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Der Affengott
1.)
Ann-Kathrin und Fatime saßen auf der Mauer am Schuleingang, als sie sahen, wie ein Ehepaar aus einem großen Auto ausstieg. Der Mann hatte ein faltiges Gesicht und trug ein Tuch auf dem Kopf, das zu einem schönen Knoten zusammengewickelt war. Er schaute sich kurz um, dehnte und streckte sich dabei kurz, weil ihm der Rücken vom Fahren noch wehtat, und lief dann auf die andere Seite, wo seine Frau, eine lieb lächelnde Person schon darauf wartete, daß der Mann ihr heraushalf, weil sie ziemlich dick war und alleine nicht aufstehen konnte. Auf dem Rücksitz saß ein kleines Mädchen, man konnte leicht erkennen, daß es die Tochter war, sie hatte auch eine etwas dunklere Haut, genau so große, braune Augen und ein genauso breites und weiches Gesicht, wie die Prinzessin aus einem Märchenfilm. In ihrem kurligen, schön frisierten Haar trug dieses Mädchen eine niedliche rosa Spange und sogar ein paar Perlen und eine kleine Blume, die ihr jemand geschickt ins Haar gewoben hatte. Sie guckte traurig und müde aus dem Fenster. Auf ihren dünnen Knien lag ihre neue Schultasche, über die sie sich aber gar nicht richtig freuen konnte, denn sie hatte Angst vor der neuen Schule. Es kann schon sein, daß man vor neuen Dingen Angst hat, es gibt nicht nur mutige Kinder, es gibt auch ängstliche.
„Schau mal, das ist bestimmt unsere neue Mitschülerin, von der uns Frau Mai gestern erzählt hat.“, sagte Fatime und zeigte mit dem Finger auf das Mädchen. „Die sieht ja komisch aus.“ Der Vater des Mädchens, der mit dem Tuch auf dem Kopf, öffnete jetzt auch die hintere Autotüre und bat seine Tochter, auszusteigen: “Komm, Kind, wir sind jetzt da, du bist gestimmt schon gespannt auf die neue Schule. Schau, hier gibt es viele Kinder, und du musst auch was lernen, das macht Spaß. Komm schon!“ Aber das neue Mädchen mit der Haarspange und der Blume am Kopf wollte nicht aussteigen. Die Mutter stand schnaufend neben der offenen Tür und sagte ein wenig ernst: „Prahma! Steig endlich aus. Wir wollen doch nicht zu spät kommen. Was ist denn? Sei doch nicht ängstlich! Prahma!“ Aber Prahma wollte nicht.
Ann-Kathrin schaute neugierig zu der neuen Schülerin, die nicht aussteigen wollte.
„Ich glaube, sie heißt Prahma. Hast du gehört? Die Mutter hat „Prahma“ gesagt, das ist bestimmt ihr Name.“ Fatime fing an zu lachen und äffte die Mutter nach:„Prahma! Prahma!“ Ann-Kathrin wurde immer ein bisschen böse, wenn Fatime irgendwas plapperte. Fatime war zwar eine gute Freundin, aber manchmal dachte sie zu spät nach. Ann-Kathrin mochte es nicht leiden, wenn man jemanden nachäffte, sie mochte es auch nicht, wenn sich jemand über komisch klingende Namen lustig machte, weil Namen zu den Dingen gehören, über die man nicht lachen soll, weil jeder einen Namen braucht und weil es schlimm ist, wenn man seinen eigenen Namen nicht mehr mag, weil darüber gelacht wurde. Deshalb ließ Ann-Kathrin ihre beste Freundin Fatime einfach sitzen und lief zum Auto. Die Eltern von Prahma schauten sie neugierig und freundlich an, der Vater lächelte: man konnte sehen, daß er gelbe Zähne hatte. Er roch sehr gut nach irgendeinem Parfüm, die Mutter roch nach Schweiß und hatte Schuhe an, auf denen Glitzersteinchen klebten.
„Hallo, ich heiße Ann-Kathrin Halbhuber und bin die Klassensprecherin von der 2a. Ist das unsere neue Mitschülerin?“ Die Eltern legten ihre Hände zusammen und verbeugten sich tief vor Ann-Kathrin, als ob sie eine Königin sei. Das war natürlich auch wieder was Komisches, was man in Deutschland fast nie macht, und Ann-Kathrin konnte hören, wie Fatime im Hintergrund lachte, aber sie hatte einmal im Fernsehen gesehen, daß sich die Menschen in Asien auf diese Weise begrüßen, wo Prahmas Eltern aufgewachsen sind: in Kashmir, einem Land neben Indien, das so weit weg ist, daß man tagelang in einem Flugzeug fliegen muß, bis man dort ist, um die halbe Weltkugel.
