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Der Albtraum beginnt um acht Uhr abends

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01.09.2015
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Der Albtraum beginnt um acht Uhr abends

Noch drei Stunden 38 Minuten - und der Countdown läuft...

Jonas Hallbaum stand das Wasser bis zum Hals. Genau genommen ein paar Zentimeter darüber.
Er hatte 88 000 Euro Schulden am Hacken und heute Abend, Punkt acht, wollte Moyo Serrano sein Geld zurück haben.
Da ihm schmerzlich bewusst war, dass er nie die gesamte Summe auf einmal beschaffen konnte, nahm er sich vor, zumindest einen Teil davon zusammen zu kratzen.
Doch auf der Habenseite stand bis zum heutigen Tag nicht einziger müder Euro.
Ein niederschmetterndes Ergebnis.
Er saß zu Hause in seiner Küche und starrte verzweifelt auf ein leeres, weißes Blatt Papier.
Hier wollte er alle möglichen oder auch unmöglichen Ideen aufschreiben, die ihm einen machbaren Weg aus seiner nahezu ausweglosen Situation aufzeigen sollten.
Sozusagen die letzte Option, um seinen Hals noch in allerletzter Sekunde aus der immer enger werdenden Schlinge heraus zu ziehen.
Doch bis jetzt war auf diesem Stück Papier nicht einziges Wort, geschweige denn ein vollständiger Satz zu sehen. Das Blatt blieb leer.
Es fiel ihm einfach nichts ein, so sehr er sein Gehirn auch malträtierte.
Er fragte sich mittlerweile, ob er überhaupt mental in der Lage war, einen einzigen brauchbaren Vorschlag zu finden, um aus dieser unglaublichen Scheiße heraus zu kommen.
Also, um es einmal klar zu stellen: Er selbst war Schuld, dass es überhaupt soweit kommen konnte.
Auf einer Party, die sein guter Freund Konrad Krogmann gab, hatte er Jean Pierre Casburg persönlich kennen gelernt. Bisher kannte er ihn nur aus der Zeitung.
Bei einem zwölf Jahre altem Bowmore - der Zufall wollte es, dass beide im selben Moment den gleichen Drink orderten - kamen sie ins Gespräch.
Casburg handelte mit Oldtimern, die er exklusiv aus den USA importierte und nach halb Europa verkaufte.
Das Geschäft lief so gut, dass er innerhalb von zwei Jahren zum vielfachen Millionär aufgestiegen war.
Mindestens einmal im Monat tauchte er auf irgendwelchen Veranstaltungen auf, die ihm die gewünschte Publicity einbrachten. Er war der Prototyp eines Neureichen, der nicht den Hals davon voll kriegen konnte sein Bild, so oft es ging, in der Zeitung sehen zu können.
Immer mit dem Hintergedanken im Kopf „Je öfter ich in der Zeitung stehe, desto bekannter werde ich. Je bekannter ich werde, desto besser laufen die Geschäfte.“
Schon nach dem vierten Schluck Whiskey legte Casburg Jonas Hallbaum kumpelhaft seine Hand auf die Schulter. Er fragte ihn, ob er sich nicht an einem lukrativen Deal beteiligen wolle, der demnächst über die Bühne gehen sollte.
Jetzt hätte er stutzig werden müssen.
Wie kam ein vielfacher Millionär wie Jean Pierre Casburg dazu, ausgerechnet ihm ein Geschäft vorzuschlagen?
Weil er so ein sympathischer Typ war? Oder weil Casburg als barmherziger Samariter und aus reiner Nächstenliebe Leuten auf die Beine half, die permanent abgebrannt waren?
Acht Oldtimer, sagte Casburg, würden in gut vier Wochen in Bremerhaven den Container verlassen. Noch wäre es nicht zu spät, die Bestellung auf zwei Exemplare mehr aufzustocken. Bei einer Beteiligung von 80 000 wäre er mit dreißig Prozent Gewinn dabei, was exakt 24 000 Euro entsprach.
Das klang verlockend und schien ein bombensicherer Deal zu sein, zumal ihm Casburg aussagekräftige Unterlagen vorlegte, die keinen Zweifel daran ließen, dass dieses Geschäft absolut seriös und ohne jegliches Risiko war. Außerdem war die Warteliste der Käufer für die nächste Lieferung erstaunlich lang. Ein gewisses Klientel mit Geld wie Heu schien verrückt nach diesen alten Kisten zu sein.
Allerdings hatte die Sache einen Haken. Einen verdammt großen sogar.
Jonas hatte keine 80 000. Woher auch?
Sein Job bei A&B als Verkäufer für Anzüge in Übergrößen war nicht unbedingt der Knaller und schon gar nicht ein Garant dafür, um auf großem Fuß leben zu können.
Und jetzt machte Jonas Hallbaum den zweiten und entscheidenden Fehler.
Er lieh sich das Geld von Moyo Serrano, den er aus dem Fitness - Studio kannte. Er hatte sich sogar ein wenig mit ihm angefreundet, obwohl er um Serranos zwielichtigen Ruf wusste.
Serrano betrieb im Rotlichtviertel ein Bordell, man könnte auch korrekterweise sagen, er war der Besitzer eines Thai-Puffs.
Gerüchte besagten, dass er seine Finger auch im Drogenhandel hatte. Doch handfeste Beweise, dass an diesen Gerüchten irgend etwas dran war, gab es nicht.
Von der Bank hätte Jonas keinen Cent bekommen. Das war so sicher wie das Amen in der Kirche.
Die Blamage, die er da unweigerlich hätte einstecken müssen, wollte er sich ersparen. Und den nutzlosen Zeitaufwand sowieso.
Die Zeit drängte und so kam er auf Moyo.
Die Sache wäre wasserdicht, sagte er ihm und schon in vier Wochen würde er sein Geld wieder sehen.
Für Moyo ein gefundenes Fressen.
Zehn Prozent von der gesamten Summe. Das war seine Bedingung. Hochgerechnet auf einen
Zeitraum von vier Wochen waren das horrende Wucherzinsen.
Egal, das musste er zähneknirschend hinnehmen.
Zwanzig Prozent von 80 000 wären immer noch ein warmer Regen für jemanden wie ihn, der regelmäßig chronisch klamm im Portemonnaie war.
Tja - und dann passierte es: Der große Jean Pierre Casburg war von einem Tag zum anderen Pleite.
Das heißt, eigentlich war er es schon lange vorher. Doch das kam erst eine ganze Weile später ans Tageslicht.
Er hatte sich an der Börse mit hochspekulativen Papieren verzockt und damit von heute auf morgen sein gesamtes Vermögen verloren.
Schon bald würden es die Spatzen von den Dächern pfeifen, dass der große Casburg über Nacht vom Millionär zu einem Habenichts abgestiegen war.
Nur, das hielt er schön zurück und zwar so lange, bis er Jonas Hallbaum und noch ein paar andere Glücksritter auf`s Kreuz gelegt hatte.
Weil Jean Pierre Casburg - gemäß seiner inneren und somit großkotzigen Überzeugung -
seine Geschäfte stets im großen Stil abzuwickeln pflegte, hatte er den erlauchten Kreis der Geldgeber noch um vier weitere Personen erweitert: Ein Staatsanwalt a. D., ein Zahnarzt, ein Immobilienmakler und ein Fußballprofi, die es gar nicht erwarten konnten, ihre versprochenen Gewinne am Finanzamt vorbei auf ein schwarzes Konto zu transferieren.
Sie alle hatten erheblich größere Summen als er in den Hut geworfen, um am goldenen Deal beteiligt zu sein.
Das solidarische an dieser so hoffnungsvollen Aktion war schnell auf einen gemeinsamen Nenner
gebracht: Sie fielen genauso auf die Schnauze wie er.
Das Dreamteam der geldgierigen Investoren hatte aufs falsche Pferd gesetzt.
Was weg war, war weg.
Weg war auch Jean Pierre Casburg. Er war über Nacht aus seinem heimischen Nest ausgeflogen, allerdings ohne dem Einwohnermeldeamt pflichtgemäß sein neues Domizil mitzuteilen.
Eine Million und dreihunderttausend. Das war exakt die Summe, die bei der Staatsanwaltschaft
in der gemeinsamen Betrugsanzeige angegeben wurde.
Und so stand Jonas Hallbaum mit insgesamt 88 000 bei Moyo in der Kreide.
Er hatte mal von irgend jemandem gehört, was mit Leuten passierte, die bei Moyo in der Schuld standen und keinen erkennbaren Beitrag zur Rückzahlung leisten konnten.
Ein Schauer des Entsetzens lief ihm wie glühende Lava den Rücken herunter
Er stand auf, schob den Vorhang zur Seite und sah aus dem Fenster.
Es war nichts weiter als ein durchschaubares, primitives Ablenkungsmanöver ihm selbst gegenüber. Vollkommen unmotiviert und ohne jeglichen Sinn und Verstand.
Da draußen lief alles seinen normalen Gang. Gut erkennbar und äußerst ernüchternd.
Passanten gingen mit ausdruckslosen Gesichtern vorbei. Irgendwo hin. Von irgendwo her. Eine anonyme, austauschbare graue Masse .
Wie gern hätte jetzt mit jeden einzelnen von ihnen getauscht, obwohl die meisten von ihnen
höchstwahrscheinlich auch genügend Ärger und reichlich Probleme am Hacken hatten.
Er sah sich im Zimmer um. „Wie lange noch,“ fragte er sich mit auf kommender Wehmut, „ wie lange noch wirst du dein Dasein in diesem friedlichem Zustand erleben?“
Dunkle, fast schon schwarze Wolken waren urplötzlich aufgezogen. Ein böiger Wind setzte ein. Da schien sich was zusammen zu brauen Es sah nach einem Gewitter aus. Und das im Oktober.
Du meine Güte. Wie spät war es eigentlich?
Ein Blick zur Uhr ließ ihn erschreckt zusammen fahren. Jetzt hatte er nahezu anderthalb Stunden vor dem leeren Blatt gehockt und was war dabei heraus gekommen?
Er nahm den Bogen, knüllte ihn wütend zusammen und warf ihn in den Papierkorb.
Er versuchte, sich in einen Zustand der absoluten inneren Ruhe zu versetzen. So, wie er es früher
immer getan hatte, wenn ein Problem zu lösen war. Das war seine Stärke. Das war stets ein großes Plus, wenn es darum ging, wieder Ruhe und Harmonie in sein Leben einkehren zu lassen.
Doch diesmal war das Problem ein bisschen komplizierter. Ging es damals um vergleichsweise banale Dinge wie „ Nicht mehr von den Kunden nerven lassen,“ oder „Lass dich ja nicht vom
Abteilungsleiter provozieren,“ so ging es jetzt um etwas ganz anderes.
Jetzt ging es schlicht und ergreifend darum, als einigermaßen halbwegs funktionierender Mensch aus der Sache heraus zu kommen. Damit das Leben - sein Leben - weiter gehen konnte.
Das leere Blatt Papier vor ihm auf war eine einzige Anklage. Gegen ihn selbst. Gegen sein Unvermögen, eine klare Linie in seine Gedanken zu bringen. Wo war seine doch so von Freunden hoch gelobte Kreativität? Zum Teufel, wo war sie ?
Wahrscheinlich, höchstwahrscheinlich sogar, gab es in diesem Universum ein fest verankertes Gesetz - ein Universalgesetz sozusagen:
Bist du in der Not, hast du zwei Möglichkeiten. Entweder du findest intuitiv den richtigen Ausweg aus deiner bedrohlichen Situation - oder du gehst mit Pauken und Trompeten unter und landest im
Vorhof der Hölle.
Ein plötzlich aufkommender Gedanke schoss ihm wie ein Blitz durch sein gemartertes Gehirn. Abhauen. Ja, so schnell wie möglich. Genauso, wie es Jean Pierre Casburg getan hatte. Nur unter umgekehrten Vorzeichen.
Casburg hatte die Kohle, reichlich Kohle sogar und seine 80 000 hatte er der Einfachheit halber gleich mit in die Tasche gesteckt.
Und was hatte er?
Lausige 1000 Euro lagen noch unter seiner Matratze. Für den absoluten Notfall.
Und der war gerade eingetreten.
Ja abhauen, sich irgendwo verstecken, da, wo ihn Moyos Leute nie finden würden. Das war die beste Idee bisher. Casburg hatte es ihm gerade vorgemacht. Aber wohin abhauen?
Gab es diesen Ort der Zuflucht überhaupt? Da, wo man nie gefunden wird? Noch nicht mal von Moyos Leuten?
Ja, den gab es. Auf Tonga, einer Südseeinsel im Pazifik. Ein Freund hatte ihm mal im Scherz
gesagt: „Wenn du mal verschwinden musst, aus welchem Grund auch immer, dann nach Tonga. Da findet dich keine Sau. Garantiert.“
Jonas hatte damals darüber gelacht, wie über einen guten Witz. Niemals wäre er auf die Idee gekommen, dass er selbst einmal in die Lage geraten würde, davon Gebrauch machen zu müssen.
Aber wie weit kommt man mit 1000 Euro?
„Vielleicht schaffst du es mit 200 erst mal bis nach Marseille. Da suchst du dir einen
Überseefrachter aus, der nach Indien ausläufst. Bestichst einen von der Crew mit nochmal 200 und gehst nach ein paar Tagen in Mumbay von Bord.
Und von da aus - vielleicht mit 300 auf die gleiche Art und Weise - weiter nach Australien.
Blieben noch mickrige dreihundert über. Das muss reichen, um von da aus irgendwann auf Tonga
anzukommen.“
Na gut, irgend einen Job würde er schon finden und sein Englisch war gar nicht mal so schlecht. Vielleicht könnte er als Barkeeper - oder, wenn es schlecht laufen sollte - als Tellerwäscher arbeiten. Fürs erste.
In der Anfangsphase könnte man zur Not auch für ein paar Monate in der Hängematte schlafen. Die Nächte auf Tonga waren warm und vielleicht war eine Hängematte sogar die bessere Idee, als im Bett zu liegen und sich den Hintern ab zu schwitzen.
Doch, wer konnte ihm garantieren, dass Moyo`s Leute ihn nicht auch da finden würden?
Genau. Keiner.
Im Geiste ging er noch einmal die Liste derer durch, die anpumpen wollte. Hatte er vielleicht doch noch irgendjemanden vergessen? Irgendjemanden, der ihm vielleicht noch einen Gefallen schuldig war?
„Denk nach, los denk nach,“ beschwor er sein Erinnerungsvermögen.
Dann schoss es ihm wie ein Blitz durch seine so durchgerüttelten Gedanken.
Natürlich hatte er jemanden vergessen, jemanden, der ihm noch einen Gefallen schuldig war.
Und zwar einen ziemlich großen.
Mein Gott, wieso kam er erst jetzt darauf?
Ausgerechnet sein guter Freund Winni war ihm einfach so durchgerutscht.
Unfassbar, dass er ihn nicht auf seiner „Gute - Freunde - Anpumpliste“ stehen hatte.
Es war nur so erklären, dass sein augenblicklich desolater nervlicher Zustand daran Schuld war. Hatte er nicht damals, auch wenn es schon über zehn Jahre her war, Winni mal mit fünf Mille aus der Patsche geholfen?
Mit genau fünf Mille in der Hand wäre sein Abtauchen viel einfacher zu realisieren.
Mann, wie ging es Winni damals beschissen. Fast auf Knien hatte er ihn angefleht, ihm
mit dieser Summe auszuhelfen, damit seine Ehe nicht den Bach runtergeht.
Winni hatte sich nach der Weihnachtsfeier seiner Firma in einer zwielichtigen Bar aufgehalten.
In einer Bar, wo es nicht nur was zu trinken gab.
Eines der Mädels musste ihm heimlich KO - Tropfen in sein Glas geträufelt haben, denn anders konnte er seinen Blackout nicht erklären.
Nun gut, er konnte es nicht beweisen, aber die anschließende Rechnung über 13 Flaschen Champagner ließen ihn gefährlich nahe in die Nähe eines Herzinfarktes kommen. Die Summe lag um die fünftausend und ein paar Zerquetschte.
Ja, so war das damals. Und da der gute Winni zu der Zeit gerade knapp bei Kasse war und seine Moni nichts mitbekommen sollte, pumpte er ihn händeringend um diese Summe an.
Er hatte nicht lange gezögert, sondern ihm das Geld vorgestreckt. Was tut mich nicht alles für einen guten Kumpel.
Okay, es hatte fast ein ganzes Jahr gedauert hatte, bis er den letzten Rest seiner verauslagten Kohle zurück bekam.
Es war eine ziemlich zähe Angelegenheit und hatte ihm jede Menge Nerven gekostet, Winni
immer wieder anmahnen zu müssen. Seine Ausreden, warum die Rückzahlung mal wieder ins Stocken geraten war, waren meistens hanebüchen. Kreativität sah anders aus.
Aber egal. Winni hatte schließlich irgendwann seine Schulden bis auf „Heller und Pfennig“ zurück gezahlt. Schwamm drüber. Vorbei ist vorbei. Ja, Winni würde er jetzt anrufen.
Fünftausend würden reichen, um den Abflug zu machen. Genau die gleiche Summe, die er ihm damals so selbstlos geliehen hatte

