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Der Überfall
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Es war ein Herbsttag um elf Uhr neunundzwanzig, als der Bankräuber Walter Neuenreuther Glück hatte und gleich vor der Bank einen Parkplatz fand. Er legte die Parkscheibe ins Fenster und zog sich am Parkautomaten einen Schein für sechzig Minuten. Er wusste zwar, dass der Überfall eigentlich schneller über die Bühne gehen musste, aber er war ein Mensch, der gern auf Nummer sicher ging.
Die Handfeuerwaffe, die ihm seine fünfjährige Tochter Astrid im Kindergarten von Bübendorf-Uttringen besorgt hatte, war in dem Rucksack, den er geschultert trug.
Bis er vor fünfundzwanzig Monaten arbeitslos geworden war, hatte Walter dreißig Jahre als Kassierer in einer Filiale einer Supermarktkette gearbeitet - und dann gab es die Verbesserung - ein digitales Kassensystem, das keine Kassierer mehr benötigte. Walters Frau war begeistert gewesen, wie schnell jetzt alles ging im Supermarkt, - niemand mehr konnte sich vertippen oder begann, über das Wetter zu reden.
Walter hatte keinerlei berufliche Erfahrung als Krimineller. Die Idee, ein Bankräuber zu werden, kam ihm, als er auf dem Arbeitsagenturamt hörte, dass man heutzutage flexibel sein müsse auf dem Arbeitsmarkt und sich auch mal in neue Bereiche wagen solle.
Er betrat vorsichtig die Bank und stellte sich in die Schlange vor der Kasse - zum Glück waren noch zwei Leute vor ihm. Er wollte noch einmal alles durchüberlegen, vor allem: wie er beginnen sollte, aber er war schneller an der Reihe, als er dachte.
„Guten Tag! Was darf ich für Sie tun?“, fragte die Kassiererin. Sie war ganz jung, ganz blond, und ihre Brüste wogten in der Bluse.
„Guten Tag“, sagte Walter und konzentrierte sich mit aller Kraft. „Ich bin hier - weil ich - hier bin. Also, was ich, was ich jetzt ... tun wollte, obwohl ich es... das heißt, es handelt sich um eine... berufliche Tätigkeit, die ich erst seit kurzem - beruflich, weil ich ... zuvor, äh, habe ich mich beschossen, beziehungsweise habe ich beschlossen, dass es an der Zeit ist... in Erwägung zu ziehen... diese Bank, - das heißt die Bank, die sich... praktisch... hier vor uns befindet, also...: diese sich vor uns befindliche Bank, die Sie deutlich vor sich ... haben...“
„Geht das vielleicht noch um fünf Prozent umständlicher?“, hörte er hinter sich eine Stimme. Er drehte sich um. Da standen zwei weitere Kunden: ein Mann und eine Frau. Der Mann hatte gesprochen. „Oder haben Sie den ganzen Tag Zeit? Ich nicht, ich bin berufstätig.“ Er trug ein rotes Hemd und einen Schnauzer, der aus seinem Gesicht ragte wie ein Gebirgswald.
„Entschuldigen Sie, ich bin noch Anfänger“, sagte Walter. „Ich war bis jetzt arbeitslos - meine Frau weiß gar nicht, dass ich hier bin... und es ist außerdem das erste Mal, dass ich eine Bank ausraube.“
“Bankraub? Im Ernst? Was soll da schwer dran sein? Haben Sie keinen Fernseher?“, sagte der Schnauzer-Mann.
„Ja, leicht ist alles, was man kann“, sagte Walter leise.
„Entschuldigen Sie?“, hörte er die Jane-Maynsfield-Bankangestellte. „Sie wollen die Bank ausrauben, sagten Sie?“
„Genau“, sagte Walter. Gott-sei-dank hatte er es nicht selber sagen müssen.
„Und wo ist dann Ihre Waffe?“, fragte Jane.
„Hier, in meinem Rucksack“, sagte Walter. „Soll ich sie rausholen?“
„Ist das zu fassen!“, rief der Schnauzer und wandte sich aufbäumend an die Frau hinter ihm, die einen Kaugummi kaute, als hätte sie einen Muskelkrampf im Kiefer. „Überfällt eine Bank und hat keinerlei Qualifikation!“
„Lassen Sie ihn doch“, sagte sie. „Wenn er ein Quereinsteiger ist.“
„Natürlich müssen Sie die Waffe in der Hand haben und irgendjemanden bedrohen“, rief der Schnauzer. „Ist das zu fassen! Wo kommen Sie denn her?“
„Ich? Ich komme aus Bübendorf-Uttringen...“, begann Walter.
