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Denkermafia

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25.09.2002
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Denkermafia

Denkermafia

Als Marius P. Bender die Lagerhalle betrat, schreckte Petra Braun aus einem mittäglichen Nickerchen. Kennung "piek-blau": der Chef. Sie hatte noch genug Zeit ein gefaßtes Gesicht aufzusetzen und den passwortversehenen Bildschirmschoner des PC zu deaktivieren. Dann öffnete sich die zweite Sicherheitsschleuse und Bender passierte ihr kanzelartiges Büro mit der großen gläsernen Front.
"Wie sieht`s aus, Petra? Was machen unser Geschäft?",
Bender wartete die Antwort nicht ab. Er hob die autoritätsgebietende Hand.
"Lagemeldung in dreißig Minuten in meinem Büro."
Bender trug heute ein weißes Baumwoll -T-Shirt und verwaschene Jeans. Dazu seine alten Turnschuhe. Der Chef maß repräsentativer Kleidung keine Bedeutung zu. Das wußte Petra. Sie wußte auch, dass er sich alle zwei Wochen seine Glatze nachrasierte. Sogar die Augenbrauen rasierte er ab. Dieses sterile und künstliche Gesicht prangte auf der Rückseite jedes vierten verkauften Buchs in Deutschland. Marius P. Bender war der Mann der Stunde, wenn man renommierten Literaturkritikern glauben konnte. Die Kunden glaubten es jedenfalls gern. Mit den letzten fünf Romanen hatte die Firma auch den amerikanischen Buchmarkt förmlich überschwemmt. "Bender - Books" waren der größte Exportschlager aus Deutschland seit dem VW-Käfer.
Es dauerte noch einen Augenblick bis sich Petra von ihrem Schrecken erholt hatte. Beinahe hätte sie der Chef bei ihrem obligatorischen Mittagsdurchhänger ertappt. Der Schlaf war bei ihr nie weit. Das hatte ihr Dr. Kleintz gesagt.
Es hätte für sie sehr ungesund ausgehen können. Der Chef war streng. Er zahlte seinen Mitarbeitern dafür ein astronomisches Gehalt. Der Diskretion und bedingungsloser Treue wegen, hieß es betriebsintern. Nur das mit der Kündigung war ein Bißchen schwierig. Und es gab da noch eine Reihe eigenartiger Regeln. Zum Beispiel solche, die sich mit der Wachsamkeit und Professionalität des Personals befaßten. Petra verdrängte den Gedanken.

Bender durchquerte den Korridor und öffnete das schlichte Stahltor zum Produktionsbereich. Ein korpulenter Torposten der Sicherheitsfirma saß auf einem Holzstuhl in seinem gepanzerten Verschlag und registrierte Bender mit einem dumpfen Blick. In der Mitte der Lagerhalle befand sich ein kaum überschaubares Labyrinth, umgeben von drei Meter hohen soliden Trennwänden. Diese bildeten die zellartig aufgebaute Büroabschnitte für seine Mitarbeiter. Bender beschäftigte eigens für die Verwaltung dieses Labyrinths einen zehn Mann starken Kader.
Er öffnete mit einer Chipkarte einen Durchgang in der lilafarbenen Kunststoffassade. Für den Wachmann sah es immer so aus, als öffne dieser verrückte Glatzkopf eine Geheimtür. Die Pforten in das Innere des Bereichs waren so gut getarnt, dass ein Fremder sie keinesfalls gefunden hätte.
Viele Mitarbeiter hielten das solche Sicherheitsmechanismen für reine Paranoia. Nur hätten sie es Bender gegenüber niemals zugegeben. Der Chef war manchmal ein wenig jähzornig. Man beugte daher Mißverständnissen lieber vor.
Bender wußte sich in dem Bürokomplex wohl zurechtzufinden. Er hatte schließlich selbst die Vorgaben für die ausführenden Ingenieure ersonnen. Zielstrebig schritt er durch Sektor B (Krimis) vorbei an der Kreuzung zu Sektor D (Kurzgeschichten) und Sektor C (Thriller). Sein Büro befand sich in der Mitte des Komplexes in Sektor A. Sektor A war nach ihm benannt. Das Alphabet führte gerade genug Buchstaben, um sämtliche Pseudonyme und Dependancen der Firma abzudecken. Schließlich arbeitete mittlerweile beinahe jeder freie deutsche Schriftsteller in der Firma. Bender hatte sozusagen mit ihnen fusioniert. Durch feindliche Übernahme versteht sich.
Bender bog um die Ecke und stand vor einer einfachen weißen Holztür. Ein Schwenk der Chipkarte öffnete sein Büro.