Noch zwei Stunden 11 Minuten - und der Countdown läuft...

Er griff zum Telefon und rief ihn an. Er hatte Glück. Winni war zu Hause.
„Hallo Winni, hier ist Jonas. Ich hoffe, es geht dir gut,“ meldete er sich.
„Jonas, Mann, alter Junge. Erfreulich, mal wieder deine Stimme zu hören. Mein Gott noch mal. Wie lange habe ich von dir nichts gehört? Das müssen doch schon Lichtjahre her sein. Jedenfalls kommt es mir so vor.
Um deine Frage zu beantworten: „Ja, mir geht’s gut.
Ich hoffe, das Gleiche jetzt von dir zu hören.“
„Nein Winni, wenn ich ehrlich bin, muss ich sagen, dass es mir sogar ziemlich beschissen geht.“
„Das hört sich aber verdammt beängstigend an. Wo drückt denn der Schuh?“
„Er drückt nicht. Er passt nicht mehr.“
Jonas atmete mehrere Male tief durch, bis er auf den Kern der Sache kam.
Die inneren Verrenkungen, die er dabei machte, lösten fast schon einen körperlichen Schmerz bei ihm aus.
„Weißt du noch, damals, als du mitten im Schlamassel saßest?“ begann er umständlich seine
Rettungsmission.
„Schlamassel? Ich kann mich absolut nicht daran erinnern, dass ich jemals in einem in Schlamassel gesteckt haben soll. Kann es sein, dass du mich vielleicht mit jemandem verwechselst?“
Winni`s Antwort ließ Jonas ahnen, in welche Richtung dieses Gespräch laufen würde. Und auch sein scharfer Tonfall schien nichts Gutes zu verkünden.
„Du Arschloch, du weißt doch ganz genau, wovon ich rede,“ dachte er und merkte, wie Ärger und Wut gleichermaßen wie eine unsichtbare Krake an ihm hoch krochen.
„Stichwort Chicago Bar. Dreizehn Flaschen Champagner,“ unternahm Jonas einen erneuten Versuch, Winni`s Erinnerungsvermögen aufzufrischen. „Vor zehn Jahren war`s, nach eurer Weihnachtsfeier.“
„Warte mal.“ Winni schien zu überlegen. Ziemlich lange sogar, denn es dauerte ein paar quälend endlose Sekunden, bis er endlich seine Erinnerung zurück gefunden hatte.
„Mann, ja, das war `ne gute Aktion damals. Danke noch mal dafür. Das war `ne echt coole Sache.
Ohne dich hätte ich...,“ unterbrach er sich selbst. Er schien wieder zu überlegen.
“Sag mal, hab ich vielleicht noch was offen bei dir?“ fragte er schließlich.
„Wenn ja, dann muss ich mich in aller Form bei dir entschuldigen. Das biege ich sofort wieder gerade. Versprochen.
Wie viel, wie viel muss ich denn noch locker machen?“
„Du Scheißkerl,“ ging es jetzt Jonas durch den Sinn.“ Du weißt doch ganz genau, dass wir quitt sind.“ Sein Ärger über Winni`s bescheuertes Verhalten steigerte sich langsam aber stetig.
Was sollte denn dieser Schwachsinn?
„Nein, du bist mir nichts mehr schuldig,“ sagte er sichtlich gereizt. “Hast alles zurück bezahlt.“
Das Theater, das Winni hier abzog, ging ihm ganz gewaltig auf die Nerven.
„Sagen wir mal so, du kennst doch den Spruch. Helfe ich dir, so hilfst du mir“, versuchte er weiter,
Winni klar zu machen,was er von ihm wollte.
Das Schweigen am anderen Ende der Telefonleitung dauerte unverhältnismäßig lange. Zu lange, befand Jonas. Und es war nicht unbedingt ein klarer Hinweis auf ein Happyend.
Tonga lag jetzt auf dem Mond. Vielleicht sogar schon auf dem Mars.
„Komm auf den Punkt. Um was geht’s denn?“
„Ich brauche fünftausend. Heute noch. Bis vier.“
„Fünftausend? Bis heute um vier? Hab ich das richtig verstanden? Das riecht nicht nur`n bisschen
nach Panik. Nein. Es riecht nach verdammt viel Panik.
Ist die Mafia oder oder die CIA hinter dir her? Mann, du bist doch immer auf der geraden Linie lang gegangen. Schnurgerade sogar. Ehrlich und bis auf die Knochen korrekt. So kenn` ich dich.
Und jetzt habe ich das verdammte Gefühl, dass du den Pfad der Tugend verlassen hast.
Wer fünftausend innerhalb von ein paar Stunden braucht, muss so ziemlich tief in der Scheiße sitzen. Klartext jetzt. Was ist da schief gelaufen?“
„Ich muss Moyo Serrano bis heute abend um acht geliehenes Geld zurück geben.“
„Moyo Serrano? Der Pate aus dem Puff-Milleau? Habe ich das richtig gehört? Bist du noch ganz dicht?
Welcher dreimal verdammte Teufel hat dich geritten, dich mit so einem Typen einzulassen? Liest du denn keine Zeitung? Erst vor einem halben Jahr hätten sie ihn fast eingebuchtet. Ein paar seiner Ladys sollen minderjährig gewesen sein. Angeblich soll er das nicht gewusst haben. Ich weiß nicht, wie es sein Rechtsanwalt hingekriegt hat. Aber es gab `nen glatten Freispruch.
Ein Skandal das Ganze, eine Riesensauerei.
Ich vermute mal, dass da ein paar Figuren unserer ehrbaren Justiz mit drin hängen.
Ansonsten säße der saubere Moyo bei Wasser und Brot im Knast. Anders ist dieses Skandalurteil für diesen Scheißkerl nicht zu begreifen. „
„Winni,“ mahnte ihn Jonas,“ halte mir jetzt keine Moralpredigt.
„Mann, ich sitze in der Scheiße. Noch viel tiefer als du damals. Und ich habe dir geholfen, da wieder raus zu kommen. Sonst hätte Moni ihre Koffer gepackt. Das weißt du doch ganz genau. Und ich möchte schwören, dass sie nie wieder zurück gekommen wäre.
Und wenn ich es mal ohne wenn und aber so sagen darf, erwarte ich diese Hilfe, die du von mir damals bekommen hast, jetzt auch von dir.
Ist exakt die gleiche Summe, die ich dir geliehen habe. Du kannst mir glauben, das ist mir damals wahrlich nicht leicht gefallen. Aber ich hab`s trotzdem gemacht. Weil du immer ein guter Freund für mich warst.“
„Zwischenfrage,“ unterbrach ihn Winni.
„Wie viel Kohle kriegt er denn nun exakt?“
„Achtzigtausend, Plus Provision.“
„Wie viel Provision?“
„Zehn Prozent.“
„Wieder hol das noch mal.“
„Zehn Prozent.“
Schweigen am anderen Ende der Leitung. Schon wieder. Das ließ nichts Gutes ahnen.
Und dann: „Und was willst du mit läppischen fünftausend? Das ist doch nichts weiter als ein Tropfen auf den heißen Stein.“
„Abhauen, was sonst.“
„Jetzt hör mal ganz genau zu, mein Junge.“
Winni`s Ton war jetzt an Schärfe nicht zu überbieten.„ Für wie bescheuert hältst du mich eigentlich? Glaubst du allen Ernstes, ich würde mich als Fluchthelfer betätigen?
Mann, da würde ich ja glatt mit in der Scheiße sitzen. Und zwar mitten im Zentrum.
Wenn sie dich dann irgendwann schnappen werden, ich geh mal davon aus, dass es keine vier Wochen dauert, bin ich auch dran. Weil ich mitgeholfen habe, einen Kriminellen zur Flucht zu verhelfen.
Nee, auf solche Spielchen lass ich mich garantiert nicht ein. Oder meinst du ernsthaft, ich würde freiwillig wegen dir in den Knast wandern? Mann, Mann ich fasse es nicht.“
Das Besetztzeichen, das er jetzt hörte, war ein sicheres Indiz dafür, dass Winni einfach aufgelegt hatte.
Eines stand jetzt unumstößlich fest: Die Sache mit Winni war durch. Und damit auch die Freundschaft zu ihm. Winfried Oltrogge hatte sich soeben aus seinem Leben verabschiedet.
Nach welchem Strohhalm konnte er jetzt noch greifen? An wen konnte er sich noch wenden, der fünf - meinetwegen auch vier - oder wenn es wirklich nicht anders ging - wenigstens drei Mille für ihn locker machen würde?
Krampfhaft versuchte er, seinem Gehirn noch mal den entscheidenden Kick zu geben.
Nein. Aus und vorbei. Es gab keinen mehr, der auch nur einzigen Euro für ihn locker machen würde. Was für eine trostlose und niederschmetternde Erkenntnis.
Er saß wie eine Ratte in der Falle. Entrinnen ausgeschlossen.
Wäre Selbstmord eine Lösung für all seine Probleme? Ja, durchaus. Allerdings eine verdammt
schlechte.
Dann kam er auf die Idee, Moyo anzurufen. Er würde ihn ganz einfach darum bitten, mit ihm eine Ratenzahlung zu vereinbaren. Mein Gott, da musste doch was zu machen sein.
Trotz seines beschissenen Images war ihm Moyo immer irgendwie sympathisch gewesen.
Seine Finger zitterten derartig, dass er zweimal auf der Tastatur falsche Zahlen erwischte.
„Bleib ruhig,“ befahl er sich ärgerlich, „ reiß dich zusammen. Lass Moyo ja nicht merken, dass du
so durch den Wind bist.“
Als er es endlich geschafft hatte, ohne weitere Fehlversuche Moyos Nummer anzuwählen, hörte er erleichtert das Besetztzeichen.
Also war er zu Hause. Wenn er es jetzt im Abstand von einer Minute immer wieder die Wahlwiederholungstaste drückte, dann müsste es doch irgendwann mal klappen, mit ihm zu sprechen. Von Freund zu Freund sozusagen.
Nach fünf weiteren erfolglosen Versuchen verfiel er in einen Zustand von Hoffnungslosigkeit und tiefer Lethargie. Seine Lippen gerieten außer Kontrolle, vibrierten, so wie er es schon einige Male bei ganz alten Menschen gesehen hatte. Ein Phänomen, dass er immer mit Entsetzen wahrgenommen hatte.
Sie zitterten wie ein feingesponnenes Spinnennetz im Wind.
Er hatte plötzlich Tränen in den Augen. Es war viertel nach sechs. Der Countdown lief weiter.
Unerbittlich, gnadenlos. Und es würde noch schlimmer kommen. Jede Wette drauf.

