Mitglied
- Beitritt
- 13.07.2015
- Beiträge
- 15
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 6
Der überhebliche Prinz
In einem wunderschönen Schloss lebte einst ein Prinz. Er hatte alles, was das Herz begehrte und sogar noch mehr. Eine gedeckte Tafel, ein schönes Heim und Diener, die ihm jeden Wunsch von den Augen ablasen.
Nur eines fehlte ihm: Eine Frau an seiner Seite. In seinem ganzen Reich hatte er sich umgesehen, doch keine einzige für gut genug befunden, seine Gemahlin zu werden. So entschloss er sich, betrübt und enttäuscht, zu einer Jagd auszureiten, um sich abzulenken. Er ritt über Hügel und Auen und fand am späten Nachmittag die Spur eines Hirschen. Nicht lange danach erblickte er das majestätische Tier. Es war ein prächtiger Hirschbulle, dessen mächtiges Geweih ihm imponierte und das er gerne über dem Kamin aufhängen wollte. Durch das Dickicht trieb er das arme Tier, bis er es schliesslich auf einer Lichtung stellte. Kurz bevor er den Bogen heben konnte, hörte er sanfte Flötenmusik. Er erblickte eine junge, wunderschöne Frau auf einem Baumstamm sitzend und eine Weise spielen, wie er sie noch nie gehört hatte. Völlig betört lauschte er den Klängen und seine Augen konnten sich kaum von ihrem Anblick losreissen. Das Haar fiel ihr ihn dichten Locken über die Schulter und glänzte wie Sternenstaub, ihr Gesicht war von einer Anmut, die Vögel zum Zwitschern brachte und als sie sprach, klang ihre Stimme so kristallklar, wie das Plätschern eines Baches: "Welch eine Ehre, einen Edelmann auf dieser Lichtung zu empfangen." Die Augen der Schönen waren von solch zartem Grün, dass der Prinz meinte, den Wald darin zu sehen.
"Ich bin ein Prinz." sprach er und warf sich in die Brust. "Und wer seid ihr, meine Holde?"
"Oh ein Prinz?" Sie lächelte. "Meinen Namen will ich Euch verraten, solltet ihr denn bereit sein, meinem Spiel noch etwas zu lauschen und mir für eine Nacht Unterschlupf und Mahl zu gewähren in eurem schönen Schloss. Ich war noch nie zuvor in einem richtigen Schloss."
Entflammt von seinem jungen Blut, kniete er vor ihr nieder und horchte der Musik der Flöte bis in die späten Abendstunden. "Mein Gast sollt ihr sein heute Nacht. Ein Mahl soll euch kredenzt werden, wie ihr es nirgendwo sonst finden werdet."
"Wird der Prinz mich mit seiner Gesellschaft beglücken?" fragte sie lächelnd. "Was immer ihr wünscht, meine Schöne."
Sie erhob sich und verschmolz mit dem Grün des Waldes. "Erwartet mich am Tor."
Beschwingt und fröhlich pfeifend ritt der Prinz zurück zu seinem Schloss und wies die Diener an, das beste und delikateste zu bereiten, was die Speisekammer hergab. Er selbst kleidete sich in seine kostbarsten Gewänder und schritt hinunter zum Tor.
Er wartete nicht lange, als eine Gestalt vor ihn trat. Doch es war nicht die holde Schöne aus dem Wald, sondern eine alte, bucklige Frau mit einem Wanderstab. Ihr Gesicht war von Pusteln und Narben furchtbar entstellt. "Guten Abend Herr." Sie streckte die gichtgekrümmte Hand aus. "Gestattet einer alten, schwachen Frau Unterschlupf und eine Mahlzeit in diesen kargen Zeiten."
Der Prinz machte keine Anstalten das Tor zu öffnen. "Scher dich weg. Ich erwarte einen Gast und kann keinen zusätzlichen Stuhl entbehren."
"Habt Erbarmen, guter Mann, seht ihr nicht, dass ich kaum noch gehen, kaum noch stehen kann? Mein Magen knurrt und mein Mantel wärmt mich nicht, nun da der Wind so tückisch pfeift. Ich brauche nicht viel, ein Kanten Brot und ein Schluck Wasser genügen vollauf. Das erscheint mir als milde Gabe, angesichts eures Wohlstandes. Es soll euer Schaden nicht sein."
Der Prinz wurde zornig. "Hast du nicht gehört? Scher dich weg, alte Vettel, bevor mein Gast kommt. Ich habe nichts zu geben und keinen Platz für euch. Und was könntet ihr mir geben, was ich nicht schon hätte?"
"Gesellschaft und Geschichten. Geschichten eines gelebten Lebens." sagte die alte Frau und klammerte sich an ihren Stab.
"Eure Gesellschaft wünsche ich nicht, ich erwarte einen besseren Gast. Und ich lebe heute und jetzt. Was interessieren mich da vergangene Geschichten? Nun macht, dass ihr fortkommt Mütterchen."
Doch die alte Frau schüttelte nur traurig den Kopf. "Ich hätte mehr von euch erwartet."
Daraufhin veränderte sie sich. Ihre Hände wurden schlank und grazil, ihr graues, verfilztes Haar wurde glatt und seidig, ihre trüben Augen wandelten sich zu waldgrünen und sie richtete sich auf, ihr Buckel verschwand und kurz darauf stand die geheimnisvolle Schöne vor dem Prinzen.
Dieser wusste nicht, wie ihm geschah. "Wie, aber...was ist das für ein Hexenwerk?"
"Das mein Prinz, war eine Prüfung. Und ihr habt sie nicht bestanden." Die schöne Frau blickte ihn traurig an. "Als ihr mich heute auf der Lichtung traft, wolltet ihr mich unabhängig meiner Person an eurer Tafel und wohl besonders in eurem Schlafgemach wissen. Doch die alte Frau, welche euch höflich um eine milde Gabe bat, jagtet ihr davon, obschon ihr nicht wusstet, wer sie war. Prinzenwürde äussert sich nicht in der Grösse des Schlosses oder der Pracht der Gewänder. Sie zeigt sich im Herzen. Zur Strafe werdet ihr so lange als Bettler auf Erden wandeln, bis sich jemand euer erbarmt. Und fürchtet die Menschen mein Prinz, denn sie sind wie ihr. Lebt wohl."
Daraufhin wandte sich die Schöne um und ging.
Hinter ihr am Tor stand ein buckliger, alter Mann mit entstelltem Gesicht und blickte ihr traurig hinterher.