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Der Akrobat

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27.03.2004
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Der Akrobat

Von hier oben sahen sie alle klein aus, aber er spürte die Erwartung, die aus dem Atem hunderter offener Münder über die Köpfe zum ihm drang. Er kannte das Gefühl, wusste, was ihm folgte. Jahrelang sah er sie nun schon so. Er würde sich in die Schaukel stellen, Schwung aufnehmen, sich durchsacken lassen, seine Kniekehlen um den schmalen Stab wickeln und dessen Glätte weiter polieren. Dann kopfüber, die Menschen etwas größer, dafür verkehrt herum in einer aus der Erwartung geborenen Wolke aus Staunen unter sich, würde er seinen gestreckten Körper vom Holz schnellen, ihre Hand packen, umgreifen und eine Weile mit ihr fliegen. Anschließend mechanisches Lösen der Hände und den Körper wieder im angestammten Holz verhacken und auf der kleinen Plattform landen – gestreckt, mit einem Lächeln im Gesicht, dass man da unten, von wo aus er so klein wirkte, nur ahnend sehen konnte. Und ein weiteres Mal würde er hinab schauen, in ein großes schallendes Gesicht, geformt aus hunderten klatschenden Händen.
Doch heute war alles anders. Das vor Erwartung schwangere Publikum würde eine kollektive Fehlgeburt erleiden müssen. Diejenigen, die öfter kamen, sahen den Grund, ohne von seiner für sie tödlichen Bedeutung Notiz zu nehmen, aber das waren die wenigsten.
Matt hing es unter ihm und wartete leicht gebeugt auf seinen Fall. Durchsichtig wie ein falsches Happy End. End-sagen. Er stieg von seiner Leiter, durchstach die aufgestaute Erwartung mit jedem seiner Schritte und ging unter ihm hindurch aus der Manege.

 

Eine Erzählung im Konjunktiv, die Handlung besteht daraus, dass sie nicht stattfindet. Nette Idee soweit. Deine Geschichte erfüllt keine Erwartung, genauso wenig wie der Akrobat. Da man nichts über die Hintergründe erfährt, bleibt es bei dieser Nicht-Handlung, und das finde ich etwas dünn. Und überhaupt nicht seltsam. Daher verschiebe ich die Geschichte nach Alltag.

 

Hmm, vielleicht eine kurze Erklärung: Wieso lässt sich ein Mensch nicht fallen (physisch oder psychisch?) Nicht weil er Angst hat aufzuschlagen, sondern weil er sich fürchtet, in ein, im wahrsten Sinne des Wortes, Netz aus Abhängigkeiten zu geraten. Der Akrobat ist insofern nur eine Parabel.
Andere Lesart: Eine klassische Tragödie funktioniert nur über die Fallhöhe und das fehlende Netz (im Gegensatz zur historisierenden und naturalistischen Tragödie).

 

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