Er selbst schrieb schon seit zwei Jahren keine Bücher mehr. Die aufwendige Ausbildung der "Ghost Writer" war der Grundstein zum Erfolg der Firma gewesen. Bender mußte dabei immer an den Witz mit den Affen denken. Wenn man eine ausreichend große Anzahl von Affen nur lange genug an Schreibmaschinen arbeiten lassen würde, käme irgendwann ein Satz von Shakespeare heraus.
Bender ließ sich in seinen Ledersessel fallen und zündete eine filterlose Zigarette an. Er betrachtete die Monitorfront gegenüber dem Schreibtisch. Die zwölf Männer der ersten Schicht arbeiteten offenbar planmäßig. Alles schien bestens. Bender schaltete die Videoanlage ab und lehnte sich paffend zurück. Er schloß die Augen.
SIE planten etwas. Das wußte er seit gestern. Hilger hatte es ihm gesagt. Hilger war sein bester "Auswärtiger" drüben in Amerika. Er und sein Team beobachteten DIE KONKURRENZ sehr genau. Der Aufbau der Firma wäre ohne "die Auswärtigen" nicht möglich gewesen.
DIE KONKURRENZ hatte selbstverständlich ebenfalls eine Gruppe von Spionen, die in der Vergangenheit die Eindämmung des Buchmarktes zu erhalten gewußt hatte. Aber Hilgers Leute hatten Benders transatlantischen Operationen gedeckt. Das war der Anfang der "Bender Books" - Verlagsgruppe gewesen. Freilich war die riskante Erschließung des amerikanischen Marktes nicht ohne gewisse Verluste vonstatten gegangen. Es hatte im Verlauf der Expansion auf beiden Seiten Tote gegeben.

Gewissermaßen war Hilger das zweite Gesicht von "Bender Books." Dieses tauchte jedoch auf keinem Buchrücken auf. Hilger führte gewissermaßen die pragmatisch-soldatische Abteilung, die mit ihrer Arbeit den Weg zur Ausdehnung der Firma ebnete. Das Wirken der Auswärtigen im Untergrund amerikanischer Metropolen war zu keinem Zeitpunkt durch die Medien thematisiert worden, pünktlicher Entgeltzahlung sei dank. Lediglich ein bedenklicher Anstieg der Bandenkriminalität wurde registriert. Die Leute wollten gar nicht wissen, wieviel Blut im Einband des neuesten Bestsellers klebte.
In den letzten sechs Jahren war das Lesen wieder in Mode gekommen. Der europäische Gerichtshof hatte die Macht der Mediengiganten im Jahre 2005 effektiv zerschlagen, nachdem eine Reihe von kriminellen Skandalen die Branche erschüttert hatten. Ein Jahr später zerfiel auch das überzüchtete amerikanische Medienimperium. Das Publikum war der verbliebenen staatlichen Fernsehanstalten schnell überdrüssig geworden. Diese konnten und wollten die unnachgiebige Sensationslust der Massen nicht mehr befriedigen. So hatte sich 2006 ein als Superverlag getarntes Konsortium von drei bekannten Amerikanischen Schriftstellern zusammengetan, das die ohnehin stark nachgefragte Trivialliteratur als Fernsehersatz etablierte. Das regelrechte Monopol von "KGR - Books" hatte drei Jahre Bestand gehabt. Und dann entbrannte ein regelrechten Krieg im Untergrund des Internets (sowie im Untergrund einschlägiger Stadtviertel von New York und Los Angeles), in dem Hilgers Leute mit virtuellen Gueriliataktiken das Webmonopol von "KGR" überraschend unterwandert und ausgehoben hatten. Selbst von diesen neomartialischen Gefechten kaum etwas an die Öffentlichkeit gedrungen, was nicht zuletzt den eingeschränkten Fähigkeiten der verbliebenen Rundfunkmedien anzurechnen ist. So wußte auch im Jahre 2009 niemand etwas über die Bipolare Konstellation am Buchmarkt, geschweige denn über die wirkliche unvorstellbare Größe der beiden Verlagsimperien, die längst auch in ganz anderen Branchen operierten. Das Wettrüsten und die kriminelle Energie der Literaturkonzerne hatte die Dynastie des verflossenen Medienzeitalters schon längst überflügelt, doch auch die Gerichte dieser Welt hatten waren der Korruption nicht länger abgeneigt.

