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Der Übergriff
Der letzte Restaurantbesuch hält sich noch lebendig im Gedächtnis. Die Speisenfolge erfüllte meine Erwartungen, die Spannung blieb bis zum Dessert erhalten. Vergleichbar mit einem musikalischen Crescendo, beginnend mit dem Gruß aus der Küche, sich langsam erhebend mit aufeinander abgestimmten Menüschritten bis zum Ausklang. Zu jeder Folgedas passende Getränk, ohne unnötige Wartezeiten serviert. Bei interessanten Gerichten versuche ich eine Analyse, um es bei Gelegenheit nachzukochen.
Eine funktionierende Restaurantküche erfordert perfekte Organisation, um Erwartungen des Gasteszu befriedigen. Alle Köche des Teams erfüllen eine Besondere Aufgabe an ihrem Platz, arbeiten zeitlich aufeinander abgestimmt. Ein Uhrwerk. Jeder ist mit seinem Part wichtig, alle Räder greifen ineinander. Es sind die Rahmenbedingungen professioneller Küchencrews. Das Ergebnis genießen wir in namhaften Restaurants. Allerdings darf auch dort nichts Außerplanmäßiges dazwischenkommen. Auch mancher Hobbykoch sieht sich in der Lage, Gaumenexplosionen zu kreiren und zu servieren. Ihre Wirkungsstätten halten naturgemäß keinen Vergleich mit Restaurantküchen aus.
Die Planung des Ablaufs in der Menüfolge, verlangt höchste Disziplin. Letztendlich hängt bei der Verköstigung bei Familien-Events doch alles an mir, auch wenn ich gern koche. Wie auch heute, besser, insbesondere diesmal. Bei diesen Zusammenstellungen und Vorbereitungen stelle ich hohe Anforderungen an mich selbst. Hilfswillige erleben mich dabei oft als zu eigen. Stefanie feiert ihre Erste heilige Kommunion. Die komplette Sippe, plus Patentanten und Schwiegereltern gaben sich, meist ungezwungen, wie zu Hause. Distanzlos trifft es eher. Das Interieur wird begutachtet, Schränke geöffnet, bemängelt, dass das Sofa schräg steht. Ebenso gerieten meine abstrakten Bilder und Skulpturen in die Schusslinie. Als Maler und Bildhauer freue ich mich über diese Art Kritik besonders. Mit Lust rumnörgeln, dass man ja nichts darauf erkennen könne, außerdem sieht`s hier aus wie im Museum. `nicht wie in in einem deutschen Wohnzimmer hätte noch kommen müssen.´ Angefasst reagiere ich, wenn ich in meinem "Kochparadies" nachhaltig gestört werde oder die Kontinuität der Zubereitungen durcheinandergebracht wird.
Zwanzig Gäste, fünf Gänge, zu wenig Geschirr und Besteck. Mein Arbeitsplatz: eine zurückhaltend geschnittene Küche in einem durchschnittlichen Einfamilienhaus. Eigentlich verspricht der notwendigerweise minutiös getaktete Ablauf der diversen Tätigkeiten, kulinarischen Erfolg.
Sie hoben beim letzten Satz ihre Augenbrauen? Mit Recht, denn jedes Eigentlich impliziert ein Aber. Dieses Aber bezieht sich nicht auf das Gelingen der einzelnen Parts. Bis nach dem zweiten Gang lief alles wie am Schnürchen. Nun arbeite ich ja hier nicht als reiner Dienstleister, auch ich der Hausherr, muss mich zwischendurch bei den Gästen zeigen. Nur kurz. Für ein paar Sätze.
Doch die Küche ruft! Wenn das benutzte Geschirr in der Spülmaschine einsortiert und gleich neuen Glanz erhält, plane ich die Zubereitung des dritten Ganges. Ich erkenne schlagartig den Theoriewert eines Plans. Unverhofft und wild entschlossen, mit einer Schnelligkeit und Tücke, die ich den Beiden bisher nicht zutraute, brachten meine Mutter und Tante Martel, den gesamten Ablauf zu Fall. Seit kurzem ein Herz und eine Seele, trugen sie flink und ohne Absprache das gebrauchte Geschirr in unsere Küche. Belegten die ohnehin knapp bemessene Fläche und führten einen breit angelegten Handabwasch durch.
Ich sagte vorher noch: "Bleibt mir aus der Küche, wir besitzen eine Spülmaschine. Ich benötige den Platz und die Zeit. Ihr bringt den Laden nur durcheinander".
Alles Schimpfen und lamentieren verpuffte. Halsstarrig, ja dickköpfig beharrten sie auf diese Art der Durchführung, wiesen mich, fast verächtlich, mit einer Handbewegung ab. Fanden ihr Verhalten auch noch witzig. Zwei dicke Hintern blockierten die Küchenzeile. Zutiefst verärgert verzog ich mich mit einer Trost-Havanna in den Garten. Mögen sich die weiteren Gäste bei den Beiden bedanken, wenn es nicht weitergeht. In solchen Momenten scheint eine Zigarrenlänge immer noch zu kurz. Meine Laune allerdings bewegte sich weiterhin im Keller. Die innere Lust am Kochen rauschte mit dem Abwasser in den Kanal. Also erledigte ich die weitere Speisenfolge nur noch handwerklich. Der Eindruck mag nach außen täuschen, das I-Tüpfelchen der jeweiligen Kreationen kam mir bei dem Übergriff abhanden.
Ich sehe es so, Besuch muss besuch bleiben, und wenn es zehn mal die eigene Mutter ist. Ach, sie kennen das auch? Handelt es sich um ihre Wohnung oder die der Eltern?
Aus der im Anschluss kredenzten Kaffeetafel hielt ich mich komplett raus. Überließ diesen Part meiner Frau und den von ihr rekrutierten weiblichen Wesen. Stattdessen badete ich im verständnisvollen Zuspruch Papas, und gönnte mir mit den wenigen Herren im Feld einen genussvollen Interims-Whisky.
Steht wieder einmal eine ähnliche Feier ins Haus, werde ich derartige Übergriffe im Keim ersticken, Werfe rechtzeitig Unsancen über Bord, die ich nicht vertrete und lasse Kochen!
Kein Hinderungsgrund, mich erneut an einem Singl-Malt und dem dazu passenden Zigärrchen zu erfreuen, vielleicht mal eine Sumatra.
Oskar Mataroo