Ann-Kathrin schüttelte den Kopf und sagte: „Sie müssen sich nicht vor mir verbeugen, das macht man in Deutschland schon lange nicht mehr. Schauen Sie, machen Sie das so!“ Und mit diesen Worten reichte sie der Mutter die Hand. Die Mutter nahm etwas schüchtern die Hand von Ann-Kathrin und lächelte breit. Ann-Kathrin konnte sehen, daß die Frau einen Ohrring in der Nase trug, an der eine goldene Kette bis zum Ohr hing, eine besondere Art Schmuck. Ann-Kathrin griff fester zu, schüttelte die Hand etwas zu stark und sagte ziemlich laut „Guten Tag!“, als ob die Mutter von Prahma schwerhörig sei: sie dachte, daß das einen besonders höflichen und gut erzogenen Eindruck machen würde. Das gleiche tat sie beim Vater, der darüber sehr verdutzt war, weil er noch nie ein so ungestümes Mädchen wie Ann-Kathrin erlebt hatte. Beide sagten kein Wort. Ann-Kathrin wurde übermütig und wollte es auch bei Padme machen, aber Padme schüttelte den Kopf. Sie mochte nicht.
Fatime beobachtete alles von der Schulmauer aus. Sie hatte schon lange begriffen, daß Padme Angst hatte. „Meine Güte, die Ann-Kathrin hält sich immer für so gescheit, dabei versteht sie gar nichts.“, dachte sich Fatime, stieg von der Schulmauer herunter und lief zu Prahma, die schon ganz rot war vor Verlegenheit. „Komm Prahma, hab keine Angst“, sagte Fatime und legte dem neuen Mädchen ein Gänseblümchen auf die Tasche. „Schau, die Blume ist für Dich jetzt!“ Die Mutter war erleichtert: „Padme, wie schnell Du neue Freundinnen gefunden hast!“, sagte sie auf indisch und fächelte sich Luft zu. Sie schwitzte unter den vielen Tüchern, die sie angelegt hatte, weil sie das merkwürdig kalte Wetter nicht besonders gut vertrug. „Du wirst Dich hier bestimmt sehr wohlfühlen und sehr viel lernen.“, sagte der Vater auf indisch und freute sich, wobei er wieder seine gelben Zähne zeigte und das geknotete Tuch auf seinem Kopf zurechtrückte. Während die Mutter gesprochen hatte, schaute Ann-Kathrin in das dicke und schön geschminkte Gesicht der Mutter, wobei sie den merkwürdigen Klängen der indischen Sprache lauschte. Das war also Indisch, eine kullernde, gruselig-schöne Sprache, die sie überhaupt nicht verstand, weil sie in der Schule kein Indisch lernen konnten.
Fatime grinste ein wenig vor sich hin, über die Sprache und den komischen Turban auf dem Kopf von Prahmas Vater. Dann merkte Fatime, daß auch Prahmas Vater geschminkt war und einen langen Ohrring trug, darum musste sie noch mehr grinsen. Prahma merkte Fatimes Grinsen, darum musste sie jetzt auch grinsen. Plötzlich lachte Prahma, Fatime musste auch lachen und dann lachte auch Ann-Kathrin und die Eltern. Alle lachten.
Und als das Lachen vorbei war, griffen sich die Mädchen an den Händen und hüpften zum Schulhof. Prahma hätte beinahe ihre neue Tasche vergessen, so schnell ging alles plötzlich. Die Schulglocke läutere und alle Kinder auf dem Schulhof rannten zu der großen Türe, an der man jedes Mal aufpassen musste, um nicht überrannt zu werden wird. Prahma winkte ihren Eltern ein letztes Mal zu und lief, als ob es noch nie anders war, mit Ann-Kathrin und Fatime in das Schulgebäude.
2.)
