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Der Alltag zieht Fäden

Ray

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23.09.2001
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Der Alltag zieht Fäden

(Hallo Ihr Lieben! Dieser Titel - Mein erster außerhalb von "Seltsam" ist gar nicht von mir, sondern von meiner Freundin Katja.)

Von der Arbeit zur Uni gehetzt und doch war alles umsonst gewesen. Pochende Kopfschmerzen machten sich breit und übertönten die geistigen Selbstgespräche. Was hatte SIE auch erwartet? Daß sie die Muse küßte und alles gut würde, nur vom Rumstarren??? Irgendwie war ihr schon wieder alles zuviel und eigentlich wollte sie nur noch erschöpft ins Bett fallen, zwang sich aber wach zu bleiben. Vielleicht liefen ja Zeichentrick- Serien? Aber um diese Uhrzeit wurde sie leider nur von Richtersendungen bemüllt, die gut zu ihrem geistigen Zustand paßten. Warum konnte in solchen Situationen nicht irgendwer anrufen? Ein guter Freund oder zumindest jemand, den sie aus der Grundschule kennt und zufällig ihre Nummer gefunden hat? Die Stadtwerke? Irgendwer?

Schon wieder zum Zahnarzt… ER hatte Angst, nein natürlich nicht richtig Angst, er ist ja ein Mann. Aber mulmig war ihm halt. Was sie wohl gerade machte? Wenn er an sie dachte, ging es ihm schon ein bißchen besser, oder er bildete sich das zumindest ein. Ob sie ihm was Nettes sagen würde, um die Zeit im Wartezimmer zu verschönen? Er wählte ihre Nummer…

Das Telefon klingelte, als SIE gerade auf dem Klo hockte und sich die Micky Maus zum zweiten Mal reinzog. Eigentlich sollte sie einen mittelhochdeutschen Text lesen, aber zu soviel Arbeit war ihr lädierter Kopf nicht mehr imstande.

Hmm, wo sie wohl stecken könnte? Die arme Maus war wahrscheinlich noch in der Uni. ER überlegte sich, was ganz Besonderes für sie zu machen. Was Nettes zu kochen? Aber er würde abends wahrscheinlich eh noch nichts essen können. Einen romantischen Abend mit Kerzenlicht und Rosenblättern auf dem Bett? Moment!!! Er sollte aufhören in den Frauenzeitschriften zu lesen, die hier rumlagen. Rosenblätter… Die Idee schien IHM immer absurder. Aber naja, so eine rote Rose könnte er schon mitbringen.

SIE erhob sich gerade von der Kloschüssel, die einen roten Rand an ihrem Hintern hinterließ. Schnell zog sie die Hose hoch, bevor ihr Blick den Spiegel streifte. Den Anblick ihres pickeligen Fettarsches konnte sie nun echt nicht ertragen. Komisch, daß er sich anscheinend tatsächlich nicht daran störte. Er mußte wohl blind sein!

Oh Gott! War das eben SEIN Name? Hoffentlich eine Verwechslung! Nein, die Sprechstundenhilfe kam schon ziemlich gereizt auf ihn zu und forderte ihn recht unsanft auf, endlich aufzustehen. Blöde Kuh! Der würde er die Meinung sagen, wenn er wollte! Wollte er aber nicht, oder besser: konnte er nicht: seine Zähne klebten vor Angst aneinander fest und sein Mund ließ sich nicht mehr öffnen.

Wie gern wäre SIE jetzt in seinem Arm gelegen, hätte Musik gehört und sich selbst bemitleidet. Sie rang sich durch ihn anzurufen.

ER lag auf dem Stuhl, während ihm der Arzt irgendwas sagte. Was, wußte er nicht, weil er sich darauf konzentrieren mußte, von dessen Mundgeruch nicht aus den Latschen zu kippen.
Ihm wurde immer schwummeriger, als er jäh zurückgeholt wurde: vom Vibrieren seiner Hose.
Vielleicht sollte er an sein Handy gehen, vielleicht war es ein Notfall, vielleicht ging es IHR nicht gut!

Was sollte SIE bloß mit ihrer Zeit anfangen? Der Fernseher machte sie wahnsinnig, und zum Lesen schmerzten ihre Augen zu sehr. Wenn er bloß schon hier wäre… Mit ihm rumzuhängen machte Spaß. Alleine war es bloß Zeitverschwendung. Sie beschloß sich eine Flasche Rotwein zu holen. Und machte sich auf, in den Keller zu gehen.

Endlich hatte ER es hinter sich. Alles tat ihm weh und er wollte nur noch in ihren Armen liegen und alles vergessen! Ob sie jetzt da war? Er drückte die Wahlwiederholung.

Als SIE sich endlich entschieden hatte, welchen Wein sie sich runterkippen wollte, hörte sie das Telefon. Sie schnappte sich die Flasche, rannte die Treppe hoch, stolperte und krallte sich beim Fallen auf ihre Knie an die Flasche, die auch tatsächlich ganz blieb. Nur alles andere fühlte sich an, als wäre es zerbrochen. Und den Anruf erwischte sie natürlich nicht mehr.

ER setzte sich ins Auto und bemerkte, daß er schleunigst tanken sollte. Kurz drauf war der Tank voll und sein Geldbeutel leer und auch der Geldautomat verweigerte ihm jegliche Chance auf die Rose. Aber wer brauchte die schon? War ja eh nur unsinniger Kitsch, den sich die Floristen ausgedacht hatten.

