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Depression - oder einfach Horst?
„Sie sind depressiv.“ sagt meine Ärztin.
Und während ihre in so ruhigem, gelassenem Tonfall dargebrachten Argumente, die ihre Einschätzung stützen, noch verklingen, reagiert mein so lapidar umrissenes Hirn empört, mit Unverständnis und ich entsprechend mit gereizt hochgezogenen Augenbrauen.
Depressiv?
Ich?
Never!!!
Als könnte man sich diese unendliche Leere, Hoffnungs- und Antriebsloigkeit einfach so einfangen, wie einen fiesen Schnupfen.
Pff… Depression…was für eine Modediagnose.
Dabei bin ich doch immer gut mit mir zurechtgekommen.
Alleine sogar am besten.
Schwierig wurde und wird es zuweilen in der Interaktion mit Anderen… genau!
Die Anderen sind das Problem.
Sehr guter Gedanke.
Und dieses fiese D-Wort passt daher auch überhaupt nicht zu mir.
Ich überlege…
Also mein Problem sind dann ja wohl eher Menschen.
Die Geräusche die sie machen, die vielen Gefühle die aus jeder ihrer Poren rinnen und mir entgegenwabern wie ein Nebel aus überstarkem Parfüm.
Sie sind so drängend, so stark, so unmöglich zu ignorieren. Und sie dringen durch meine zugegebenermaßen äußerst poröse Aussenhülle, perforieren mein Gehirn, meine Seele.
Sie schreien mich an, erfordern prompte Reaktion. Und ich tue was ich kann, was ich spüre. Und glaube fest daran dass jeder von uns im Kleinen die Welt zu einem etwas besseren Ort machen kann.
Es macht mir nichts aus, sage ich mir.
Jeden Tag eine gute Tat.
Wie bei den Pfadfindern.
„Helfersyndrom“ nennt das mein Vater.
Irgendwie mag ich Menschen ja auch.
In Maßen.
Die meisten.
Manche auch echt überhaupt gar nicht, nicht einmal in homöopathischen Dosen.
Aber Menschen ermüden mich vor allem.
Die Interaktionen laugen mich aus und plötzlich ist der Akku leer.
Keine Energie mehr für so triviale Dinge wie Aufstehen, Dinge tun, sich um sich selbst kümmern.
Wie eine Marionette der man die Fäden gekappt hat.
Sinn- und bedeutungslos fühle ich mich dann.
Ohne Daseinsberechtigung.
Ob ich hierbleibe oder nicht, wem würde es überhaupt auffallen?
Bevor ich mich völlig selbst verlieren und meinem sinnlosen Dasein konsequent ein Ende bereiten kann, kommen die Gedanken an Diejenigen, die es eventuell doch merken würden .
Mein Kind. Mein Mann. Meine Eltern.
Ja, denen würde ich wohl das Leben ganz schön versauen.
Zumindest vorübergehend.
Niemand ist unersetzbar.
Aber Jemanden verletzen, das will ich nicht.
Also doch am Leben bleiben.
Irgendwie.
Ausruhen, verharren.
Bis ich wieder aufstehen kann.
Weitermachen.
Während ich so vor mich hin denke schaut mich die Ärztin weiter voller Erwartung an.
Sie erwartet wohl eine Reaktion.
Erkenntnis vielleicht.
Erleichterung weil ich jetzt ein Wort für das habe, was ich habe?
Von wegen Erleichterung, was für eine bescheuerte Diagnose, was für ein bescheuertes Wort!
Ich überlege.
Menschen. Ja. Ich denke Menschen sind das Problem in meinem Leben.
Ich schaue sie an:
„Können wir nicht einfach ‘Horst’ dazu sagen? Das scheint mir passender.”
Nun zieht sie die Augenbrauen hoch, bis sie beinahe ihren Haaransatz berühren.
‘Das hätte ich wohl besser für mich behalten sollen’ denke ich. Jetzt sieht sie aus als wollte sie mich gleich einweisen.
Macht nix.
Ich mag meine Idee.
Ein Horst ist nämlich keine Krankheit.
Horst ist ein nerviger Blödmann mit einem nervigen blöden Namen.
Horst kommt wie ein ungebetener Hausgast, und wenn ich ihm keine Tasse Tee und keinen Sitzplatz anbiete, dann geht er auch irgendwann wieder, so darf man hoffen.
Ein Horst ist nicht therapiewürdig.
Also, ich hab ab jetzt einen Horst.
Ich denke, damit kann ich leben.