glück.

Also wage zu suchen und Du wirst finden.
Findest Du Dein Glück,
so pflege es, damit es wächst.
Findest Du das vermeintliche Unglück,
verändere es, damit es den Raum nicht ausfüllt.
Findest Du das unvermeintliche Unglück,
ertrage es und suche das Glück.

Und wenn Dir die Kraft zum Suchen fehlt,
so gehe wenigsten vor Deine Tür,
damit das Glück Dich finden kann,
denn so wie die Sonne, die Du suchst, Dir entgegen kommt,
ist das Glück, das Du suchst, auch auf der Suche nach Dir.
Also gehe ins Freie, damit Du ihr Tageslicht empfangen kannst.

Halte nicht an Vergangenem fest,
sondern nehme es hin, als ein Teil Deiner selbst.
Und schenke Deine Aufmerksamkeit dem Jetzt,
denn die Kristallkugel Deiner Zukunft,
findest Du in den kleinen Dingen Deiner Gegenwart.
Irgendwo da Draußen liegt ein Geschenk für Dich,
siehe genau hin und wage es anzunehmen."


Und während ihn ein Licht der Geborgenheit einhüllte und ihm seine Großmutter die Hand reichte, schenkte ihm seine Frau das Tor zu ihrem Herzen und ihr Lächeln verschwand im Fluss der Farben.

 

Hallo David,

du hast wieder eine wahrhaft philosophische Geschichte geschrieben. Sie gefällt mir sehr gut. Manche Sätze habe ich mir aufgeschrieben. Ich werde sie immer wieder lesen, weil sie Wegweiser sein können, und sehr gut formuliert sind.

Einige kleine Dinge sind mir aufgefallen, die du verbessern könntest, um den guten Gesamteindruck abzurunden.

Die Kommasetzung ist manchmal falsch z.B. kommt zwischen traurig zitternd kein Komma. Mit der Groß- und Kleinschreibung bin ich auch nicht immer einverstanden z.B. "begann er zu lächeln". Buchstaben hast du auch manchmal vergessen z.B. lauschte, oder zu viele z.B. heißt es richtig "Gestalt".
Inhaltlich finde ich es manchmal zu übertrieben, z.B. warum lauschte sie "vorsichtig" seinem Herzschlag? Lauschen kann doch nicht weh tun, also warum sollte man vorsichtig lauschen? Und wie geht das, wenn man die Wärme seines Körpers in seinem eigenen Gesciht suchen soll? Und warum muss die Frau an seinem Bett knien?
Sehr poetisch finde ich den Schluss deiner Geschichte.

Insgesamt ist die Geschichte für mich eine sehr reife Leistung!

Herzliche Grüße! Marion

 
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Hallo Marion,

erst einmal vielen Dank.
Ich fühle mich sehr geehrt von Dir. :)


Einige kleine Dinge sind mir aufgefallen, die du verbessern könntest, um den guten Gesamteindruck abzurunden.
Die Kommasetzung ist manchmal falsch z.B. kommt zwischen traurig zitternd kein Komma.
Ja, ich weiß was Du meinst. Ich habe da auch schon drüber nachgedacht. Es geht um diesen Teil eines Satzes:
"...und hielten ängstlich und traurig, zitternd seine kalte Hand."
Wenn ich das Komma zwischen "traurig" und "zitternd" entferne, würde das bedeuten, das Zittern wäre traurig.
Doch so ist es nicht gemeint. Gemeint ist:
... die Personen sind ängstlich und traurig und halten zitternd seine kalte Hand.


Mit der Groß- und Kleinschreibung bin ich auch nicht immer einverstanden z.B. "begann er zu lächeln".
"Lächeln"? Ja, tatsächlich? Es heißt doch nicht zu dem Lächeln...Hm...interessant. Muß ich mal nachschauen. Danke


Buchstaben hast du auch manchmal vergessen z.B. lauschte, oder zu viele z.B. heißt es richtig "Gestalt".
Oh ja. Danke.
...lustig, daß Rechtschreibprogramm hält unsinniger Weise beide Schreibweisen für korrekt...

Inhaltlich finde ich es manchmal zu übertrieben, z.B. warum lauschte sie "vorsichtig" seinem Herzschlag? Lauschen kann doch nicht weh tun, also warum sollte man vorsichtig lauschen?
Hm...
"Lauschen" stelle ich mir, im Gegensatz zum "Hören", in Verbindung mit einer Bewegung vor. Also z.B. ein nach Vorne stellen der Ohren einer Katze oder ein nach Vorne beugen und Ausrichten eines Ohres zur Wand, um besser durch sie hindurchhören zu können.
In dieser Geschichte impliziere ich ein Verhalten der Frau, die sich nach vorne beugt, um dicht über dem Oberkörper ihres Mannes in der Lage zu sein, den Herzschlag hören zu können. Sie nähert sich ihm also so dicht es geht, ohne ihn mit einer Berührung Schmerzen zufügen zu wollen. (Todkranke Menschen, wenn sie z.B. Krebs haben, sind häufig nicht ohne Schmerzen und reagieren an manchen Stellen bereits bei leichter Berührung sehr empfindlich.) Insofern sprach ich von einem "vorsichtigen Lauschen".