„Und wie Sie heißen, verraten Sie uns bestimmt auch noch!“, sagte der Schnauzer.
„Aber gern. Ich heiße Walter Neuenreuther und wohne zusammen mit meiner Familie in...“
„Ist denn das zu fassen! Seien Sie doch still! Hören Sie, - ein Bankräuber darf niemals seinen Namen sagen, unter keinen Umständen, also gleich gar nicht. Und noch dazu: Warum überhaupt haben Sie keine Strumpfmaske auf?“
Walter zuckte die Schultern.
Jane mischte sich wieder ein: „Also können wir vielleicht weiter machen? Haben Sie jetzt eine Waffe dabei oder nicht?“ Sie hatte im Banküberfalls-Training gelernt, dass bei einem Banküberfall der Täter erheblichem Stress ausgesetzt war - und man ihn beruhigen musste, damit er nicht die Nerven verlor.
„Ja, Moment, gleich hab ich sie“, sagte Walter. Er kramte und kramte in seinem Rucksack, als versuche er einen glitschigen Karpfen aus einem Becken zu greifen, bis er die Waffe hatte. Dann legte er sie auf den Tresen und schaute zufrieden.
„Sie müssen sie in der Hand behalten“, sagte Jane ruhig.
„Ist es denn zu fassen!“, rief der Schnauzer. „Kommt rein und hat keine Ahnung von einem Überfall, dieser Idiot! Sie müssen natürlich auf jemanden zielen mit der Pistole!“
„Da hat er recht“, sagte die Kaugummifrau. „Sonst ist es kein echter Banküberfall.“
„Das ist doch blöd“, erwiderte Walter.
„Wieso ist das blöd?“, rief der Schnauzer.
„Weil ich sowieso nie auf irgendwen schießen würde... und selbst wenn ich wollte, ging’s nicht... es sind nämlich gar keine Patronen drin“, sagte Walter.
„Das darf doch nicht wahr sein!“, schrie der Schnauzer und packte Walter am Kragen, um ihn zu schütteln, aber dieser riss sich sofort los und rief: „Dann machen Sie doch weiter, wenn Sie immer alles besser wissen!“
„Das mache ich jetzt auch, Sie arbeitsloser Dilettant!“, schrie der Schnauzer und griff sich die Pistole. Er hatte genug von diesem Stümper! Er drehte sich ruckartig zum Foyer, riss den Arm mit der Waffe hoch, schwenkte den Lauf in alle Richtungen und brüllte, dass die Spinnen von den Wänden fielen: „Alles auf den Boden legen! Gesicht nach unten! Sofort! - Das ist kein Spaß! Alles hinlegen, oder es knallt!“ Walter warf sich zu Boden, auch einige weitere Bankangestellte und vor allem die Kaugummifrau, deren Kaugummi gleichzeitig weit durch die Luft flog, dann drehte der Schnauzer sich zu Jane: „Los! Geld her! Alles was da ist, aber plötzlich!“
Die Bankangestellte griff unten in die Kasse. Sie legte die ersten Bündel Geldscheine genau in demselben Moment auf den Tresen, in dem das Überfallkommando der Polizei eintraf. Die Polizisten stürmten in die Bank und hatten den Schnauzer überwältigt, bevor er noch einen Buchstaben denken konnte. Sie verdrehten zu dritt seine Gliedmaßen und schafften ihn nach draußen, während er zappelte und wie ein Teufel zu toben begann: „Ihr Idioten! Ich bin doch nicht der Bankräuber! Der da drin ist der Bankräuber, nicht ich! Ich hab bloß so getan! Ihr seid Idioten!“ Und man hörte ihn noch krakeelen - bis er zuletzt verklang wie ein Radio bei Stromausfall.
Wenigstens habe ich genug Parkgebühr bezahlt und keinen Strafzettel, dachte Walter Neuenreuther, als er nach der Zeugenvernehmung in seinen Wagen stieg. Sie hatten ihn gehen lassen, weil er, ganz im Unterschied zum Schnauzer, niemanden mit einer Waffe bedroht hatte. Und nächste Woche, da war er sicher, würde auch das Banküberfallen besser klappen als heute - denn wie hieß es so schön: Wo ein Wille ist, ist immer auch ein Weg.
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