Noch eine Stunde 51 Minuten - und der Countdown läuft...

Dann, nach acht weiteren nervenaufreibenden Fehlversuchen, hörte er Moyos Stimme.
Er klang erstaunlich aufgeräumt und gut gelaunt. Anscheinend hatte er gerade ein erfreuliches Gespräch geführt, wahrscheinlich irgendeines seiner dubiosen Geschäfte erfolgreich über die Bühne gebracht.
„Hallo Moyo, ich bin`s, Jonas.“ Trotz aller Bemühungen klang seine Stimme brüchig.
„Was gibt es denn, mein Freund,“ fragte ihn Moyo. Seine gute Laune war deutlich heraus zu hören.
Das gab Hoffnung, viel Hoffnung, dass er auf seinen Vorschlag eingehen würde.
Ein dünner Lichtstrahl am ansonsten pechschwarzem Horizont.
„Es ist so, Moyo,“ sagte er mit auffallend heiserer Stimme,“ ich habe da ein Problem. Ich kann das Geld zum vereinbarten Termin nicht aufbringen. Ich muss es dir in Raten zurück zahlen. Leider,
aber es geht nicht anders.“
Moyo hatte bis jetzt nur zugehört, nicht ein einziges Wort gesagt, was Jonas sichtlich verunsicherte.
„Bist du noch dran?“ fragte er ihn mit angstvoller Stimme.
„Wir hatten eine Vereinbarung,“ meldete sich Moyo jetzt zu Wort. “Und du bist gerade dabei, diese Vereinbarung zu brechen.“
Moyos Stimme hatte jetzt etwas bedrohliches an sich. Etwas, das die aufkommende Hoffnung wie eine Seifenblase platzen ließ.
„Zwei meiner Leute werden heute Abend pünktlich um acht Uhr vor deiner Tür stehen und klingeln. Ich gehe davon aus, dass du dich zu diesem Zeitpunkt in deiner Wohnung aufhältst und die beiden freundlich hinein bittest. So, wie das unter guten Freunden üblich ist.
Ich hoffe, ich habe mich klar und verständlich ausgedrückt.“
„Moyo,“ unternahm Jonas jetzt einen erneuten Versuch, seinen Vorschlag mit der Ratenzahlung
an den Mann zu bringen. „Ich verspreche dir, dass du dein Geld, inklusive deiner Provision, auf Cent und Euro zurück bekommst. Ich versprech`s dir wirklich. Aber du musst...“
„Hör zu,“ unterbrach ihn Moyo in scharfer Form. “Ich sag`s dir jetzt zum letzten Mal. Wir hatten abgemacht, dass ich mein Geld wie vereinbart am sechzehnten zurück bekomme. Und wenn mich mein Kalender nicht bescheißt, dann haben wir heute den sechzehnten.“
Mit diesen unmissverständlichen und in der Sache knallharten Worten beendete Moyo Serrano das Gespräch.
Jonas saß da wie paralysiert, so, als wäre in Sekundenbruchteilen zur Salzsäure erstarrt.
Sein ganzes Leben lief jetzt eigenartiger Weise wie ein Film im Zeitraffer vor seinem geistigen Auge ab. Gesichter, verschwommen und schemenhaft, tauchten wie aus dem Nichts auf und verschwanden so schnell, wie sie gekommen waren.
Ein paar gewannen aber erstaunlicherweise an Kontur. Er konnte einem Teil von ihnen sogar
den Namen zu ordnen. Ja, sogar ihre Stimme hören.
Andere hingegen blieben blass und ohne jegliche Erinnerung,
Das war`s, sagte er sich. Aus, Schluss und vorbei. War die Idee mit dem Selbstmord vielleicht doch nicht so schlecht?
Seine Chancen, aus diesem Desaster einigermaßen unbeschadet heraus zu kommen, tendierten gegen minus 100 Prozent. Aber vielleicht war das noch zu optimistisch.
Das Telefon klingelte. Hatte es sich Moyo in letzter Minute doch noch mal überlegt?
Er nahm den Hörer auf und meldete sich mit Hallo.
„Guten Abend, spreche ich mit Herrn Jonas Hallbaum?"
Eine weibliche Stimme, freundlich, sympathisch, gut ins Ohr gehend - und tausendfach erprobt, Kunden an Land zu ziehen.
Ihm kam nichts vernünftigeres in den Sinn, als außer „Lassen Sie mich, verdammt nochmal, in Ruhe." zu sagen und den Hörer mit der Situation entsprechenden Wucht auf die Ladestation zu knallen.
Das war zwar nicht die feine englische Art, jedoch ausgesprochen wirkungsvoll, um sich ungebetene Anrufer vom Halse zu halten
Diese Frau würde ihn nie wieder anrufen. Nie wieder. Da war er sich absolut sicher.
Mittlerweile hatte er von diesen Werbeanrufen die Schnauze gestrichen voll. Ganz gewaltig sogar.
"Du wirst dir endlich eine Geheimnummer zulegen, damit diese nervenden Anrufe ein für alle Mal
aufhören.“
Das Telefon. Es klingelte schon wieder.
Wilde, absurde Gedanken schossen durch seinen Kopf. Fuhren Achterbahn mit nicht enden wollenden Loopings.
Wer zum Teufel war jetzt dran ?
Er hob den Hörer ab.
“Herr Hallbaum, Sie sollten mich endlich einmal aus...“
Das war`s. Der Hörer wurde wieder mit Vehemenz auf die Ladestation gepfeffert.
Diese Anrufertypen waren an Hartnäckigkeit nicht mehr zu überbieten. Sie mussten einen Coach haben, der sie immer wieder in der Spur hielt und gnadenlos antrieb.
„Leute, denkt daran: Wenn von hundert Anrufen nur zwei ins Netz gehen, habt ihr euer Geld für den Tag verdient. So einfach ist das.“
Er musste jetzt raus, einfach mal frische Luft schnappen, tief durchatmen - um vielleicht doch noch auf die rettende Idee zu kommen. Das Gewitter war Gott sei Dank vorbeigezogen. Leises Donnergrollen in der Ferne schien ein sicheres Indiz dafür zu sein. Jonas behielt den Trainingsanzug, den er schon den ganzen Tag über getragen hatte, einfach an. Für wen oder für was sollte er sich denn auch umziehen?
Als er draußen vor der Tür stand, war er sich unschlüssig darüber, wohin ihn sein Weg führen sollte. Es war ihm, ehrlich gesagt, auch so ziemlich egal. Hauptsache raus und frische Luft schnappen. Vielleicht sogar wieder den Kopf ein bisschen frei kriegen.
Der kalte und immer noch böige Wind ließ ihn augenblicklich frösteln. Er hätte jetzt eine dicke Jacke gebraucht. Mittlerweile hatte die Dunkelheit eingesetzt.
Nach ein paar Minuten hatte er die Goethestraße erreicht und sich so langsam an die Temperatur gewöhnt.Drüben, auf der anderen Straßenseite, da, wo die Lichter hell und bunt waren, spielte das wahre Leben. Auf seiner Seite war tote Hose angesagt.
Er überquerte die Straße und stand vor dem Casino Royal, sah sich die Reklame in den Vitrinen
an. Sollte man ihren vollmundigen Versprechen Glauben schenken, gab es nichts einfacheres auf dieser Welt, als sein Geld durch Roulette, Black Jack oder einarmige Banditen im Minutentakt zu vervielfachen.Ein absurder, nahezu aberwitziger Gedanke schoss ihm durch den Kopf. Vielleicht hätte er sein unter der Matratze gebunkertes Geld hier auf gut Glück riskieren sollen. Schon manch einer hatte unverhofft den Jackpot geknackt und war mit hunderttausend in der Aldi Tüte nach Hause gegangen.
Der Türsteher, ein älterer, weißhaariger Herr, mit einem dürren Zickenbart und einer roten Phantasieuniform, die zwei Nummern zu groß war, baute sich bedrohlich vor ihm auf.
Seine Hose schlotterte um seine Beine und die Ärmel seiner hellroten Jacke reichten fast bis bis an die Fingerspitzen heran.
„Dein Outfit gefällt mir ganz und gar nicht, Kumpel,“ sagte er feindselig und musterte Jonas geringschätzig von oben bis unten.
„Dein`s gefällt mir auch nicht,“ erwiderte Jonas.
„Werd` ja nicht frech,“ knurrte ihn der Alte an, „in diesem Aufzug kommst du hier sowieso nicht rein.Verschwinde, sonst rufe ich ein paar Jungs von der Aufsicht. Die werden dir schon Beine machen.“
„Ist ja schon gut.“ Jonas hob beschwichtigend die Hand und trottete davon.
Es begann zu regnen. Er trug keinen Schirm bei sich, aber das war ihm nicht so wichtig.
Irgendwie beruhigte ihn der Regen. Ja, auf irgendeine ihm unverständliche Art schien er tatsächlich seine Nerven zu beruhigen.
Von mir aus, dachte er, könnte es ab sofort jeden Tag regnen, wenn dadurch mein Seelenfrieden im grünen Bereich wäre.
Er war jetzt nur noch wenige Häuserblocks von seiner Wohnung entfernt. Die Kaiserstraße hatte ihr glitzerndes Kleid angelegt.
Bunte Leuchtreklamen von Unternehmen, die jeder oder auch nicht jeder kannte, wechselten sich mit individuellen, geschmacklosen und manchmal sogar originellen Werbebotschaften ab.
Die Anzahl von Restaurants, Kneipen, Bars oder Fastfood-Lokalen war beeindruckend.
Eine Fress- und Saufmeile par exelance.
Soweit er sich erinnern konnte, hatte er nicht ein einziges Mal in einem von ihnen gesessen, geschweige denn irgend was gegessen oder nur eine Cola getrunken.
Hier pulsierte das Leben. Hier war ab Mitternacht Partytime angesagt.
Und genau hier galten Koks und Mariuhana als Babydroge.
Ein ungefährliches und harmloses Beschleunigungsmittel für Weicheier, das in den Insiderbars mittlerweile ganz oben auf der Outliste stand.
Die harten Drogen wurden weiter weg, hinter dem Bahnhof an den Mann oder die Frau gebracht. Da, wo das Licht schummrig war und die Fluchtwege der Dealer für die Bullen ein unübersichtliches Labyrinth bedeuteten.
Am Goldenen Winkel bog er nach rechts ab .
Ein paar Meter nur, dann war er wie in eine andere Welt hinein gebeamt. Die wenigen Menschen, die an ihm vorbei gingen bewegten sich wie körperlose Schatten. Sahen ihn nicht mal an. So, als wenn sie ein schlechtes Gewissen ruhelos durch die engen Gassen trieb.
Im Hintergrund verblassten allmählich die grellbunten Lichter der Kaiserstraße
Und hier, im Dunklen, spendeten ein paar schwach vor sich hin funzelnde und auf dem letzten Loch pfeifende Straßenlaternen ihr trostloses und trübes Licht.
Ein klares Indiz dafür, dass die Stadtverwaltung ihre Gelder ungerecht verteilte oder für nutzlose Sachen zum Fenster raus warf.
Und - seltsamerweise - hatte er plötzlich das Gefühl, besser durchatmen zu können.
Die frische Luft tat ihm gut. Die Luft war wohltuend. Die Luft war köstlich. Und sie kostete nicht einen Cent.

Noch eine Stunde 9 Minuten Minuten - und der Countdown läuft...

