Der Alchimist und die Ratten oder die Katze im Sack
Es war einmal... Nun, ja, eigentlich nicht, aber es hätte gewesen sein können, oder?... Also. Es war vielleicht einmal vor langer Zeit in einer weit, weit entfernten Galaxis... Stop! Falscher Film. ... Nächster Versuch.- Es war möglicherweise einmal ein Königreich, mit einem König und natürlich dem dazu gehörigen Schloß drin. In dem Schloß gab es viele Räume (Wer hätte das gedacht?). Einer von ihnen war vom Hofalchimisten bevölkert, und zwar der Raum im ersten Untergeschoß, gleich über den Kerkern, Hauptkorridor zweite Tür links, wenn man von rechts kommt, oder achte Tür rechts, wenn man von links kommt, wobei es darauf ankommt, wo links und rechts ist. Ist links beispielsweise Norden, geht es gar nicht, denn der Gang führt von Ost nach West. Ist links aber Osten, ist links nicht links, sondern rechts, und rechts ist links. Wenn man jetzt allerdings noch die Relativität der Zeit mit ins Spiel bringt und sich den Raum mit beinahe Lichtgeschwindigkeit fortbewegen denkt, dann... ja, dann... genau. Verstanden?
Auf jeden Fall war der Hofalchimist ein sehr intelligenter Mann, der wie jeder vernünftige Hofalchimist sein Leben damit verbrachte, die königlichen Forschungsgelder zu verschleudern, um eine Methode zu finden, mit der man Blei in Gold verwandeln konnte. Er handelte nur äußerst überlegt. So war sein Schrank immer mit einem ausreichenden Vorrat an Blei, Schlangenaugen, Fliegenbeinen und Molchen gefüllt. Jeden Morgen, wenn er die vor seiner Tür liegende Tageszeitung holen wollte, dachte er ausgiebig darüber nach, ob er einen Schal umbinden sollte, denn auf dem Korridor war es kühl, oder ob es warm genug war, um die Zeitung ohne Schal zu holen. Nachdem er eine halbe Stunde überlegt hatte, hörte er immer, wie sich Schritte schnell näherten, wie jemand die Zeitung aufhob und im Laufschritt wieder verschwand. Es war jeden morgen das gleiche und der Alchimist vermutete, daß es sich immer um die selbe Person handelte. Er hatte schon daran gedacht, dem Dieb aufzulauern und ihn zur Rede zu stellen. Doch immerhin schaffte diese besagte Person jeden Morgen das schwierige Problem mit dem Schal für ihn aus der Welt, und wenn er sich schließlich doch dazu durchgerungen hatte, diese Person zu entlarven, konnte er sich nicht entscheiden, ob er sich hinter der Bodenpflanze im Korridor verstecken oder einfach die Tür aufreißen sollte, sobald sich die Schritte näherten. Schließlich hatte der Dieb wieder seine Zeitung entwendet, und der Alchimist dankte im auch noch dafür, daß der Dieb ihm auch diese Entscheidung abgenommen hatte.
Da sich das Zimmer des Alchimisten direkt über dem Kerker befand, hatte es einen entscheidenden Nachteil: Ratten, eine Plage die mit der Zeit immer schlimmer wurde. Die kleinen Tierchen hinderten den Alchimisten entscheidend bei seiner Arbeit. Es ist nicht gerade günstig, wenn man gerade Nitroglyzerin in ein Reagenzglas umschüttet und plötzlich auf den Hocker springen muß, weil gerade ein Fellknäuel mit langen kahlen Schwanz quer durch den Raum wuselt. Die Rattenplage wurde nach einem halben Jahr schließlich so schlimm, daß der Alchimist Tage lang auf seinem Hocker zubringen mußte und sich schließlich schweren Herzens dazu entschloß, eine Katze im fünfzehn Kilometer entfernten Dorf zu kaufen.
Der Hofalchimist brauchte noch zwei weitere Tage für die Entscheidung, ob er reiten oder zu Fuß gehen sollte. Ein Pferd war zwar schneller, aber man konnte leicht herunterfallen, während er zu Fuß mehr Zeit brauchte. So befand der Alchimist, daß das Risiko, vom Pferd zu fallen, zu groß war und lief die fünfzehn Kilometer bis ins Dorf. Als er dort ankam schmerzten ihm die Füße, aber er war froh, daß er unterwegs nicht gestolpert war.
Im Dorf gab es nur eine Tierhandlung, dessen Besitzer ein beleibter Mann war, der sich seiner Monopolstellung im Dorf wohl bewußt war. Deshalb verzichtete er darauf, dem Hofalchimisten freundlich zuzulächeln und ihn zu begrüßen, sondern er ließ ein donnerndes "Was wollen Sie?" auf seinen neuen Kunden niederprasseln. "Ich brauche eine Katze", antwortete der Alchimist. Der Ladenbesitzer schaute ihn darauf kurz dämlich an, als würde er nicht begreifen, was dieser gesagt hatte, und meinte dann, daß alle Katzen ausverkauft wären, bis auf ein Exemplar. Der Besitzer holte einen zerfledderten Sack unterm Tresen hervor. Der Sack miaute.
"Das macht zwei Goldstücke", teilte der Besitzer mit und streckte beinahe gelangweilt wirkend sein Hand aus. Der Sack fauchte
"Nein. Nein. Nein. So geht das nicht", wehrte der Alchimist ab, "Meinen Sie etwa ich kaufe die Katze im Sack? Zeigen Sie mir erst das Vieh!"
