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Denn sie wissen nicht, was sie tun…
Eine relativ alte Geschichte, bin kürzlich wieder drüber gestolpert und wollte deshalb mal ein paar Reaktionen darauf einholen:
Bitte seid offen und schonungslos ehrlich
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Denn sie wissen nicht, was sie tun…
Er war akzeptiert in der Gruppe, nicht beliebt, nicht gehasst, eben akzeptiert. Brandon Harris, 17 Jahre alt, war der typische Mitläufer. Praktisch ohne eigenen Willen tat er, was die tonangebenden Mitglieder der Clique, John Hargrove, Michael Peters und Denise Myers sagten. Er war durchschnittlich groß, etwas über 1,75 m, durchschnittlich schwer, etwas über 70 kg, hatte durchschnittlich geschnittene, braune Haare und braune Augen. Sein Gesicht war nichtssagend, und wer ihn sah hatte ihn im nächsten Moment wieder vergessen. Ein typischer Gesichtsloser in einer Armee von Gesichtslosen.
An diesem Abend feierte John seinen 18 Geburtstag. Er hatte eine Riesenparty auf die Beine gestellt, da seine Eltern das Wochenende in ihrer Skihütte in Vermont verbrachten. Weit über 200 Leute waren erschienen und wuselten über das Anwesen der Hargroves wie Ameisen durch ihren Bau. Brandon stand gemeinsam mit einigen anderen in der Nähe der Bar und schüttete einen Drink nach dem anderen hinunter.
Bereits vor einigen Tagen hatte ihn eine schwere Sinnkrise ereilt. Er fragte sich, was in seinem Leben fehlte. Oder was falsch lief, dass er sich so leer fühlte. Während die Ramones aus den 1000-Watt-Boxen der Stereoanlage ballerten, hing Brandon seinen düsteren Gedanken nach. Er fragte sich wieder und wieder, was konnte er tun, um seinem Leben eine Wendung zu geben? Was musste geschehen, um ihn zu erfüllen? Er konnte es nicht sagen.
&#Na wenn das nicht diessser idiotische Totalversager Brandon Harris ist. W-w-wer hat dich denn hierher eingelllladen?“ Bereits heftig angetrunken drehte Brandon sich zu dem lallenden Mann um, der ihn angesprochen hatte. Er erkannte ihn sofort. Doug Smith, Captain des Footballteams stand da, in seiner Teamjacke, mit seiner ebenfalls betrunkenen Freundin Rachel Anderson im Arm. „Wasss willsst du von mir, Doug?“ In diesem Augenblick näherte sich John, um dem sich anbahnenden Streit zuvorzukommen. „Hey. Was soll das. Lass Brandon in Ruhe, Doug. Ich habe ihn eingeladen. Er hat das gleiche Recht hier zu sein, wie alle anderen.“ Aber der Angesprochene hörte ihm nicht zu, sondern baute sich demonstrativ vor dem deutlich kleineren und schmaleren Brandon auf. „Sssag mal Brandon, wie issas eigentlich, wennn man keine Eier hat, hmm?“ „Wovon sprichsst du, Douggy?“ „Ich meine, wenn man keinennnn Mut hat, du Weichei. Wie issas ssso?“ Die Gesichter der beiden waren inzwischen nur noch Zentimeter voneinander entfernt und wütend starrten sich die beiden an. „Ich habe genaussso vviel Mut wie du, du gehirn-hm-losser Fleischberg.“ „Warummm gehen wir dann jetzt nicht rauss zu den Aaautos und du ssseigst mal, wass du drauf hast, Feigling?“ Es durchzuckte Brandon wie ein Blitz. Das war es. Adrenalin. Der Kick hatte ihm in seinem Leben gefehlt. Natürlich. Brandon zuckte mit den Schultern. „Jederszeit gerne, Douggy. Los gehtss.“ John packte ihn am Arm. „Verdammt Brandon. Bist du bescheuert? Du bist viel zu besoffen um zu fahren.“ Aber der stieß seine Hand weg und torkelte hinter Doug aus dem Haus. Er fand nach einigem Suchen seinen Wagen, einen roter 93er Ford Pickup, und nachdem er einige Minuten damit verbrachte hatte, das sich vehement wehrende Schlüsselloch mit dem Schlüssel aufzuspießen, stieg er ein. Da stand auch schon Dougs schwarzer Pickup neben ihm. „Ich sag dir wie’s läuft, Harris. Wir fahren die Strecke von hier zum alten Stahlwerk, Steelworks Inc., und dann wieder hierher zurück. Wer zuerst da ist, gewinnt. Alles klar?“ Brandon nickte. Vor den beiden hatte sich jetzt eine der Cheerleaderinnen des Footballteams aufgebaut und hielt etwas, das aussah wie ein Badetuch in die Luft. Die beiden jungen Männer spielten mit den Gaspedalen und ließen die Motoren heulen. Dann schwenkte das Mädchen das Tuch und mit quietschenden Reifen rasten die beiden Pickups davon. Die Menge blieb zurück, und während einige jubelten und schrien, starrten andere nur fassungslos den beiden in der Dunkelheit verschwindenden Fahrzeugen nach.