Der Wein machte SIE müde und aufgekratzt zugleich. Sie vermißte ihn immer mehr. Nachdem sie die Flasche geleert hatte, zog sie sich noch Quiz- Shows rein, schrie die Leute im Fernsehen an und lachte sich halb tot, warum wußte sie nicht. War aber auch nicht wichtig. Hatte ja außer ihr eh keiner mitgekriegt.

Auf der Bundesstraße war natürlich wieder Stau, weil alle Lkws immer nur dann unterwegs waren, wenn ER es auch gerade war. Und sein kleines Auto weigerte sich zu überholen. Langsam machten sich pochende Kopfschmerzen bei ihm breit. Was hatte er auch erwartet? Daß alles gut werden würde, nur weil er zu ihr fahren würde? Und sie dachte wahrscheinlich eh nicht an ihn und hatte ihren Spaß.

Zum ersten Mal war IHR der Pudding beim Kochen nicht angebrannt und sie löffelte ihn glücklich in sich hinein. Sie merkte nicht mal, daß sie sich beim Lachen bekleckerte. Aber es hätte keinen Unterschied gemacht: keiner hatte sie gesehen.

Vor ihrer Wohnung fand ER keinen Parkplatz. Entnervt stellte er sein Auto in irgendeiner Seitenstraße ab. Für den kleinen Marsch zu ihr, wollte er sich noch schnell eine Zigarette anzünden, um sich von der Kälte abzulenken. Seine Jacke lag bei sich im Warmen. Gut gemacht, fluchte er, als in dem Moment ein Auto neben ihm durch eine Pfütze fuhr und seine Kleider, seine Zigaretten und alles was ihm gerade wichtig erschien, durchnäßte.
So eine Scheiße!

SIE hoffte, er würde bald kommen und mit ihr lachen. Oder sie hätte ihn ja auch mit Pudding füttern oder denselben von ihm essen können…

Endlich hatte ER ihre Wohnung erreicht, schloß die Tür auf… Und sah sie lachen… Über ihn? Jetzt reichte es ihm vollkommen: Er raunte ihr noch ein ”Gute Nacht mir langt’s!” zu und verschwand ins Bett.

Gerade machte der Showmaster einen so blöden Witz, daß SIE losprustete und Pudding auf dem Tisch verteilte, als er hereinkam. Jämmerlich sah er aus und benahm sich auch so. Sollte sie ihm nachgehen und fragen was los war? Aber ihr wurde klar, daß er wohl den ganzen Tag nicht an sie gedacht haben konnte, wenn er sie nicht einmal grüßte. Vielleicht war er wohl doch nicht der Richtige für sie?

Da lag ER nun allein im Bett. Sie interessierte sich anscheinend überhaupt nicht für ihn. Dabei hatte er ihr sogar noch eine Rose schenken wollen. Aber die Zicke konnte ihm gestohlen bleiben.

 

Hallo Ray!

von wem auch immer diese Geschichte ist... ich finde sie absolut gelungen.
Zuerst, den ganzen Tag lan, Gedanken auf beiden Seiten, seine und ihre, ihre Zuneigung, ja Sehnsucht. Das gegenseitige Verpassen der Anrufe. Die Langeweile bei ihr, Zahnarzt bei ihm, jeder hat einen schlechten Tag, nur die Gedanken hellen den Tag auf. Und dann kommt er heim, ein blödes Missvertändnis, Wortlosigkeit, Resignation, Unglück für beide. So schnell kann es gehen!!
NAchvollziehbar für mich, flüssig geschriebn, guter Perspektivenwechsel. :)

" nur vom Rumstarren??? " eins von den Dingern reicht normalerweise ;), sonst ist mir so beim Lesen nichst augefallen...

schöne Grüße an Euch beide, Anne :)

 

Hallo Ray,

ich schließ mich der Maus gerne an. Deine Geschichte hat mir gefallen. Das Thema und deren Umsetzung sind dir gelungen. Ich finde deinen Erzählstil schön knapp und schnörkellos, er paßt im übrigen exakt zu dem Thema, denn hätten sich beide mehr Zeit, nein, hätten sie sich überhaupt Zeit für einander genommen und einander ehrlich gefragt, wie so der Tag war und sich auch zugewandt zugehört, dann...ja dann...
Du beschreibst wunderbar lakonisch, wie Mißverständnisse entstehen, wie sie ihren fatalen Anfang nehmen.
Und nun zu der Überschrift, die offensichtlich nicht aus deiner Feder stammt: endlich mal eine Überschrift, die interessant klingt, bedeutungsvoll wirkt.
Nur kann ich mir beim besten Willen keine Verbindung zwischen Fäden und der Geschichte vorstellen. Fäden haben was Verbindendes, gerade in deiner Geschichte aber nicht. Fäden haben etwas Hemmendes, wenn sie wie Stolperlinien gespannt sind. Soll das damit gemeint sein?
Aber, nicht dass das untergeht: mir ist hundertmal eine Überschrift, die derartige Gedanken bei mir auslöst, lieber als eine schlichte überschrift, die nichts aussagt.

Lieben Gruß
lakita

 

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