Es war exakt 18 Uhr 51 als er seine Wohnung betrat. Er war sich ziemlich sicher, daß Moyo Serrano`s Abordnung pünktlich auf der Matte stehen stehen würde
Was für Typen hatte Moyo für diesen Job ausgesucht?
Konnte man mit ihnen reden und vielleicht sogar verhandeln?
Sein Telefon klingelte. Wieder mal. Hatte es sich Moyo in letzter Sekunde doch noch überlegt und würde auf seinen Vorschlag eingehen?
„Herr Hallbaum,“ hörte er wieder diese Frauenstimme.
„Sie sollten endlich...“
Weiter wie bis zu seinem Namen kam sie nicht.
Verdammt, war die hartnäckig. Einfach unfassbar. Sie musste doch allmählich gemerkt haben,dass ihm diese dauernden Anrufe gehörig auf den Keks gingen
„Hab ich Ihnen nicht gesagt, sie sollen mich - verdammt nochmal - in Ruhe lassen und nicht mehr anrufen,“ brüllte er voller Wut ins Telefon und knallte den Hörer zum dritten Mal in Folge auf.
Ein Blick in den Flurspiegel reichte , um den augenblicklichen Zustand seiner seelischen und damit einhergehenden körperlichen Befindlichkeiten realistisch einzuordnen.
„So sehen lebendige Tote aus,“ dachte er voller Sehnsucht an bessere Zeiten. „Wie hießen diese Typen nochmal? Zombies? Ja, Zombies. Willkommen im Club der Untoten.“
Er ließ sich in seinen Ikeasessel fallen und verfiel in dumpfe Agonie.
Ihm fiel nichts unproduktiveres ein, als noch einmal Bilanz über die vergangen Wochen zu ziehen
Eine Bilanz, die sich verheerend auf sein Leben ausgewirkt hatte.
Kurz nachdem er dahinter kam, dass Casburg ihn nach Strich und Faden aufs Kreuz gelegt hatte.
Und als er dann, zu allem Überfluss, noch einmal daran denken musste, wie Moyos geschultes Personal beim Eintreiben säumiger Gelder mit erschreckender Präzision und außergewöhnlicher Kreativität vorzugehen pflegte, standen ihm buchstäblich die Haare zu Berge.
Er verspürte darauf hin eine solche Wut auf sich, dass er sich am liebsten selbst in den Allerwertesten getreten hätte.
Seine gequälte Fantasie trieb ihn in einen düsteren Tagtraum hinein. Er sah sich in Gedanken auf dem Operationstisch eines Gesichtschirurgen liegen. Sein gesamter Körper war eingehüllt in blütenweiße Mullbinden. Er sah aus, wie eine von diesen Mumien, die man ehrfurchtsvoll im ägyptischen Museum bestaunen kann.
Sie hatten ihn angeschnallt, damit er nicht versehentlich vom Operationstisch rutschte sondern stabil lag.
Nur das Gesicht war frei, oder besser gesagt, was von seinem Gesicht noch übrig geblieben war.
Den Lederriemen um seinen Kopf hatten sie so fest zu gezogen, dass der Operateur seine Arbeit präzise und mit der gewohnten Routine verrichten konnte.
Als der die Operation leitende Chirurg zu seinem ersten Schnitt ansetzen wollte, wachte Jonas Hallbaum schweißgebadet auf.
Ein lautes Stöhnen entrang sich seinem Mund.
Als er die Glockenschläge der nahen Johanniskirche hörte, wusste er, dass der Countdown sich
langsam aber sicher dem Finale näherte. Eine Stunde noch, dann würde Moyos Abordnung kommen. Er schloss die Augen und schlief kurz darauf ein.
Irgendwann wurde er aus wilden Träumen hochgeschreckt. Ein vorbeifahrender Motorradfahrer
drehte seinen Ofen bis zum geht nicht mehr auf. Was für ein Arschloch.
Es war jetzt drei Minuten vor acht.
Mein Gott, dann musste er ja mehr als eine Stunde eingenickt sein.
Er hastete ins Badezimmer und ließ den Zahnputzbecher halb voll Wasser laufen. Dann gab er ein paar Tropfen von seinem Mundwasser dazu, gurgelte mehrere Male und spülte sich schließlich den
Mund aus.
Er holte zwei, drei mal tief Luft und ging wieder ins Wohnzimmer hinein.

Countdownende - auf die Minute...