Fatime und Ann-Kathrin kamen mit dem neuen Mädchen namens Prahma in die Klasse 2a. Sofort entstand ein Kreis um Prahma, alle Kinder schauten das neue Mädchen an, als ob sie ein merkwürdiges Tier aus dem Zoo wäre. Ann-Kathrin war ein bisschen stolz, daß sie die erste Freundin von Prahma war, und sagte deshalb, wobei sie sich vorher räusperte, so wie es Fr. Mai manchmal tat: „Das ist Prahma, unsere Neue. Sie kann kein Deutsch, deshalb müsst ihr sie in Ruhe lassen!“ Der freche Sebastian mit den Sommersprossen und den roten Haaren dachte aber überhaupt nicht daran, Prahma in Ruhe zu lassen, denn er empfand es als seine wichtigste Aufgabe, jedes Mädchen in der Klasse zu ärgern, und deshalb stellte er sich vor das neue Mädchen hin, zog eine widerliche Grimasse und begann, wie ein Affe zu schreien und nach der Blume in Prahmas Haar zu grabschen. Ann-Kathrin wollte ihn daran hindern und trat nach ihm, aber er wich aus und raufte sich die Haare dabei. Und was tat Prahma? Prahma lachte einfach, klatschte in die Hände und nahm dann mit einer geschickten Bewegung die Blume aus dem Haar, um sie Sebastian zu geben, der vollkommen verdutzt darüber war und knallrot wurde, während er die Blume in der Hand hielt und alle Mädchen in der Klasse anfingen, über ihn zu lachen, sogar die anderen Jungs griffen sich an den Kopf und jubelten und lachten. „Sebastian ist verheiratet, Sebastian ist verheiratet.“, schrien alle Jungs, es war ein fürchterlicher Lärm. Sebastian begriff das ganze Ausmaß seines Fehlers: wie hatte er nur die Blume annehmen können! Das war ihm schrecklich peinlich, und er versuchte, Prahma die Blume zurückzugeben, aber Prahma schüttelte den Kopf und lächelte wie ein Engel dabei. Das fanden alle Mädchen super, Fatime zeigte mit einem hämischen Grinsen auf den reingelegten Sebastian und war herrlich schadenfroh, Ann-Kathrin schüttelte Prahma die Hand, wie man jemandem gratuliert, der ein Schachspiel gewonnen hat, und jedes Mädchen wollte Prahma willkommenheißen, man stand um sie herum lachte sie an. Alle fanden sie toll, nur nicht Sebastian, der wusste nicht wohin mit der Blume, und er warf sie einfach auf den Boden, wütend und beleidigt über die Missetat des neuen Mädchens an seinem Ansehen bei den anderen Jungs, die sich gar nicht mehr geruhigen konnten.
Die Klassenlehrerin Frau Mai kam jetzt herein. Alle liefen schnell und lachend zu ihren Plätzen, nur Ann-Kathrin blieb vorne stehen, mit Prahma an ihrer Hand, als ob ihr das neue Mädchen gehöre. Frau Mai hob die Augenbrauen und lächelte sehr freundlich. „Sieh an, das neue Mädchen hat schon seinen Weg hierher gefunden, das freut mich aber sehr. Ann-Kathrin, Du kannst auch auf Deinen Platz gehen.“ Ann-Kathrin nickte Prahma noch mal schnell zu und lief wahnsinnig stolz an allen Kindern vorbei, die ihr hinterherguckten, als sei sie selbst schon so was wie eine Lehrerin.
„Guten Tag, Kinder!“, sagte Frau Mai.
„Guten Tag, Frau Mai!“, sagten alle Kinder.
Dann räusperte sich Frau Mai, so wie sie es eben manchmal tat, und sagte: „Wie ihr schon gesehen habt, ist eine neue Mitschülerin da. Sie wird sich jetzt vorstellen. Willst Du uns sagen, wie Du heißt? Ich bin Frau Mai. Hallo!“ Prahma schaute mit ihren fast schwarzen Augen in das liebenswürdige, schon etwas alte Gesicht von Frau Mai und sagte mit einer niedlichen, ganz feinen Stimme: „Guten Tag, Frau Mai. Mein Name ist Prahma Singh.“
Die Klasse war totenstill, und einige schauten zu Ann-Kathrin, die mit starren Augen auf das neue Mädchen stierte, als ob sie ein Wunder erlebt hätte. Alle hatten gehört, wie Prahma auf Deutsch ihren Namen gesagt hatte. Unglaublich.