Der Feierabend schien für Petra Braun schon greifbar nahe, als sich die Schleuse um halb sieben zum zweiten Mal an diesem Tag mit Autorisation "piek-blau" öffnete. Diese höchste Stufe hatte neben Bender selbst nur noch ein Mitarbeiter. Petra rückte schnell ihre Frisur in Position, dann betrat ein unauffällig gutaussehender Mann in Lederjacke den Gang. Er schlenderte zur Panzerglasscheibe, hob zum Gruß die Hand und lächelte Petra mit sehr vielen kleinen Zähnen an. Bei diesem Lächeln überkam Petra stets ein Schauder. Ob aus Erregung oder Entsetzten, vermochte sie nicht zu sagen. Das beinahe bläuliche Weiß der Zähne stand in schreiendem Kontrast zum braunen Teint, der im vorherrschenden starren Zustand glatt und makellos war, um sich beim ruckartigen Aufziehen einer Mimik in tiefe Falten zu werfen.
"Na Kleines, immer schön Wachsam? Wie wär's mit einem Mittagessen morgen im Logos?"
Petra, obschon leiert sagte nach kurzem Stutzen sofort zu.
"Du warst schon seit mehr als acht Wochen nicht mehr in der Stadt. Bleibst du jetzt eine Weile hier?" Die Frage kam ihr sofort dumm vor, aber etwas besseres zu fragen fiel ihr auf Anhieb nicht ein.
Hilger zuckte die Achseln, zwinkerte ihr zu und lächelte wieder sein Krokodilgrinsen.
"Ich ruf dich nachher noch an, Kleines", sagte er leise.
Im nächsten Augenblick war das Grinsen verschwunden. Hilger betrat den Bereich mit seinem Arbeitsgesicht.

"Hilger ist für mich die personifizierte Verläßlichkeit. Ich habe keinen Grund ihm zu mißtrauen."
Bender saß in seinem schwarzen Bürosessel. Grauer Qualm wirbelte in zyklischen Intervallen hinter der hohen Sitzlehne auf. Die dahinter sichtbare blanke Glatze wirkte wie eine Boje. Es war viertel vor Sieben.
"Ich sage ihnen, prüfen sie ihre Quellen genauestens, bevor sie Anschuldigungen gegen meinen besten Mann erheben, Klepping. Er ist der Garant, durch den ich so lange in diesem Geschäft überlebt habe."
Der Hörer knallte auf die Gabel, der Sessel drehte sich, Bender kaute am nicht vorhandenen Filter seiner Chesterfield. Schließlich drückte er sie aus und schenkte sich seinen obligatorischen Kognak ein. Dann nahm er erneut den schwarzen Hörer ab.
"Charly, ich möchte, dass in zehn Minuten der Wagen vorfährt. Sei so gut, ja?"
Er legte auf und trank den Kognak in einem Zug aus. Plötzlich ertönte ein schlurfendes Geräusch. Bender fuhr herum. Das Glas fiel ihm aus der Hand und zerschellte am Boden. Eiswürfel drifteten über den Parkettboden. Einer prallte gegen Hilgers braunen Lederschuh. Hilger grinste.
"Wie lange bist du schon hier drin?", schnappte Bender.
"Ich war grad in der Gegend und dachte ich schau direkt mal bei meinem besten Freund vorbei. Da wollt ich mir nicht erst einen Termin holen."
"Du solltest doch erst übermorgen aufschlagen. Das Projekt..."
"...ist jetzt irrelevant", endete Hilger.
Bender stutzte. Sein Blick wanderte langsam an die Decke über der Tür.
"Ich wollte ohnehin mit dir sprechen", begann er.
"So? Worüber denn?"
Benders Hand tastete nach der Schublade des Schreibtisches. Sie zitterte und wühlte kurz herum. Zum Vorschein kam ein Päckchen Mentholzigarretten. Hilgers Marke. Er steckte sich eine an. Hilger lehnte mit einer knappen Handbewegung ab.
"Das ist ungesund, Marius."
Hilgers Grinsen war verschwunden, die Miene maskenhaft.
"Wie bist du hier reingekommen, Hilger?", fragte Bender. Er bemühte sich dabei um einen beiläufigen Tonfall.
"Es gibt immer Mittel und Wege. Das solltest du doch wissen."
Darüber schien Bender tatsächlich einen Moment nachzudenken. Dann bot er seinem unverhofften Gast Kognak an. Dieser akzeptierte. Es vergingen mehrere Minuten, ohne dass einer der beiden etwas sagte. Stumm nippten sie an den Kristallgläsern, wie sie es schon immer getan hatten.
Hilger war es, der das Schweigen brach.
"Marius, ich sage das jetzt gerade heraus. Unser Deal ist für mich nicht mehr lukrativ."
Er warf das Glas achtlos beiseite. Bender erstarrte.
"Und das schon seit einiger Zeit."
Im nächsten Augenblick flog die Tür mit solcher Wucht auf, dass sie aus den Angeln gerissen wurde. Eine Sekunde später lag ein schwarz gekleideter Wachposten am Boden, durchbohrt von Hilgers schwarzem Schnappdolch, der über dem Handgelenk gelagert war. Den zweiten Schutzmann enthauptete er mit einem Tritt, gleich einem unhaltbaren Fallrückzieher. Der Kampf verlief in einem surrealen Tempo und der vier Mann starke Stoßtrupp war neutralisiert bevor Bender eine der auf den Boden geschleuderten Maschinenpistolen auch nur erreicht hatte. Ein Bauchschuß beendete sein Unterfangen. Als Bender sich das letzte Mal aufbäumte, sah er die Gürtelschnalle des Verräters. Wieviel Geld mußten sie ihm dafür geboten haben? Geld konnte es eigentlich gar nicht sein.
"Du bist irgendwann einfach zu arrogant geworden, um die Lage der Dinge noch realistisch einzuschätzen, Marius. Du warst ein Egoman und wußtest es nicht besser."
Hilger rammte ihm die lange schwarzen Spitze seines Dolches tief ins rechte Auge. Es hörte sich an wie ein Spatenstich im Sandkasten an einem regnerischen Tag.