Es klingelte zweimal an der Tür. Aggressiv und lang anhaltend.
Serranos Leute. Es war punkt acht Uhr. Allein schon die Art ihres Klingelns hatte etwas bedrohliches an sich.
Er holte tief Luft, ging zum Flur und öffnete die Tür.
Zwei unbekannte Männer standen vor ihm, gingen unaufgefordert ins Wohnzimmer und fläzten sich demonstrativ auf die Couch.
Die feindliche Übernahme seiner Wohnung hatte in diesem Moment begonnen. Ein klares Zeichen dafür, wer ab jetzt das Sagen hatte. Ab sofort war Jonas nur noch Gast in seinen eigenen eigenen vier Wänden.
„N`Abend Jonas“, sagte einer von den beiden. Ein Kerl mit dem Äußeren eines Preisboxers.
Er hatte eine raue und ausgesprochen unsympathische Stimme. Zudem nuschelte er noch stark.
Wahrscheinlich lag es an seiner nicht zu übersehenden Hasenscharte, die sein Gesicht zu einer abstoßenden Fratze machte.
Jonas musste schlucken. Der andere war von der Gestalt her dagegen fast schon zierlich zu nennen.
Er sagte kein Wort, musterte Jonas mit eiskalten Augen. Wahrscheinlich ein Südländer. Möglicherweise Italiener oder Spanier. Zumindest deuteten seine pechschwarzen Haare, die zu einem Zopf zusammen gebunden waren und sein gebräuntes Gesicht darauf hin.
Ein Killertyp.
Jonas wurde blass wie eine Wand.
Das Telefon meldete sich. Zum vierten mal in Folge.
Diesmal allerdings kam ihm dieser Anruf vor wie ein tröstendes Lebenszeichen aus einer heilen und harmonischen Welt, die im Moment so fern von ihm war, wie der Mars oder die Venus.
Jonas griff mit behender Schnelligkeit zum Telefon und hob den Hörer hoch.
„Herr Hallbaum, Sie sollten mir endlich einmal zuhören“. Schon wieder sie.
„Aber gerne doch.“
Seine Stimme klang nun freundlich. Die Aggressivität, die er bei den letzten Anrufen an den Tag gelegt hatte, war gänzlich verschwunden.
Der Killertyp war aufgestanden. Er nahm ihm einfach den Hörer aus der Hand.
„Schlechter Zeitpunkt,“ blaffte er ins Telefon. „Rufen Sie in einer halben Stunde wieder an.“ Dann ließ er den Hörer zu Boden fallen und trat mit dem Absatz seines Schuhs drauf.
Genau so, als wenn jemand einen lästigen Käfer zerquetschen wollte. Um ganz sicher zu gehen, dass niemand mehr anrufen konnte, wiederholte er diese Prozedur noch ein zweites Mal. Metall knirschte auf Metall. Ein unangenehmes Geräusch.
Dieses Telefon war ab sofort reif für den Elektroschrott. Jonas wünschte, er hätte eine Pistole in Griffnähe liegen, um diesen Spuk für alle Zeiten dieser Welt zu beenden.
Unterdessen hatte sich der grobschlächtige Kerl eine Zigarette angezündet, blies den Rauch genüsslich mit gekonnten Kringeln in Richtung Jonas.
„Moyo lässt schön grüßen“, sagte er dann fast gelangweilt. „Er meint, er hätte sich wohl nur verhört.Vorhin. Bei eurem Telefonat.“
Jonas hatte Mühe, sein Nuscheln und undeutliches Sprechen einigermaßen zu verstehen.
Er sah dabei Jonas nicht ins Gesicht, sondern betrachtete gespielt auffällig seine beiden zu Fäusten geschlossenen riesigen Hände.
„Es stimmt, ich, ich, ich habe das Geld nicht,“ stammelte er. Noch nicht. Ich habe ihm gesagt, er müsse sich noch ein wenig gedulden und ihm eine Ratenzahlung vorgeschlagen. Aber er hat abgelehnt. Ich brauche vielleicht noch ein oder zwei Wochen, um mit der ersten Rate zu beginnen.“
„Aber Jonas, bläst du die Backen nicht nicht ein bisschen zu weit auf?“ entgegnete der Hüne
aufreizend lässig.
Jonas Hörvermögen wurde aufs äußerste strapaziert. Das Nuscheln war kaum zu verstehen.
„Sieh mal, du hast vier Wochen Zeit gehabt. Vier lange, gottgegebene Wochen. Fast eine Ewigkeit. Aber was passiert? Der gute alte Jonas hat nichts, aber auch gar nichts auf der Hand. Und, wie es aussieht, scheißt er sogar da drauf, diesen fairen Vertrag zu erfüllen.“
Um die Wichtigkeit seiner Worte zu unterstreichen, kramte er den Vertrag aus der Innenseite
seines ausgebeulten Sakkos hervor und wedelte damit vor Jonas Nase herum. Kam mit seinem
Gesicht ganz nahe an ihn heran. Er warf den Vertrag achtlos auf den Tisch, anstatt ihn, wie es normal wäre, wieder einzustecken. Hätte er genau hin gesehen, wäre ihm sicherlich nicht entgangen, dass der Schuldschein eine Flugkurve hinlegte, die so nicht vorhersehbar war.
Das so wichtige Dokument der Schuldanerkennung segelte knapp, jedoch zielsicher am Tisch vorbei und landete unplanmäßig auf dem Teppichboden.
„Ich muss schon sagen, das ist ein wirklich starkes Stück. Das hat Moyo, diese Seele von Mensch
wahrhaftig nicht verdient.“
Bennos Atem, eine Mischung aus Alkohol und Knoblauch, schlug Jonas unangenehm entgegen.
Angewidert wich er zurück.
„Mann, Mann, was sollen wir nur Moyo sagen“, meldete sich zum ersten Mal der andere von den
Beiden zu Wort.
„Sag mir was, Johnnyboy, sag mir was?
Mit einer Stimme, die wie ein Reibeisen klang und allerhöchste Gefahr signalisierte.
Jonas merkte mit Entsetzen, wie sich ihm förmlich die Kehle zuschnürte und sich ein bleierner Ring um seine Brust legte.
Er wollte etwas sagen, doch es kam nur unverständliches, heiseres Krächzen aus seinem Mund.
„Es ist nur so,“ fuhr der Kleinere im gleichen Tonfall fort, „das Bedauerliche dabei ist, dass du
im Grunde genommen ein verdammt sympathischer Kerl bist. Aber, wir haben nun mal unseren Auftrag. Und den müssen wir - der liebe Gott möge uns verzeihen - erfüllen. Stimmt`s Benno?“
„Oh ja und ob es stimmt“, schnaufte der Riese und sah sich mit angewidertem Gesicht im Zimmer um.
„Aus dieser Rumpelkammer hier ist ja nichts mit zunehmen. Jedenfalls nichts, was einigermaßen von Wert wäre.“
„Was, was habt ihr mit mir vor?“ Jonas Stimme war kaum noch zu hören. Selbst das Sprechen war außer Kontrolle geraten.
„Stellst du vielleicht bescheuerte Fragen.“ Benno lachte meckernd auf, wurde aber schnell wieder ernst.
„Sag`s du ihm Bartholo,“ wandte er sich dann an seinen Kollegen.
Bartholo sah Jonas aus eiskalten Augen an.
„Die Sache ist ganz einfach. Moyo hat uns einen klaren Auftrag mit auf den Weg gegeben, nämlich
den...“
Er ließ den Rest des Satzes offen.
Aber Jonas brauchte nur eins und eins zusammen zu zählen, um zu begreifen, was er meinte.
Der letzte Rest seines Überlebenswillen war im Begriff sich zu verflüchtigen.
„Moyo meint, dass du es nicht verdient hast, als quicklebendiger Jonas den heutigen Abend
mit einem Glas Wein, Bier oder Whiskey zu beenden. Oder vielleicht mit `ner agilen Blonden ins Bett zu steigen.
Nein, Moyo hat auch was dagegen, dass du als toter Jonas morgen früh nicht mehr aufwachst.
Wer auf dieser beschissenen Welt würde dich auch jemals vermissen? Wahrscheinlich noch nicht mal der Straßenköter, der da unten vor der Haustür sitzt und gerade `nen großen Haufen auf den Abtreter scheißt.
Moyo ist der Meinung, dass es das beste wäre, wenn du als halbtoter Jonas morgen früh aus dem Bett steigst. Falls du es ohne fremde Hilfe schaffen solltest.
Was meinst du, ist das nicht eine gute Idee? Du könntest aber...“
Er sprach den Satz wieder nicht zu Ende.
Jonas dachte an Flucht. Wieder mal an Flucht. Nur weg von hier. Egal wie. Raus, raus, raus.
Bartholo legte jetzt seine Luger aufreizend lässig auf den Tisch und platzierte sie so , dass sie mit der Mündung genau auf ihn zeigte.
Der letzte, der allerletzte Fluchtweg war damit verbaut. Ein und für alle Mal.
Jonas verspürte ein sehnsüchtiges Verlangen danach, sich ein fach in Luft aufzulösen.
Wumm, Knall und weg.
In äußersten Notsituationen kommt man schon mal auf solch hirnrissige Gedanken.
„Das könnt ihr doch nicht machen, das ist doch Mord,“ flüsterte Jonas mit matter Stimme.
„Halbtot ist kein Mord, Jonas,“ klärte ihn Bartholo auf.
“Und außerdem hast du noch was davon, eine ganze Menge sogar. Den Schmerz zum Beispiel.
Wir können dir allerdings nicht garantieren, ob du hinterher noch wie ein Mensch aussehen wirst. Weißt du, Benno ist manchmal ein bisschen zu übereifrig bei der Sache.
Moyo hat es schon ein paar Mal kritisiert. Aber egal. Vielleicht hast du ja Glück und gerätst an einen Chirurgen, der ausnahmsweise mal was von seinem Job versteht und dich wieder einigermaßen zurecht flicken kann.
Oh Mann Johnnyboy, du glaubst gar nicht, wie sehr ich dir das wünsche.“
Jonas zitterte am ganzen Körper und glaubte vor Angst sterben zu müssen.
„Herr im Himmel,“ betete er innerlich. Lass mich nicht allzu lange leiden. Lass es schnell zu Ende gehen.“
„Los Benno, mach das Radio an,“ forderte Bartholo seinen Kollegen auf .
„Lass Musik in diese triste Bude rein. Egal welche. Nein, nur diese deutschen Schlager nicht. Da krieg ich immer Schüttelfrost. Mach aber so laut, dass die lieben Nachbarn das Gejammer von
unserem Johnnyboy nicht mitkriegen.“
Benno wuchtete sich von der Couch hoch, was gar nicht so einfach bei seine Körperfülle war.
Dann ging er zielgerichtet auf die altmodische, wahrscheinlich schon über vierzig Jahre alte Stereoanlage zu und schaltete sie ein.
Nicht ein Ton war zu hören.
Er drehte wie irre an der Senderskala - erst nach rechts, dann nach links - aber es passierte weiterhin nichts.
Nicht mal das typische Rauschen dieser altmodischen Kisten war zu hören, wenn man auf der Suche nach irgend einem Sender war.
„Nun mach schon,“ wurde Bartholo langsam ungeduldig. „Bist du zu blöd, um so eine Anlage in Gang zu bringen?“
Wütend drehte sich Benno um. „Los, komm schon her,“ herrschte er Jonas an. „Du kennst dich doch besser mit dieser Dreckskiste aus.“
Anstatt zu warten, bis Jonas seiner Aufforderung nachkam, hieb er mit der offenen Pranke auf die Anlage, setzte aber mit seinem plötzlichen Gefühlsausbruch offenbar einen Prozess in Gang, der vollkommen unvorhersehbar war.
Unverständliches Stimmengemurmel, Pfeifen, Zischen, Brummen und undefinierbare Musikfetzen
kam nun aus den Boxen heraus .
Der erste Schlag schien Benno nicht zu genügen, denn er hieb noch ein zweites Mal drauf.
Und diese Mal mit noch mehr Wucht.
Die Anlage wackelte bedenklich, ächzte und knarzte aus allen Fugen.
Ein eigenartiges Aufstöhnen war nun zu hören. Fast wie bei einem Menschen, der gerade mit dem letzten Atemzug den Rest seines trostlosen Lebens aushaucht.
„Benno,“ zischte ihn Bartholo an. „Bist du noch ganz dicht? Lass diesen Schwachsinn.
Du hast das Ding kaputt gemacht. Mein Gott, du hast es mutwillig zerstört.
Hast du denn nichts in deiner Birne?“
Jonas saß mit zittrigen Gliedern auf seiner Couch. Das, was hier ablief, ging weit über seinen Verstand hinaus. Er kam sich vor wie jemand, der im Theater in der ersten Reihe sitzt und den Sinn der Vorstellung nicht begreift.
Soviel stand schon mal fest: Seine Anlage war hin. Bei einem nochmaligen Akt blinder Zerstörungswut würde sie zusammenfallen wie ein Kartenhaus.
Die Rangfolge von Bennos Vorgehensweise zeichnete sich jetzt klar ab: Erst seine heiß geliebte Powerstation und danach war er selbst dran.
Bartholo warf einen Blick auf seine Uhr. Wurde er langsam ungeduldig? Ging ihm mittlerweile Bennos unflexible und tumbe Art so langsam aber sicher auf die Nerven?
„Wir geben unserem Johnnyboy noch `ne kleine Pause,“ sagte er dann. „Sagen wir mal zehn Minuten.
Ich denke, dass die ganze Angelegenheit noch einen kleinen Aufschub verdient hat.
Timeout. Wir unterbrechen die Show noch mal für`n paar Minuten.
Das ist doch ganz in deinem Sinne, oder, Johnnyboy?“
„Ich heiße nicht Johnnyboy,“ gab ihm Jonas zur Antwort.“ Du weißt doch genau, wie ich heiße.“
„Natürlich weiß ich das... Johnnyboy.“
Bartholos Stimme war an Zynismus nicht mehr zu überbieten. Hier sprach Jemand, der die absolute Herrschaft über die Situation besaß.
„So,“ sagte er dann und machte sich an seiner Armbanduhr zu schaffen, „ich stelle jetzt mal
auf die Sekunde genau zehn Minuten ein. Nicht eine Sekunde länger. Schließlich habe ich diese
korrekte Art von euch Deutschen gelernt.“
Er grinste dabei Jonas auf eine geradezu unverschämte Art an.
„Hast du`n Bier in deiner Butze?“ fragte er dann. „N`schönes Kaltes?“
„Ja, im Kühlschrank.“
Jonas war mittlerweile so in sich zusammen gesackt, dass ein Häufchen Elend gegen ihn wie das blühende Leben aussehen musste.
„ Los Benno,“ forderte Bartholo seinen Kumpanen auf. „Hol zwei Flaschen. Oder willst du auch eine Johnnyboy?“ wandte er sich an Jonas. Kannst gern einen mit trinken.
Jonas ignorierte seine Provokation und schwieg.
Benno holte das Bier. Öffnete es auf die altbekannte Art mit dem Wegwerf - Feuerzeug.
Eine mehr als banale Fähigkeit, die Jonas aus unerklärlichen Gründen nie beherrscht hatte.
Die Zeit zog sich jetzt quälend langsam dahin.
Er hatte die erschreckende Vermutung, dass sie mittlerweile auch seine Gedanken unter Kontrolle hatten.
Auch seine geistige Erschöpfung war schon so weit fortgeschritten, dass er der felsenfesten Überzeugung war, inzwischen auch das Stadium der körperlichen Verwesung erreicht zu haben
Himmel Herrgott nochmal. Sie müssten es eigentlich doch schon riechen können.
Es entstand eine grausame Zeit der Stille. In den nächsten paar Minuten fiel nicht ein einziges Wort. Nur wenn sie ihre Flaschen ansetzten, waren das typische Gluckern und Brunos permanentes Rülpsen zu hören.
„Sie werden dich umbringen, umbringen, umbringen.“
Das Gedankenkarussel in Jonas Kopf drehte sich in rasanter und aberwitziger Schnelligkeit.
Seine Lebenskraft war gerade im Begriff ein letztes Farewell zu sagen. Seine sonst so gut funktionierende Batterie war leer.
Die Chance, sie wieder aufzuladen tendierte gegen null.
Da rang sich Jonas noch zu einer letzten verbalen Attacke gegen seine Peiniger durch.
„Ihr verdammten Hundesöhne,“ krächzte er, „was habt ihr davon, mich zum Krüppel zu machen?“
Keine Reaktion.
Zehn Minuten waren um.
Bartholo hatte sein Bier bereits ausgetrunken. Benno nahm seinen letzten Schluck aus der Flasche
und rülpste noch einmal.
Von jetzt an lief Jonas Hallbaum`s Wahrnehmung des Geschehens wie in Zeitlupe ab.
Sein Geist hatte sich auf unerklärliche Art und Weise von der Realzeit verabschiedet.
Er sah, wie sich Benno ein paar weiße Stoffhandschuhe über seine klobigen Hände streifte.
Geschätzte fünf Minuten dauerte diese Prozedur.
In Realzeit hätte er es, trotz seiner umständlichen Vorgehensweise, wahrscheinlich in dreißig Sekunden geschafft.
Wie aus weiter Entfernung hörte er Benno sagen: „Lass uns anfangen Bartholo. Es wird Zeit, dass wir in die Pötte kommen.“
Jonas fing an zu beten: „Oh Herr, lass es schnell zu Ende gehen. Bitte, bitte, lass mich nicht leiden.“
Er hörte draußen, von der Straße her, den Klang eines Martinshorns.
Überlaut und nervtötend, der aber plötzlich abrupt verstummte.
Für den Bruchteil einer Sekunde kam es ihm vor, als seien sie nur seinetwegen unterwegs, um ihn im allerletzten Moment vor Bennos harten Schlägen zu bewahren.
Nein. Ein hirnrissiger, nahezu aberwitziger Gedanke.
Woher sollten sie wissen, dass er sich in höchster Gefahr befand?
Benno kam jetzt auf ihn zu. Betont langsam.
Schon roch Jonas seinen widerlichen, abstoßenden Atem.
Zwei Meter vielleicht noch, dann würde er zum ersten Schlag ausholen.
Benno nahm sich Zeit. Fixierte ihn aufreizend ruhig. Es schien ihm eine Riesenspaß zu machen, Jonas Todesangst einzujagen.
„Benno,“ vernahm Jonas jetzt Bartholos warnende Stimme. „Übertreib es nicht. Denke daran, was Moyo dir eingetrichtert hat.
Mach es so, dass er noch eine Chance hat, irgendwann mal wieder wie ein Mensch auszusehen.“
„Werde mir Mühe geben,“ grunzte Benno und brachte sich in Position.
Es klingelte an der Tür. So spät noch? Wer konnte das sein?
Ein langer, nicht voraus zu ahnender Moment der Stille setzte ein. Ein Moment der Ratlosigkeit. Bis Bartholo die Situation wieder im Griff hatte.
Es klingelte noch einmal.
„Los, geh hin,“ forderte er Jonas auf. „Lass dir was einfallen und lass ja keinen rein, hast du verstanden? Lass ja keinen rein. Ansonsten hat der Typ da draußen ein Problem.“
Jonas nickte und ging zur Wohnungstür, öffnete sie einen Spalt breit. Gerade so weit, dass er sehen konnte, wer da vor der Tür stand.
Es war ein freundlich aussehender stoppelbärtiger Bursche mit eine Paket unterm Arm. Hundert mal erlebt. Links unten - im Parterre, da, wo seine Wohnung war.
Ein überaus beliebter Anlauf-und Klingelpunkt für sämtliche Paketdienste, die auf deutschen Straßen unterwegs waren.
„ Daily Delivery,“ sagte der Mann vom Paketdienst. „Tut mir leid, ist`n bisschen spät geworden. Meine Tour war länger als geplant. Würden Sie freundlicherweise das Paket für Frau Kreibich
annehmen?“
Manchmal kam es ihm vor, als wäre er ein heimlicher Mitarbeiter all dieser Paketzusteller - Dienste
Und die Anzahl der Pakete durch der nicht mehr zu zählenden Internet - Anbieter nahm dramatisch zu.
Es wäre langsam an der Zeit, dass sie ihm eine angemessene Provision zahlen würden.
„Okay,“ sagte er mit matter und tonloser Stimme. „Ist sie denn nicht da?“
„Nein,“ antwortete der Paketbote. „Niemand zu Hause.“
„Eigenartig,“ dachte Jonas. Sie verlässt doch so gut wie nie ihre Wohnung. Und abends schon gar nicht.“
„Ich nehm`s,“ sagte er, „aber werfen Sie ihr eine Notiz in den Briefkasten.“
„Mach ich,“ versprach ihm der Mann vom Paketservice. Er hielt ihm den Handscanner hin, drückte ihm einen Stift in die Hand und zeigte auf das Display.
„Hier, hier müssen Sie unterschreiben.“
„Ich weiß,“ sagte Jonas und kritzelte seinen Namen hin.
„Und wo ist das Paket?“
Diese Frage blieb unbeantwortet, denn plötzlich geschah etwas, dass der gesamten Situation eine unerwartete Wendung gab.
Die Wohnungstür flog auf. Urplötzlich und vollkommen überraschend für alle Beteiligten.
Blitzschnell standen vier vermummte Polizisten in schwarzer Montur und mit heruntergeklapptem Plexiglasvisier im Zimmer. Das Sturmgewehr im Anschlag.
Einer der schwarz gekleideten schob ihn unsanft zur Seite.
„Okay, Sie sind raus,“ sagte er. „Die andern beiden auf die Knie. Aber flott.“