Fatime, die hinter Ann-Kathrin saß und sich kaum das Lachen verkneifen konnte, beugte sich zu Ann-Kathrin vor und flüsterte:„Du bist ja echt eine tolle Klassensprecherin. Wußtest nicht einmal, daß die Neue Deutsch kann. Aber Hauptsache erst mal allen sagen, daß sie es nicht kann. Typisch ….“ Ann-Kathrin fast genauso baff wie Sebastian. Damit hatte sie in ihrem Übermut nicht gerechnet.
3.)
„Liebe Prahma, erzähle uns bitte ein bisschen von Dir.“
„Ja, Frau Mai. Meine Eltern kommen aus Kashmir, das ist ein Land neben Indien. In der Stadt, in der meine Eltern aufgewachsen sind, gab es einen großen Streit, der schließlich zum Krieg wurde. Weil wir Angst hatten, daß jemand uns verletzt, sind wir nach Deutschland gezogen, wo kein Krieg ist. Damals war ich 4 Jahre alt, ich kann mich ein bisschen an Kashmir erinnern, ich erinnere mich an die Soldaten in den Straßen und an den Krach und an das Feuer, daran erinnere ich mich.“
Die Kinder hörten gespannt zu. Es war wie ein Krimi. Niemand von ihnen hatte je einen Krieg erlebt, man wusste gar nicht, wie das richtig funktionierte. Aber Feuer in der Nacht fanden alle wahnsinnig gruselig.
Fatime streckte. Sie hatte eine Frage an Prahma.
„Ich habe gesehen, daß Dein Vater einen Turban trägt. Seid ihr Moslems?“
„Nein, wir sind Hindus“, sagte Prahma und strich sich ein Haar aus der Stirn.
„Oh“, sagte Fatime, „und ich dachte, ihr seid Moslems.“
„Ja, das denken viele Leute, aber ich und meine Eltern sind Hindus, das ist was anderes.
Ich glaube nicht nur an einem Gott, sondern an ganz vielen Götter, männliche und weibliche. Jeder darf seinen Lieblingsgott aussuchen, und man kennt viele Millionen Götter, wenn man ein Hindu ist, man kann sich einen aussuchen.“
Fr. Mai lächelte überrascht, und die Kinder schauten sich an und wunderten sich sehr darüber.
Dirk, ein kleiner, schmächtiger Junge mit einer Brille mit dicken Gläsern und einer rauen Stimme fragte: „Und wer ist Dein Lieblingsgott?“
Prahma sagte: „Ich hab einen Lieblingsgott, er heißt Hanuman. Er ist der Affengott.“
Die Jungs begannen wieder zu gröhlen und schupsten Sebastian, der sich verzweifelt dagegeb wehrte. Fr. Mai klopfte auf den Lehrerpult, was soviel bedeutete wie: „Bitte keine Störungen!“ und schaute böse zu den Jungs, die immer noch über ihren tollen Sebastian kicherten und auf die Blume zeigten, die neben ihm auf dem Boden lag.
Fatime fand die Sache mit dem Affengott wahnsinnig interessant. „Wie ist denn der Affengott? Ist er dumm?“ Bei dem Wort „dumm“ drehte sie sich zu Sebastian, der böse in die Luft guckte und so tat, als hätte er es nicht gehört. Die Jungs prusteten in sich hinein.
Prahma lachte: „Nein, er ist sehr klug und listig. Es gibt bei uns Hindus eine sehr bekannte Geschichte, das Ramayana, so eine Art wahres Märchen. Da wird erzählt, daß Hanuman als rothaariger Affe verkleidet dem Gott Vishnu-Ram geholfen hat, seine Feinde zu besiegen.“
Jetzt gröhlten die Jungs nicht mehr, sondern schauten Sebastian mit einem Gemisch aus Mitleid und Verwunderung an. Hatte sich das die Neue ausgedacht, um Sebastian noch mehr zu quälen, oder war das die Wahrheit? Der Junge mit den roten Haaren und den Sommersprossen, der einen Affen gemimt hatte und dafür die Blume bekam, wäre allerdings am liebsten im Boden versunken. Aber er saß da und schaute zu Prahma, die ihn fröhlich anguckte, und dann erschrak er heftig bei dem Gedanken, daß Prahma ihn vielleicht für Gott hielt.