Er konnte sich nicht erinnern, dass die Lenkung seines Fahrzeugs so empfindlich gewesen war, als er zu Johns Party gefahren war. Und auch die Bremse und das Gaspedal schienen empfindlicher zu sein, als er es gewohnt war. Nun, darum würde er sich kümmern müssen, wenn er diesem Angeber Doug Smith gezeigt hatte, dass er kein Feigling war. Ihm und allen anderen. Verdammt, woher kam plötzlich diese Kurve. Nur mit Mühe gelang es Brandon, sein Fahrzeug auf der Strecke zu halten. Er beobachtete, wie sein Gegner sich ihm auf der linken Seite näherte. Also lenkte er selbst ein wenig nach links, nur um im nächsten Augenblick das Manöver auf der anderen Seite zu wiederholen und seinem Gegner zuvorzukommen. Er ignorierte das Stoppschild an der Stelle, wo sich die Straßen nach Clanton und Erie kreuzten, und raste mit Vollgas weiter in Richtung des stillgelegten Stahlwerks. Hatte es gefroren? Der Pickup schlitterte über den Asphalt wie im Winter über den zugefrorenen Lake Tacola. In einer engen Kurve bremste er den Wagen herunter – und musste beobachten wie sein Gegner an ihm vorbeizog. Er sah das Grinsen auf Smiths Gesicht, als dieser ihm über die Schulter den ausgestreckten Mittelfinger zeigte. Sofort stieg Brandon wieder aufs Gas. Aber es gelang ihm nicht, wieder an Doug vorbeizuziehen. Nach einigen weiteren Minuten Jagd auf die Rücklichter vor ihm erreichten sie das Stahlwerk. Sie umkreisten es und schossen dann wieder zurück auf die Landstraße. Brandon kämpfte hart mit dem Kies, den der andere Pickup aufwirbelte und zudem mit dem schlechten Halt, den sein eigenes Fahrzeug auf dem Boden fand. An der gleichen Stelle, an der Doug ihn auf dem Hinweg überholt hatte, gelang es Brandon, sich wieder an die Spitze zu setzen. Er rutschte zwar beinahe in den Straßengraben, soweit zögerte er das Abbremsen hinaus, aber das Adrenalin, das in seinen Ohren und durch seine Adern rauschte, hinderte ihn daran, sich über das plötzliche Beinahe-Ende seines Rennens Gedanken zu machen. Als die beiden Fahrzeuge die letzte Abzweigung auf dem Weg zurück zum Anwesen der Hargroves passiert hatten, lagen beide fast gleichauf, Reifen an Reifen. Es lagen nur Zentimeter zwischen ihnen. Und dann passierte es. Das Haus der Hargroves war bereits in Sichtweite. Irgendwie kollidierten die beiden PS-Kolosse. Brandon versuchte seinen Wagen abzubremsen. Als er die Bremse praktisch ins Bodenblech trat, blockierte die Lenkung und er schoss über den Bordstein hinaus. Das Fahrzeug hob vom Boden ab und drehte sich zweimal vollständig, während es auf die ausgedehnte Wiese zusegelte. Vor Brandons Augen wirbelten der Sternenhimmel und der Boden, er verlor die Orientierung, wo war oben, wo unten. Und dann wusste er, dass es keine Rolle spielte. Er sah sich selbst, wie er als 4jähriger mit seinem Vater am Strand von Malibu mit einem Wasserball spielte. Sah sich, wie er lachte, sich freute, seinen Vater, der ihn anfeuerte, sich gespielt nach den von Brandon, mit typisch kleinkinderhafter Unbeholfenheit, geworfenen Bällen hechtete. Dann sah er sich, als er etwas älter war. Ja, er erinnerte sich. Er war 13 gewesen. Seine erste Party. Und sein erster Kuss. Sie hieß Doris Brown. Er hatte sich fast übergeben müssen, wie er sich erinnerte. Sie hatte ihn richtig nass geküsst. Es hatte lange gedauert, bis er festgestellt hatte, dass zu einem Zungenkuss nicht unweigerlich ein Handtuch und Lippenherpes gehörten. Dann sah er sich mit 16, wie wieder einmal ohne bestimmtes Ziel mit John und der Clique in der Gegen herumfuhr, ohne Aufgabe, ohne Sinn, ohne Bestimmung. Und dann sah er sich, mit 17, wie über eine Wiese lief, die Sonne schien, Vögel sangen und es lag der süße Duft des Frühlings in der Luft. Und das da vorne, war das nicht Großmutter? Natürlich. Aber Großmutter war seit drei Jahren tot. Bestimmt würde sie ihm erklären, was das zu bedeuten hatte, wenn er bei ihr angekommen war. Diese Blumenwiese war wirklich wunderschön...
Brandons Clique und die anderen Partygäste beobachten, wie der rote Pickup über den Bordstein katapultiert wurde, sich zweimal überschlug und dann schließlich auf dem Boden aufschlug und praktisch sofort explodierte.
Hätte sich ein Pathologe die Mühe gemacht, die verbrannten Überreste des Brandon Harris zu untersuchen, hätte er festgestellt, dass sein Genick beim Aufprall gebrochen war. Von dem anschließenden Feuer um ihn herum hatte er bereits nichts mehr mitbekommen.
Die Vorwürfe die Doug Smith sich machte, führten am Tag von Dannys Beisetzung dazu, dass er sich mit einem Seil auf dem Dachboden des Hauses seiner Eltern erhängte.