Die Welt von Benno und Bartholo schien plötzlich und unverhofft völlig aus den Fugen geraten zu sein. Sekunden zuvor waren die beiden noch die absoluten Herrscher über einen wehr - und hilflosen Menschen.Und jetzt hatten sich die Verhältnisse dramatisch verändert.
„Was`n, was`n jetzt los?„ brabbelte Benno irritiert vor sich hin, nicht begreifend, was hier gerade passierte und ging wie ein Mehlsack in die Knie.
Einen Atemzug weiter klickte schon das erste Paar Handschellen. Bennos persönliche Freiheit war vorübergehend außer Kraft gesetzt. Bartholo ließ die Aufforderung des Polizisten, auf die Knie zu gehen, vollkommen kalt. Er blieb einfach sitzen.Was sollte ihm denn schon passieren? Er hatte die ganze Zeit doch nur rum gesessen.
Eine fatale Fehleinschätzung.
Sekunden später schlossen sich die stählernen Fesseln auch um seine Handgelenke.
„Hausfriedensbruch, unmittelbar vor einem tätlichen Angriff, mit unabsehbaren Folgen für die Gesundheit eines unbescholtenen Bürgers,“ sagte der Bulle. „Das reicht, um euch vorläufig aus dem Verkehr zu ziehen.“ Dann gab er seinen Kollegen einen Wink.
„So, Abmarsch.“
Jonas saß mit wachsbleichem Gesicht in seinem Sessel. Das Zittern seines gesamten Körpers
war unübersehbar.
Bisher war ihm dieses Phänomen nur aus längst vergangenen Kindertagen bekannt, wenn er mit einer schweren Erkältung im Bett lag und diesen so verhassten Schüttelfrost mit klappernden Zähnen überstehen musste.Wie oft hatte er darunter gelitten.
Niemand, noch nicht mal seine Mutter hatte ihm damals erklären können, warum diese Angst einjagenden Symptome jedes mal bei Körpertemperaturen ab 39 Grad seinen spindeldürren Kinderkörper so sehr attackierten.Vollkommen überfordert und mit seiner psychischen Kraft am Ende, ließ er das Geschehen emotionslos über sich ergehen. Der Kommandogeber - soweit war es für ihn klar - und somit auch der Einsatzleiter setze seinen Schutzhelm ab und zog sich die Sturmhaube vom Kopf.
„Durchatmen,“ sagte er zu Jonas. Sein Gesicht blieb neutral, ohne jede Regung. “Ist ja alles gut gelaufen. Die Sache ist vorbei.“
„Dieser Paketbote eben,“ fragte Jonas irritiert und einfach nicht begreifend, was sich hier gerade vor seinen Augen abgespielt hatte. „War das einer von...“
„Ja, er war einer einer von uns,“ unterbrach ihn der mutmaßliche Einsatzleiter. Wären wir auf diese Art nicht reingekommen, hätten wir uns gewaltsam Eintritt zu Ihrer Wohnung verschaffen müssen.“
„Wie, wie ...wie konnten Sie wissen, dass ...“
„Wir bekamen....Moment mal,“ unterbrach ihn erneut der SEK - Mann.
Er bückte sich und hob das demolierte Telefon auf. „Ah, hier ist ja das gute Stück.“
„Gute Qualität,“ meinte er dann anerkennend und betrachtete es von allen Seiten. “Hat ganz schön was ausgehalten.“
„Gute Qualität?“ fragte Jonas irritiert. „Das Ding ist hin. Das sieht doch jeder.“
„Sie sind heute viermal von einer Frau angerufen worden. Auf diesem Telefon hier.“
Er hielt das demolierte Ding hoch. „Richtig?“.
„Ja,“ antwortete er. „Sie hat mich total genervt und immer wieder angerufen. Ich frage mich, wie man nur so dreist und hartnäckig sein kann.
Ich hab ihr schon beim ersten Anruf deutlich gemacht, dass sie mich in Ruhe lassen soll. Aber dann versuchte sie es immer wieder.“
„Seien Sie froh, dass sie so dreist und hartnäckig war.
Ich kann nur mutmaßen, was sonst mit Ihnen passiert wäre.“
„Dieses Telefon hier,“ er zeigte wieder auf den demolierten Hörer, „hat immerhin noch so gut funktioniert, dass sie alles mithören konnte, was hier in diesem Zimmer ablief.
Was glauben Sie denn, wer uns angerufen hat?
Wir dachten schon, wir schaffen es nicht, aber es ging ja noch mal gut.“
„Haben Sie Ihre Nummer?“ fragte ihn Jonas. „Ich muss mich bei ihr bedanken.
Das ist ja wohl das mindeste, was ich ihr schuldig bin.“
„Ja, die haben wir. Aber wir haben auch glasklare Bestimmungen. Alle Daten die wir erhalten, aus welchen Quellen auch immer, werden niemals weitergegeben.
Unsere Datenschutzbedingungen sind klar und eindeutig formuliert. Ich nehme an, Sie haben Verständnis dafür.“
„Ja, habe ich, aber trotzdem. In diesem Fall könnten Sie doch...“
„Wie ich schon sagte,“ unterbrach ihn der Schwarzgekleidete, „es werden grundsätzlich keine Daten an Dritte weiter gegeben. Bitte akzeptieren Sie das.“Das waren klare und unmissverständliche Worte und ließen keinerlei Spielraum für irgendwelche Verhandlungen, um feststehende Regeln außer Kraft zu setzen.
„Besitzen Sie noch ein zweites Telefon mit derselben Nummer wie diese Crashversion hier oder ein Handy?“
Der SEK - Mann ging wieder zur allgemeinen Tagesordnung über.
„Beides.“ antwortete Jonas.
„OK“.
Der SEK - Mann gab ihm eine Visitenkarte mit der Adresse und Telefonnummer vom dritten Polizeirevier.
„Rufen Sie da an und machen Sie mit Hauptkommissar Enderlein einen Termin wegen Ihrer Aussage. Aber bitte kurzfristig und nicht erst in acht Tagen. Merken Sie sich den Namen: Enderlein.“
Als der SEK-Mann draußen war, atmete Jonas erst einmal kräftig durch. Diese unglaubliche seelische Anspannung und diese lähmende Angst musste er erst einmal verarbeiten.
Das Leben hatte wieder einen Sinn. Sein Lebensmut nahm mehr und mehr an Fahrt auf.
Der Gedanke an Moyo bereitete ihm von nun keine Furcht mehr. Jetzt, wo seine Leute aus dem Verkehr gezogen waren.
Noch mal solch eine Aktion wie eben konnte er sich nicht mehr erlauben.
Die Polizei würde ab sofort ein besonders wachsames Auge auf ihn werfen.
Jetzt besaß er die besseren Karten. Er würde sich schon auf einen moderaten Rückzahlmodus mit Moyo einigen. Ja, das würde er. Und wenn es hundert Jahre und mehr dauern würde, bis Moyo den letzten Cent in der Hand hielt.
Moyo würde es schon verkraften können. Und er selbst würde damit prima leben.
Er blieb noch für ein paar Minuten in seinem Sessel sitzen, schloss die Augen, atmete einige Male tief, um dann in den normalen Atemrhythmus zu kommen. Endlich konnte er wieder abschalten, seine Gedanken auf innere Ruhe und Gelassenheit fokussieren.
Das gewohnte und zigfach erprobte Programm funktionierte wieder wie in besten Tagen.
Nach geschätzten zehn Minuten der absoluten Entspannung öffnete er die Augen.
Dehnte noch einmal sämtliche Muskeln, gähnte herzhaft und stand mit dem Gefühl auf, wieder wie neugeboren zu sein
Er war - fast - wieder der alte Jonas Hallbaum. So, wie er sich selbst am liebsten mochte.
Jetzt konnte allmählich der gemütliche Teil des Abends beginnen.
Der Gedanke an ein kaltes Bier ließ ihn fast vor Freude erschauern. Mein Gott, ein Bier.
Was für ein köstlicher Genuss stand ihm gleich bevor.
Zwei Flaschen, abgerechnet die beiden von Benno und Bartholo, wären immerhin noch vier, die im Kühlschrank standen.
Dem Herrn sei gedankt, dass er sich gestern einen Sechser - Pack zugelegt hatte.
Das würde reichen - für den heutigen Abend.
Als er die Küchentür öffnete klingelte das Telefon. Das zweite, noch intakte.
Er hätte nie ein zweites gebraucht, doch sein Vormieter hatte ihm freundlicherweise beide überlassen. Jetzt war er froh, dass eines davon noch funktionstüchtig war.
Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, dass es jetzt kurz nach neun war. Wer konnte das noch sein? Um diese Zeit? Die Polizei, wer sonst! Natürlich. Höchstwahrscheinlich gab es da noch ein paar dringende Rückfragen.
Er ging zurück auf den Flur und nahm den Hörer ab. „Ja, hier Hallbaum.“
„Guten Abend, Herr Hallbaum.“
Diese Stimme kam ihm ausgesprochen bekannt vor.
Er hatte sie im Laufe des Abends - wenn auch nur kurz - bei sage und schreibe vier Anrufen gehört.
Hatten ihn diese Anrufe jedes mal total genervt und bis an den Rand eines Wutanfalles gebracht, war es jetzt so, als würde ihm diese Stimme gleich liebreizende Worte in sein Ohr hinein hauchen.
Mit einer Harfe spielenden Engelsschar im Hintergrund.
Hätte sie ihm in diesem Moment persönlich gegenüber gestanden, hätte er sie ohne zu zögern in die Arme genommen und fünf Minuten lang nicht mehr los gelassen.
„Schön, dass Sie anrufen,“ sagte er diesmal sichtlich erfreut, ihre Stimme wieder zu hören.
„Das ist ja eine echte Überraschung. Damit habe ich ja nun wirklich nicht gerechnet.
Bevor ich mich bei Ihnen bedanke, sollten wir zuerst das Geschäftliche regeln.
Ich denke, Sie haben es mehr als verdient, dass ich Ihren Umsatz ein klein wenig ankurbele.
Was halten Sie davon?
Ich nehme Ihnen ein, ...nein - zwei Abos ab. Noch ein drittes lassen meine finanziellen Möglichkeiten leider nicht zu. Stern und Focus wären ganz in meinem Sinne. Über die Modalitäten reden wir später, denn jetzt möchte ich mich bei Ihnen über ihre beispiellose Rettungsaktion bedanken.
Ohne Ihren Anruf bei der Polizei wäre ich... nein, ich will es mir nicht ausmalen, was ich wäre.
Haben Sie noch einmal herzlichen Dank dafür. Das werde ich Ihnen nie in diesem Leben vergessen. Nie.“
Sie hatte bis jetzt geduldig zugehört.
„Herr Hallbaum,“ sagte sie dann mit sanfter Stimme, „zu keiner Zeit hatte ich vor, ihnen irgend
ein dubioses Abonnement für ein Magazin anzudrehen. So etwas wäre mir zutiefst zu wider.“
„Wie bitte?“
„Sie haben richtig gehört. So etwas wäre mir zutiefst zu wider.Ich sitze in diesem Moment gemütlich in meinem Sessel, bei einem Glas Rotwein. Es sind für die Jahreszeit ein paar Grad zu wenig auf dem Thermometer. Ich habe mir gerade eine Decke geholt und mich ein bisschen eingemummelt. Frieren möchte ich nicht und der nächste Winter kommt bestimmt. Wie sie wahrscheinlich hören, habe ich eine CD aufgelegt. Mozarts Zauberflöte. Meine Lieblingsoper. So ein akustischer Kunstgenuss rundet den Abend für mich erst so richtig ab.
Allerdings - und da bin ich ehrlich - hat der Anruf von Ihrem dritten Polizeirevier bei mir ein noch größeres Gefühl der Freude ausgelöst.
Sie glauben gar nicht, wie erleichtert ich bin, dass die ganze Sache ein so gutes Ende genommen hat.“
„Ja, die Jungs vom SEK waren Klasse. Profis eben, die ihren Job perfekt beherrschen.
Aber nun hätte ich jetzt gern mal gewusst, was der wirkliche Grund Ihrer - bitte entschuldigen Sie diese Formulierung - so unerbittlich beharrlichen Anrufe war.“
„Herr Hallbaum,“ klärte sie ihn auf. „Sie erinnern sich sicherlich daran, dass Sie an unserem Kronkorken - Gewinnspiel teil genommen haben?“
„Moment, nur einen kleinen Moment bitte„ sagte er. „Ich gehe jetzt zum Kühlschrank und hole mir ein Bier. Wenn Sie schon an ihrem Rotwein nippen, dann steht es mir auch zu, ein Bier auf zu machen. Wir können uns dann ja gegenseitig zu prosten“
„Ja, das können wir,“ sagte sie. „Ich habe Zeit. Holen Sie sich ruhig Ihr Bier. Mozart wird sich deswegen nicht aus der Ruhe bringen lassen.“
Nach gut einer Minute kam er mit der geöffneten Bierflasche zurück. Bevor er wieder den Hörer in die Hand nahm, gönnte er sich den ersten Schluck.Was für eine Wohltat.
Er ging - rechts den Hörer am Ohr und links die Flasche Bier in der Hand - ins Wohnzimmer zurück.
Eigentlich ging er nicht. Nein, er schwebte. Vor lauter Glückseligkeit, außer ein paar seelischen Kratzern, unbeschadet aus der Hölle zurück gekommen zu sein. Gefühle lassen sich nicht beschreiben. Gäbe es noch eine zusätzliche Richterskala, die nicht nur die Stärke eines Erdbebens anzeigt, sondern auch menschliche Gefühle, wäre er jetzt auf Stufe acht angelangt.Wenn man seine augenblickliche Gemütsverfassung in die entsprechende Relation setzte.
Jonas Hallbaum hielt jetzt das totale Glück in beiden Händen. So fest, dass er es am liebsten niemals mehr aus der Hand geben würde.
„Ja, an das Gewinnspiel kann ich mich noch gut erinnern,“ sagte er dann gut gelaunt, setze sich in seinen Ikeasessel und stellte die Flasche auf dem Tisch ab.
„Ist ja gerade mal ein paar Wochen her. He, warten Sie mal.“
Er schien in seiner Erinnerung noch ein paar Zentimeter mehr in die Tiefe gegangen zu sein.
„Dann sind Sie also von der Behringer - Brauerei?“
„Richtig erkannt.“
„Allmählich,“ sagte er und nahm wieder die Flasche in die Hand, „allmählich komme ich dahinter, dass ich auf Ihrer Gewinnerliste stehen muss. Das ist ja der blanke Wahnsinn. Bis jetzt hab ich noch nie irgendwas gewonnen.
Noch nicht mal ein Päckchen Kaugummi beim Glücksraddrehen im Supermarkt.
Keine Ahnung, weshalb ich den Kronkorken umgedreht habe.Es war wohl so etwas wie eine intuitive Eingebung.
Kleiner Verbesserungsvorschlag von mir: In Zukunft die Schrift etwas vergrößern. Ich hätte mir fast eine Lupe geholt, so mickrig waren die Buchstaben.“
„Ich werde Ihren Vorschlag weiter geben,“ sagte sie ernsthaft.
„Ja, das wäre schön. Normalerweise werfe ich die Kronkorken immer gleich weg. Was soll man denn schon damit machen? Allerdings, es gibt ja Leute, die so was sammeln.
Wenn sie einen Sack davon voll haben, dann tauschen sie ihn in Bares ein. Wahrscheinlich, weil Mamma mit dem Taschengeld so knauserig ist.
Aber wenn Sie mir jetzt die erfreuliche Mitteilung machen, dass ich ein 5 Liter - Fässchen und vier Gläser gewonnen habe, dann wäre das ein freudiger Abschluss des heutigen Abends. Nach all diesem Ärger.“
„Herr Hallbaum, glauben Sie im Ernst, ich würde Sie wegen eines 5 Liter - Fässchens und vier Biergläser anrufen? Und das gleich mehrere Male hintereinander?
Glauben Sie das wirklich im Ernst?“
„Na ja, also, nicht so ganz.“
„Sehen Sie, dann kommen wir der Sache schon ein kleines Stückchen näher.
Können Sie sich noch dran erinnern, was unser Hauptgewinn ist?“
„Aber sicher, eine Million. Auf den Cent. Es sei denn, Sie haben es sich kurzfristig noch anders überlegt.“
„Natürlich nicht. Der Imageschaden wäre nie wieder gut zu machen.
Ich will es jetzt auf den Punkt bringen, Herr Hallbaum.
Können Sie sich vorstellen, dass genau diese Million in den nächsten drei Tagen auf Ihrem Konto erscheint? Auf den Cent, wie Sie es eben gerade so schön gesagt haben.“
„Das kann ich mir, ehrlich gesagt, eigentlich nicht so gut vorstellen,“ entgegnete er und zuckte plötzlich zusammen.
Sollte sie vielleicht...? Nein, das konnte nicht sein. Er hatte das plötzliche Verlangen an die frische Luft zu gehen, um seine Gedanken wieder in die richtige Reihenfolge zu bringen.
Hier drin war alles zu eng. Hier drin schien die Konfusion wieder auszubrechen. Sein Atem
ging mittlerweile wieder stoßweise. Aber nicht, weil diese furchtbare Angst wieder an ihm nagte.
Nein, weil er so langsam registrierte, dass die Gefühlsachterbahn, in der er vor einer guten Viertelstunde noch saß, plötzlich eine aberwitzige Kehrtwendung gemacht hatte und in die genau entgegen gesetzte Richtung fuhr.
Sie hatte seinen heftig gehenden Atem mitbekommen
„Herr Hallbaum,“ sagte sie dann im sanften Tonfall, „nun bleiben Sie mal ganz ruhig. Am besten, Sie atmen jetzt erst ein paar Mal tief durch.
Ich habe den Auftrag meiner Brauerei - das heißt, den hatte ich eigentlich schon die ganze Zeit
über - Ihnen mitzuteilen, dass Sie diese Million gewonnen haben. Meinen herzlichen Glückwunsch.
In Anbetracht der schrecklichen Dinge, die Sie durchmachen mussten, bin ich der festen Überzeugung, dass gerade Sie den Hauptgewinn verdient haben.
Das einzige, was Sie heute Abend noch tun müssen, ist mir Ihre Bankverbindung und ihre Kontonummer anzugeben.
Und damit wären die notwendigen Formalitäten auch schon erledigt.“
Instinktiv griff er zur Flasche, nahm einen Schluck, setzte die Flasche wieder ab. Nahm noch einen Schluck. „Moment bitte, eine Sekunde.“
Sein Blick war auf den von Benno so achtlos auf den Tisch geworfenen Vertrag, der so vehement sein Ziel verfehlte und knapp aber präzise auf dem Teppichboden landete, gefallen.
Er hob ihn auf, faltete ihn zusammen, sah sich im Zimmer um - und fand die Lösung.
Er nahm das zusammengefaltete Stück Papier und schob es mit dem Fuß unter die Couch.
Moyo war ab sofort in die Warteschleife versetzt. Mal sehen, auf welche Art und Weise er wieder Kontakt zu ihm aufnehmen würde.
„Herr Hallbaum, sind Sie noch dran,“ fragte sie besorgt.
„Ja, ja, ja, Bin ich.“
Können Sie mir einen Gefallen tun?“ fragte er Sie dann.
„Wenn ich ihn erfüllen kann, gern“
„Sagen Sie mir bitte, dass ich nicht träume. Das alles das, was ich eben gehört habe, der Wahrheit entspricht.“
„Nein, Sie träumen nicht. Die Million gehört Ihnen. Aber träumen können Sie immer noch.
Von Dingen, die Sie sich jetzt mit Ihrem Gewinn erlauben können.
Erfüllen Sie sich endlich einen lang gehegten Wunsch. Nehmen sie den nötigen Abstand von Ihrem traumatischen Erlebnis.Verreisen Sie doch einfach erst einmal. Am besten für zwei oder besser drei Wochen. Weit weg von hier. So weit, wie es geht. Ich hätte da einen guten Tipp für Sie. Einen echten Geheimtipp sozusagen.“
„Für gute Tipps habe ich immer ein offenes Ohr.“
„Wie wäre es - mit Tonga? Zum Beispiel,“ sagte sie. Das ist eine Insel im Südpazifik.und ein wahres Paradies. Eines der schönsten weltweit.
Ein Ort, wo Sie noch nicht mal das CIA finden würde, falls die hinter Ihnen her wären.“
“Wie bitte?“
Jonas Hallbaum klappte im wahrsten Sinne des Wortes der Unterkiefer runter.
„Bitte fassen Sie diese Bemerkung als Scherz auf, „ entschuldigte sie sich lachend.
„Gefällt Ihnen mein Vorschlag?“
Er brauchte eine gewisse Zeit, um ihre Worte zu verdauen.
„Ja,“ sagte er schließlich. „Er gefällt mir. Nach Tonga wollte ich eigentlich schon immer mal hin.“
Und er hatte einen unschätzbaren Vorteil. Er kannte den Weg. Wenn auch nur in Gedanken:
Erst mit dem Nachtzug nach Marseille.Von da aus mit dem Schiff nach Mumbay - und dann, mit einem anderen Schiff nach Australien und von da aus - als letzte Etappe - nach Tonga.
Moment mal, hatte er da nicht eine „winzige Kleinigkeit“ vergessen? Aber natürlich. Jetzt konnte er
sich ein Flugzeug leisten und sich somit die Strapazen einer langwierigen Schiffspassage ersparen.
Und in die Hängematte, da könnten sich jetzt andere reinlegen.Was für ein Luxus.