Fatime war ganz gerührt über die Klugheit von Prahma und schaute zu Sebastian. Auch die Jungs und die Mädchen waren still und versuchten, diesen Gedanken zu verstehen: daß Gott bei den Hindu-Leuten in Indien auch ein kluger Affe sein konnte, der Kriegspläne ausdenkt und auf diese Weise das Böse bekämpft. Ann-Kathrin war ein bisschen neidisch auf Prahma. Sie dachte an ihren Gott, zu dem sie jeden Sonntag mit ihren Eltern in die Kirche laufen mußte: der hing mit Nägeln durch Arme und Beine an einem Kreuz aus Holz und blutete aus dem Brustkorb. „Nicht gerade sehr kämpferisch“, dachte Ann-Kathrin und verzog das Gesicht.
4.)
Die Schule war vorbei, Fatimes Eltern standen vor dem Schultor und wollten ihre Mädchen abholen. Auch Prahmas Eltern standen da. Fatime lief neben Prahma, die beiden hatten sich schon richtig gut angefreundet, ein wenig abseits lief Ann-Kathrin und kaute auf den Lippen herum: keiner kümmerte sich mehr richtig um sie. Sie war schon richtig uninteressant für Fatime geworden. „Hey, Prahma, ich male Dir ein Bild von Hanuman, dem Affengott. Ich kann nämlich gut malen, weißt Du? Das Bild kannst Du dann auf Deinen Altar legen. Stimmt es, daß ihr einen Altar in eurer eigenen Wohnung habt? Müßt ihr nicht in die Kirche oder in die Moschee oder so?“ Prahma lachte und schüttelte den Kopf: „Nein, wir beten zu Hause oder wir fahren manchmal nach Berlin, da gibt es einen Hanuman-Tempel. Dort darf ich ein Räucherstäbchen anzünden und mir was wünschen. Es geht immer in Erfüllung.“ Fatime war unglaublich beeindruckt von Prahmas Affengott … ein Affe als Gott! … und sie lief zu ihren Eltern. „Mama, schau, das ist Prahma, sie ist kein Moslem und glaubt, daß Gott ein Affe ist. Hallo Papa.“ Der Vater von Fatime schaute etwas verärgert zu den Eltern von Prahma, die etwas abseits standen, ihr Kind umarmten und sich auf Indisch mit ihr unterhielten, während sie davonliefen. „Was soll denn das heißen: „Gott ist ein Affe“! Fatime, hast Du das etwa in der Schule gelernt?“, schimpfte der Vater auf Türkisch. Fatime wunderte sich, weil ihr Vater plötzlich so böse geworden war, darum umarmte sie schnell ihre Mutter. Aber die Mutter war auch etwas verdattert über die Behauptung, daß Gott ein Affe sein soll, schaute etwas besorgt zu ihrem Mann und zupfte an ihrem großen, schwarzen Kopftuch. „Fatime, sag so was nicht, Gott ist doch kein Affe. Wer hat Dir so etwas Komisches gesagt?“ Fatime seufzte verdrießlich. „Prahma, meine neue Mitschülerin, hat gesagt, daß es in ihrer Religion so möglich ist, sie sind Hindus, da geht das.“
Der Vater schüttelte den Kopf und beruhigte sich wieder etwas. Dann nickte er. „Es ist normal bei Hindus, daß sie mehrere Götter haben, und daß diese Götter manchmal Tierkörper haben. Sie haben auch Elefanten-Götter, Schlangen-Götter und es gibt sogar einen Rattengott bei den Hindus. Aber wir sind Moslems und glauben nicht, daß Gott einen Körper hat. Wir glauben, daß Gott weder Mann noch Frau ist.“
„Langweilig…“, sagte Fatime. Die Mutter versuchte, ihrer Tochter den Sinn klarzumachen. „Weißt Du, Fatime, wenn Gott einen Körper hätte, dann würden ihn alle sehen wollen.“
„Wäre das denn schlimm?“, fragte Fatime. „Nein“, sagte die Mutter, „aber wenn alle ihn gesehen hätten, dann würde irgendwann jemand ihn auch riechen wollen. Und wie würde er riechen, wenn er ein Affe wäre?“
Der Vater fand die Erklärung ein wenig unpassend und nahm Fatime zu sich. „Fatime, glaubst Du auch, daß Gott ein Affe sein könnte?“ Fatime lachte und sagte: „Natürlich nicht!“ Der Vater nickte auch und sagte dann: „Dann entschuldige Dich bei Gott, es ist besser, wenn Du es gleich tust! Du bist ihm mit Deinen Gedanken vielleicht zu nahe gekommen. Er ist da etwas …ähm … empfindlich.“. Jetzt war Fatime ärgerlich: „Aber ich hab doch nichts getan!“ Die Mutter sagte mit freundlichem Gesicht: „Fatime, Du gibst uns doch auch manchmal einen Kuss, obwohl Du nichts Böses getan hast. Tu´s für ihn, Dein Gebet hört er gern.“
Fatime schaute ihren Vater einen Moment lang an, aber sie wollte keinen Streß. Drum legte sie die Hände an ihre Brust, schloss die Augen und flüsterte zu Allah: „Du bist groß“. Die Mutter streichelte Fatime und sagte: „Er hat Dich gehört und mag Dich sehr gern. Weißt Du was? Ich mache heute Pide für Dich.“ „Juhuu!“, schrie Fatime und freute sich: Pide war ihr Lieblingsessen.