Und wie geht das, wenn man die Wärme seines Körpers in seinem eigenen Gesciht suchen soll?
Das ergibt sich somit aus der obigen Erklärung. Halte einfach Dein Gesicht dicht über den Körper eines Menschen und du kannst seine Körperwärme in deinem Gesicht spühren. Gerade, wenn eine dir nahestehende Person im Sterben liegt, suchst Du regelrecht nach seiner Körperwärme, einmal, um dich von seiner Lebendigkeit zu überzeugen und weil dir dieser vertraute Lebensbeweis ein beruhigender Trost ist.
Der Schrecken kommt, wenn der Atem aufhört, du das Herz nicht mehr hören kannst und die Körpertemperatur sinkt (auch wenn das etwas dauert).

Und warum muss die Frau an seinem Bett knien?
...ist dann wohl auch klar.
Übrigens, viele knien am Bett ihres Geliebten, wenn er stirbt. Wenn Du alleine mit ihm bist, suchst Du bei diesem Abschied sehr extrem seine Nähe, du bist müde und in dieser seltsam stillen, ehrfurchtsvollen und spirituellen Situation unterwirfst du dich auf Knien der göttlichen Fügung ohne auch nur einen lächerlichen Gedanken an Stolz und Erhabenheit zu verschwenden.

Sehr poetisch finde ich den Schluss deiner Geschichte.
Insgesamt ist die Geschichte für mich eine sehr reife Leistung!

Vielen Dank für Dein Lob und Deine Kritik.
Mit lieben Gruß zurück

David

 

Lieber David,

ich freue mich, dass du mir so ausführlich deine Intentionen geschildert hast, jetzt verstehe ich deine Gedanken noch besser. Besonders gefällt mir der letzte Abschnitt, als das Leben spricht.

Fallen dir solche Worte einfach so ein, oder hast du Philosophie studiert, oder bist du durch Literatur angeregt?

Auch wenn du mich vielleicht für kleinlich hälst, nur zwei Dinge die ich ändern würde: "Meine liebe Frau...", da ist meiner Meinung nach das liebe ein Adjektiv zu der Frau.

An einer anderen Stelle sprichst du von unvermeintlichen Unglück, heißt das nicht unvermeidliches Unglück?

Aber wie gesagt, ich finde deine Geschichte fabelhaft.

Herzliche Grüße! Marion

 
Zuletzt bearbeitet:

Geschrieben von Marion Reich
Lieber David,

ich freue mich, dass du mir so ausführlich deine Intentionen geschildert hast, jetzt verstehe ich deine Gedanken noch besser. Besonders gefällt mir der letzte Abschnitt, als das Leben spricht.


Danke :)

Fallen dir solche Worte einfach so ein, oder hast du Philosophie studiert, oder bist du durch Literatur angeregt?

Ich habe nicht Philosophie studiert und bin in dieser Hinsicht, glaube ich, nicht durch Literatur angeregt worden, - eher durch das Leben, meinem Studium, meiner wissenschaftlichen Arbeit und Forschung. Hm... in diesem Bereich habe ich natürlich schon Literatur gelesen. Ich habe jedoch vor allem bestimmte eigene Erfahrungen gemacht, bestimmte Erkenntnisse gesammelt und bin dadurch auf ein neues Weltbild gestoßen, welches gesellschaftliche, technische, naturwissenschaftliche und religiöse Aspekte verbindet. Ich glaube, wir benötigen ein Umdenken und ein neues Bewustsein. Das, was ich noch sagen möchte, ist jedoch nur schwer zu erklären und kaum einer wird es hören wollen. Ich hatte aus diesem Grund ein theoretisches Modell entwickelt, eine Softwarefirma gegründet und den Bau einer Maschine initiiert, die durch ihre kommerzielle Nutzung von menschlichem Wissen ganz nebenbei über die hierfür benötigten symbiotischen Zusammenhänge informiert. So hoffte ich, daß langfristig egoistische Verhaltensmuster in ein kollektives Motivationsverhalten umschlagen könnte, doch das Projekt blieb bisher in Zwischenprodukten stecken, im Kern unverstanden und provozierte Widerstand. Und wenn Macht und Geld ins Spiel kommen drohen Ziele verloren zu gehen ...(wenn etwas zum Selbstläufer wird, entzieht es sich schnell dem Ziel der Vision)

Auch wenn du mich vielleicht für kleinlich hälst, nur zwei Dinge die ich ändern würde: "Meine liebe Frau...", da ist meiner Meinung nach das liebe ein Adjektiv zu der Frau.

stimmt. Danke

An einer anderen Stelle sprichst du von unvermeintlichen Unglück, heißt das nicht unvermeidliches Unglück?

hm...wo denn?


Danke noch einmal
David

 

...Findest du das unvermeidliche Unglück...ziemlich am Schluss deines Textes.

Interessant, was du da schreibst. Aber ich kann mir so eine Maschine gar nicht vorstellen.

Ich habe auch die Erfahrung gemacht, und mache sie immer wieder, dass Weiterentwicklungen gängiger Theorien auf Widerstände stoßen. Manchmal meint man schier daran zu verzweifeln. Kurz, ich schreibe an meiner Dissertation.

Erstaunlich, auf was für Ideen du kommst.
Ich bin schon gespannt auf weitere philosphische Gedanken von dir.

Deine erste Geschichte (Beziehungsform) hat übrigens auch meine Freundin begeistert.

Also weiter so!

Viele Grüße! Marion

 

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