Sechs Tage 5 Stunden 57 Minuten nach Ende des Countdowns...

Tonga, Inselgruppe Vava`u - gegen vier Uhr nachmittags

Jonas Hallbaum schwamm im 27Grad warmen Wasser. An Moyo Serrano dachte er keine Sekunde mehr, zumal Moyo nicht ein einziges Mal irgend ein Lebenszeichen von sich gab. Sein Verhalten war schon sehr merkwürdig und passte überhaupt nicht zu ihm. Was hielt ihn zurück, einfach mal zum Telefon zu greifen und ihn anzurufen?
Der Hotelpool war für den heutigen Tag die richtige Entscheidung. Die Wellen des Südpazifiks
waren einfach zu hoch und bedeuteten selbst für einen routinierten Schwimmer wie ihn erhöhte Gefahr. Er zog sich am Beckenrand des Pools hoch, winkte den Kellner heran, bestellte einen Drink und trocknete sich ab. Er war jetzt mit sich und der Welt im Reinen. Schon nach drei Tagen war die Million auf seinem Konto eingegangen, plus 100 Euro für ein nagelneues Telefon - Twinset, wie auf der Überweisung zu lesen war. Ja, die Behringer - Bräu bewies eindrucksvoll, dass sie auf guten Stil großen Wert legte.
Bevor er die lange Reise antrat, hatte er seine Tätigkeit bei B&A als Verkäufer für Herrenmode in Übergröße auf ziemlich undiplomatische Art und Weise für beendet erklärt und seinem Chef noch einmal ordentlich die Meinung gegeigt.
Was sein musste, musste sein.
Der Drink kam. Der Kellner stellte ihn auf dem kleinen Beistelltisch ab, der direkt neben seiner Liege stand.
Es war 16 Uhr und Zeit, sein neues Iphone einzuschalten.
Als es betriebsbereit war, gab er den Namen seiner Tageszeitung ein. Für ihn war es das reinste Vergnügen, jeden Tag die neuesten Nachrichten aus seiner Heimatzeitung abzurufen.
Auf Seite 1 stachen ihm zwei Kurzmeldungen ins Auge:
Moyo Serrano, der Pate, mitten im Pokerspiel verhaftet - und dann, als I - Tüpfelchen:
Der flüchtige Jean - Pierre Casburg auf der Fähre von Le Havre nach Dover festgenommen.
Lesen Sie auf Seite 3 die ausführlichen Berichte über diese spektakulären Festnahmen.
Er spürte schon wieder dieses eigenartige Engegefühl in der Brust und wie sein Herz die Geschwindigkeit dramatisch veränderte.
Es hämmerte schließlich wie verrückt und Jonas hätte wetten mögen, dass es jeden Moment aus der Brust springen würde.
„Ruhig, Junge,“ befahl er sich, „werde wieder ruhig. Kein Grund zur Panik. Du bist aus dem Spiel.
Und für Moyo und Casburg fängt es gerade erst an.“
Er nahm den ersten Schluck von seinem Martini, atmete noch einmal tief durch und las als erstes
den Bericht über die überraschende Verhaftung von Moyo Serrano.
Was für ein Hammer. Sie hatten Moyo direkt aus einem illegalen Pokerspiel heraus geholt.
Handel mit Drogen und Steuerhinterziehung im großen Stil wurde ihm vorgeworfen.
Außerdem gab es jetzt den eindeutigen Beweis, dass Moyo einen schwunghaften Handel mit minderjährigen Mädchen betrieb und sie in Bordelle nach Frankreich und Italien verkaufte.
Sein gesamtes Vermögen wurde aus Sicherheitsgründen beschlagnahmt, damit der ehrenwerte Moyo nicht noch im letzten Moment Geld beiseite schaffen konnte.
Die Staatsanwaltschaft erklärte, dass Moyo Serrano den Rest seines Lebens hinter Gittern verbringen würde. Die Aussicht, dass er irgendwann mal aus dem Knast rauskommen könnte, tendierte unter Null.
Was für eine phantastische Meldung. Serrano für alle Zeiten dieser Welt im Knast. Der Schuldzettel über 88 000. Wo lag er nochmal? Richtig, unter der Couch.
Kein Hahn würde jetzt mehr nach diesem Schuldzettel krähen.
Das hieße, ja, das hieße tatsächlich, dass dieses Geld dem guten Moyo so mir nichts dir nichts auf wundersame Art und Weise abhanden gekommen war. Der ehrbaren und unfehlbaren Justiz sei Dank.
Bericht zwei wies eine ähnlich Brisanz auf.
Als sie Casburg auf der Fähre schnappten, gab er im anschließenden Verhör an, dass er bisher keinen Cent des erschwindelten Geldes ausgegeben habe. Er würde es den geprellten Geldgebern auf „Heller und Pfennig“ zurück geben. Mit der Hoffnung. dass sich dadurch das zu erwartende Strafmaß erheblich reduzieren würde.
„Wahnsinn,“ dachte Jonas Hallbaum, „ das ist der absolute Wahnsinn. Was für unfassbare Nachrichten. An einem einzigen Tag. Was heißt Tag? In einer einzigen Minute!“
Er rief wieder den Kellner heran.
„Schütten Sie das Zeug hier weg,“ sagte er und wies auf sein Martiniglas. „Und bringen Sie mir was vernünftiges. Ich glaube, eine Flasche Champagner wäre jetzt eher angebracht...“

 

Hallo Ralf!

Willkommen bei den Wortkriegern!

Du möchtest Spannungsliteratur schreiben? Dann gebe ich dir gleich einen irre wichtigen Ratschlag: Fasse dich kurz! Bisher servierst du dem Leser die ein- und dieselben Infos nicht doppelt und dreifach, sondern in etwa zehn verschiedenen Variationen!
=> Kürzen, Ralf, kürzen, kürzen, kürzen! Sprachlich präziser werden und dem Leser vertrauen, dass er etwas kapiert, wenn du es einmal gesagt hast.
=> Versuche, deinen 12.000-Wörter-Text auf 2.000 Wörter herunterzubrechen. Fehlt dann noch irgendwas? Müsste man sehen, aber versuche es mal.
=> In der jetzigen Version ist dein Text aufgrund der Wiederholungen einfach ziemlich langweilig, sorry.

So, Ralf, ich hoffe, du bist nun nicht böse. Das da oben ist nur meine Meinung zu deinem Text. Das ist nicht gegen dich persönlich gemeint. (Warum sollte es auch? Ich kenne dich persönlich ja gar nicht.) Mir geht es um Textarbeit und ich liebe nun mal spannende Geschichten.
=> Mach eine spannende Geschichte aus deinem Text, dann lese ich noch mal und kann dir sicher weitere Tipps geben.

Grüße,
Chris

 

Hallo Chris,
nein, ich bin dir beim besten Willen nicht böse, ganz im Gegenteil. Hauptgrund, bei euch Mitglied zu werden, war ehrliche Kritik zu bekommen. Ich werde mir meine Story noch einmal zu Gemüte ziehen. Ob ich das mit den 2000 Wörtern hin bekomme, weiß ich noch nicht so genau. Auf alle Fälle werde ich es versuchen.