Petra Braun saß in ihrem Auto. Sie unterzog sich einer eingehenden Sichtprüfung im Rückspiegel. Wie hatte sie wohl vorhin auf ihn gewirkt? Eine dreißigjährige brünette Frau, die sich gut gehalten hatte. Man würde sie eher jünger einschätzen. Ihr Anblick war offenbar zufriedenstellend. Sie schnallte sich an und rollte aus der Parklücke.
Ich würde Stefan seinetwegen verlassen, dachte sie und erschrak über sich selbst. Doch das dumpfes Glücksgefühl wog stärker als ihr Gewissen. Und morgen bist du schon mit ihm verabredet. Aber was wird der Chef zu dieser Beziehung sagen?
Gedankenverloren steuerte sie den Mercedes um die Ecke. Die niederen Mitarbeiter parkten stets einige Blocks von der äußerlich heruntergekommenen Lagerhalle entfernt, um keine Aufmerksamkeit zu erwecken. An der nächsten Kreuzung würde sie das Gebäude an der Rückseite passieren. Bender ist doch mit ihm befreundet. Er wird es ihm gönnen. Er wird...
Eine Gestalt rannte über die Kreuzung. Petra stemmte beide Füße auf das Bremspedal und riß das Lenkrad nach links. Ein dumpfer Aufschlag kündete vom Mißerfolg des Ausweichmanövers. Der getroffene Mann (er trägt eine Lederjacke! ) prallte gegen die Windschutzscheibe und rollte über das Dach ab.
Als der Wagen zum stehen kam, war Jan Hilger schon tot.

 

Hi positron,

hm ... eine Mafiageschichte also, auf unwirklich und seltsam anmutende Weise in die Welt übermächtiger Buchverlage transferiert. Bin mir nicht ganz sicher, was ich davon halten soll. Einerseits ja ganz witzig und nicht schlecht erzählt, andererseits hat das Ganze aber, durch die doch arge Überzeichnung, einen zu satirischen Anstrich, dass man es wirklich ernst nehmen und somit auch als wirklich spannend empfinden könnte.
Wenn man es freilich als James-Bond-Story hernähme, könnte es vermutlich funktionieren. Dass du mehr in so eine Richtung gedacht hast, lässt ja zB auch der "martial-arts-Kampf" zwischen Hilger und den vier Wachmännern erahnen.

Von der Handlung her, empfinde ich deine Geschichte als nicht ganz rund. Das heißt, sie liest sich zwar flüssig, aber im Grunde passiert ja nicht wirklich viel. Du legst das Gewicht eher auf die Beschreibung der ganzen Hintergrundsituation, während die Aktionen dabei ein wenig zu kurz kommen. Du kreierst einen Konflikt zwischen Bender und Hilger, beendest ihn aber viel zu schnell gewalttätig und lässt den Leser dadurch unbefriedigt zurück. Auch dass Hilger am Ende selbst getötet wird, kommt zwar überraschend, wirkt aber irgendwie nicht wirklich sinnvoll innerhalb der Handlung.
Ich denke also, dass du von einer interessanten Grundidee ausgegangen bist, dir aber im Endeffekt eine echte Story fehlt.

Einige Fehler sind noch enthalten, die ich mir jetzt nicht notiert habe, solltest du dir noch einmal aufmerksam durchlesen.
Die Klammer im vorletzten Satz würde ich ersatzlos streichen, der letzte Satz reicht völlig.

Grüße
Visualizer

 

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