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Den Sternen so nah
Josie blickte blinzelnd in den schwarzen Nachthimmel hinauf. Wie sehr sie es doch liebte! Das Gefühl von abertausenden, kleinen, weißen Sternlein, die ihre Nase küssten und sich schließlich in ihrem roten Haar verfingen.
Viele ihrer Freunde belächelten Josie nur, wenn sie aufgeregt und mit roten Wangen das Büro verließ, sobald der erste Schnee fiel. Und dennoch war es für Josie die magischste aller Jahreszeiten.
Und nun stand sie hier draußen allein. Ausgestattet mit Skikleidung vor einer Hütte in den österreichischen Bergen - bereit sich dem Glücksgefühl hinzugeben, während unter ihren Skiern sie die Unebenheiten des Berges herausforderten.
Doch statt aus dem ersehnten Winterurlaub alles herauszuholen, was die Piste hergab, saßen ihre Freunde in der Skihütte und feierten Aprés-Ski, bevor sie überhaupt richtig gefahren sind!
Die Türe der alten Hütte schwang quietschend auf und ein Schwall lauter Musik irgendeines Künstlers, dessen Liedern und Texte keinerlei Sinn zu ergeben schienen, drang zu ihr durch. Waren das nicht ihre Freundinnen, die versuchten, den Text unter Gelächter mit zu grölen? Es war wohl doch keine so gute Idee das Angebot einer Mitfahrgelegenheit von Ben und seinen Freunden anzunehmen. So gut sie sich auch mit Ben verstand, ihrer beiden Welten würden nie zusammen harmonieren. Waren er und seine Freunde doch mindestens zehn Jahre älter als sie.
Es wurde wieder still um sie. Doch hörte sie gleich darauf das Knirschen von Schritten im Schnee näherkommen.
»Was machst denn du so allein hier draußen?«, hörte Josie die warme, dunkle Stimme von Ben sagen. Abrupt drehte sich Josie um. Ihr Mund verzog sich zu einem Lächeln, als sie sah, wie Ben mit zwei Tassen heißem Glühwein auf sie zu kam. Bei ihm wirkte alles so leicht und unbekümmert.
»Danke«, sagte Josie, während sie mit zitternden Fingern ihm die volle Tasse abnahm. Wann war ihr denn plötzlich kalt geworden? Schüchtern blickte sie Ben von der Seite an, er überragte sie fast einen Kopf und strahlte mit seinen breiten Schultern stärke aus, die in ihr einen wohligen Schauer auslöste.
Josie schloss ihre Augen und sog den wohligen Duft des Getränks ein. Der Geruch von Zimt und Nelken vernebelte ihre Sinne und durchströmte sie mit einem angenehm warmen und kribbelnden Gefühl. Insgeheim hoffte sie, dass es vom Alkohol kam und nicht wie sonst, von dem Gefühl sich in Bens tiefblauen Augen zu verlieren.
Gemeinsam standen sie eine Weile nebeneinander da, blickten in die immer dunkler werdende Nacht hinein und lauschten dem Rauschen der Tannen. Von den leuchtenden Sternen war nichts mehr zu sehen. Zu sehr hatte es nun zu schneien begonnen.
Josie seufzte und Bedauern lag in ihrer Stimme »Ich wollte noch ein bisschen den Schnee genießen, statt den ganzen Abend in der Hütte zu sitzen. Schade eigentlich, solange die Lifte noch in Betrieb sind.«
Ben nickte verständnisvoll, legte seine Hand auf Josies Schultern und schaute sie ermunternd an »Wenn du möchtest fahre ich ein paar Runden mit dir!«
Josies Blick erhellte sich, sie nickte und ihr Mund verzog sich zu einem strahlenden Lächeln.
Als sie in die Hütte eintraten, schlug ihnen unvermittelt die Hitze des Kachelofens entgegen. Da die Skihütte nicht sehr geräumig war, drängten sich die Leute eng einander, in der Hoffnung ein lauschiges Plätzchen am Ofen zu ergattern. Ben und Josies Freunde saßen an einem runden Tisch in der Ecke. Josies Freundin Annabell schien gerade eine ihrer berühmten Geschichten preiszugeben, die nicht mehr oder minder zu ihrem verheißungsvollen Ruf geführt hatten. Dien Jungs schienen sie zu gefallen, zumindest hingen sie gebannt an ihren Lippen.
»Hey wo seid ihr denn abgeblieben?«, grölte einer von Bens Freunden, dessen Name Josie entfallen war, aus der Ecke.
»Wir fahren noch eine Runde, ihr Spaßverderber!«, entgegnete Ben lachend.
»Dann passen Sie aber schön auf, der Schneesturm wird immer stärker werden«, hörte Josie den Wirt sagen, als dieser ein Tablett voller Schnäpse auf dem Tisch abstellte. Josie nickte verunsichert, verabschiedete sich dann aber von den anderen.
Und wenn schon, dann fuhr sie eben nur einmal.
Auf dem Weg hinaus hörte sie, wie jemand lachend rief »Dann pass mal auf das kleine Mädchen auf, nicht, dass sie dir noch verloren geht!«
Josie merkte, wie sich ihre Wangen rot färbten, und trat schnell ins Freie hinaus. Kleines Mädchen? Na toll! das sahen also Bens Freunde in ihr! Doch wie stand es um Ben? War sie für ihn auch nur das schüchterne Mädchen, das im Büro neben ihm saß?
Aber dann hätte er sie doch nie gefragt, ob sie das Wochenende mit ihm verbringen wollte.