Beste Grüße von Ralf...

 

Hallo Ralf,

erstmal herzlich Willkommen hier. Wenn ich das richtig sehe, ist dies deine erste Kurzgeschichte hier.
Wobei kurz ja gelogen wäre :lol:
Dennoch habe ich komplett gelesen.
Ich denke, Du hast Potenzial, denn wenn mich nach einigen Zeilen eine Geschichte nicht neugierig gemacht hat (vor allem eine so lange) gebe ich ihr kaum eine Chance! Also Interesse hat sie auf jeden Fall geweckt, trotz einiger Fehler.

Wie Chris schon gesagt hat, ist sie zu lang. Du wiederholst dich, so einiges kann man da streichen.
Und achte unbedingt auf die Anführungszeichen bei der wörtlichen Rede! Manchmal hast du sie gesetzt, obwohl dein Prot noch weiter geredet hat und manchmal fehlen sie komplett.
Ich führe mal ein paar Beispiele an:

„Jonas, Mann, alter Junge. Erfreulich, mal wieder deine Stimme zu hören. Mein Gott noch mal. Wie lange habe ich von dir nichts gehört? Das müssen doch schon Lichtjahre her sein. Jedenfalls kommt es mir so vor.
Um deine Frage zu beantworten: ,,Ja, mir geht’s gut.
Ich hoffe, das Gleiche jetzt von dir zu hören.“
Die dick gedruckten sind zu viel.

[...]Ansonsten säße der saubere Moyo bei Wasser und Brot im Knast. Anders ist dieses Skandalurteil für diesen Scheißkerl nicht zu begreifen.,,
Die gehören am Ende nach oben, passiert dir öfters.

„Es ist so, Moyo,“ sagte er mit auffallend heiserer Stimme,'' ich habe da ein Problem[...]
Am Anfang der wörtlichen Rede gehören die Anführungszeichen nach unten, passiert auch öfters, hab ein Auge drauf.

„Sag mir was, Johnnyboy, sag mir was?''
Hier hast du sie vergessen.


Ich denke, du weißt, worauf ich hinaus möchte ;)
Wenn du den Text überarbeitest, achte unbedingt auf deine Zeichensetzung, hier und da fehlt auch ein Punkt, du machst dann einen Zeilenumbruch und schreibst groß weiter.
Wo wir gerade bei Zeilenumbrüchen sind: es sind zu viele. Gerade in der wörtlichen Rede ist es nicht von Nöten, einen Zeilenumbruch zu verwenden, wenn immer noch die selbe Person spricht. Das verwirrt nur. Vor allem wenn die Anführungszeichen vergessen wurden :lol:
In einem Dialog sieht es aber ansprechend aus. Versuchs mal :)


Trotzdem fand ich die Geschichte nicht schlecht, das Kronkorken-Gewinnspiel hatte ich nicht erwartet, hat mich überrascht und gefreut :anstoss:

Also alles in allem, gern gelesen, aber nehm sie dir trotzdem nochmal vor :read:

Happy Weekend

Joey

 

Hallo Ralf,

Die Umsetzung deiner guten Idee, wie kommt ein unscheinbarer Held aus einer ausweglosen Situation, überzeugt mich noch nicht vollends.
Dass du etwas kürzen sollst, haben die anderen ja schon gesagt. Ob eine Geschichte besser wird, wenn es statt 12000 Wörter am Ende 2000 Wörter sind, kommt drauf an. Ich finde, wenn du genauer schreibst, überflüssige Redewendungen umwandelst in Aktionen, in Beschreibungen und nachvollziehbare Gefühle, aus Worthülsen ohne Bedeutung kraftvolle Sätze machst, kann die Geschichte auch 4000 oder 8000 Wörter haben und dennoch flott geschrieben sein.
„Noch drei Stunden 38 Minuten - und der Countdown läuft...“
Darüber bin ich gleich gestolpert. In der Regel ist der Countdown das Rückwärtszählen der letzten 20 Sekunden vor dem Start eines minutiös geplanten Ereignisses, i.d. Regel Rakete oder etwas anderes.
Aber jetzt 218 Minuten runterzuzählen ist langweilig. Warum nicht „In drei Stunden bin ich tot“ sagen? Aber meine Augen lasen schon weiter. Dem Helden steht das Wasser bis zum Hals - sogar drüber. Schönes Bild – eigentlich. Als ich in den nächsten Sätzen erkannte, dass er nicht wirklich im Wasser stand, war ich schon enttäuscht. Eine alte Redewendung nur.
Denk dir lieber was eigenes aus. Überrasche den Leser.
Dein Held lässt mich nicht mitfühlen. Sein Handeln kann ich oft nicht nachvollziehen, weil mir wichtige Erklärungen zur seinem Typ fehlen. Dass er sich da auf diese windige Auto-Geschichte einlässt, Geld von einem Gangster leiht, nehme ich noch hin, wenn du näher und klarer die Situationen beschreibst. Aber wie er sich dann verhält, ist eher seltsam. Das hängt auch damit zusammen, dass deine Geschichte zu viele Rückblenden und noch sehr verworren wirkt. Ich fände es besser, wenn du diese Countdown Absätze weglässt, aber die Story auf 24h komprimierst. Party abends, Nachts Treffen im Fitnesstudio mit Geldübergabe, Geld an Betrüger am morgen im Golfclub, News über Pleite am Mittag, Suche nach Ausweg etc. Dann wird der Held von den Ereignissen überrollt und der Leser fiebert mit, was kommt als nächstes und ein Gewinn rettet seine Flucht und Leben. Dann entfallen alle Rückblenden. Du könntest mit Dialogen den Casberg (toller Name) besser darstellen und warum Moyo (auch der Name gefällt mir) dem Helden Geld gibt. Und der Hauptgewinn kommt dann locker daher und wirkt nicht so gekünstelt.
Die Figurenzeichnungen sind zu ungenau. Zuerst meinte ich, dass Moyo als Geldgeber dabei war, der von dem Deal mit den Oldtimern wusste und mit dem Helden absahnen wollte. Dann wird Moyo ein reiner Geldhai und später wird er der Pate der Stadt, der einen Artikel in einer Zeitung wert ist. Ein bisschen viel Entwicklung für eine Nebenfigur. Prüfe die Funktionen deiner Figuren. Wie stehen sie zueinander. Wenn ich die Lebensläufe meiner Figuren schreibe, schicke ich sie mal zusammen ins Fußballstadion, setzte sie auf die Titanic, schaue zu, wie sie sich bei einer Kneipenschlägerei machen. Wer flieht, wer hilft, wer kommt um, wer ist wirklich egoistisch, die Ergebnisse sind oft überraschend, aber ungemein wertvoll, wenn ich die Figuren dann in ihrer Geschichte aufeinander loslasse.
Die Reaktion auf den ersten Anruf der Glücksfee kam ohne Motivation, war nur dem Umstand geschuldet, den Gewinn solange wie möglich geheimzuhalten. Beim zweiten Mal konnte ich nicht nachvollziehen, dass der Held die Frau nicht anhören will, obwohl er sich selbst als ruhige Person sieht, nach allen möglichen Auswegen sucht. Diese plötzliche Wut, die Unhöflichkeit, macht ihn unsympathisch. Besser im Vorfeld erklären, wenn das überhaupt geht, z.B. dass er jeden Abend von Verlagen für Abos angerufen wird. Dann bekommt das eine andere Würze. Dann wirkt die Handlung wie tausendmal den Hörer abgehoben und nichts gewonnen. Dem 1001. Klingeln glaubt man nichts mehr.

Der Sprachstil passt nicht für den allwissenden Erzähler. Dafür streust du zu viele Kraftausdrücke, sind die Grenzen zwischen den Gedanken des Helden und der Situationsbeschreibung nicht klar. Das erschwert mir zu verstehen, wo ich mich gerade befinde: im Kopf oder neben ihm. Ein neutraler Erzähler darf nicht kommentieren. Ich könnte mir die Geschichte gut in der Ich-Perspektive vorstellen. Dann können Kraftausdrücke gebraucht werden, weil der Held automatisch der Erzähler ist.
Wenn du ihn mit den beiden Schlägern nicht ganz so hilflos erscheinen lässt, hätte ich mehr Sympathie für ihn. Er flucht vor allem. Er strengt sich nicht an, ist nicht aktiv, an seiner Situation etwas zu ändern. Die Million hat er nicht verdient. Gekämpft hat er nämlich nicht.

Zum Handwerklichen: Stellvertretend für viele andere Sätze nehme ich diesen Satz.
„Weil Jean Pierre Casburg - gemäß seiner inneren und somit großkotzigen Überzeugung -
seine Geschäfte stets im großen Stil abzuwickeln pflegte, hatte er den erlauchten Kreis der Geldgeber noch um vier weitere Personen erweitert: Ein Staatsanwalt a. D., ein Zahnarzt, ein Immobilienmakler und ein Fußballprofi, die es gar nicht erwarten konnten, ihre versprochenen Gewinne am Finanzamt vorbei auf ein schwarzes Konto zu transferieren.“

„-gemäß seiner inneren und somit großkotzigen Überzeugung-“
Im Text sprichst du keine inneren Überzeugungen an. Großkotzig ist eine Wertung. Aber du erklärst nicht, was großkotzig ist. Dass Casberg ein lukratives Geschäft machen will, erwartet man von einem Selfmade-Millionär. Großkotzig passt hier nicht. Diese Passage kannst du getrost streichen, weil sie keine wichtige Aussage für die Story ist und sie bringt weder die Gedanken noch die Handlung voran. Typischer Ballast also.
„seine Geschäfte stets im großen Stil abzuwickeln pflegte“
„stets im großen Stil“ setzt voraus, dass der Leser weiß, was kleiner Stil bedeutet. Ist aber nicht der Fall. Vorsicht vor den automatischen Redewendungen, die einem eingebläut wurden und sich leider verselbstständigen und gern überlesen werden. Gilt auch für „Geschäfte abwickeln“. Das ist ebenfalls eine Redewendung. Prüfe mal die Aussagekraft. Du stellst schnell fest, dass Autoverkauf nichts mit wickeln zu tun hat.
„den erlauchten Kreis“ Auch das ist eine Wertung, ein Kommentar. Mag vielleicht ironisch gemeint sein. Aber du schreibst keine Satire. Wir erfahren nur über vier neue Geldgeber nichts über die bereits bestehenden Finanziers. Die Vier kann man getrost als „nicht erlaucht“ bezeichnen.
„die es gar nicht erwarten konnten, ihre versprochenen Gewinne am Finanzamt vorbei auf ein schwarzes Konto zu transferieren.“
Nehmen wir den Ballast weg:„es“ (übrigens hat du viele „es“ Sätze!) „gar“ (Aussage=null)

„die nicht abwarten konnten,...“

Was sind versprochene Gewinne? Wieso am Finanzamt vorbei? Zuerst war alles legal und nun ist es ein schwarzes Konto? Tut mir leid, das wirkt unglaubwürdig. Wenn der Held von Anfang an ein illegales Geschäft vermutete, warum hat er dann mitgemacht? Wie hat der Held das alles erfahren, wenn er nicht mehr aus dem Haus geht?

Daher überzeugt mich deine Umsetzung nicht voll. Wenn schon in einem Satz zu viele Fragen offen bleiben und später nicht beantwortet werden, interessiert sich der Leser nicht mehr. Es liegt viel Arbeit vor dir, wenn du deine Geschichte liebst.
Ich freue mich auf eine korrigierte Fassung, weil ich deinen Plot gut finde.

 

Hallo Joey,

habe vielen Dank für deine konstrukrive Kritik. Ja, du hast es auf den Punkt gebracht, da sind ein paar
gravierende Fehler drin. Ich habe schon die Story um 4 Seiten gekürzt. Die anderen, von dir angesprochenen Unzulänglichkeiten, werde ich auch noch beheben. Das mit der Zeichensetzung ist schon krass. Habe es gecheckt. Ich brauche noch ein wenig Zeit, um alles ins richtige Licht zu rücken.
Nochmal Danke. Du wirst wieder von mir lesen. Happy Weekend auch für dich.
Beste Grüsse aus Hannover von Ralf...

 

Hallo Ingo,

habe Dank für deine Kritik. Mein Gott, hast du dir Zeit genommen. Wahnsinn. Jetzt ist mir klar, dass ich absolut im " richtigen Forum" angekommen bin. Chris und Joey haben mir schon klar gemacht., dass noch einiges zu tun ist. Deine Kritik ist sensationell. jedenfalls für mich. Ich werde meine Story bearbeiten, klare Sache. Ich brauche allerdings noch ein wenig Zeit.
Ich wünsche dir nun ein schönes Wochenende.
Beste Grüsse aus Hannover von Ralf...

 

Noch mal eine Antwort an dich Ingo,
jeder deiner Kritikpunkte ist es für mich wert, länger darüber nachzudenken. Okay, das habe ich getan.
Das bedeutet natürlich für mich, die Story komplett um zu schreiben. Das werde ich tun. Versprochen.
Allerdings: es wird ein wenig dauern. Die Weihnachtszeit steht vor der Tür. Als Familienvater hat man da zu tun. Aber noch einmal gesagt: Deine-berechtigte-Kritik hat mir ungemein geholfen. Danke für dein Engagement. Ein besinnliches Weihnachtsfest dir und allen Forumsmitgliedern.
Man liest sich...

 

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