Der alte König
Der alte König
Als der König alt geworden war und er spürte, dass sein Ende bald nahte, wurde er sehr traurig. „Wer wird sich in fernen Zeiten noch an mich erinnern“, sprach er zu sich, „wenn mein Name erst im Gedächtnis des Volkes ausgelöscht ist und neue Herrscher bejubelt werden?“
Da kam ihm eine Idee und er rief alle Berater zu sich. „Hört, was mein Beschluß sein soll. Zum Wohle des Staates und zur Festigung seiner Macht werde ich Euch ein letzte Mal in eine große Schlacht führen, damit mein Land das Stärkste auf Erden werde und meine Herrschaft die glorreichste aller Zeiten.“
Seine Berater waren begeistert und bald fertigten die obersten Generäle großartige Schlachtpläne an und malten zukünftige Fronten auf ihre alten Landkarten. Jede Woche fand in der Hauptstadt eine Militärparade statt, auf der die neusten Errungenschaften der königlichen Armee vorgeführt wurden. Das Volk jubelte den Soldaten zu, die stolz durch die Straßen marschierten, hatten sie doch in allen Zeitungen gelesen, dass die Nachbarländer dem König nicht mehr wohlgesonnen seien und ein Krieg daher unvermeidlich.
Bald schon kam der Tag, an dem von den ersten Scharmützeln an den Landesgrenzen die Rede war. Der König in seiner Galauniform trat auf den Balkon seines Schlosses und rief die Soldaten zum Kriege auf. Als er jedoch seinen Stallburschen zu sich beordern wollte, näherten sich ihm die ältesten und angesehensten Mitglieder seines Kabinetts.
„Hohe und allergnädigste Majestät,“ sprachen sie ihn unterwürfig an, „wir haben vernommen, dass Ihr die Soldaten ein letztes Mal persönlich in die Schlacht führen wollt. Nichts wäre für unser Volk so glorreich und für unsere Soldaten so ermutigend wie Eure hoheitliche Anwesenheit auf dem Schlachtfeld. Doch bedenkt, dass die Zahl der Feinde unüberschaubar und Eure Sicherheit an der Front nicht zu gewährleisten ist. Wie leicht könnte Euch eine verirrte Kugel verwunden, ein feiger Heckenschütze dem Land das Wertvollste nehmen, was es besitzt. Wir flehen Euch daher an, nicht auf das Schlachtfeld mitzuziehen.“
Der König, der diese Worte mit einem zwiespältigen Gefühl vernahm, überlegte einige Zeit, bedachte die Freude, die er in jungen Jahren auf dem Schlachtfeld empfunden hatte, bedachte die Schmerzen, die er nun jeden Morgen beim Aufstehen verspürte und die Unbequemlichkeiten, die ein solches Feldlager in seinem Alter mit sich bringen würden, dann antwortete er: „Ihr habt wohl recht damit, dass der Feind um meine Bedeutung für diesen Krieg weiß und mir nach dem Leben trachten würde. Was schlagt ihr also vor?“
Die Berater verbeugten sich mehrfach, dann flüsterten sie: „Wir werden Euch an einen sicheren und geheimen Ort bringen, an dem Euch niemand vermutet. Wie Ihr wisst, befindet sich vier Tagesmärsche von hier eine Festung in den Bergen. Dorthin wollen wir Euch geleiten.“
Der König war einverstanden und all seine Verwandten und Hofbediensteten folgten ihm auf die geheime Festung. In den untersten Kellergewölben richtete man, so schnell dies möglich war, bequeme Zimmer für sie ein. Einmal in der Woche besuchten ihn seine Berater und obersten Generäle, legten riesige Landkarten vor ihm aus und berichteten stolz über die Siege, die sie zwischenzeitlich errungen hätten und die Schwierigkeiten, die an anderen Frontabschnitten aufgetreten seien. Der König hörte ihnen begierig und aufgeregt zu und in seinem Innern sah er die Schlachten vor sich, roch den Pulverdampf und hörte die Schreie der Verwunderten. Dann lächelte er zufrieden. So ging es nun wochen- und monatelang und der König schritt jeden Abend zum Kartenraum, betrachtete glücklich die Landgewinne, die man ihm eingezeichnet hatte und verschob in Gedanken große Armeen zu den Stellen, die heftigst umkämpft waren.
Eines Tages jedoch erfasste ihn Unzufriedenheit und er fragte seine Berater, wann denn nun endlich der Krieg gewonnen sei und er auf sein Schloss zurückkehren dürfe. Die Berater antworteten: „Trotz aller Siege ist ein Ende des Krieges noch nicht absehbar, denn die Feinde haben andere Länder um Hilfe gebeten und entwickeln neue, barbarische Waffen. In ihrer tiefsten Verzweiflung haben sie Spione und Mörder in unser Land geschickt, die auf der Suche nach Eurer Majestät sind. Denn der Feind weiß genau, dass er nur Euch töten muss, um unser Volk in tiefstes Entsetzen zu stürzen und unsere tapfer kämpfenden Soldaten zu entmutigen. Nur hier in der Festung seid Ihr und Eure Familie wirklich sicher. So bitten wir Euch, noch ein wenig Geduld zu haben, bis der endgültige Sieg unser ist.“ Der König nickte zufrieden und träumte weiter von den fernen Schlachten.
Seine weisen Berater und umsichtigen Generäle jedoch ritten zurück in die Hauptstadt, die vollkommen friedlich dalag, durch ein Reich, welches nie diesen Krieg erlebt hatte, und berichteten dem neuen, friedliebenden König, den man gleich nach der Abreise des alten Herrschers ins Land gebeten hatte, was sie dem alten König erzählt hatten. Und der neue König lachte herzlich über ihre erfundenen Kriegsgeschichten.