5.)
Ann-Kathrin stand da und schaute zu, wie alle davonliefen. Plötzlich hörte sie die Stimme ihrer Mutter hinter sich. „Ann-Kathrin, was ist denn mit Dir los?“ Frau Halbhuber streichelte Ann-Kathrin über die Haare. „Du siehst traurig aus. Was ist denn?“ Ann-Kathrin stieß die Luft aus wie ihr Hund, wenn er Magenschmerzen hatte, weil er ein weggespucktes Bonbon gefressen hat. „Ach, weißt Du, das neue Mädchen, Prahma, ist aus Indien oder so. Sie ist kein Christ, sondern was anderes, und sie hat erzählt, daß sie an einen Affengott glaubt, der Kriege führt und listig ist und klug. Da hab ich an Jesus gedacht, der hat nie Krieg gemacht, immer nur gepredigt und Leute geheilt und beschenkt und am Ende hat man ihn toll ans Kreuz genagelt und stundenlang sterben lassen. Und obwohl er der Sohn von Gott war, hat er sich nicht gewehrt. Warum?“
Fr. Halbhuber schaute ihre missgelaunte Tochter ein Weilchen an, dann kniete sie sich vor Ann-Kathrin hin, streichelte ihr die Haare aus dem Gesicht und sagte: „Weißt Du, der Affengott mußte gegen das Schlechte kämpfen, weil ihm niemand gesagt hat, daß Jesus bereits alles Schlechte bekämpft hat und alles Bösen besiegt hat.“ Ann-Kathrin fand die Erklärung nicht gut. „Es gibt doch noch Schlechtes, und Kriege, und arme Menschen.“, protestierte Ann-Kathrin. „Ja“, sagte die Mutter, „aber wenn alle so wären wie Jesus, dann gäbe es keinen Krieg, und jeder hätte was zu essen.“. Ann-Kathrin wollte sich nicht geschlagen geben. Sie widersprach. „Weißt Du, Mama, wenn Jesus so toll war, warum musste man ihn denn am Ende mit Nägeln an ein Holzkreuz nageln und aufhängen, bis er tot war? Soll das heißen, daß man Sieger ist, wenn man an einem Kreuz hängt?“. Die Mutter lächelte: „Jesus wollte eben alles Schlechte besiegen, auch den Tod. Deshalb musste er sterben und wieder lebendig werden, damit alle sehen, daß er es geschafft hat. Er hat den Tod ausgetrickst. Er hat bewiesen, daß das Gute leben wird.“ Ann-Kathrin hatte jetzt Tränen in den Augen. Sie fand die Jesus-Geschichte überhaupt nicht einleuchtend. „Das kann doch gar nicht sein, daß jemand tot ist und wieder lebt!“, sagte sie wütend. Da richtete sich die Mutter wieder auf, dehnte und streckte sich, weil ihr der Rücken wehtat, und sagte mit etwas harter Stimme: „Meinetwegen. Aber willst Du einen kämpfenden Affen statt dessen?“
Ann-Kathrin schaute sich verzweifelt um. Und während sie über noch über die richtige Antwort nachdachte, sah sie den rothaarigen Michael mit den vielen Sommersprossen, der mit sturem Gesicht über den Schulhof tappte und ganz im Gedanken für sich selbst eine kleinlaute Affengeste machte, wobei er sich mit gespreizten Händen im Haar juckte, wie ein verlauster Gorilla.