Enttäuscht rastete sie ihre Skischuhe in der Bindung ein und fuhr dicht gefolgt von Ben in die dunkle Nacht hinein.
Der Sturm hatte tatsächlich an Stärke zu genommen. Der Wind pfiff nun um ihre Ohren und die Schneeflocken sahen nicht mehr wie fallende Sterne aus, sondern hämmerten wie kleine Nadelstiche in ihr Gesicht. Aber sie war frei! Mit jedem Meter, den sie fuhren löste sich Josies Anspannung und Josie konnte die Glückseligkeit spüren, die sich in ihr ausbreitete.
Ben überholte sie rasant mit seinen Skiern, schaute zurück und lachte ausgelassen. Josie wurde es warm um das Herz und sie musste unversehens schmunzeln. Nein, sie würde nicht das kleine Mädchen abgeben, für die sie alle hielten. Sie lehnte sich etwas nach vorne und gewann dadurch an Fahrt.
»Tut mir leid, aber wir haben den Lift gerade geschlossen! Die Wetterwarnungen sehen gar nicht gut aus. Ihnen bleibt nichts anderes übrig, als morgen wieder zu kommen.«, entschuldigte sich der Liftbetreiber, als Josie und Ben nach ihrer Abfahrt nach oben fahren wollten. »Was machen wir denn jetzt? Die anderen sind noch oben in der Skihütte«, schaute Josie Ben besorgt an.
»Dann lass uns zurück in unser gemietetes Haus gehen. Ich koche uns etwas Leckeres«, beruhigte Ben sie sanft.
Der Weg zu ihrem Haus war kurz. Sie konnten durch die Talabfahrt direkt vor ihrem Haus halten und mussten nicht, wie andere den Bus oder das Auto nehmen. Es war ein gemütliches kleines Haus, gerade recht für sie alle zusammen. Josie freute sich darauf, den Ofen anzuheizen und ein warmes Bad zu nehmen.
Warum klemmte denn nur diese Bindung schon wieder?
Sie zog und zerrte ihren Skischuh aus der Verankerung. Plötzlich löste sich die Bindung und Josie flog rückwärts in einen Schneehaufen. Ben war schnell bei ihr und reichte ihr seine Hand. Doch unter der Schneeschicht war der Boden gefroren und er gab ihren Schuhen keinen Halt. Unversehens knallten beide zurück in den Schnee, dabei lag Ben halb auf ihrem Körper. Nach einem kurzen Schreckmoment mussten sie beide kichern.
Ben still auf einmal ganz still und schaute sie mit einem intensiven Blick an. Sein Blick wurde unverklärt und Josie wurde ganz heiß und schwindelig, als sie ihm in seine blauen Augen sah.
»Josi, ich …«, hielt Ben inne, schaue Josie eindringlich an.
Er strich Josie eine Haarsträhne aus ihrem Gesicht und streichelte dabei sanft ihre Wange. Sein Kopf näherte sich ihrem langsam und Josie hielt den Atem an. Passierte das wirklich? Und da wusste sie es. Sie wollte ihn so sehr, dass es weh tat!
Ein Klingeln riss beide zurück in die Realität. Ben schloss die Augen und schüttelte den Kopf. Dann rappelte er sich auf und ging mit einem bitteren Lächeln an sein Handy.
»Aha! ja. Ok! Dann passt auf euch auf, bis morgen!«, schloss Ben das Telefonat ab und steckte sein Handy seufzend weg. Josie sah ihn fragend an. »Das war Fabian. Der Wirt lässt sie nicht fahren, wegen des aufkommenden Schneesturms. Sie müssen über Nacht in der Hütte bleiben, bis sich das Wetter beruhigt hat.«
Josie schaute ihn erschrocken an, doch Ben nahm ihre Hand und zog sie zu sich hoch. »Sei nicht besorgt, es geht ihnen gut! Jetzt komm, ich mach uns etwas zu essen und den Ofen an. Dir ist mit Sicherheit kalt.«
Verträumt saß Josie auf dem Boden vor dem lodernden Feuer. Sie hatte sich in der Badewanne aufwärmen können, während Ben ihnen ein Essen zauberte.
Nun setzte sich Ben mit einer Flasche Rotwein und zwei Gläsern zu ihr. Er schaute sie von der Seite an und räusperte sich »Josie«, begann er zögernd.
Angst ergriff ihr Herz und sie sah ihn nervös blickte Josie ihn an, Angst davor abgewiesen zu werden. »Ich wollte die vorhin sagen, dass ich dich sehr gerne …«
»Aber es würde nicht funktionieren, hab ich recht? Ich bin viel zu jung für dich.«
Überrascht schaute Ben sie an »Natürlich, uns trennen ein paar Jahre und viele würden sagen, dass es nicht passt.«
Josie senkte traurig den Kopf. Jetzt würde alles in ihr zerbrechen.
»Aber hast du nicht gesehen, wie ich dich seit unserem Kennenlernen anschaue? Josie, mit deiner Schönheit und deiner liebevollen Art bist du mir unter die Haut gefahren. Du gehst mir nicht mehr aus dem Kopf!«
Ben nahm Josie das Weinglas aus der Hand und hob ihr Kinn an. Er schaute ihr direkt in die Augen. »Du bist alles für mich«, hauchte er.
Und dann küsste er sie.
Wild, entschlossen und voller Verzweiflung. Sie hatte sich in ihm verloren. Es war alles egal, nichts spielte mehr eine Rolle. Nur er und sie zusammen.
Was morgen kommen würde, stand in den Sternen.