"Tut mir leid. Das ist ein wildes Miststück. Ich gehe das Risiko lieber nicht ein, es daraus zu lassen." Der Besitzer öffnete den Sack zur Demonstration etwas. Sofort schnellte eine mit langen, scharfen Krallen bestückte Pfote heraus und riß den Ärmel der Robe des Besitzers in Fetzen. Schnell verschnürte dieser den Sack wieder. "Wollen Sie die Katze nun kaufen oder nicht?", setzte er hinzu. Der Sack fauchte erneut.
"Na, schön", lenkte der Alchimist ein, "Aber dann senken Sie wenigstens den Preis?"
Der Besitzer antwortete nicht. Er sah den Alchimisten nur stumm an. Der Sack schnurrte vor sich hin.
Nach einer Weile sagte der Alchimist schließlich: "In Ordnung. Ich werde noch eine Nacht darüber schlafen und komme dann wieder."
Der Besitzer gähnte ohne sich den Mund zuzuhalten. "Wie Sie wollen."
Bruchteile von Sekunden später flog die Tür auf und der Hofnarr des Königreichs kam herein gehüpft. Er wohnte im Nachbarzimmer des Alchimisten und war aus dem selben Beweggrund hier wie der Alchimist - er war ein weiteres Opfer der Rattenplage. Der Narr trug einen Hut mit drei Zipfeln, an denen silberne Schellen hingen. Als er dem Besitzer freundlich zunickte, klingelten die Schellen. Der Hofnarr drehte sich sofort verwundert um und suchte nach der Geräuschquelle. 'Oh, Gott. Ist er dämlich', dachte der Hofalchimist und schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn.
Er mochte dumme Menschen nicht. Sie handelten zu unüberlegt, zu spontan. Sie waren nicht einmal dazu fähig, genauer darüber nachzudenken, was sie taten. Sie handelten einfach nach ihren Instinkten. Und was der Alchimist am schlimmsten fand, sie kamen damit durch, sie hatten das Glück der Dummen. Daß der Hofnarr sein Nachbar war, machte ihn für den Alchimisten auch nicht sympathischer. Eigentlich war er es gewohnt, daß solche Kreaturen neben ihm wohnten. Kein vernünftiger Mensch, dessen IQ den eines Hundes überschritt, zog neben einem Raum ein, der jeden Moment in die Luft gehen konnte.
Trotzdem hinderte diese Tatsache den Alchimisten nicht daran zu versuchen, diese Nachbarn unter Hilfenahme recht unorthodoxer Mittel zu vertreiben. Der Hofnarr war nun schon der fünfte, dafür aber ein besonders extremer Fall, bei dem bisher alles versagt hatte. So hatte der Alchimist eine giftige Schlange in seinem Raum ausgesetzt. Doch der Narr hatte sie für einen Strick gehalten und sie zusammengeknotet. Das arme Tier hatte jämmerlich geschrieen. Der Alchimist hatte nie geglaubt, daß Schlangen schreien konnten, aber er hatte auch noch nie erlebt, wie man sie zusammenknotete.
Dann hatte er zwei Schläger auf den Narr gehetzt. Sie hatten an dessen Tür geklopft und mit erhobenen Eisenstangen gewartet. Der Hofnarr hatte geöffnet und sie freundlich naiv angelächelt. Die Schläger hatten gezögert. Ihr Opfer hatte die Stangen angesehen und dann weiter gelächelt. Die Schläger hatten zum Schlag angesetzt, doch sie brachten es nicht über sich zuzuschlagen. Immer wieder hatten sie ausgeholt. Sie schafften es einfach nicht. Schließlich hatten sie die Stangen weggeworfen und waren weinend davongelaufen. Wenige Tage später hatte der Alchimist die Schläger in braunen Kutten vor der Schloßkapelle gesehen, wie sie Blumen gossen. Daraufhin hatte der Alchimist dem Hoffnarr ein mit schnell wirkenden Nervengift versetztes Getränk serviert. Dieser hatte nur seine Augen verdreht und der Hofalchimist war zu dem Schluß gekommen, daß das Gift nur auf Menschen wirke.
Jetzt sah der Narr den Sack, den der Besitzer der Tierhandlung in der Hand hielt, interessiert an. Befriedigt hörte er das Miauen. Er wühlte in seiner Hosentasche, warf dann zehn Goldstücke auf den Tisch, nahm den Sack und verließ das Geschäft. Der Alchimist sah ihn verwundert nach.
"Aber Sie wollten, die Katze doch bis morgen für mich reservieren", sagte er zum Ladenbesitzer.
"Habe ich das gesagt?", erwiderte dieser nur und sah die Goldstücke gierig an.
Als der Alchimist an diesem Tag wieder nach Hause kam, hatte sich die Rattenpopulation in seinem Zimmer verdoppelt. Viele Ratten kamen durch die Löcher in der Wand vom Nachbarraum in sein Domizil geflüchtet. Von nebenan war ein jagdlustiges Miauen und ängstliches Gepiepse zu vernehmen. Fortan verbrachte der Alchimist die meiste Zeit auf seinen Hocker stehend, während der Hofnarr ein fröhliches, rattenloses Leben führte. Vielleicht hätte der Alchimist den Weg gefunden, wie man Blei zu Gold verwandeln konnte und wäre reich geworden, wenn er die Katze gleich gekauft hätte. Doch so konnte er seine Arbeit nicht weiterführen. Das machte ihn so depressiv, daß er an Selbstmord dachte. Doch er konnte sich nicht entscheiden, ob er sich erhängen oder aus dem Fenster springen sollte.
Moral: Manchmal muß man die Katze im Sack erst kaufen, um zu sehen, was sie taugt.