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Der Abstieg lockt
Ich saß auf dem weichen Sofa gegenüber der Tür und war gerade dabei ein bisschen zu verzweifeln. Die Musik dröhnte laut genug, um dazu zu tanzen und leise genug, um ein Smalltalk-Gespräch führen zu können. Allerdings hatte ich keinen zum Smalltalken und trotz meines gestörten Verhältnises zu solchen Gesprächen, machte mich das ein wenig traurig. Zugegeben unterlag war diese Isolation mein eigenes Verschulden. Ich kannte hier nur Chris, wegen dem ich mir das alles hier überhaupt antat, und flüchtig ein paar seiner Freunde, die aber verständlicherweise besseres zu tun hatten, als sich zu einer fast-Fremden zu setzen. Okay, was tut man im 21. Jahrhundert, um nicht wie ein komplett freundloser Außenseiter zu wirken? Man packt sein Handy aus und schreibt jemandem, beziehungsweise man tut wenigstens so, als ob. Also tat ich genau das und widerstand dem heftigen Drang auch meine Kopfhörer mit auszupacken. Chris montierte gerade an einem der vier Scheinwerfer, die in allen Ecken des Raumes aufgestellt waren. Er war sowas wie Amateur-Techniker, wollte nicht umsonst als Lichttechniker an einem Theater arbeiten.
Die meisten seiner Hobbyspielzeuge fanden im Keller Platz, wo der größte Teil der Geburtstagsparty statt fand. In gleichmäßigen Takten fing das weiß-rot-blaue Scheinwerferlicht an, über Tanzfläche und den daneben stehenden Sitzgelegenheiten. Es hatte keine zwei Mal auf mich geleuchtet, da wäre ich am liebsten rübergegangen und hätte auf den roten Aus-Knopf gedrückt. Gut, diese Aggressivität kam vermutlich daher, dass ich alleine auf einem riesengroßen Sofa saß und höchst wahrscheinlich nicht besonders einladend aussah. Also alles wie immer. Das Licht zog ein weiteres Mal an mir vorbei, doch mein Gesicht blieb im Schatten.
"Hey, sorry, ist der Platz neben dir besetzt?", halte eine tiefe, raue Stimme über die Musik hinweg.
Sprach man jetzt mit mir, war das pure Einbildung und lohnte es sich überhaupt, hoch zu schauen? Naja, besseres hatte ich ja eh nicht zu tun. Zwei braune, fragende Augen blickten mir entgegen.
Der hochgewachsene, dünne Junge zog seine dunklen Augenbrauen hoch: "Also?", fragte er und erst jetzt bemerkte ich seinen ausgestreckten Arm, der auf den Platz direkt neben mir deutete. "Ähm.. ja.. nein.."; super, jetzt war ich tatsächlich vor lauter Zivilisationsisolation nicht mal mehr fähig eine richtige Antwort zu geben. ".. ist frei.", beendete ich mein Gestammel abrupt und schaute schnell wieder auf mein Handy, auf dem sich die schöne "0" hinter den Nachrichten ablesen ließ. Sehe ich etwa so aus, als würde sich jemand zu mir setzen wollen?
Einen Augenblick später spürte ich, wie sich das Sofa links von mir leicht erschütterte und ... Körperwärme. Wie nah muss er an mir sitzen, dass ich seine Körperwärme spüren kann? Verstohlen schielte ich nach links. Der Junge setzte sich gerade im Schneidersitz hin und kämmte sich mit einer bewussten Bewegung das längliche, schwarze Haar nach hinten, sodass es nicht mehr vor seine Augen fiel. Bei dieser Geste lief mir unwillkürlich ein Schauer über den Rücken.
Ich rückte instinktiv ein wenig ab, soweit es die Sofalehne ermöglichte, wobei meine Augen jedoch, nicht besonders subtil, weiterhin den Jungen fokusierten. Währenddessen beugte er sich interessiert nach vorne, auf die Tanzfläche blickend, auf der sich gerade ein Pärchen in wilde Knutscherei begab. Seine Haare fielen ihm wieder auf die Stirn, wobei seine Augen auf gruselig direkte Weise
sein Zeil fixierten und eine Spur Müdigkeit in den Raum streuten.
Dass er die letzte Nacht wenig geschlafen hatte schloß ich aus den Augenringen, die sich wie Schatten von seiner blasen Haut abhoben. Da kannte ich mich bestens aus. Ein Wunder eigentlich, dass ich nicht schon bereits hier eingepennt war, aber das hatte ich wahrscheinlich der Musik zu verdanken. Mit dem kontinuierlichen Bass und
''Now I'm falling asleep / And she's calling a cab / While he's havin' a smoke / And she's takin' a drag''
war es schlichtweg nicht möglich, einzuschlafen. Wenigstens hatte Chris meinen Wunsch erfüllt und 'Mr Brightside' in die Playlist eingefügt. Die längliche Nase war leicht gerötet, genau wie seine von Knochen gesprägten Wangen. Vielleicht war er gerade draußen, eine rauchen oder auch nicht, vielleicht hatte er auch schon was getrunken, obwohl es erst später was geben sollte. Mein Blick schweifte ab. Über das Pärchen, das scheinbar immernoch nicht kapierten, dass die Tanzfläche nicht mit ihrem Schlafzimmer gleichzusetzen war, zur Bar, wo Chris sich gerade mit einer braunhaarigen Puppe unterhielt, bis zum Fenster, in dem ich aber leider nur die Wiederspiegelung des Raumes erkennen konnte. Das Sofa wackelte leicht und brachte mich sturzartig in die Realität zurück. Ich blickte rüber und sah wieder den Jungen an, der sich frontal zu mir gedreht hatte und mich aus seinen kastanienbraunen Augen ansah. Kastanienbraune Augen? Nein, falsch, es gibt nur kastanienbraune Haare, verdammt.